Von Wunden und Veränderung...


Interview mit Funeral
Doom Metal aus Norwegen - Drammen
Mit „From These Wounds“ haben FUNERAL aus Norwegen mal eben ein superbes Album vorgelegt, welches wohl niemand so recht auf dem Zettel hatte. Sphärischer Doom und melodische Gothic-Elemente, dazu eine wahrhaft einzigartige Stimme und gleichermaßen tiefsinnige wie genretypische Texte – das verlangte natürlich nach etwas umfassenderer Beschäftigung mit den gebeutelten Erschaffern. Glücklicherweise nahm sich Kjetil Ottersen denn auch die Zeit für eine ausgiebige Fragerunde, die ihr im Anschluß mitlesen könnt – Viel Spaß dabei.
(Anmerkung: Da ich Kjetil die Beantwortung einiger persönlicher Fragen – speziell zu den Todesfällen der Bandgeschichte – freigestellt habe, kommt diese Thematik hier nicht zur Sprache.)

Hi Kjetil, und danke, daß du dir die Zeit für ein paar Fragen nimmst. Wie steht’s denn derzeit im fjordigen Norwegen?


Grüß dich und vielen Dank für dein Interesse. Momentan ist hier alles ein wenig hektisch, zumindest für meinen Teil, da Musik und Studium nicht immer ganz so gut zusammengehen. Aber mittlerweile habe ich mich etwas an den Stress gewöhnt.

Euer neues Album „From These Wounds“ scheint prima anzukommen – bist du zufrieden mit den Reaktionen auf eure mittlerweile vierte Scheibe?

Natürlich! Was da gerade passiert, übertrifft ehrlich gesagt jegliche Erwartungen, die ich persönlich hatte. Die Scheibe wird von Presse und Hörern mit gleichermaßen offenen Armen aufgenommen, und für eine so entgegenkommende Zuwendung kann man als Musiker einfach nur extrem dankbar sein.

Der Wechsel an den Vocals ist meines Erachtens einer der besten Schritte, der euch passieren konnte, da Frodes ruhige, oft fast gregorianische Intonation perfekt zu den weiten, brütenden Klanglandschaften passt. Wann habt ihr entschieden, dass es Zeit für einen Sängerwechsel war, und wie kamt ihr dann auf Frode?

Der Wechsel im Gesangsbereich – welcher zudem von einer weiblichen hin zur männlichen Besetzung führte – ist eine der Änderungen, die sich nach dem Release von „In Fields...“ im Jahre 2001 ergaben, denn nach dieser Scheibe und den Abgängen von Thomas Angell, Hanne Hukkelberg und Idar Burheim lag die Band gewissermaßen auf Eis. Zwischen 2001 und 2004 gab es praktisch keine ernsthaften musikalischen Bemühungen bei FUNERAL, was in meinen Augen eine gewissermaßen ideale Gelegenheit war, um das Erreichte Revue passieren zu lassen und vielleicht über tiefer gehende Veränderungen nachzudenken.
Insofern hat die Auszeit dafür gesorgt, dass die Karten komplett neu gemischt wurden – wir hatten plötzlich eine unberührte Leinwand vor uns, die musikalisch und im Hinblick auf die Besetzung neue Herangehensweisen ermöglichte. Ein Ergebnis dieses Prozesses war der Einstieg von Frode als Bassist und Sänger (er war der Band schon seit geraumer Zeit freundschaftlich verbunden), während ich mich zunehmend in die Rolle des Hauptschreibers und Produzenten hineinlebte.

Also kann man davon ausgehen, dass Frode – der ja auch bei MINAS TIRITH tätig ist - zukünftige Werke von FUNERAL einsingen wird?

Ja, Frode wird der Band definitiv als Sänger erhalten bleiben, zumal es bisher keine Probleme mit seinem Doppelengagement gab und so etwas auch in Zukunft nicht zu erwarten sein dürfte.

Auf mich wirkt „FTW“ wie eine Reise: Am Anfang waren da lediglich wuchtig-majestätische Akkorde und Keyboardengagements, miteinander verschmelzend und von fast maritimer Anmut, was ihr Ineinanderströmen angeht. Später dann tauchten aus diesem Gebräu einzelne Riffs (wie im Titelsong) und Leadmelodien auf, die sich im Kopf festfraßen und eine ganz neue Struktur enthüllten – als ob unter dem Schleier ein anderes, raueres Land erstand.
Wie entstand denn eigentlich die Musik der Scheibe, was waren deine Absichten, deine Inspirationen?


