Wir wollen jetzt was Neues machen!


Interview mit Fear My Thoughts
Modern Progressive Metal aus Deutschland - Freiburg
Was tun, wenn man sich als Band kontinuierlich weiter entwickeln will, sich aber Fans mit bockig verschränkten Armen von einem abwenden? Genau! Darauf scheißen und weiter machen! Auf ihrem neuem Album „Isolation“ setzen sich FEAR MY THOUGHTS in ihrer Kreativität keine Grenzen und nehmen alle Übel in Kauf, die das so mit sich bringen kann. Dass der Übel gar nicht so viele sind, zeigt sich im Laufe des Interviews, dass der (nicht mehr ganz so) neue Sänger Martin und Basser Bartosz vor dem Gig der Band auf dem Zwickauer New Sounds Festival gaben.
Die von der Band befürchtete Nichtanteilnahme des heutigen Publikums zeigte sich übrigens als berechtigt, denn es waren eindeutig zu viele Cooltuer anwesend, die das Konzert für alberne Schubs- und Tretaktionen nutzten. (Sacht mal, Kinners? Solltet ihr um die Zeit eigentlich nicht schon längst in der Heia sein? Wenn ihr euch nen Scheißdreck um die Musik schert, sondern nur darum, dass ihr auch voll cool ausseht, dann haut euch das nächste Mal bitte in der Proll-Disko!)
Während des Interviews auf dem schönen grünen Hinterhof des Alten Gasometers war auf jeden Fall alles noch friedlich. Leider war es etwas kalt und die Badesachen fehlten, sonst wäre dank des vorhandenen Pools aus dem Interview bestimmt eine lustige Plantschparty geworden.

YB: Wenn ihr euch die Bedingungen hier anschaut und die Leute seht, die hier vor Ort sind, denkt ihr, dass euer neues Material heute gut ankommen wird?


Bartosz: Es sind schon hauptsächlich sehr junge Leute, aber die sind hoffentlich offen für alles…

Martin: Viele mit nem Emo-Haarschnitt, die es entweder ganz derb oder ganz traurig mögen. Ich hab keine Ahnung. Es wird wohl mal wieder nicht unser Zielpublikum sein, aber wir werden sehen. Ich hab ehrlich gesagt noch gar nicht so richtig vorn reingeschaut.

Wusstet ihr eigentlich, dass zwei Bands (FINAL PRAYER und OF QUIET WALLS) hier abgesagt haben, weil dieses Festival unter anderem von McDonalds gesponsort wird?

B: Das haben wir gestern erst erfahren. Haben wir vorher gar nicht gewusst…

Was denkt ihr darüber? Ist das für euch ein Grund, ein Konzert abzusagen?

M: Das ist eine schwierige Frage. Wir sind ja mittlerweile nicht mehr so extrem wie früher. Da machen wir uns eigentlich schon lange gar nicht so große Gedanken drüber. Es ist auch okay, so was abzusagen, ganz klarer Fall. Ich denke auch, wenn so was zur Diskussion kommt, wir im Endeffekt vielleicht auch gesagt hätten, wir sagen so was lieber ab. Aber wir wussten es ehrlich gesagt auch nicht.

B: Richtig fiese Frage…

Kommen wir zu einem wichtigeren Thema. Euer neues Album „Isolation“ erscheint heute. Eine Frage, die ihr bestimmt schon ganz oft zu hören bekommen habt: Warum der Stilbruch?

M: Das hat sich einfach so ergeben. Es gibt keine Begründung, weswegen wir das jetzt machen.

B: Mit dem Eintritt von Martin haben sich einfach andere Möglichkeiten ergeben. Das kam uns gelegen. Es wäre ja auch blöd, so wie vorher weiterzumachen, obwohl er wirklich die Fähigkeiten hat, zu singen. Ich denke, das muss man einfach nutzen.

M: Die ersten paar Proben waren auch noch extremer. Wenn man es jetzt anhört, ist es auch noch etwas härter geworden. Die ersten paar Proben haben wir uns auch gefragt, ob das nun wirklich das Richtige ist, da ich auch nicht richtig wusste, wie ich mich da eingliedern soll. Aber das hat sich dann recht schnell auf der Hell On Earth Tour ergeben. Da war es für mich dann klarer, in welche Richtung das gehen könnte.

Es gab ja schon im Vorfeld, als ihr zwei neue Songs auf MySpace veröffentlicht habt, viele Diskussionen und auch viel Ablehnung. Wie geht ihr damit um, wenn Fans sich enttäuscht von euch abwenden oder euch sogar Verrat und Sell Out vorwerfen?

M: Fans sind auf der einen Seite schon gut. Auf der anderen Seite machen wir die Musik nicht wegen der Fans. Es war von Anfang an klar, dass viele Leute zu wenig verschiedene Musik hören, um zu verstehen, was wir damit sagen wollen. Für die ist das dann ganz klar ein Selbstverrat oder Sell Out.

