Helmut Schmidt beim Stauabbau


Interview mit Accu§er
Thrash Metal aus Deutschland - Siegen
Wen das Thrashfieber einmal gepackt hat, den lässt es so schnell nicht mehr los, selbst wenn es mal eine Zeit lang nur unauffällig unter der Oberfläche geschwelt hat. Anders kann man wohl kaum erklären, wie ACCU§ER erst so lange Zeit auf Eis liegen konnten, um dann innerhalb von 14 Monaten gleich zwei Alben zu veröffentlichen. Wenige Tage vor dem Erscheinen des Dampfhammers „Dependent Domination“ gaben sie als Support von DEATH ANGEL dem Publikum einen Eindruck ihres Selbstverständnisses im Jahr 2011, inklusive drei neuer Songs. Wenige Minuten nach dem Auftritt sitze ich mit dem sichtlich entspannten und zufrieden aussehenden Gitarristen und Sänger der Band, Frank Thoms, im Biergarten vor dem Turock, um herauszufinden, woher der Sinneswandel und Energieschub bei ACCU§ER kam bzw. kommt und was es zum neuen Album zu sagen gibt.

Wir müssen ganz vorne anfangen, was war der Auslöser für das Comeback? Ihr habt zwar zwischendurch noch Musik gemacht, aber unter anderem Namen und ACCU§ER war mehr als 10 Jahre auf Eis gelegt.

Ganz genau. 1996 haben wir wirklich komplett aufgehört. Ich hab auch dazwischen nichts gemacht. Irgendwann nach ein paar Jahren hatte ich nochmal Lust, die Gitarre in die Hand zu nehmen, und habe ein paar Projekte gemacht. René (Schütz, der auch einige Jahre bei ACCU§ER war und u.a. auf „Who Dominates Who“ mitgespielt hat) und ich haben irgendwann gesagt, wir können ja nochmal was machen. So ist die Sache mit SCARTRIBE entstanden. Und sobald man anfängt, eine Band zu planen, zu proben usw., versucht man doch immer, einem Ziel hinterher zu sein. Der Auslöser für die Rückkehr zu ACCU§ER war letztendlich, dass SCARTRIBE mit den Jahren immer ähnlicher dazu wurden. Wir können uns nicht großartig hinter irgendwas verstecken, also haben wir gesagt, wir machen das wieder. Es war also kein Plan, dass wir gesagt haben, andere Bands machen das, also machen wir das auch. Es war wirklich eine Bauchentscheidung.

Auf die Frage, ob man so etwaiger Verwunderung darüber zuvorkommen wollte, warum die ACCU§ER-Musiker ähnliche Musik unter anderem Namen spielen, ordnet Frank SCARTRIBE als „zwar recht hart, aber doch getragener“ ein. So stammen laut seiner Aussage 70-80% der Lieder vom letztjährigen ACCU§ER-Album „Agitation“ noch aus SCARTRIBE Zeiten, danach entschied sich die Band aber dazu, bei „Dependent Domination“ wieder zu dem zurückzukehren, was ACCU§ER ausmacht: Schnelle Stakkatos und das altbewährte D-Tuning.

Aber stand denn dann auch schon Material für die neue Scheibe oder sind die neuen Lieder nach dieser Entscheidung nur so aus euch rausgeflossen? 14 Monate sind ja eher ein Abstand, den man aus den 80er Jahren kennt, heute aber kaum noch.
Ja genau, zum einen ist es eine technische Sache und zum anderen ein Gefühlsding. „Agitation“ ist entstanden durch den Übergang von SCARTRIBE zu ACCU§ER. Die Gitarren waren relativ tief gestimmt, auf Dropped-H(B)-Tuning. Aber für den knackigen Sound und die Stakkatos wäre es eigentlich cool, die Gitarren wieder hoch zu stimmen. Nachdem ich nach 10 Jahren wieder eine D-gestimmte Gitarre in der Hand gehalten habe, hat es keine paar Wochen gedauert, da ging es Stück Nr. 4 - Nr. 6 - Nr. 10. Es war wie ein Stau, den ich zehn Jahre mit mir rumgetragen habe und den ich dann quasi in einem, zwei, drei Songwritingmonaten abgearbeitet und die Lieder aufgenommen habe. Ich hab das zu Hause aufgenommen, dann den Jungs vorgespielt und alle haben gesagt: Ja Super! Hammer! Da waren wir schnell wieder bei der Sache. Es war eine Findungssache in der Übergangszeit, jetzt haben wir uns gefunden und das wollten wir auch.

Wohl auch deshalb war die Band gut unterrichteten Kreisen zufolge sehr aufgeregt, nachdem die Platte fertig war. Nachdem Bekannte und Freunde sich sehr positiv zu den Demos geäußert hatten, fehlten die unabhängigen Stimmen, um sicher zu sein, dass die persönliche Verbundenheit nicht im Urteil mitschwingt, wie Frank anmerkt. Diese Anspannung hat sich nach den ersten Reaktionen mittlerweile in Wohlgefallen aufgelöst.

Wie schon „Agitation“ ist auch „Dependent Domination“ bei Martin Buchwalter im Gernhart Studio in Siegburg aufgenommen worden. Auf die Frage, aus welchen Gründen man sich für dieses Studio entschieden hat und aus welchen man überhaupt ein Studio wählt, antwortet Frank:
Bastian, unser Labelmann, hat von seinen guten Erfahrungen berichtet, und natürlich spielen auch die Referenzplatten, die in einem Studio aufgenommen worden sind, eine Rolle. Aufnahme, Mix und Mastering fanden wir bei „Agitation“ gut und dazu hat die Chemie zwischen Martin und ACCU§ER zu 100% gestimmt. Während einer Aufnahme war es ernst, aber sonst hatten wir viel Spaß und es war sehr entspannt. Das ist genau das, was wir gewollt haben, deshalb an dieser Stelle noch mal Danke an Martin!

