Bis ans Limit und darüber hinaus


Interview mit Enforcer
Heavy Metal aus Schweden - Stockholm
Manchmal reichen schon Kleinigkeiten, um etwas zu einem klassischen Beispiel dafür zu machen, dass Planung nicht alles ist. In diesem Fall spielt der nicht existente Handyempfang in den Tiefen der Matrix eine Rolle, so dass das Interview mit Olof Wikstrand, Sänger, Gitarrist und Bandleader bei ENFORCER, nicht wie geplant vor dem Konzert stattfinden kann. Umso schöner ist es dann, wenn es nicht nur doch noch hinhaut, sondern der Interviewte auch einige nicht unbedingt zu erwartende Antworten liefert und selbst nach einer anfänglichen kleinen Runde im Kreis hellwach und aufmerksam bei der Sache bleibt. Wenn jemand für seine Band und die Idee dahinter brennt, dann auf jeden Fall Olof.

Wenn ich die Band beschreiben würde als eine Band, die immer All-In geht oder auch nach dem Motto „Full speed or no speed“ agiert, fändest du das eine angemessene Beschreibung?

Ja, definitiv. Die Grundidee hinter der ganzen Band ist es, alles zu nehmen, was wir als kompatibel zur Band ansehen, und es zu überhöhen oder auf die Spitze zu treiben. Wir wollen das ganze Metalkonzept weiter ausreizen als es je eine Band zuvor gemacht hat.

IRON MAIDEN in doppelter Geschwindigkeit.

Das ist eine mögliche Referenz. IRON MAIDEN und all die anderen Bands, mit denen wir aufgewachsen sind, haben einen besonderen Platz in uns. Die Inspiration kommt auf natürlichem Weg. Aber aktuell denke ich, dass wir uns nicht groß um andere Bands geschert haben. Bei diesem Album haben wir mehr versucht, in uns selbst hineinzuschauen. Unseren eigenen Sound stromlinienförmiger gestalten und etwas machen, das typischer für ENFORCER ist. Einfach alles auf die Spitze zu treiben.

Ich glaube, ich verstehe, was du meinst, und kann die Meinung auch teilen.

Wir wollen keine anderen Bands kopieren. Wir wollen keine Sachen machen, die andere Bands besser als wir machen. Wir wollen das machen, was wir am besten können, und wir wollen nur das machen. Weil es das ist, was wir am besten können.

Neulich hab ich mich noch mit einem Freund über euch unterhalten und er meinte, dass man auf „Diamonds“ und „Into The Night“ bei einigen Songs praktisch die direkte Inspiration benennen kann.

Das kann ich auch. Die Songs sind nicht wirklich Kopien, aber zumindest im Vergleich zum neuen Album sind die anderen beiden viel mehr von anderen Bands beeinflusst. Das hier ist mehr von uns selbst beeinflusst.

Kommt diese Entwicklung von der Erfahrung, dem Touren oder vom erwachsen werden?

Nein, mit erwachsen werden hat das nichts zu tun. Es ist eine Erfahrungssache. Außerdem gehört dazu, dass man eine klare Vorstellung davon entwickelt, was man wirklich machen will. Das haben wir getan. Wir haben die Idee zum neuen Album entwickelt und hatten das Konzept im Kopf, bevor wir irgendwelche Lieder hatten. Das ganze Konzept dreht sich darum, alles was uns ausmacht stromlinienförmiger auszurichten und auf die Spitze zu treiben. Es braucht Zeit, die archetypische, selbstdefinierende ENFORCER Platte zu kreieren.

Für meinen Geschmack ist das neue Album textlich und von den Liedtiteln eine ganze Spur dunkler als gerade „Diamonds“, vielleicht auf einem ähnlichen Level wie „Into The Night“. Es gibt viel Dunkelheit und Tod.

Weil wir die Musik konsequenter haben wollten, mussten die Texte und die Ästhetik genauso konsequent wie die Musik werden. Aber wenn Leute sagen, dass es dunkler oder sowas ist, kann ich nur sagen, sie haben die Texte vorher wohl nicht gelesen, denn wir hatten schon immer diese Art von Texten. Dieses Mal wollten wir nur sehr viel konsequenter sein, textlich und musikalisch. Das ist Teil der Geradlinigkeit des ganzen Konzepts der Band.

Für dich ist es also natürlich, eher düstere Texte mit einer Musik zu kombinieren, die so lebendig, fast schon erhebend ist?

Es hat nichts mit dem Leben zu tun. Die Musik wurde als totaler Auslass für Energie geschrieben und was die Leute da rein interpretieren ist ihre Sache. Für uns ist es ein Ventil rasender Energie.