B: Viele denken auch, wir haben das nur für die Plattenfirma gemacht. Was eigentlich völliger Blödsinn ist, denn das Label hat vielmehr das erwartet, was wir früher gemacht haben.

M: Wir passen wirklich in kein Raster, obwohl viele Leute sagen, sobald es melodisch wird, ihr klingt wie HIM oder so was…

B: …oder NICKELBACK.

M: Die kennen halt nix anderes. Mir ist es dann ehrlich gesagt ziemlich egal, ob solche Leute weiterhin zu unseren Konzerten kommen. Wir wollen ernsthafte Leute ansprechen. Vielleicht werden die Leute, die jetzt meckern auch mal älter und sehen, dass es auch noch ein bisschen was anderes gibt. Also, Deathmetal ist nix Schlimmes. Das ist gute Musik, und es gibt zum Glück noch genug gute Bands, die das machen. Wenn eine Band sich aber nicht mehr danach fühlt, dann sollte sie auch nicht auf die Fans Rücksicht nehmen. Das wäre wiederum Verrat gewesen, wenn wir versucht hätten, ein zweites „Vulcanus“ zu machen, um den Fans zu entsprechen und um vielleicht noch ein bisschen Erfolg in der Richtung zu machen.
Wir haben einfach gesagt: Scheiß drauf! Die Band hat von diesem Standpunkt aus viel erreicht. Wir wollen jetzt was Neues ausprobieren!

B: Es ist aber auch so, dass wir für so was ja bekannt sind, weil wir jede zweite Platte wieder was anderes machen.

M: Es macht auch immer Spaß, die Leute ein bisschen vor den Kopf zu stoßen, weil das ja auch wieder heißt, du lebst und du wirst wahrgenommen. Lieber kommt einer und stellt sich dann das ganze Konzert über mit nem Stinkefinger hin, wie auf dem Metalcamp zum Beispiel. Aber das zeigt einem dann wenigstens, klar, da geht das irgendjemandem nah.
Ich hab immer drauf geachtet, dass ich nie zu irgendeiner Szene dazu gehöre, weil ich das selbst als Einengung empfunden habe. Wenn sich Leute damit wohl fühlen, okay. Wenn die uns jetzt nicht mehr mögen, ist das völlig klar, und das haben wir auch erwartet.

B: Ja, wir haben damit gerechnet und trotzdem waren es insgesamt mehr positive Resonanzen.

M: Man findet auch jetzt, seit der Fullstream auf MySpace ist, kaum noch schlechte Kritiken, weil die Leute, die jetzt drauf kommen, uns vorher gar nicht kannten. Das heißt, wenn jetzt einer drauf kommt, und es gefällt ihm nicht, dann schaut er sich halt was anderes an. Die schlechten Kritiken vorher waren alle von Fans, die das sehr persönlich genommen haben.

B: Egal, ob positiv oder negativ, wenn du im Gespräch bist, wenn über dich diskutiert wird, ist das auf jeden Fall positiv für die Band.

Wie ist denn das Album entstanden? Gab es Veränderungen in der Herangehensweise oder beim Songwriting? Ihr habt ja vieles selbst gemacht, selbst produziert und das Artwork selbst gestaltet. Wie kam es zustande, dass ihr jetzt mehr in die eigene Hand nehmen wolltet?

M: Wir haben uns komplett auf Daniel Bergstrand verlassen, was die Aufnahme des Gesangs angeht. Wir hatten die Songs und haben uns gesagt: Warum sollen wir das nicht selber machen? Wir sind eben eine fleißige Band. Es gab in jeder Richtung einen, der das kann: Markus macht das Cover, ich hab noch die Orgelparts übernommen. Wenn wir schon was ausprobieren, warum dann nicht gleich richtig. Wenn es in die Hose geht, geht es dann schon ganz auf unsere Kappe; wenn wir was erreichen, können wir auch mehr Erfolg auf unsere eigenen Schultern nehmen.

Welchen Einfluss hast du denn auf die Platte gehabt?

M: Nicht so viel, wie alle denken. Den Hauptpart haben immer noch der Markus und der Patrick (FMT-Gitarristen…Anm. d. Verf.) übernommen. Es ist nach wie vor die Gitarrenarbeit, die im Vordergrund steht. Die Gesangsparts habe ich selbst gemacht, und die Texte habe ich selber geschrieben. Vielleicht hab ich mal hier und da, da ich ja auch Gitarre spiele, die Gitarren an den Gesang angepasst und mit arrangiert. Aber da ist ja dann eigentlich jeder dabei. Es bringt jeder seine Ideen ein.

