The Ocean - Anthropocentric

The Ocean - Anthropocentric
Progressive Metal
erschienen am 19.11.2010 bei Metal Blade Records
dauert 50:14 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. Anthropocentric
2. The Grand Inquisitor I: Karamazov Baseness
3. She Was The Universe
4. For He That Wavereth...
5. The Grand Inquisitor II: Roots & Locusts
6. The Grand Inquisitor III: A Tiny Grain Of Faith
7. Sewers Of The Soul
8. Wille zum Untergang
9. Heaven TV
10. The Almightiness Contradiction

Die Bloodchamber meint:

Dass THE OCEAN keine Vorliebe für kleine Brötchen haben, ist hinlänglich bekannt. So dürfte es auch niemanden überraschen, dass mit "Anthropocentric" bereits ihr zweites Album in diesem Jahr erscheint, nach dem man im Frühjahr den geistigen und konzeptionellen Bruder "Heliocentric" veröffentlicht hat. Es geht weiter in Sachen Religionskritik, und nachdem man sich ausführlich mit der Entwicklung und den Auswirkungen des heliozentrischen Weltbild beschäftigt hat, fällt nun dem menschlichen Individuum die Hauptrolle im lyrischen Konzept von THE OCEAN zu. Sind wir als Einzelne der Mittelpunkt des Universums oder doch nur ein mikroskopisch kleines Rädchen im Getriebe? Inspiration zog man unter anderem aus den Texten und Thesen von Dostoyevsky, Nietzsche und Dawkins.

Über den Wandel vom ehemaligen Kollektiv hin zu einem gefestigten Bandgefüge wurde ausführlich im Review und Interview zu "Heliocentric" geschrieben, so dass man an dieser Stelle direkt in das Wesentliche von "Anthropocentric", die Musik, eintauchen kann. War die angezogene Handbremse noch der Kritikpunkt am Vorgänger, so wird beim titeltragenden Opener unmissverständlich gezeigt, dass in den Musikern noch eine große Portion Energie vorhanden ist, die sich sogleich ihren Weg bahnt. Es regnet harsche Riffs und derbe Shouts, die in einem stetigen Wechsel mit leisen, fast zerbrechlichen Passagen leben. Sowohl der Auftakt als auch das folgende "The Grand Inquisitor I: Karamazov Baseness" vereinen elegant und nahezu spielerisch die unbändige Wut von "Precambrian" und die introvertierten Momente von "Heliocentric". Sänger Loïc Rossetti stellt sein Können eindrucksvoll unter Beweis und offenbart eine größere stimmliche Vielfalt als bei seinem Debüt. Nach dem heftigen und mitreißendem Start kehrt leider schnell das Gefühl der Ernüchterung im Hause THE OCEAN ein. "For He That Wavereth... ", "The Grand Inquisitor III: A Tiny Grain Of Faith" (eher ein kurzes Einsprengsel mit weiblichen Vocals) und das verworrene und unausgegorene "Sewers Of The Soul " sind sehr durchschnittliche Songs, die sich eher am Bodensatz von "Heliocentric" orientieren als an dem exzellenten Eröffnungstrio des vorliegenden Werks. Mit "Wille zum Untergang" hat man gegen Ende auch ein Instrumental auf "Anthropocentric" positioniert, das zwar nett aus den Boxen plätschert, jedoch zu zahnlos und unauffällig ist, um darüber hinaus auf sich aufmerksam zu machen.

Auch wenn sich THE OCEAN in einigen Momenten ihrer düsteren und ungezügelten Wurzeln besinnen, ist der Gesamteindruck von "Anthropocentric" weniger überladen und überfrachtet. Man reduziert die Songs auf das Nötige und Wesentliche, gibt den einzelnen Fraktionen und seinem wandlungsfähigen Sänger mehr Raum zu Entfaltung. Die gute Produktion bringt hier noch jedes Detail ans Licht. Auf der Zielgeraden zünden die Mannen um Mastermind Robin Stapps nochmal ein kreatives Feuerwerk, das in Form von "Heathen TV", ein anstrengendes und verzwicktes, aber hoch interessantes Stück, und des epischen "The Almightiness Contradiction" das Album zu einem versöhnlichen Ende bringt und die Auseinandersetzung mit dem Christentum beschließt.

THE OCEAN begeben sich mit "Anthropocentric" weiterhin auf eine experimentelle Reise, die wohl nicht alle Anhänger von alten Großtaten mitmachen werden. Das Gesamtkonzept des Doppelschlags "Heliocentric" / "Anthropocentric" zeichnet sich durch eine große Vision und viel Mut aus. Man schreibt sich die Progressivität groß auf die Fahne und nimmt damit wohlwollend in Kauf, dass die harschen, deathlastigen Anteile nur noch vereinzelt im Soundkosmos auftauchen. Für sich genommen ist "Anthropocentric" ein dynamisches und spannendes Werk geworden, das den inhaltlichen Bogen geistreich und gekonnt weiter spannt. Ich muss es jedoch, wie auch viele Wegbegleiter der Band, in Relation zu dem bisherigen Schaffen setzten. Hier ist es ein gutes, wenn auch nicht überragendes Werk, das sich auf Grund seiner Längen und kompositorischen Unentschlossenheit eher im Mittelfeld der Diskografie befindet und sich nur Dank des Plus an ungezügelten Ausbrüchen und Aggressivität knapp vor dem direkten Vorgänger platziert. Hätte man ein Best-Of von beiden Scheiben zusammengestellt, würde man wahrscheinlicher in zufriedenere Gesichter blicken. Aber ich vermute mal, darauf kommt es THE OCEAN nicht wirklich an.
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