Das komplette instrumentale Material habe ich im letzten Vierteljahr 2004 geschrieben. Wie bereits gesagt, gab es zu dieser Zeit keine nennenswerte Aktivität in der Band, und so ist das Album im Prinzip nurmehr das Ergebnis meiner eigenen, unabhängigen Arbeit.
Damals hatte ich eigentlich nur den vagen Anspruch, dunkle Musik zu kreieren, eine Art artistisches Leitmotiv, welches ich für mich persönlich erreichen wollte. Der Kompositionsprozess war dementsprechend eine sehr zurückgezogene Angelegenheit, da ich meinen eigenen schreiberischen Qualitäten vertrauen musste.
Soweit ich mich erinnere, hab ich die Zeit genossen, weil der Arbeitsrhythmus fast optimal war und neben dem Schreiben auch noch Zeit für Aufnahmen und Mix blieb. Tatsächlich wurde also nahezu das komplette instrumentale Material von „TGW“ in dieser Zeit fertig gestellt.
Später habe ich diese Aufnahmen dann dem Rest der Band vorgestellt, um mir etwas Feedback einzuholen, und sie waren davon sehr angetan. Also beschlossen wir gemeinsam, die Tracks komplett für ein neues FUNERAL-Album zu verwenden. Frode, der schon seit Längerem etwas mit uns zusammen machen wollte, schrieb daraufhin umgehend die Texte und arbeitete Gesangslinien aus, die meiner Meinung nach perfekt zum musikalischen Unterbau passen. Bei manchen seiner Arrangements war ich wirklich kurz vor den Tränen, als ich sie das erste Mal hörte...
Und das war es dann eigentlich auch schon im Großen und Ganzen.

Viele Menschen betrachten Doom noch immer als langsame, eher anspruchslose Musik, und auch Musiker scheinen oftmals technischere Musik zu bevorzugen, da sie sich dort präsentieren und richtig austoben können.
Was ziehst du persönlich als Musiker aus dieser langsamen Musik? Ist Doom vielleicht eine Musik, die mehr Wert auf Zusammenspiel und etwas weniger auf Kapriolen legt?


Hmm, zunächst ist jede Form von Musik natürlich ein komplexes Zusammenspiel, selbst wenn es hier und da auch um die Zurschaustellung von Technik gehen mag.
Was den Doom betrifft, denke ich, dass es eine überaus emotionale und kontemplative Art von Musik ist, die geschwindigkeitsorientierter Virtuosität weniger Bedeutung beimisst. Dafür werden hier andere Aspekte in den Vordergrund gerückt, eben die Fähigkeit, Verletzlichkeit und Schmerz und Melancholie auch über die Musik zu transportieren, diese Gefühle zu vertonen.
Ich persönlich finde das Schreiben, Hören oder Aufführen von Doom genauso befriedigend, wie die Beschäftigung mit anderer Musik, die mir etwas zu geben vermag. Ich denke einfach, dass sich das in einem größeren Rahmen recht gut ergänzt.

Nun gibt es speziell auf „FTW“ ja auch deutliche Anleihen aus dem Gothic-Bereich, wodurch die Melange recht zugänglich wird. Habt ihr das schon immer gehabt (leider sind mir eure Frühwerke nicht bekannt, sorry)? Und wie würdet ihr – als semi-offizielle Gründer des Genres - Funeral Doom an sich beschreiben?

Fangen wir zu Definitionszwecken mit unserem Debüt „Tristesse“ (1994) an: Die Musik auf dieser Scheibe ist unglaublich langsam, weniger melodisch und wir nutzten damals auch noch keine Synths. Beim Gesang dominieren tiefe Growls. „Tristesse“ ist ein mehr oder weniger statisches, dissonantes und ungeheuer dunkles Werk, womit auch das Subgenre Funeral Doom generell hinreichend „definiert“ wäre.
Das zweite Album „Tragedies“ (1995) war dann schon um Einiges melodischer, was nicht zuletzt an den weiblichen Vocals und doppelten Gitarrenläufen liegt. Dadurch wirkt die Musik insgesamt harmonischer als das Debüt.
„In Fields Of Pestilent Grief“ (2001) schließlich ging noch einen Schritt weiter, vor allem im Bereich der Struktur, der Orientierung hin zu mehr Harmonie und Melodik, sowie den gesanglichen Arrangements. Diese Scheibe hat Thomas Angell fast im Alleingang geschrieben und sie zeigt, was für ein großartiger Songwriter er ist. „Fields“ ist bis heute meine Lieblingsscheibe von FUNERAL.
Die Geschichte zu „From These Wounds“ habe ich dir ja schon erzählt, und insgesamt würde ich sagen, dass es auf der einen Seite zugänglicher ist, aber eben auch komplexer, was Klangmuster und die instrumentalen Elemente betrifft.
Und zum sinfonischen Charakter tragen die von dir erwähnten Gothic-Anleihen sicher ihren Teil bei, die mir schon immer am Herzen lagen. Speziell die Musik von PARADISE LOST, TYPE O NEGATIVE, THEATRE OF TRAGEDY und anderen hat mich seit jeher begeistert und ist bis heute ein wichtiger Inspirationsquell für mein Schaffen.