Die Titel und Texte deuten aber auf dunklere Szenen…

Es ist nicht dunkel! Ja, auf eine gewisse Art und Weise könnte man sie als düsterer ansehen, aber insgesamt sind die Texte einfach konzentrierter. Es sind immer noch Ins-Gesicht-Texte. Die Texte und das ganze Konzept sollen wie eine Faust ins Gesicht sein.

Also geht es nicht darum, zum Beispiel schlechte Erfahrungen zu verarbeiten?

Einzelnes kann lose auf Geschehnissen im normalen Leben basieren, aber insgesamt ist es einfach ein Kanal, Ausgang, Auslass für Kreativität. Man kann etwas in sehr verschiedene Worte kleiden. Die Inspiration entstammt sehr vielen verschiedenen Dingen, sowohl echten Ereignissen als auch ganz anderem. Es geht darum, wie du die Worte kleidest, damit sie zur Musik passen. Die Texte sind dazu da, die Gefühle zu verstärken, die du beim Hören der Musik hast.

Bedeutet das, du schreibst die Musik vor den Texten?

Manchmal ja, manchmal nein. Für mich ist es auf jeden Fall keine fröhliche Musik, sondern so ernst wie nur was. Und das gilt auch für die Texte.

Besonders „Diamonds“ finde ich sehr erhebend. Wenn ich einen schlechten Tag habe, lege ich es auf und danach habe ich gute Laune.

Und das ist auch gut so, weil der Hörer sein eigenes Urteil fällen soll. Für mich ist es aber alles andere als fröhlich, besonders das aktuelle Album, wo wir sehr konzentriert waren für die Musik und die Texte. Heavy Metal Musik ist nicht dazu da, mit Freude oder Spaß verbunden zu werden. Sie ist ein Ventil für Energie. Und wenn du die Energie als fröhlich interpretierst, ist das schön für dich! Aber andere Leute könnten es anders interpretieren. Für mich ist es ein Ventil für pure Energie. Weder hell noch dunkel, nur Energie. Wenn du das nutzt, um dich aufzumuntern, ist das deine Interpretation und es ist eine gute, aber Energie kann man auf alle Arten nutzen.

Aber es gibt einen Unterschied zwischen, sagen wir, PANTERA, wo sich die Energie darauf konzentriert, etwas zu zerstören und…

Ich fühle das nicht wirklich, wenn ich das höre. PANTERA und ähnliche Bands haben in meinen Ohren überhaupt keine Energie. Aber das ist genau das Gefühl, das ich dem Hörer vermitteln will. Wenn du ENFORCER hörst, sollst du die ganze Welt zerstören wollen. Das ist das Gefühl, das ich dem Hörer geben will.

2011 hab ich euch auf der Tour in Essen und Köln gesehen und hatte den Eindruck, dass du damit zu kämpfen hast, gleichzeitig zu singen und Gitarre zu spielen.

Ja, Essen war ungefähr die dritte Show jemals, bei der ich Gitarre gespielt habe. Es hat eine Weile gebraucht, sich daran zu gewöhnen, aber jetzt fühle ich mich selbstsicherer denn je und ich hoffe, du hast heute Abend den gleichen Eindruck gehabt.

Ich habe damals den Fortschritt von Essen nach Köln und danach zum Rock Hard Festival gesehen, und heute wieder einen. Allerdings fand ich es seltsam, dass es kein Licht von vorne gab. In den ersten 20 Minuten ungefähr gab es nur Beleuchtung von hinten.

Ich finde das ziemlich cool. Wir wollen dem Publikum nicht zu viel von uns präsentieren, man sollte den Fans auch etwas lassen. Und eine dunkle Bühne zu haben, ist auch wichtig, um komplett All-in gehen zu können. Du kannst natürlich alle Effekte verwenden, aber wenn man so anfängt, lässt es einem bis zum ganz hellen, Toplevel-Licht viel Raum, um darin zu arbeiten. So kann man eine dynamischere Show machen.

Ich finde es irritierend, wenn man die Gesichter der Musiker nicht sieht.

Aber du siehst Teile davon. Wenn ich selbst zu einer Show gehe, will ich die Band auch nicht in ihren normalen Klamotten in vollem Tageslicht sehen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen. Wenn wir spielen, soll man den Eindruck haben, die Band bewegt sich in einem höllischen Inferno, und nicht dass sie mit glücklichen Gesichter im Tageslicht steht. Es geht ums Zerstören.

Ist das der Grund, warum man im „Mesmerized By Fire“ Video so viel von euren Kehrseiten sieht?