B: Der Gesang steht allerdings mehr im Vordergrund und ist melodischer. Also hat er automatisch mehr Einfluss auf die Platte als der alte.

Warum heißt das Album „Isolation“? Bezieht sich das auf die Texte oder auf den vollzogenen Wandel?

M: Auf die Texte bezieht sich das gar nicht so. Ich hab die Texte nicht unter dem Vorwand geschrieben, dass das jetzt mit „Isolation“ zu tun hat. Viele sehen den Titel als übergreifend, mit der Stimmung der Platte und allem. Das ist uns im Nachhinein aber erst aufgefallen, dass man das durchaus auch so sehen kann. Ich denke mal, die Idee kam vom Markus. Später war dann klar, das passt als Arbeitstitel. Wir haben uns von der Außenwelt isoliert, um Songs zu schreiben, und haben keinen Einfluss zugelassen.

B: Letztendlich haben wir uns vom Metalcore isoliert…

…aber doch schon länger…

B: Ja, aber bis vor kurzem wurde uns noch nachgesagt, wir sind Metalcore.

M: Aber es ist jetzt kein Konzept in dem Sinne. Von dem, was in uns vorgeht, passt „Isolation“ schon sehr gut,…kurz, knackig. FEAR MY THOUGHTS ist schon so ewig langer Bandname. Da gibt’s eben einen kurzen Albumtitel.

Kannst du was zu den Texten sagen?

M: Die Texte sind eigentlich Gefühlstexte. Ich arbeite gern mit Vorstellungen von Situationen und Thematiken, die sowohl aus eigenen Erfahrungen stammen können als auch aus Illusionen, die entstehen könnten. Teilweise sind so 1984-Szenarien angespielt, teilweise dadurch schon wieder etwas Gesellschaftskritisches. Für mich hat es eher einen surrealistischen Anreiz, also ich sehe das eher so David-Lynch-mäßig. Ich will auch gar nicht, dass jemand sagt: Hey, den Text hab ich jetzt super kapiert! Das ist mir auch nicht so wichtig. Ich will einfach nur das loswerden, was mich beschäftigt. Aber es ist jetzt nicht so durch komponiert.

Neben meinem doch sehr gut ausgefallenen Review zu „Isolation“ gibt es auf Bloodchamber.de noch eine zweite Meinung zu eurem Album. Der Kollege Jegust meint dazu unter anderem, „Isolation“ „wirkt so wie ein dazwischen geschobenes Album, wo man seinen Stil noch nicht gefunden hat.“ und es gäbe zuviel „unnötiges komplexes „wir können technisch spielen“-Geprotze, das nicht songdienlich ist – wenn man schon eine Easy-Listening-Fanbasis hat, sollte man so Sachen vielleicht langsam einbauen und einen neuen Stil finden und nicht mit dem Dampfhammer drauf hauen.“

B: Also, erstens haben wir nie einen Stil gefunden, weil wir uns selbst nicht festlegen wollen. Zweitens ist die neue Platte viel weniger technisch als die alten.

M: Die Drummer sind zum Beispiel alle enttäuscht, weil das Drumming recht durchsichtig ist. Was schon stimmt, ist, dass es durchaus ein Album vor dem nächsten Album sein kann. Das kann man aber auch erst beim nächsten Album sagen. Wenn wir das nächste Album schreiben und dann vielleicht noch mehr in irgendeine andere Richtung gehen, vielleicht noch mehr Extreme einbauen. Da kann man schon sagen, ja, mit „Isolation“ haben wir das schon probiert. Wie Bart schon meinte, wir suchen einen Stil und richtig gefunden haben wir den noch nicht.

B: Ich würde nicht mal sagen, dass wir suchen. Wir machen das einfach. Wir werden von verschiedenen Bands beeinflusst, weil wir auch selber viel Musik hören. Dadurch werden wir auch neu beeinflusst. Und wir werden immer das machen, was uns Spaß macht. Ich denke, damit machen wir es uns natürlich auch schwer, uns wirklich zu etablieren.

M: Wir haben einfach einen anderen künstlerischen Anspruch. Das soll jetzt nicht hochtrabend sein, aber wir wollen uns selber auch überraschen.

Also kann man bei euch nicht davon reden, dass ihr euch zwanghaft vom Rest abheben wollt?

M: Zwanghaft ist das sicher nicht.

B: Zwanghaft wäre, wenn wir jetzt noch mal so was wie „Vulcanus“ rausgebracht hätten.

M: Wir spielen ja noch viele Hardcore/Metalcore-Shows. Wir wollen uns von nichts distanzieren. Wir wollen mit nichts abschließen. Wir wollen jetzt einfach mal gucken, was passiert.

Es gibt einen Song namens „Deaf, Dumb, Blind?“, der nicht auf der Platte erscheint. Was ist denn mit dem passiert?

