Nevermore - The Obsidian Conspiracy

Nevermore - The Obsidian Conspiracy
Power Thrash Metal
erschienen am 28.05.2010 bei Century Media
dauert 44:41 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. The Termination Proclamation
2. Your Poison Throne
3. Moonrise (Through Mirrors Of Death)
4. And The Maiden Spoke
5. Emptiness Unobstructed
6. The Blue Marble And The New Soul
7. Without Morals
8. The Day You Built The Wall
9. She Comes In Colors
10. The Obsidian Conspiracy

Die Bloodchamber meint:

Fünf lange Jahre musste die Metalwelt warten, bis die vier Herren aus Seattle, die seit etwas weniger als 20 Jahren unter dem NEVERMORE Banner firmieren, den sehnsüchtig erwarteten Nachfolger von „This Godless Endeavor“ unter Dach und Fach gebracht hatten. Verkürzt wurde die Zeit von dem Live-Monument „The Year Of The Voyager“ und Soloalben der zwei Lichtgestalten der Band, Gitarrero Jeff Loomis und Goldlöckchen Warrel Dane, während sich Bassist Jim Sheppard längere Zeit mit Operationen und deren Nachwirkungen aufgrund seiner Morbus Crohn Erkrankung herumplagen musste, bevor er wieder so gesund war, wie es mit einer chronischen Krankheit möglich ist. Jetzt ist es soweit, „The Obsidian Conspiracy“ wird enthüllt.

Wer mit dem nicht einzuordnenden Progressive Power Thrash Konglomerat vertraut ist, darf sich auf ein altbekanntes Gefühl einstellen. Wer es nicht ist, der sei hiermit vorbereitet: Das Album braucht eine Menge Zeit, bis es sich in voller Wirkmächtigkeit entfalten kann. Trotz einiger der schnellsten Passagen der Bandgeschichte werden die ersten Durchläufe vor allem von dem Gefühl der Weltenschwere dominiert, welches keine Band so sehr in Töne zu gießen vermag wie NEVERMORE. Gerade viele Gesangslinien quellen fast über vor tiefempfundenem Drama und nur das vielleicht zugänglichste Lied, das die Gruppe je aufgenommen hat, „Emptiness Unobstructed“, ist ein blitzender Sonnenstrahl im heraufbeschworenen Wolkenverbund.

Desto öfter „The Obsidian Conspiracy“ jedoch gehört wird – konzentrierte Hörer werden diesen Effekt schneller wahrnehmen als andere – desto größer wird das Verständnis für und die Einsicht in die epische Dramatik des Albums, die sich vor allem durch große Worte und kleine Gesten auszeichnet. Große Worte gibt es in den Liedtiteln, die oft schlicht die erste Hälfte des Refraintextes wiedergeben, den kompletten Refrains und Rufen, wie dem an einen Widerstandsaufruf erinnernden „Rise! Rise!“ in „Your Poison Throne“, oder dem (anfangs) sanft gesäuselten „This Is Why I Hate You“ in „Without Morals“, das im Kontrast zwischen Inhalt und Darbietung aber weit von der Fröhlichkeit von z.B. SLOUGH FEGs „I Will Kill You - You Will Die“ entfernt ist. Zudem beeindrucken die schlichten aber präzisen Botschaften fast jeder letzten Textzeile, die besonders bei „Emptiness Unobstructed“ und dem abschließenden Titeltrack sehr präsent sind, weil Gesang und Musik zusammen enden. In dem abschließenden „These are my last words“ bei „The Obsidian Conspiracy“ ist vielleicht sogar ein kleines Augenzwinkern versteckt. Kleine Gesten sind die anfangs unauffällig - weil selten harschen - wirkenden Wechsel in Geschwindigkeit und Härte, die eingeschobenen Saitenzaubereien von Jeff Loomis und die kurzen Breaks, die einen winzigen Moment der Ruhe, des Innehaltens bieten, bevor NEVERMORE Herz und Hirn fluten und die der Schwermut trotzende innere Stärke in angemessen hellem Licht erstrahlen kann.

Derart vor dem und für den staunenden Hörer entfaltet entwickelt fast ausnahmslos jedes Lied eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Die prägnantesten sind dabei der vielleicht am stärksten dem klassischen Bandsound verpflichtete Opener „The Termination Proclamation“, das hochdramatische, mit fragilen Momenten spielende „And The Maiden Spoke“, das grandiose „Moonrise (Through Mirrors Of Death)“, der „Hit“ „Emptiness Unobstructed“ und der abschließende Titeltrack. Das einzige kleine Kritikquentchen, das die volle Punktzahl verhindert, lässt sich (nur) mit dem Blick auf die Diskographie der Band begründen, denn bei den ruhigeren Titeln haben NEVERMORE eindeutig schon mal mehr Gänsehaut erzeugen können als bei „The Blue Marble And The New Soul“ und „The Day You Built The Wall“, nur „She Comes In Colors“, das nach ruhigem Akustikstart mit einigen der heaviesten Riffs des ganzen Albums aufwartet, ist da wirklich ein, im wahrsten Sinne des Wortes, Kracher.

