VI. In Flammen Open Air

VI. In Flammen Open Air

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Torgau, Entenfang
08.07.2011
Während sich später im Laufe dieses Wochenendes das von Medien und Handel herbeigesehnte Sommermärchen 2011 in Luft auflösen würde, sollte sich indes eine Torgauer Erfolgsgeschichte in ihrem sechsten Jahr einmal mehr als wohl Deutschlands heimeligstes Open Air präsentieren. Ein überschaubares Areal, fast gänzlich ohne Zäune auskommend; sehr liberale Einfuhrbedingungen für mitgebrachtes Obst und Gemüse; eine handverlesene, nicht nur auf ein einziges Genre schielende Bandauswahl; feste Toiletten (wenngleich auch sich regelmäßig eine längere Schlange vor der einzigen Kloschüssel bilden sollte); eine Übernachtungsmöglichkeit im Tourbus für Zeltlose und Campingmuffel sowie jede Menge Kleinigkeiten – der Veranstalter gibt sich stets spürbar Mühe, seine Besucher bei guter Laune zu halten.

Umgeben von Gras, saftigen Bäumen und lärmresistenten Schafen schlagen bereits am Donnerstag die ersten Besucher ihre Zelte auf, um wie bereits im Jahr zuvor an der exklusiven Warm-Up-Party auf einem Elbe-Dampfer in Stimmung zu kommen. MENAN TRACKLAND, LIGHTNINGZ EDGE (mit IRON MAIDEN Cover Set) sowie als Überraschungsgast IMPALED geben den handverlesenen Metallmatrosen einen Ausblick auf das kommende Wochenende und bieten den vorbeiziehenden Enten, Fröschen und Fischen einen sicher nicht ganz alltäglichen Anblick. Manch einer hält sich im Eifer des Gefechts gar selbst für ein Flossentier, geht spontan über Bord und muss aufwändig wieder eingefangen werden.

Der erste offizielle Tag muss familienbedingt leider ohne Bloodchamber-Beteiligung auskommen. Dennoch sprechen Anwesende von einem sehr gelungenen Nachmittag, an dem allen Unkenrufen zum Trotz Mister Glenn Benton zunächst tatsächlich angereist ist und sich anschließend auch guter Laune ins Publikum gemischt hat, um letztlich mit seiner Band DEICIDE zusammen mit den Kollegen von BELPHEGOR, HOUR OF PENANCE und THE AMENTA den Zuschauern gehörig den Arsch zu versohlen.

Somit schlägt das Papamobil erst am frühen Samstagnachmittag seine Räder in den weichen Erdboden. VERMIN haben gegen 14:00 Uhr ihren Auftritt schon hinter sich, bleiben aber durch ihre lautstarke Aftershow-Party-Verkaufsveranstaltung am Merch-Stand dennoch irgendwie in Erinnerung. LAUTSTÜRMER wären nun eigentlich an der Reihe, sind aber irgendwie in Tschechien verloren gegangen. Zumindest tags zuvor wurden sie noch beim Obscene Extreme gesichtet, nun ist die Band wohl gegen irgendeinen Pfosten gestürmt.

Somit haben KADAVRIK nach einer längeren Pause zunächst mit der Bequemlichkeit der Anwesenden zu kämpfen. Die auch Keyboards nicht abgeneigte Melodic Black Metal Band mag bei der Integration der synthetischen Sounds noch ein wenig nach dem richtigen Timing suchen - Riffs, Melodien, Epik und die genretypischen Growls und Screams sind aber durchaus beachtlich, wenn auch dieses Herumreiten auf der eigenwilligen „Mehr Hass“-Geschichte eher ein wenig peinlich rüberkommt. Schade nur, dass die anfangs erwähnte Bequemlichkeit nur ein paar Hanseln direkt vor die Bühne zerrt. Viele lümmeln sich lediglich mit einigen Metern Abstand in ihren Campinghockern. Aber immerhin lümmeln sie sich.

DEFLORATION wiederum haben einen unschätzbaren Trumpf dabei. Wo auch immer der DEFLORATION-Uwe auftaucht, zieht er die Blicke auf sich. Aber nicht nur wegen seiner gefühlten 3 Meter Körpergröße, auch aufgrund seiner fast schon legendären Bühnenperformance zieht der Frontmann der Death-Grinder die Zuschauer an wie Lutscher die Ameisen. Da vergisst man fast schon, dass auch die Instrumentalfraktion technisch ordentlich was auf dem Kasten hat und problemlos den Anwesenden ihr Geböller einmal quer durch die Magengrube jagen kann, ohne dass diese sich beschweren würden. Als Krönung gibt’s am Ende noch den verschwitzten Bauch vom Uwe – was an dieser Stelle aber mal unkommentiert bleiben soll.

