Benni über das neue Album, Sängerinnen-Wechsel und Bühnenposer


Interview mit Flowing Tears
Gothic Rock aus Deutschland
1. Wie lange habt ihr gebraucht, bis die Songs für Razorbliss im Kasten waren?

Wir haben „Razorbliss“ in 12 Tagen eingespielt und noch mal 4 Tage gemixt – wir waren also ziemlich schnell... allerdings hatten wir im Vorfeld der eigentlichen Produktion eine ausgiebige Vorproduktion gemacht, so daß wir im Studio schon genau wussten, was wir wollten.

2. Ihr habt "Razorbliss" ja mit dem selben Produzenten im selben Studio wie schon beim Vorgänger aufgenommen. Was versucht man da von vornherein besser zu machen?

Besser ist vielleicht der Falsche Ansatz, denn wir waren und sind mit der Produktion von „Serpentine“ immer noch sehr zufrieden. Es ist eher so, daß man automatsch etwas anderes macht. Es wäre wohl gar nicht möglich gewesen, die Produktion von „Serpentine“ so zu wiederholen, selbst wenn wir das gewollt hätten. Bei „Razorbliss“ war die Herangehensweise aber eine andere. Die Songs hatten im Proberaum eine ziemliche Eigendynamik entwickelt, wir haben vieles recht spontan geschrieben und wollten dieses Feeling auch auf Band bringen, so daß wir uns von vornherein entscheiden haben, die Produktion roher und erdiger zu halten. Ich denke, daß im Moment gerade in unserem Bereich viele Produktionen viel zu klinisch und überfrachtet klingen. Kein Orchester oder keinen 30 köpfigen Chor auf ner Platte zu haben, ist ja fast schon die Ausnahme mittlerweile, haha....
Das Ziel war, die Platte exakt so klingen zu lassen, wie wir als Band tatsächlich klingen, wir haben keine 20 Gitarrenspuren aufgenommen, keine 4 Gesangsstimmen, und auch im Mix nur sehr minimal mit Effekten gearbeitet...

3. Bringt ihr euch zunächst in eine bestimmte Stimmung, um die melancholischen und zugleich hoffnungsvollen Songs zu schreiben?

Nein, es gibt keine speziellen Situationen oder Stimmungen, in denen ich besonders produktiv bin. Auch wenn das jetzt wenig spannend klingt, aber die meisten Ideen habe ich, wenn ich irgendwo im Stau stehe oder so, haha....
Bei Razorbliss war es so, daß die ganze Situation sehr inspirierend war: Wir hatten nach einem halben Jahr Zwangspause endlich wieder eine Sängerin, und die Stimmung in der Band war besser als je zuvor, wir waren froh endlich wieder live spielen zu können und an neuen Songs arbeiten zu können. Diese Stimmung hat das Songwriting wohl mehr beeinflusst als alles andere....

4. Trotz diverser Veränderungen kann der Fan "Razorbliss" doch sofort als Flowing Tears-Album identifizieren. Was ist eurer Meinung nach euer Haupterkennungsmerkmal?

Naja, ich hoffe mal, daß ich mittlerweile einen Weg gefunden habe, Songs und Melodien zu schreiben, die für uns typisch und unverwechselbar Flowing Tears sind. Zum anderen ist sicherlich der relativ tiefe weibliche Gesang so etwas wie unser Trademark, das wir ja auch mit Helen beibehalten haben.

5. Von euren Labelkollegen Lacuna Coil liefen ja bereits diverse Clips im deutschen TV. Habt ihr auch schon mal daran gedacht, eine Single auszukoppeln und ein Video dazu zu drehen? "Unspoken" hätte meiner Meinung nach das Zeug dazu.

Wir haben zwar darüber gesprochen, uns aber letztendlich dagegen entschieden. Ein gut gemachter Clip kostet schnell mal locker 20000 Euro, und damit hast du noch lange keine Sicherheit, daß der Clip auch läuft. Klar, Within Temptation und Co laufen mittlerweile recht oft auf Viva und MTV, aber das heißt noch lange nicht, daß diese Sender deswegen jetzt generell mehr solche Musik ins Programm nehmen, und selbst wenn erreichst du damit noch lange nicht automatisch neue Hörer...