Fröhlich, unbekümmert oder einfach ist anders, intensiver, packender oder schlicht besser geht dagegen kaum. Deshalb ist es eine große Freude, eine der wohl unbestritten fantastischsten und eigenständigsten Metalbands der letzten 15 Jahre mit neuer Frische und alter Klasse wieder an Bord zu haben!

Die Bloodchamber meint außerdem:

Mein lieber Scholli! Fünf Jahre Wartezeit haben sich NEVERMORE gegönnt und liefern - nach einer gefühlte zwei Jahre andauernden Werbesendung - das so ziemlich halbgarste Album der Bandgeschichte ab. Die Samen dafür wurden rückblickend schon auf dem Vorgänger gelegt, aber "The Obsidian Conspiracy" ist im Vergleich und angesichts der im Vorfeld geschürten Erwartungen eine ziemlich herbe Enttäuschung.
Einig bin ich mir mit Michael insoweit, als dass die Band einmal mehr ihre einzigartige Mixtur aus waidwundem Weltschmerz und scharfgratigen Riffsalven serviert, ergänzt um Warrel Danes Organ, zu welchem später mehr zu sagen sein wird. Bei der entscheidenden Frage nach der konkreten Umsetzung sieht es für den neuen Wurf von meiner Seite jedoch ziemlich düster aus.

"The Obsidian Conspiracy" wirkt zunächst wie ein grober Rundschlag durch den eigenen Backkatalog, wenn man derartige Aussagen etwa an der Tatsache festmachen möchte, dass es insgesamt wieder etwas melodischer zugeht. Der Haken an der Sache ist allerdings, dass man quasi durchweg (mit Ausnahme von "Moonrise" und "Emptiness Unobstructed") auf Tonfolgen setzt, die nur auf dem Promozettel "melodisch" sind. Für viele Ohren hingegen dürfte "nervig" die treffendere Bezeichnung sein, sobald sich Mister Dane ohne jegliches Ziel durch die generischen Riffgebirge des Openers jammert und dabei gleichzeitig nach einem Schatten seiner selbst und einem schwerhörigen Gesangsdebütanten klingt. Auch "Your Poison Throne" ist vorrangig ein Beispiel dafür, dass NEVERMORE auf der neuen Scheibe neben dem Gespür für packende Stücke jeglicher Sinn für Melodie abhanden gekommen ist: Derart schwache Choruslines wären früher wohl ohne Umweg für die posthume Raritätensammlung weggeschlossen worden - hier reicht es für die Pole Position.
Einen ersten Lichtblick gibt es anschließend mit "Moonrise", das vor allem deswegen strahlen darf, weil es in puncto Melodieführung bisweilen wie ein lauer Aufguss von "Narcosynthesis" anmutet. Das ist anno 2010 offensichtlich genug, um erste Akzente zu setzen, die "And The Maiden Spoke" in der Folge jedoch zwanglos verklingen lässt: Zwar gibt es auch hier ein durchaus ansprechendes musikalisches Fundament, doch dank Warrel Danes vokaler Einfallslosigkeit verharrt ein potenziell guter Track dann doch nur im mittelmäßigen Konjunktiv. So ist es schließlich an "Emptiness Unobstructed", mit einem soliden Vokalschema die erste Hälfte der Scheibe zu retten - und damit ist der beste Teil des Albums schon Geschichte.
Den Rest der Scheibe fasse ich hier kurz unter den Attributen "zäh, generisch, angestrengt" zusammen, wobei "She Comes In Colours" atmosphärisch noch meisten reißen kann, während die Ballade "The Blue Marble..." und der titelgebende Hack & Slay-Closer (Birger würde wohl "instrumentale Abfahrt" sagen) nur zwei Extreme der gleichen Ratlosigkeit aufzeigen. Und Ratlosigkeit ist genau das, was ich von dieser Band nicht hören möchte.

Es mag etwas hart klingen, aber NEVERMORE klingen auf "The Obsidian Conspiracy" über weite Stecken nach einem Echo ihrer selbst. Ein Grund dafür sind die raren zündenden Ideen im instrumentalen Bereich, die dem generellen Gefühl von gelangweilter Pflichterfüllung nur bedingt abhelfen können. Entsprechend schnell fällt auf, dass sich Warrel Dane mittlerweile fast ausschließlich auf die Kombination "einzigartige Stimme + psychotische Backings" verlässt und offenbar wenig Notwendigkeit für ausgefeilte Gesangslinien sieht. Im Schnittpunkt dieser Faktoren steht folgerichtig ein knapp akzeptables Album, was für NEVERMORE zu wenig und für Fans des blühenden Thrash-Sektors keineswegs zwingend ist.
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