Hell - Human Remains

Hell - Human Remains
Heavy Metal
erschienen am 13.05.2011 bei Nuclear Blast
dauert 129:21 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. Overture
2. On Earth As It Is In Hell
3. Plague And Fyre
4. The Oppressors
5. Blasphemy And The Master
6. Let Battle Commence
7. The Devil's Deadly Weapon
8. The Quest
9. Macbeth
10. Save Us From Those Who Would Save Us
11. No Martyr's Cage
12. Deathsquad (1983 Single)
13. On Earth As It Is In Hell (1985 Demo)
14. Plague And Fyre (1986 Demo)
15. The Oppressors (1982 Live Rehearsal)
16. Blasphemy And The Master (1982 Demo)
17. Let Battle Commence (1982 Demo)
18. The Devil's Deadly Weapon (1985 Demo)
19. The Quest (1983 Live Rehearsal)
20. Macbeth (1982 Demo)
21. Save Us From Those Who Would Save Us (1983 Single)
22. No Martyr's Cage (1983 Live Rehearsal)

Die Bloodchamber meint:

Das zweite Album der heiligen Trinität des wahren Metal im Mai – neben PORTRAIT und IN SOLITUDE – ist das lang erwartete und im Vorfeld heiß diskutierte „Human Remains“ von HELL. Um diese Diskussionen etwas verständlicher zu machen, gibt es einen etwas längeren Exkurs über die Geschichte der Band:
1982 gegründet erspielten sich die Briten auch dank ihrer ungewöhnlich theatralischen Auftritte (Feuer, Rauch, Schminke und Vibratoren…) schnell eine ansehnliche Fangemeinde, zu deren leidenschaftlichsten Vertretern SABBAT-Gründer und Vielproduzent Andy Sneap gehörte, der seit 1982 beim damaligen HELL-Sänger und Gitarrist Dave Halliday Gitarrenunterricht nahm und sich mit ihm anfreundete. Nach einigen Demos und einer Single sollte mit dem Debüt die große Stunde der Band schlagen, doch der Zusammenbruch ihres belgischen Labels Mausoleum kurz vor dem geplanten Aufnahmebeginn, die vorherigen zahlreichen Absagen anderer Labels (die man zum Teil im Booklet der Bonus-CD der unbedingt empfehlenswerten Limited Edition von „Human Remains“ nachlesen kann) und die mit der Zeit angehäuften Schulden desillusionierten die Band. Der erste, der die Konsequenzen zog, war Leadgitarrist und Keyboarder Kev Bower, der folglich das Handtuch warf und die Band verließ.
Als sich die Situation in der kurzen Zeit mit seinem Nachfolger nicht verbesserte und der verzweifelte Dave Halliday sich schließlich Ende Januar 1987 das Leben nahm, schien die Geschichte der Band ein für allemal besiegelt, wenn da nicht Andy Sneaps nach mehr als 20 Jahren immer noch ungezügelte Leidenschaft für HELL gewesen wäre – und wohl auch ein wenig die Legendenbildung um die Band, deren wenige originale Tonbandzeugnisse nur in verhältnismäßig wenigen NWOBHM-Sammlungen vertreten sein dürften, und ihren vorhandenen Einflussreichtum. Durch einen glücklichen Zufall wieder zusammengetroffen konnte Andy Kev Bower im Studio davon überzeugen, dass der Weg von HELL noch nicht zu Ende ist. Als sich dann noch, nach einem die Beteiligten nicht hundertprozentig überzeugenden Versuch mit Martin Walkyier (Ex-SKYCLAD, SABBAT), ausgerechnet Bowers Bruder David, im Hauptberuf Schauspieler und Synchronsprecher, nach der Aufnahme einiger gesprochener Passagen für das Album auch am Gesang einiger Lieder versuchte, stand nach wenigen Minuten das Line Up für „Human Remains“ fest, inklusive Andy Sneap an der zweiten Gitarre und den Originalmitgliedern Tim Bowler am Schlagzeug und Tony Speakman am Bass.

Aber ist das Album jetzt genau der Paukenschlag, der allen Geschichten und Erwartungen gerecht wird?
Nein und Ja.