Was mich vor allem fasziniert, ist die leise Hoffnung, mit der die Songs trotz aller Trauer verwoben sind – wie Frühlingssonne, die hier und da durch die Fenster einer Kathedrale bricht. Hast du diese hellen Momente absichtlich eingefügt – als Repräsentation einer anderen Facette menschlichen Charakters vielleicht?

Darüber habe ich eigentlich nie wirklich nachgedacht. Ich wollte, wie oben gesagt, ein dunkles und bedrückendes Stück Musik erschaffen, aber vielleicht trägt meine Neigung zu Melodik, wohlklingenden Harmonien und Atmosphäre dazu bei, dass „FTW“ auch lichtere, gar erhebende Momente hat. Das ist einfach meine Form des Doom.
Und dann könnte man natürlich auch sagen, dass es eine rein subjektive Entscheidung ist, ob man eine spezielle Musik nun als abgrundtief dunkel oder als hell bezeichnet – das wird auf jeden anders wirken.

Stimmt, da können sich die emotionalen Vorzeichen zumindest für die „Betroffenen“ umkehren.
Kommen wir kurz zu den Texten: Angesichts der Einzelbesprechung könnte man hinter diesem Aspekt des Albums ein Konzept vermuten – gibt es denn ein solches?


Die Texte an sich bilden keinen Zirkel, auch wenn es auf dich vielleicht den Eindruck macht. Sie behandeln verschiedene Aspekte menschlichen Verhaltens, aber es gibt keinen kontextuellen Zusammenhang, da Frode und ich die Texte unabhängig voneinander und zu verschiedenen Zeitpunkten verfasst haben.
Es ging uns folglich primär darum, dass die Worte perfekt zum jeweiligen Song passen.

Schließen wir damit das Album vorerst ab und wenden uns der Zukunft zu – was sind deine Pläne bezüglich FUNERAL und auch in persönlicher Hinsicht?

Naja, um ehrlich zu sein werde ich Norwegen – und damit auch FUNERAL – bald verlassen, um mich mehr auf mein Studium zu konzentrieren und andere musikalische Projekte in Angriff zu nehmen, die momentan größere Priorität genießen. Wir proben derzeit allerdings schon mit möglichen Kandidaten, die Band an sich wird also definitiv weiter bestehen.

Na das sind ja mal doomige Neuigkeiten, vor allem angesichts der Tatsache, dass du die Scheibe fast allein geschrieben hast. Wie sehen denn deine anderen Projekte aus – irgendwas, was mit deinem Studium in Verbindung steht?