Wessen Großmutter CUNT GRINDER einst auch immer mit ihrem Bandnamen schocken wollten, wie Porn Grind sehen die Jungs zunächst mal gar nicht aus. Der Großteil versteckt sich hinter albernen Vorhängen und vom Mann mit den zwei Mikrofonen (eins fürs Gurgeln, eins fürs Kotzen) würde sich wohl problemlos jeder Rentner über die Straße helfen lassen. Plötzlich lässt die Truppe aber ein Groovemonster nach dem anderen aus dem Hosenstall, dass sich kaum einer der Anwesenden auf den Beinen halten kann. Banale Riffs mit einem mörderischen Rhythmus, dazu unverständliches Gegurgel, kaum ein Song länger als zwei Minuten – hier werden definitiv die niedersten Instinkte angesprochen, aber kurioserweise auch erhört. Wenn viele Menschen mit hackenden Händen im Kreis herum springen (und gern auch mal zwischendurch ein paar Fitnessübungen einbauen) und am Ende schweißgebadet zusammenbrechen (und das ganze am späten helllichten Nachmittag) – dann wird wohl irgendwo ein CUNT GRINDER in der Nähe gewesen sein.

Von dieser Hochstimmung können auch CYTOTOXIN gleich noch ein wenig mit profitieren. Stilistisch nicht gänzlich entfernt, wohl aber nicht ganz so stumpf und deutlich technischer tragen die Chemnitzer die Death Grind Flagge einfach weiter und ernten nicht minder enthusiastische Reaktionen. Dabei bekommt man den Eindruck, als wäre dies die Band mit den meisten zugereisten Fans und als auf der Bühne plötzlich eine funkensprühende Geburtstagstorte auftaucht, wird auch klar, weshalb. Fronter Grimo ist kurzzeitig sichtlich gerührt, ja fast schon ein wenig errötet, bevor nach einem kurzen Ständchen wieder das aggressive Gift durch die Boxen versprüht wird. Da rennt der Grunzer quer durchs Publikum und dieses wiederum entert anschließend die Bühne. Alles geht irgendwie durcheinander – aber alle haben sichtlich viel Spaß.

Als deutlichen Kontrast präsentieren sich direkt danach GRÄFENSTEIN. Von Beginn an düster und missgelaunt und wohl aus Neid auf alle anderen Bands mit deutlich mehr Mitgliedern hat sich das Trio vor Wut das Gesicht gepudert und gibt sich auch sonst sehr griesgrämig. Ihr Black Metal gibt sich ziemlich schnell, puristisch und offenbart erst bei genauerem Hinsehen diverse Details. Dementsprechend rauscht er auch irgendwie am Publikum vorbei, das zunächst erst einmal einen Gang herunter schaltet.

INTERMENT sind eine dieser Bands, die wie ihre Kollegen ENTOMBED oder OBITUARY quasi seit den Neunzigern Old School Death fabrizieren (obwohl der natürlich damals noch nicht alt war), es aber gegenüber diesen nie so richtig nach oben geschafft haben. So ungefähr präsentieren sich auch die Schweden an diesem Abend. Nett, konservativ und durchaus sympathisch – letztlich aber auch irgendwie ohne Highlights. Somit ist zwar von Seiten des Publikums spürbares Interesse vorhanden, die richtige Begeisterung bleibt aber auch hier aus.

So richtig warm sollte die Meute erst wieder mit den SKANNERS werden. Die traditionell etwas zu kurz geratenen Italiener geben sich nämlich dermaßen true, da müsste man eigentlich noch mehrere Us hinten dran hängen. Mangelnde Körpergröße kompensieren die Jungs mit unglaublichem Selbstbewusstsein. Lewis Carrolls Grinsekatze wäre neidisch auf die Mimik der Fünfer, insbesondere auf den Sänger. Im echten Leben peinliche Lederklamotten, große Gesten und lässig heraushängendes Brusthaar sind selbstverständlich mit von der Partie. Bei Songtiteln wie „Metal Party“, „Hard And Pure“, „Never Give Up“ oder „Factory of Steel“ dürfen ganz der Tradition nach natürlich nur eine Handvoll Akkorde Verwendung finden und dürfen die Refrains nicht mehr als fünf Worte enthalten, müssen dafür aber unendlich oft wiederholt werden. Vorgetragen werden muss das Ganze natürlich von einer möglichst hohen Stimme, weil da halt eben die Frauen drauf stehen. Und das Grandiose daran: Die Menge dreht total am Rad! Selbst Verächtern des Heavy Metal bleibt nichts anderes übrig, als sich den eingängigen und großartig stumpfen, klischeebeladenen Songs hinzugeben und die plakativen Texte mitzugrölen. Und gegen Ende zeigt uns der Südländer auch noch, wie man mit Frauen umgeht: Da wird die herumschleichende Fotografin einfach auf die Bühne gezerrt und zum Mitmachen verdonnert, ob sie nun will oder nicht. So geht das, liebe Kollegen!