M: Das ist jetzt ein Bonustrack für die Leute, die die Platte kaufen.

Ihr geht im Herbst auf Tour mit DARK TRANQUILITY und POISONBLACK. Beides Bands, die schon etwas anders sind als die, mit denen ihr sonst unterwegs wart. Sucht ihr euch jetzt schon eine andere Zielgruppe?

M: Die Entscheidung haben gar nicht wir getroffen. Das sind beides Bands unseres Labels.

B: Ich denke, das passt ganz gut. Wir waren auch schon mal auf einer Metaltour, das X-Mas-Festival mit EXODUS und HYPOCRISY.

M: Ich denke, wir können auch mit ganz anderen Bands zusammen spielen.

B: Das ist echt das Coole an der Platte: Wir können mit vielen Bands zusammen spielen.

Die Magazine bekommen ja demnächst von einigen Labels die Promos nur noch als Watermarked MP3s zur Verfügung gestellt. Meint ihr, das schränkt die Arbeit der Redakteure ein, oder seht ihr das als gerechtfertigte Schutzmaßnahme?

M: MP3s haben schon eine schlechtere Qualität. Ich find’s auch nicht schlimm, wenn das Zeug im Internet ist. Hat jeder dann selbst in der Hand, ob er sich das runterlädt oder nicht…

B: Eigentlich ist das schon Scheiße. Das merkt man einfach an den Plattenlabels. Viele kleinere Bands bekommen gar keine Chance mehr, richtig groß zu werden.

M: Ich denke, es ist eher ein gesellschaftliches Problem. Man nimmt etwas einfach, was umsonst ist und wo man es anonym bei sich zuhause machen kann. Das ist wie bei den Typen, die ständig Beleidigungen im Internet schreiben. Ich glaube nicht, dass die zu uns kommen und uns das ernsthaft ins Gesicht sagen würden.
Auf der einen Seite ist es schon cooler, wenn die Presse die CD haben kann, damit sie zumindest eine Ahnung davon hat, wie das Cover aussieht. Für mich ist das auch wichtig, weil ich selbst CDs und Platten sammle. MP3s sind gut, um sich zu informieren, aber wenn das gängig werden würde, wäre das schade. Andererseits wird das, wenn es so weiter geht, als Gegenmaßnahme eine Notwendigkeit werden, damit die Bands dann auch noch Verkaufsargumente haben.

Kommen wir zum Schluss noch zu lustigen Userfragen-Runde:
Mit welcher Band würdet ihr denn gern mal touren?


B: VOLBEAT!

M: …oder MASTODON…

B: VOLBEAT wären momentan mein Traum. Das würde auch super passen. Ich finde den Typ total sympathisch, und die Mucke ist einfach arschgeil.

M: …vielleicht auch so was Extremes wie DEFTONES. Das wäre vom Publikum her schon interessant. Oder EMINEM, irgendwas abgefahrenes.

Wann gibt’s denn von euch das Shirt „FEAR MY THOUGHTS – Changing Styles since 1998“?

M: Ist ne gute Idee. Lass uns das sofort machen!

Wie oft wurde euer Drummer schon mit Ville Valo verwechselt?
(Drummer Norman ist soeben zu uns gestoßen und reagiert mit einem verständnislosen „Was?“.)


B: Auf dem With Full Force letztes Jahr wurde er mit dem Sänger von EKTOMORF verwechselt.

Letzte Frage: Werdet ihr jemals eine Show halbwegs nüchtern spielen?

M: Och, wir sind eigentlich fast nie besoffen auf der Bühne. Ich und Bart schon eher. Norman, du?

Norman: Nie.

M: Die anderen trinken eigentlich nie Bier. Pat maximal eins.

B: Ganz nüchtern vielleicht nicht, aber bestimmt nie betrunken.

M: Ich war nur einmal richtig fertig auf der Tour, weil wir den Abend vorher so extrem gesoffen haben, und ich den ganzen Tag nicht richtig ausnüchtern konnte. Dann bin ich mit so nem angetrunkenen Kopf und Übelkeit auf die Bühne. Normalerweise sind wir aber echt zivilisiert.

B: Auf Tour haben wir echt selten besoffen gespielt.

M: Ich hab auch als Sänger viel zu viel Respekt davor. Auf Tour war klar, dass ich mich nicht voll laufen lassen kann, weil dann die Gefahr besteht, dass wir Konzerte absagen müssen. Jetzt ist es genauso: Die neuen Sachen sind schwerer zu singen. Da geht das nicht.

Da hatte wohl jemand einen falschen Eindruck gewonnen…

B: Na gut, ich bin schon betrunken…naturgebiert…

Na dann Prost!…und vielen Dank für das nette Interview!

Livefotos von Yvonne
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