Mit dem Studium hat es nichts zu tun – Politikwissenschaft und IT sind nicht unbedingt Themen, die ich musikalisch verarbeiten wollte.
Es handelt sich prinzipiell um vier verschiedene Projekte, die ich derzeit in meinem Studio ausarbeite oder in den nächsten Monaten angehen werde:
Das erste ist DIAGNOSTIC, eine komplett elektronische Geschichte, die ich zusammen mit dem sehr talentierten Musiker Magnus Wolff-Helgesen Sørlie aufziehe. Am besten kann man die Musik wohl als „technoiden Industrial“ bezeichnen, mit Anleihen beim rhythmisch orientierten Powernoise, aber insgesamt sehr viel klinischer, härter und auch komplexer als Powernoise. Wir wollen einfach etwas Neues, Frisches erschaffen – ein paar Grenzen verschieben.
Dazu kombinieren wir harte Industrialparts mit entspannteren, eher ambienten Passagen, verfremdeten Synthieklängen und Gesang, sowie diversen Samples. Es geht darum, die Dynamik der Stücke so offen wie möglich zu gestalten und ich hoffe, dass wir unser derzeit in Arbeit befindliches Album „Tetragrammaton“ noch 2007 veröffentlichen können. Hängt natürlich auch davon ab, ob wir ein Label oder einen Vertrieb finden – bis dahin könnt ihr ja mal auf www.myspace.com/diagnosticmusic schauen.
Das zweite Projekt ist FALLEN, welches ich derzeit mit Anders von FUNERAL und der hervorragenden Sängerin Cecilie Langlie, die man vielleicht von SKUMRING kennt, betreibe. Die nächste Scheibe ist fast fertig und wartet eigentlich nur noch auf die Gesangsspuren; es wird eine Doppel-CD mit 90 Minuten Spielzeit, die mit etwas Glück wohl auch 2007 erscheint.
Nummer drei wäre ein Soloprojekt namens ERGO SUM, an welchem ich je nach verfügbarer Zeit etwas schreibe. Stilistisch würde ich es irgendwo zwischen Neoklassik, Ethno und Soundtrack verorten – ob und wann hier eine Veröffentlichung ansteht, kann ich momentan noch gar nicht sagen. Ich schreibe einfach hin und wieder und lass die Dinge auf mich zukommen.
Zu guter Letzt hätten wir da noch das Progressive Nu-Metal Projekt CELLAR, in welchem ich mit Henrik Johansen zusammenarbeite. Derzeit sind wir im Studio und arbeiten an ein paar Songs, aber demnächst werden wir eventuell ein komplettes Lineup auf die Beine stellen, um ein paar Gigs zu spielen.

Klingt ja alles sehr, ähm, anders. Da würde mich nun brennend interessieren, wie das Songwriting bei FUNERAL weiterläuft – schreibst du noch mit oder wie sind die Pläne derzeit?

So wie es derzeit aussieht, wird das nächste Album von der kompletten Band geschrieben werden, und da ich definitiv nicht mehr daran mitarbeiten werde, sind stilistische Kurskorrekturen wohl recht wahrscheinlich – lasst euch einfach überraschen.

Nach einer Tour brauche ich dann wohl gar nicht erst zu fragen, oder?

Stimmt, derzeit ist in dieser Richtung nichts geplant. Es wird aber diesen Sommer ein paar Festivalgigs in Europa geben – diese sind definitiv bestätigt.

Kommen wir zu ein paar ganz anderen Dingen: Als Norweger sollten euch bestimmte Sachen ja im Blut liegen – warum spielt ihr keinen Trve Black Metal?

Ha, die Frage ist gar nicht so abwegig. Tatsächlich waren sowohl Anders als auch ich selbst Teil der norwegischen BM-Szene – er als Drummer der 2000 aufgelösten Band ODIUM, ich als Keyboarder von DISIPLIN. Allerdings bin ich noch vor dem Debütalbum ausgestiegen, da sich die Musik für meinen Geschmack etwas zu sehr in die Oldschool-Ecke entwickelte.
Daneben habe ich vor einigen Jahren auch Gitarre bei MYRKSKOG gespielt, aber nach einem halben Jahr aus Desinteresse das Handtuch geworfen – irgendwie ist das nicht wirklich meine Musik. Wir sind jedoch über all die Jahre in freundschaftlichem Kontakt geblieben.

Auch total wichtig: Als ich das Video zu „This Barren Skin“ sah, dachte ich aufgrund der Stimmung und des Sarges sofort an den ultimativen Doomdance-Klassiker „Bewitched“ von CANDLEMASS – gibt’s da irgendwelche Zitate?

Nicht dass ich wüsste, aber Anders ist ein Riesenfan der Schweden - der könnte das vielleicht aufklären. Wie auch immer, der Clip zu „This Barren Skin“ stammt von Marcel Lelienhof, und da ich nicht glaube, dass er den CANDLEMASS-Clip kennt, sind Ähnlichkeiten wohl eher ein Zufallsprodukt.

OK Kjetil, dann danke ich dir für das Interview und hoffe, dass „From These Wounds“ der Band endlich die verdiente Aufmerksamkeit beschert. Besten Gruß nach Norwegen und letzte Worte für dich…

Ich möchte mich vor allem für die warmen Worte und das Interesse bedanken, die FUNERAL und unserer Scheibe in der Bloodchamber entgegen gebracht wurden. Und an alle da draußen, die „From These Wounds“ einen Platz in ihrem Leben eingeräumt haben: Tausend Dank für eure überwältigende Unterstützung – it means a lot!
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