Amenra Daggers At Daggers Drawn

Amenra, Daggers, At Daggers Drawn

AmenraDaggers
Leipzig, Atari
23.07.2010
Wie vom Erdboden verschluckt kommt man sich im Leipziger Atari vor, welches im Mai sein zweijähriges Bestehen feierte. Folgt man nämlich am hinteren Ende der Schankstube dem weißen Kaninchen, so erreicht man - „keine Zeit, keine Zeit!“ - durch ein Loch im Boden und über 15 mäßig lotrechte Holzstufen den Ballsaal des Etablissements, der sich in Zahlen etwa so darstellt: 20 charmant betonierte Quadratmeter (inklusive Bühnenfläche), zwei zugemauerte Fensterrahmen, Backsteinboden, sowie eine lichte Höhe von maximal zwei Metern. In exakt dieser Kuschelhöhle finden sich am heutigen Abend nicht weniger als drei Bands ein – AT DAGGERS DRAWN, DAGGERS und AMENRA. Möge die Nacht der langen Messer beginnen...

Den recht verbraucherfreundlich auf 22 Uhr gelegten Auftakt besorgen die Deutschen AT DAGGERS DRAWN. Dabei handelt es sich entgegen der Vermutung einiger Anwesender keineswegs um das Metallkommando aus Koblenz, sondern – Überraschung! - um Post-Hardcore aus dem Berliner Raum, komplett mit allen wichtigen Insignien der sich immer und immer wieder in sich selbst reflektierenden Jugend: Vegan by nature, schwulesbisch engagiert, gegen Gewalt, Rassismus und unreflektierten Bullshit jedweder Couleur. Es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn es angesichts dieser ebenfalls nur mäßig reflektierten Gemeinplätze nicht für ein Bienchen in der Disziplin politisch korrektes Szene-Lego reicht, aber ich schweife ab...
Am heutigen Abend konzentrieren sich fünf Musiker auf das, was sie wirklich können: Mitreißenden, emotional durchwirkten und auf den Punkt gespielten Klangzauber. Die Art und Weise, wie AT DAGGERS DRAWN ihre auf- und abschwellenden Epen zelebrieren, wie sie sich von zerbrechlichen Akustikparts in wutentbrannte Raserei steigern, scheinbar mühelos Extreme ausloten und dabei das spartanische Ambiente mit einer fast fühlbaren Passion beseelen, ist schlicht atemberaubend. Hier ist eine Band, die dirigiert; die mit fast schon doomiger Lässigkeit Gefühlszyklen durchfliegt und dabei immer wieder genau den Punkt findet, an dem die Welle sich zwangsläufig brechen muss – ein absoluter Traum!
Aus Mangel an Hintergrundinformationen ist mir nicht ein einziger dieser schimmernden Diamanten namentlich bekannt, aber in Anbetracht der soeben erfolgten Veröffentlichung von „Serving Sorrow“ dürfte man neben älteren Stücken auch brandneues Material zu Gehör bringen – vermutlich die etwas ruhigeren Passagen des dennoch nahtlos ineinanderfließenden Strudels. So bleibt nach gut 40 beeindruckenden und glasklaren Minuten trotz etwas hüftsteifem Publikum nur ein Fazit: AT DAGGERS DRAWN sind die faustdicke Überraschung und – soviel sei vorweg genommen – zugleich der musikalische Höhepunkt des Abends.

Den Belgiern DAGGERS gelingt es im Anschluss nur bedingt, das Level zu halten: Musikalisch in ähnlichen Gefilden verwurzelt, offenbart die eher zum punkigen Ende tendierende Melange in puncto Songwriting hörbare Schwächen, die auch das etwas aggressivere Auftreten nur bedingt kaschieren kann. Das schweiß- und studiogestählte Ensemble strebt mit viel Macht zur Arhythmik, zersetzt seine Kompositionen folglich mit bisweilen deplatziert anmutenden Breaks, und erreicht so zu keiner Zeit die Immersion, die sich noch bei AT DAGGERS DRAWN quasi nebenbei einstellte. Das kommt beim Publikum – vielleicht aufgrund der offensiveren Attitüde – zwar etwas besser an, klingt im Vergleich aber deutlich ausbaufähiger als die Berliner Lehrstunde.

Wer sich an derlei Ecken nicht stört, sondern vielmehr genüsslich reibt, der findet unten den Link zur Myspace-Seite – für uns ist nach beschwerlichem Aufstieg der Zeitpunkt für einen Barbesuch gekommen. Und da zeigt sich das Atari geradezu vorbildlich: War der Eintritt mit 5 € schon mehr als fair, so verweilt man angesichts der humanen Preise im Getränkebereich (Bier 1,50 €, Vodka 1, 50€) gern ein wenig länger am Tresen des mittlerweile gut gefüllten Etablissements. Dazu kommt eine angesichts der Lage unerwartet angenehme Klientel zwischen Hardcore, Szene, Crust und Metal, die vermutlich je nach Genre der angebotenen Konzerte (Sludge, Doom, HC) variiert. Solltet ihr also in Reudnitz und Umgebung Wurzeln schlagen, dann bietet sich ein Blick auf die Seite des Clubs durchaus an.

Den Abschluss des Abends gestalten nach kurzer Pause AMENRA, ebenfalls aus Belgien angereist und mit hörbarer NEUROSIS-Schlagseite ausgestattet. Mit selbigen teilen sie sich vor dem Hintergrund einer generellen Laut-Leise-Dynamik auch die Achillesferse, nämlich mangelndes Gefühl für den Punkt, an dem die Welle brechen sollte. So gelingt es der Band trotz optisch stimmungsvoller Show (War's die Optik? War's der Vodka?) leider nicht durchweg, einen überzeugenden Spannungsbogen aufrecht zu erhalten – dafür gibt es zu viel Post- um des Post-Seins willen, verzettelt man sich zu häufig in längeren Dröhnpassagen, während derer man mit Mike Krüger fragen möchte „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Intelligente Menschen machen intelligenten Metal, bis sie irgendwann zu angestrengt darüber nachdenken, wie genau intelligenter Metal eigentlich genau klingen sollte. Und AMENRA fühlen sich bisweilen ein wenig so an, als ob sie diese intellektuelle Wasserscheide bereits überschritten haben.

Egal: Für die mittlerweile dicht an dicht gedrängten Zuschauer dürften die Belgier ein gelungener Headliner gewesen sein, für metallisch orientierte Zeitgenossen war der Abend je nach Aufgeschlossenheit zumindest eine interessante Entdeckungsreise in angrenzende Ländereien. Wer mit Post-Rock, Core und Metal sympathisiert, sollte das Atari auf jeden Fall im Hinterkopf behalten – weitere Infos zum Club und den Bands findet ihr auf den Seiten im Anschluss.


www.myspace.com/amenra
www.myspace.com/daggersband
www.myspace.com/atdaggersdrawnhc

www.myspace.com/ladenprojekt_atari
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