6. Wenn so ein wichtiger Teil wie die stimmgebende Frontfrau plötzlich aus einer Band aussteigen will, denkt man da als Band auch mal ans Aufhören?

Nein, denn wir haben uns ja von Stefanie getrennt, um so weitermachen zu können wie wir das wollten. Steffi entwickelte sich immer mehr vom Leben als Musikerin weg, hatte keinen Spaß am Touren und wollte weniger Zeit in die Band investieren, um mehr Zeit für ihr Privatleben zu haben, was wir respektieren. Es war nur so, daß wir plötzlich sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft der Band hatten: auf der einen Seite Steffi, die weniger machen wollte, auf der anderen Seite der Rest der Band, der möglichst viel live spielen und möglichst schnell an einem neuen Album arbeiten wollte. Wir versuchten einen Kompromiss zu finden, merkten aber schnell, daß es auf lange Sicht nicht funktionieren würde die Band auf Sparflamme am leben zu halten, denn das ist nicht das, was wir wollten, also trennten wir uns in aller Freundschaft – and Aufhören dachten wir also keinesfalls....

7. Wie hat man sich ein Gesangs-Casting bei Flowing Tears vorzustellen? Sitzt der Rest der Band wie bei den Superstars am Tisch und bewertet nach und nach die Bewerberinnen?

Haha, fast.... wir haben das alles auf Video aufgezeichnet und werden das mal irgendwann als DVD veröffentlichen, haha.... Nein, das ganze lief eher unspektakulär ab. Wir probten mit möglichen Sängerinnen ein oder zwei mal, und ich nahm mit ihnen ein oder zwei Songs in meinem Studio auf. Es war ganz interessant mit vielen verschiedenen Sängerinnen zu proben und zu sehen, wie wir mit unterschiedlichen Stimmen klingen würden. Im Grunde ist es ja so, daß man schon nach wenigen Sekunden merkt, ob jemand zu uns passt oder nicht. Wir hatten mit vielen sehr guten Sängerinnen geprobt, aber hatten bei keiner das Gefühl, daß das, was wir da spielten wirklich Flowing Tears war, es klang immer ein wenig wie eine Flowing Tears Coverband, und es fühlte sich für uns auch so an. Mit Helen war das von der ersten Sekunde an anders. Wir hatten noch nicht den ersten Song fertig gespielt, da wussten wir wohl alle schon unabhängig voneinander, daß genau sie und niemand sonst perfekt zu uns passen würde...

8. Mit dem Gastauftritt von Dirk Thurisch bei "Believe" und den aggressiven Vocals bei "Virago" habt ihr auch ein paar kleine Experimente in euren Sound integriert. Habt ihr Gefallen an so etwas gefunden und werdet ihr vielleicht bei zukünftigem Material mehr davon einbauen?

Ja, absolut. Ich will da noch nicht zu viel verraten, denn wir haben mit dem Songwriting für die nächste Platte noch nicht wirklich angefangen, aber wer uns in letzter Zeit – etwa auf der Tour mit After Forever – live gesehen hat, wird gehört haben, daß Helen an aggressiverem Gesang und sogar Grunts Gefallen gefunden hat. Wir sind gerade in dieser Richtung am experimentieren...


9. Da du gerade von der Tour mit After Forever sprichst. Wie kam denn diese Kombination bei den Fans an? Ihr unterschiedet euch doch vor allem stimmlich schon sehr voneinander.

Ich kann sagen, daß die Kombination hervorragend funktioniert hat, gerade weil beide Bands in eine sehr unterschiedliche Richtung gehen. Das hat das Package sehr interessant gemacht. Lustigerweise dachten wir vor der Tour, daß After Forever eine kitschige Gothicband seien, und After Forever dachten dasselbe von uns – nachdem wir dann am ersten Tourtag feststellten, daß beide Bands echte Poser auf der Bühne sind und wir in der ersten Nacht im Tourbus unsere gemeinsame Vorliebe für lustigen 80er Hardrock entdeckten war die Tour gerettet, haha....
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