Ein weiterer, nicht ganz unbedeutender Punkt bei einem Album ist die Covergestaltung. Wie schon bei „Agitation“ ließen ACCU§ER Verena Achenbach ans Werk, die in Zusammenarbeit mit der Band der eigentlich metaphorischen Textzeile „demon in chains“ aus dem Titeltrack ein Gesicht gab. Der - im Aussehen an das alte Maskottchen von ACCU§ER angeglichene - Dämon strahlt Dominanz aus, weil er Macht aus der Angst der Menschen zieht, gleichzeitig ist er aber von dieser Angst abhängig und daher in Ketten.

Das, abgesehen von der Musik selbst, dritte Thema bei einem Album sind die Texte. Dazu, wie er Texte schreibt, woher er seine Inspiration nimmt und welche Wendungen sich dabei manchmal ergeben, sagt Frank:
Ich schreibe die Texte sofort in Englisch, aber die Gedanken dazu sind auf Deutsch. Man muss sich dann immer überlegen, wie die englischen Worte klingen und wie sie zum Gesangsstil passen. Ab und zu gelangt man dann bei der Vokabelsuche zu einem ganz anderen Thema.
Die Texte sind metaphorisch, werden aber von der Realität inspiriert. „Beneath Your Dignity“ zum Beispiel basiert auf meinem Erfahrungen aus dem Zivildienst und handelt von einem Altersheim. Man sollte den alten Menschen eine Aufgabe geben und ihrem Leben noch einen Sinn geben, so dass sie nicht die Erlösung im Tod suchen. Alt sein oder werden ist ja nichts Schlimmes, sondern eine Situation, die uns alle betrifft.

Auf seine persönliche Entwicklung angesprochen, erzählt Frank, dass sein Vater schon für damalige Verhältnisse härtere Musik gehört hat und immer mit der Zeit gegangen bzw. mit der Entwicklung der Musik Schritt gehalten hat, und er selbst als Kind schon immer dabei war. Selbstverständlich ist er mit 45 Jahren und Familie wesentlich vernünftiger geworden, aber immer ein Thrasher geblieben und wie die ganze Band hat er den Willen, alles machbare mit ACCU§ER zu jonglieren. Weiter führt er aus, dass er das „Hobby zum Beruf zu machen“ für das Beste hält, was es gibt. Weil die Verdienstmöglichkeiten mit extremer Musik aber, gelinde gesagt, schwierig sind, ist sie in erster Linie eine Kompensation zum „normalen“ Leben, wenn er sich zum Texten und Spielen zu Hause in sein Büro zurückzieht.

Interessant wird es, als ich ihn nach den Unterschieden in der Szene und zur Entwicklung des Thrash Metal frage. Frank lehnt sich vor und zurück, grübelt, zieht an der dem besonderen Abend geschuldeten Zigarette und sagt:
Mit der Zigarette erinnert mich das an einen der Auftritte von Helmut Schmidt…
Früher gab es den Kontrast zwischen Metal und Punk. Im Thrash verbindet man verschiedene Kontraste: harte, schnelle Musik, aber mit einer gewissen Sinnlichkeit. Metaphorik und Realität.
Die Szene ist heute noch da, es gibt aber mehr Sparten und auch In-Szenen. Mir gefallen Events wie das Thrash Assault in Würzburg, wo ich zum ersten Mal seit Jahren wieder junge Kerle mit den klassischen Röhrenjeans und Stiefeln gesehen habe.

Zwischen der Bay Area und dem Teutonen-Thrash möchte er sich nicht entscheiden, auch wenn er zugibt, dass er bzw. ACCU§ER sich gerade früher mehr an der Bay Area orientiert haben, deren Klang demzufolge in ihrem Sound auch präsent(er) ist. Auf aktuelle Bands angesprochen, ist seine persönliche Formel einfach auf den Punkt zu bringen:
Alles was hart ist und anmacht. Von den SUICIDAL ANGELS bis zu THE BLACK DAHLIA MURDER oder DESPISED ICON. Ich habe wieder eine große Liebe zum Death Metal entwickelt, da gibt es einige coole Bands. Außerdem mag ich UNEARTH, weil sie nicht den Drang haben große Überraschungen abzuliefern, sondern bei ihrem typischen Sound bleiben.

Während in der (nahen) Zukunft die neue Platte mit Konzerten promotet werden soll, geht Franks Blick auch schon weiter voraus, denn er hat das Handy bereits voll mit neuen Ideen für das nächste Album. Mit der gefundenen (Aus-)Richtung der Band müssten sie „nur noch“ ausgearbeitet werden.
Als sich aus dem Hintergrund lautstark DEATH ANGEL bemerkbar machen, die soeben ihr Set begonnen haben, wird es Zeit zum Ende zu kommen, da wir beide uns den Spaß nicht entgehen lassen wollen. Die letzten Worte gehören Frank:

Ich freue mich, wenn das Interesse an ACCU§ER da ist, bin gespannt auf die Resonanzen und hoffe auf volle Konzerte!

(oberstes Bild von links nach rechts: Frank Kimpel, Olli Fechner, Frank Thoms, Uwe Schmidt)
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