Nur im ersten Teil zeigen wir unsere Gesichter nicht, weil das auch den Inhalt des Songs widerspiegelt. Das Lied ist in zwei klar getrennte Parts geteilt. Der erste ist melodischer, vielleicht catchier. Der andere ist typisch ENFORCER, sehr verschieden von dem ersten. Wir wollten die Differenz zwischen den beiden Teilen herausstellen. Der erste ist langsam gefilmt, zeigt keine Gesichter und beim Übergang die Band und das Riffing. Ich finde, es verdeutlicht beide Teile des Lieds. Der erste ist sehr indirekt, während der zweite mitten ins Gesicht gehen soll.
Es ist wichtig für uns, etwas Neues zu machen. Etwas, das noch nicht gemacht worden ist, weil wir keine anderen Sachen kopieren wollen.

Denkst du, dass es möglich ist, noch wirklich neue Dinge zu erschaffen?

Auf jeden Fall! Anderenfalls wäre es total sinnlos für uns überhaupt nur heute Abend hier zu sein. Für mich ist ENFORCER, die ganze Idee, die hinter der Band steckt, etwas komplett Neues, das es noch nicht gegeben hat, zumindest nicht auf diese Art. Wenn wir andere Sachen oder Bandkonzepte kopieren würden, die diese Bands besser machen, wäre das total sinnlos. Für mich ist ENFORCER die beste Band, die es jemals auf der Welt gegeben hat, und unsere Lieder sind die besten jemals gemachten. Wenn ich nicht so denken würde, wäre es für mich total sinnlos, Musik zu machen.

Ich liebe dieses Statement, es ist brilliant.

Es wäre so nutzlos, andere Bands zu kopieren. Dann hätten wir hier nichts verloren. Wir sind hier, weil wir etwas haben, das anders ist. Etwas Neues, etwas Frisches und das wollen wir dem Publikum weitergeben. Das ist der ganze Grund, warum wir hier sind.

Zwei Fragen in einem Satz: Wer oder was wird „enforced“ (vollstreckt, erzwungen) und habt ihr jemals über ein Maskottchen nachgedacht, einen Enforcer?

Nein, nein und nein.

Also ist der Bandname offen für Interpretationen?

Ja, ist er. Für mich sagt der Name eine Menge über die Musik. Sie ist direkt, ins Gesicht, lässt keine Fragen offen. Der Name ist wie die Texte und die Musik eine Faust ins Gesicht.

Kennst du den Song “The Enforcer“ von der deutschen Speed Metal Band…

WARRANT! Natürlich! Großartiges Lied, großartige Band. Ich liebe sie!

Warum gibt es immer ein Instrumental auf den Alben? Oder, lass mich anders fragen, welche Rolle spielt ein Instrumental für dich?

Ich liebe Instrumentals, weil du wirklich die Instrumente sprechen lassen kannst statt der Stimme. Ich fühle mich künstlerisch viel freier, wenn ich instrumentale Musik mache. Du kannst ganz andere Dynamiken in Lieder einbauen, wenn sie nicht an eine Stimme gebunden sind. Vielleicht könnte das nächste Album sogar komplett instrumental ausfallen, ich weiß es nicht. Am Ende ist es einfach ein Ventil für die Kreativität.
Musik ist nicht zwangsläufig mit Gesang verbunden. Musik ist nicht zwangsläufig mit Gitarren, Synthesizern oder sonst einem bestimmten Instrument verbunden. Musik spricht für sich selbst.

Gerade erst habe ich gelesen, dass KATATONIA ihr letztes Album „Dead End Kings“ in einer neuen Version veröffentlichen werden, ohne elektrische Gitarren, Schlagzeug und Bass. Nur das Keyboard, akustische Gitarre und die Stimme, um die Musik sprechen zu lassen.

Wenn sie das als die Musik ansehen, ist das schön, aber ich habe noch nie von der Band gehört. Ich kenne den Namen nicht.

Hast du irgendwelche Lieblingsinstrumentalalben?

Ja, ich höre viel Barockmusik, Vivaldi, Bach, und das ist alles instrumental. Für mich steckt da eine Menge Heavy Metal drin. Der Heavy Metal der damaligen Zeit.

Und wie sieht es mit Yngwie aus?

Ich liebe Yngwie Malmsteen. Natürlich liebe ich ihn, er ist der beste Gitarrist jemals!

Ich weiß nicht, ob er das ist, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er selbst davon überzeugt ist, dass er es ist.

Und wenn er das denkt, liegt er richtig, weil er etwas so völlig anderes ist. Sein Stil ist so einzigartig und er hat etwas wirklich Besonderes geschaffen. Er hatte die Vision und vermutlich hat er die Vision noch. Die komplette Idee, von dem was er tut, ist so speziell, so wahrhaftig, weil er etwas Neues erschafft. Er kopiert keine anderen zeitgenössischen Künstler. Er macht sein Ding alleine und dem zolle ich allen Respekt, denn das ist echte Musik. Kein Konzept oder sonst etwas zu kopieren. Er kam mit einer ganz neuen Art Gitarre zu spielen an und das schätze ich sehr.