Nein, weil ein recht ansehnlicher Teil der Metalgemeinde „Human Remains“ aus vor allem zwei Gründen ablehnen kann und wird, deren Gewichtung jeder für sich selbst entscheiden muss. Zum einen veranstalten HELL einen unglaublichen Zirkus auf „Human Remains“. HELL sind 2011 wie in ihrer ersten Zeit bunt, schrill und über jedes normale Maß theatralisch, was, wenn auch nicht ausschließlich, in erster Linie am unglaublich auf die Spitze und darüber hinaus getriebenen Gestus des hohen, manchmal fast schrillen Gesangs liegt. Dazu kommen allein bei „Plague And Fyre“ unter anderem eingebaute Filmsamples, Babyjammern und einleitende, gravitätisch düstere Worte wie aus einer anderen Zeit. Selbst wenn das Theater – und nichts anderes ist das vermeintlich unheimliche, okkulte Element hier - ansonsten meist in etwas milderer Form aufgeführt wird, wird das einige überreizen, die vor allem ein Musikalbum hören wollen.
Zum anderen gibt es die notorischen Old School Puristen, die die Sneap Produktion als seelenloses Gift für die Atmosphäre ansehen – übrigens nicht notwendigerweise erst nachdem sie das Album gehört haben - und deshalb „Human Remains“ verdammen. Wer so denkt, den wird man nicht vom Gegenteil überzeugen können, und die alten Aufnahmen auf der Bonus-CD klingen natürlich wahnsinnig authentisch und leben mehr - so wie Filme auf 25 Jahre alten Videokassetten mit der Zeit natürlich ebenfalls viel lebendiger geworden sind… - aber sie sind auch, besonders die „Live Rehearsal“ Versionen, einfach dermaßen rumpelig, dass eine Menge im Klangmatsch untergeht. Vom grauselig-cheesigen, wahlweise Seriensoundtrack- („The Devils Deadly Weapon (Demo 1985)“!) oder Horrortrash-Klang des Keyboards gar nicht erst zu reden. Außerdem wird niemand glaubwürdig vermitteln können, dass HELL damals, wenn sie die Möglichkeiten, sprich das Geld, gehabt hätten, nicht versucht hätten, das Bestmögliche aus ihrem Material heraus zu holen, statt wie geschehen immer wieder die gleiche handelsübliche Kassette mit einem Monokassettenrekorder zu überspielen. Und die kristallklare, die Akzente sehr treffend auf die Gitarren und den Gesang legende Produktion von „Human Remains“ ist alles Mögliche, aber garantiert kein computerdominiertes lebloses Technokratenprodukt.

Ein klares und entschiedenes Ja dagegen kann es nur für die Musik und die Leistung aller beteiligten Musiker geben. Schnittige und mächtige Riffs, an denen man sich gar nicht satt hören kann, gibt es in Hülle und Fülle. Überwältigende Übergänge reißen auch nicht ganz überragende Lieder aus ihrem kleinen Dornröschenschlaf („The Quest“). Die Texte haben eine begeisternde sprachliche Ausdruckskraft, wofür sich Ken Bower und Dave Halliday die Credits fast in identischem Umfang teilen, und die zusammen mit den musikfremden Ausschnitten wie zu Beginn von „Macbeth“ das HELL-Spektakel tatsächlich ein wenig in die Nähe von klassischem Theater rücken, selbst bei unmittelbar auf tagesaktuelle Themen übertragbaren Texten wie in „Save Us From Those Who Would Save Us“. Außerdem gibt es ein paar Lieder, bei denen von vorne bis hinten einfach alles stimmt, wie das bereits im Vorfeld bekannte “On Earth As It Is In Hell“ oder „Plague And Fyre“, das mit grandiosen Refrains begeistert, während die anderen Titel jeden Tag neu um einen der begehrten Plätze an der Sonne rangeln dürfen, wobei von „Macbeth“ über „Blasphemy And The Master“ bis zu „Let Battle Commence“ mit ausgeglichen großartigen und messerscharfen Waffen gefochten wird.

Ein episches, ausladendes, maßlos übertriebenes, mitreißendes, gleichermaßen tiefes wie plakatives Album. Ein Meisterwerk (vielleicht) für die Ewigkeit. HELL sei Dank!
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