Nachdem DAWN OF FATE letztes Jahr ausnahmsweise mal nicht auf dem In Flammen spielen konnten, meldet sich die Torgauer Hausband nun wieder zurück, wohlwissend, dass ihnen heute das Publikum in jedem Fall die gebührende Aufmerksamkeit zukommen lassen wird. Alte Stücke wie „Meine Gedanken des Hasses“ und „Hate Blood Murder“ zählen mittlerweile ebenso zum Standard-Repertoire wie neuere technisch ausgefeiltere Death Black Nummern. Das geht wie üblich ganz gut ins Ohr, die Band sollte aber unbedingt versuchen, irgendwie aus dem Sammelsurium des jahrelangen Songwritings eine klarere Linie zu entwickeln, damit man außerhalb der eigenen vier Wände auch deutlichere Spuren hinterlassen kann.

VREID haben als vorletzte Band das Problem, dass kaum jemand über sie spricht, ohne nicht wenigstens einmal den Namen WINDIR in den Mund zu nehmen. Das große Vorbild, aus dessen ehemaligen Mitgliedern sich die Band teilweise zusammensetzt, schwebt irgendwie immer mit im Raum, wenn VREID die Bühne betreten. Aber VREID sind eben nicht WINDIR, auch wenn es diverse kleinere Parallelen zu entdecken gibt. Ihre Songs sind weitaus weniger episch, dafür komplexer, düsterer und anspruchsvoller – womit sie im Vergleich grundsätzlich nur verlieren können. Möglicherweise ist dies der Grund, warum die Norweger einen ordentlichen und abwechslungsreichen Auftritt hinlegen, das Publikum aber eher schwelgerisch den Tönen lauscht statt sich zu bewegen. Vielleicht ist das aber auch gerade die richtige Methode, um sich VREIDs Musik zu nähern, auch wenn diese durchaus bewegungsfähige Riffs auffahren.

Von GRAVEWORM hat man lange Zeit schon nichts mehr vernommen. 2011 soll es aber wieder ein neues Album der Melodic Black Metaller geben und durch Auftritte wie diesem will man sich schon einmal etwas warm machen. Zuletzt standen die Italiener immer wieder in der Kritik, live ihre alten Songs zu ignorieren bzw. damit alte Fans zu verärgern, ein Blick auf die Setlist verrät aber bereits im Vorfeld, dass sich mit „A Dreaming Beauty“ und „Fear Of The Dark“ zumindest zwei häufig gewünschte Klassiker am Start befinden. Dennoch gestaltet sich der Einstieg ziemlich zäh. Soundprobleme vor allem mit den prägnanten Komponenten Keyboard und Gesang sowie ein leicht ermüdetes Publikum (Es ist bereits nach Mitternacht und leere Bierbehälter tapezieren das Gelände) sorgen nicht für das erwünschte Feedback, so dass das Einstellen der Anfeuerungsrufe seitens der Band fast schon einer Art Kapitulation nach dem Motto „Wenn ihr nicht mitmachen wollt, dann ziehen wir eben einfach nur unser Ding durch“ gleichkommt. Etwa in der Mitte des Gigs allerdings platzt plötzlich der Knoten und das Publikum quetscht noch einmal die letzten Energiereserven aus sich heraus. Sänger Stefan, der sich an diesem Abend als Imitator von Vetter Itt aus der Addams Family versucht, weiß das zu nutzen, so dass die zweite Hälfte des Auftritts, gekrönt vom eigentlich niemals fehlplazierten „Fear Of The Dark“ für alle Beteiligten noch einmal zu einem krönenden und schweißtreibenden Abschluss des Festivals wird.


Obwohl ich also quasi nur die Hälfte von allem mitbekommen habe, stellte sich das 6. In Flammen erneut als sehr gelungenes, friedliches und vor allem entspanntes Festival heraus. Das Wetter war trotz kleinerer Regenattacken vergleichsweise gut, Verpflegung und Verköstigung entsprachen den Erwartungen, die Bandauswahl wusste zu gefallen und auch der Sound hinterließ einen überdurchschnittlich guten Eindruck. Laut Veranstalter soll auch das kleine Problem mit den großen Geschäften nächstes Jahr besser gelöst werden. Und genug Platz für weitere Besucher bietet das Areal allemal. Somit bleibt nur noch die Frage: See you next year in Torgau?

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