Disillusion Zen Zebra Rose Kemp

Disillusion, Zen Zebra, Rose Kemp

DisillusionZen Zebra
Leipzig, Theaterfabrik Sachsen
03.04.2010
Für manche ein willkommenes Ostergeschenk, für mich ein nettes, nachträgliches Geburtstagspräsent, für viele die Aussicht auf einen ungewöhnlichen Konzertabend. DISILLUSION sind nach zwei Jahren Abstinenz wieder zur heimatlichen Bühne zurückgekehrt. Das Leipziger Aushängeschild in Sachen progressiven, außergewöhnlichen und scheuklappenlosen Metals hatte sich bewusst etwas zurückgezogen, um einerseits an neuem Material zu arbeiten, andererseits aber auch, um das durch einige Line-Up-Wechsel angekratzte Bandgefüge wieder zu festigen. Um den heutigen Abend zu etwas besonderem werden zu lassen, griff man lieber etwas weiter über den Rand des Tellers statt auf das gängige Metal-Repertoire zurück. Die ebenfalls aus Leipzig stammenden ZEN ZENBRA haben mit Metal nicht viel am Hut und die aus UK eingereiste ROSE KEMP - nun das werdet ihr weiter unten noch erfahren.

Als außergewöhnlich stellt sich auch bereits der erste Gang in die Theater Fabrik heraus. Dadurch dass die Hälfte des Konzertsaales mit festen Bestuhlungen ausgestattet ist (was ja für ein Theater nicht allzu ungewöhnlich ist), ergibt sich angesichts des sonst üblichen und erwarteten Bildes ein höchst bizarrer Eindruck. Das Publikum - eine wüste Mischung aller Altersgruppen und Interessen, wo der Kuttenträger zwischen der Emo-Frisur und Vatis Pullunder Platz findet – lümmelt sich in weichen Polstern und hält sich an den seinen Getränken fest, während die Bühne nur vereinzelt von Irrgeleiteten begutachtet wird. Kurz steigt die Angst auf, dass sich dies während der Auftritte nicht ändern würde. Das weicht aber bald der Erkenntnis einer sich perfekt anbietenden Rückzugsmöglichkeit, falls das Gebotene nicht den Erwartungen oder eben genau diesen entsprechen würde.

Von ZEN ZEBRA hatte ich persönlich nämlich nicht allzu viel erwartet. Gut, im Laufe der Jahre ist einem der Bandname des Öfteren mal über den Weg gelaufen, irgendwelche Band Contests sollen die gewonnen haben und musikalisch gibt’s irgendwelchen schmusigen Alternative Rock – so zumindest mein flüchtiger Voreindruck. Was dann aber von der fünfköpfigen Truppe auf der Bühne veranstaltet wurde, hatte doch tatsächlich Hand und Fuß. Mit überraschender Professionalität, einer gehörigen Portion Progressivität und einem selbstbewussten und stimmstarken Frontmann dauerte es nicht lange, bis sich die Menge aus ihren Sitzen erhob. Sicher, die weinerlichen Vocals (im übrigen stets mit einem breiten Grinsen vorgetragen) sind nicht jedermanns Sache, aber die Instrumentalfraktion beeindruckte mit gut ausgearbeiteten, manchmal auch verfrickelten Strukturen, einer guten Bühnenpräsenz und eigentlich genau dem Gegenteil der mädchenhaschenden, modernen Klischee-Rocktruppe, wo Aussehen und einfache Refrains ganz oben im Terminplan stehen. Eine sehr überzeugende Stunde, bei der mich nur kurz mal die Angst überkam, der Sänger würde sich aus Versehen mit dem Mikrokabel erdrosseln.

Ob ROSE KEMP unterwegs verschollen oder einfach nur noch nicht in der Stimmung war, fragte man sich anschließend, da die Gute eigentlich von allen als Auftakt erwartet wurde und man nun nicht mehr sicher war, ob sie überhaupt auftauchen würde. Nachdem eine gitarrenbewaffnete Dame vor dem frisch montieren DISILLUSION-Aufbau Platz nahm, sich ein Mikro zurecht rückte und ungeniert in die Saiten hieb, war zumindest diese Tatsache geklärt, leider aber nicht, ob man darüber nun erfreut sein sollte oder nicht. Die ansonsten meist mit Bandbegleitung reisende Rose legte heute einen selbstbewussten Solo- und gleichzeitig einen ziemlich zwiespältigen Auftritt hin. Ganz objektiv konnte man eine Frau in einem langen Kleid erleben, die lautstark ihre avantgardistischen Gesänge in den Raum warf, während ihr rechter Arm immer mal wieder den einen oder anderen Ton aus der tiefergelegten Gitarre schlug. Rein subjektiv lebte und spielte diese Frau in einer Kunstwelt, deren Eingangstor mit doppelten Sicherheitstüren und verspiegelten Fenstern abgeschottet wurde. Achselzucken und Stirnrunzeln, gar manch garstiger Kommentar blieben keine Seltenheit. Selbst Anhänger des stumpfesten Metals benötigen irgendwelche Anhaltspunkte. Bei ROSE KEMP hingegen prallten fast alle gut gemeinten Annäherungsversuche an einer unsichtbaren Wand ab, nur ein geringer Bruchteil kann der Verlockung widerstehen, sich die Bar und den Raucherbereich einmal von Nahem anzuschauen.

Letztlich wartete der Großteil des Publikums aber hauptsächlich auf DISILLUSION, die in Form von Kreativkopf Andy Schmidt an Mikro und Gitarre, dem hinzugestoßenen Matthias Becker am Bass, dem Wiederkehrer Jens Maluschka am Schlagzeug und Heiko Tippelt als elektronische Verstärkung vorm Laptop von Beginn an keine Probleme haben, die Menge zu begeistern. Zunächst fast noch etwas schüchtern, mit der Zeit aber deutlich offener präsentiert uns die Band hautsächlich ihr letztes Album „Gloria“, wobei auch die etwas vertrackteren Kopfgeburten knackige Resonanz erfahren. Die oft überlangen Epen des Vorgängeralbums kommen heute deutlich kürzer, sowohl im Ganzen als auch individuell. Auf Appetithäppchen in Form von neuem Material darf man aber vergebens warten.
Dennoch, die Band lässt uns wissen, dass sie es genießt, nach so langer Zeit wieder hier zu sein. Und ihrer Spielfreude und den Gesichtsausdrücken zu Folge ist das kein leerer Standardspruch. Da wundert es kaum, dass derart viel positive Energie nicht am Bühnenrand halt macht und stattdessen die Anwesenden komplett einhüllt.
Wen interessiert es da, dass bei all der Ausgelassenheit nicht jeder Ton dort sitzt, wo er im Studio mal gesessen hat? Wer kümmert sich darum, ob DISILLUSION nun überhaupt noch Metal sind oder nicht? Momentan sind ganz andere Dinge von Belang: Wie schafft man es, seine Blase noch länger zum Aushalten zu bringen, um möglichst wenig zu verpassen? Ist es nicht schon genug Metal, wenn die Bierfässer an der Theke alle sind? Und wann zum Geier kommt endlich das neue Album?
Zumindest auf letztere Frage gibt uns Andy eine Antwort: 2010 kommt es, versprochen!

Fotos von Philipp

Bildergalerie

-