Ich glaube, das ist die beste Huldigung Yngwies, die ich seit langer Zeit gehört habe.

Ich liebe Yngwie Malmsteen, sowohl wenn es um das Gitarre spielen als auch das Songwriting geht. Wie sie es nachher genannt haben, Shred, ich mag diese Art des Spielens. Andere Gitarristen, die ich mag, spielen ganz anders, aber ich schätze jeden, der sein eigenes Ding durchzieht, einzigartig und authentisch. Nicht bloß schnell spielen, um schnell zu spielen, sondern schön spielen. Das sollte man immer im Sinn haben.

Nicht nur auf dem neuen Album dreht sich viel um Feuer. Woraus besteht für dich die Faszination des Feuers?

Es ist ein Ausbruch von Energie, erst einmal. Und es erschafft und es zerstört.

Hatte der Unfall 2010 einen Einfluss auf euch oder hat ihn vielleicht noch?

Nein, das hatte er niemals. Wenn du dich zu sehr auf etwas fokussierst, hängst du daran fest, obwohl es keinen Unterschied macht. Alles ist gut gegangen und gleich nachdem wir uns gesammelt hatten, haben wir es abgehakt. Wir sollten keine Energie darauf verschwenden, uns Sorgen über etwas zu machen, über das man sich keine Sorgen machen sollte.

Ok, ich weiß nicht, wie ihr bei dieser Tour reist, aber es könnte ja auch etwas so Profanes sein, wie den Rhythmus zu verändern, wie lange ein Bandmitglied das Gefährt am Stück steuert.

Ja, so gesehen haben wir gelernt, nicht ohne vernünftige Winterreifen in einen Schneesturm zu fahren. Das haben wir auf jeden Fall gelernt.

Dann seid ihr gerade in der absolut perfekten Region, denn entlang des Rheins drehen die Autofahrer durch, selbst wenn es nur ein bisschen schneit.

Das ist in Schweden auch so. Der erste Schnee fällt und der öffentliche Nahverkehr bricht zusammen.

Das hätte ich nicht erwartet!
Kommen wir zum Schluss zu ein paar Entweder-Oder-Fragen, bei denen du deine Entscheidung bitte begründest.
SLAYER oder METALLICA?


Ich liebe beide Bands sehr, sie hatten einen großen Einfluss auf mich, sowohl was ENFORCER betrifft als auch mich persönlich. Ich liebe SLAYER dafür wie sie, speziell auf den ersten beiden Platten, etwas Neues kreiert haben, indem sie was Texte, Image etc. betrifft ans Maximum gegangen sind. Wie eine echte Metalband. Und ich liebe METALLICA, weil sie sich ständig weiterentwickeln. Die drei ersten Alben sind alle komplett neu. Damit bin ich aufgewachsen und ich liebe die ersten Alben sehr.

IRON MAIDEN oder JUDAS PRIEST?

Das ist schwer zu sagen, weil ich die auch beide liebe. Aber auf gewisse Art war ich immer eher ein IRON MAIDEN als ein JUDAS PRIEST Typ, zumindest früher. Das gleicht sich aber aus, denn „Sad Wings Of Destiny“ ist wahrscheinlich die beste Platte jemals, was den Flow, die Dramaturgie, den kompletten Aufbau und auch die Lieder betrifft. Eine Entscheidung fällt mir schwer.

MAYHEM oder DARKTHRONE?

Verdammt, das ist auch wieder schwer, weil ich beide liebe. Ich kann es nicht wirklich sagen, aber zumindest musikalisch würde ich sagen, ich bevorzuge MAYHEM gegenüber DARKTHRONE, weil MAYHEM eine Band waren (!), die alles an die extremen Grenzen gebracht hat. Das ist etwas, das ich wirklich sehr schätze. Was auch immer das Limit oder die Grenzen sind, sie gehen bis dahin und treiben es dann noch ein Stück weiter. Und das machen sie vollständig und ernsthaft. Das mag ich an MAYHEM. Und die Musik ist sehr atmosphärisch. Die ersten beiden Platten höre ich mir mindestens einmal im Monat an.

IN SOLITUDE oder PORTRAIT?

Das beantworte ich nicht. Ich liebe sowohl die Menschen als auch die Musik. Du würdest doch auch nicht zwischen deiner Mutter und deinem Vater wählen, oder?

(Bild 1 von links nach rechts: Joseph, Jonas, Olof & Tobias.)
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