Moonspell - Extinct

Moonspell - Extinct
Dark Metal
erschienen am 06.03.2015 bei Napalm Records
dauert 45:34 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. Breathe (Until We Are No More)
2. Extinct
3. Medusalem
4. Domina
5. The Last Of Us
6. Malignia
7. Funeral Bloom
8. A Dying Breed
9. The Future Is Dark
10. La Baphomette

Die Bloodchamber meint:

Seit meinem ersten MOONSPELL-Album, es müsste "The Antidote" gewesen sein, verbinde ich die Portugiesen stets mit einem mörderischen Schlagzeugsound. Egal, wohin sich die Musik der wandlungsfähigen Truppe auch entwickelt hat, dieses Merkmal stach immer irgendwie hervor. Sogar im Softie-Teil des jüngsten Schwarz-Weiß-Doppelalbum-Experiments "Alpha Noir / Omega White" knallten die Bässe trotz aller Fröhlichkeit immer noch voller Druck aus den Boxen. Nun allerdings hat es sich auf "Extinct" ausgeböllert. Statt Knaller gibt es Brot für die Welt bzw. einen homogenen Allerwelts-Sound für die Massen - ja, ich bin ein wenig traurig.

Nichtsdestotrotz haben MOONSPELL ja noch Sänger Fernando, ein auch nicht ganz signifikantes Teil im Bandgetriebe. Seine wandelbare Stimme zwischen aggressivem Gebrüll, melancholischem Gesang und vorsichtigem Flüstern nimmt man ne Menge ab. So hat er nicht erst auf dem bereits erwähnten letzten Doppelalbum gezeigt, dass er sowohl hart- als auch weichgekochte Eier in der Hose hat. Wer sich vor knapp drei Jahren nun gefragt hat, was ihm davon lieber wäre, bzw. in welche der beiden Paralleluniversen MOONSPELL nun in Zukunft einziehen würde, der soll nun auch eine eindeutige Antwort bekommen:

Die portugiesischen Düstermetaller stehen 2015 eindeutig auf Melodien und Gitarrensoli, haben Bock auf durchschaubare Songstrukturen, ein wenig sinfonischen Pomp und die Einbindung fremder Klanggüter aus dem letzten Urlaub im nahen Osten. Vor allem aber haben sie sich kräftig bei der heimischen Ohrwurmzucht bedient. Zwar wird stets der Versuch unternommen, durch Absenken von Tempo und Lautstärke plus mittlerweile nicht mehr ganz so unerwarteter Aggro-Attacke die frühere Dynamik wieder aufleben zu lassen. Allein so recht wirken will das Ganze nicht. Liegt vielleicht an der Produktion, vielleicht aber auch an der Tatsache, dass Fernando im Opener beispielweise fast schon ein wenig gelangweilt klingt.

Deutlich gelungener und im Grunde das Herzstück des neuen Album sind jedoch die bereits erwähnten Melodien. Selbst der geduldigste Nörgler kriegt zum Beispiel den Refrain des Titeltracks nicht mehr aus dem Kopf oder erwischt sich selbst bei "Medusalem", wie er gut gelaunt vom "Land of Honey" trällert. Ob nun der große Zweizeiler in "Domina", das klassisch gothic-rockige "The Last Of Us" oder der epische Bogen in "The Future Is Dark" - man erinnert sich einfach an die Songs auf "Extinct", ob man will oder nicht. Dafür auf jeden Fall dicken Respekt an die Babos - oder wie man das halt heutzutage so sagt.

Somit bleibe ich aber letztlich recht zwiegespalten zurück. Klar, MOONSPELL gehen ihren Weg unbeirrt weiter. Aber so flutschig sich das Ganze in die Hörgänge bahnt, so vermisse ich auch irgendwie das Unerwartete, die Überraschungen in den Songaufbauten, wo sich dann doch wieder nur Strophe an Refrain an Strophe heftet. Muss ja nicht gleich in Avantgarde ausarten, aber da ist durchaus noch Luft nach oben.

Die Bloodchamber meint außerdem:

"My curse is to love you" – eine solche Phrase mag im Zusammenhang mit einer Band vor unfreiwillig komischem Pathos nur so triefen, beschreibt jedoch im Großen und Ganzen perfekt mein Verhältnis zu MOONSPELL. Die Portugiesen haben mit ihrem angestrengt spontan und zugleich konstruiert wirkenden Doppelalbum "Alpha Noir/Omega White" zuletzt keine Bäume ausgerissen, waren aufgrund historischer Bezüge und diverser Konzerterlebnisse jedoch weit davon entfernt, aus dem persönlichen Blickfeld zu geraten: Angesichts der Authentizität, welche diese Band live ausstrahlt, und angesichts des selbst in Dürreperioden nicht vollständig versiegenden kreativen Potenzials lässt man MOONSPELL manchmal eben einfach eine Schrulle mehr durchgehen.
Dass sich diese Einstellung durchaus lohnt, zeigen die Südeuropäer mit "Extinct", denn ebenjene Scheibe ist – so viel vorweg – genau das Lebenszeichen geworden, welches den eingangs erwähnten Fluch zum Füllhorn werden lässt.

Was vom Start weg auffällt, ist die enorme Weite im Klang, die MOONSPELL anno 2015 mitbringen: Mit der Trennung von Kompressionskönig Tue Madsen – meiner bescheidenen Meinung nach spätestens seit "Night Eternal" überfällig – leistet man sich nicht weniger als einen technischen Befreiungsschlag, der dem wie immer höchst lebendigen Songmaterial der Portugiesen rundum entgegenkommt. Dank Jens Bogren (KATATONIA, OPETH, SYMPHONY X, PARADISE LOST …) darf "Extinct" atmen, darf nach Belieben zwischen laut und leise balancieren, kann kehliges Growling, düsteren Bariton, Gitarren-Interludes und filigrane Synths natürlich vereinen, während die Rhythmussektion in unwiderstehlichen Wellen nach vorne drückt.

Der wichtigere kompositorische Überbau ist dabei so vereinnahmend wie zuletzt vielleicht auf "Irreligious": Mit "Breathe" eröffnet die Scheibe rhythmisch interessant, was angesichts mehrerer singletauglicher Folgestücke zunächst erstaunt. Kongeniale Streicher-Synths und ein hymnischer Chorus erschließen den Opener jedoch recht schnell und machen aus der überdurchschnittlichen Trademarknummer einen ersten Höhepunkt.
Der hierauf folgende Doppelpack sorgt dafür, dass die Stimmung weiter steigt, denn mit "Extinct" und "Medusalem" haben MOONSPELL superbes Pflichtmaterial für jede zukünftige Setlist am Start. Das treibende, riffseitig recht simpel gestrickte Titelstück begeistert mit dermaßen vielen wie beiläufig eingestreuten Details, dass es eine Freude ist: Kristalline Synth-Flächen schimmern unter reduzierten Goth-Rock-Riffs, während voluminöses Drumming und das vor Energie berstende Bassspiel die Mischung aus schlichter Eleganz und überlebensgroßer Epik unaufhaltsam in einen Sahnechorus treiben. Dazu ein traumhaftes Gitarrensolo, das man von MOONSPELL so vielleicht nicht erwartet hatte – fertig ist die Konzertabfahrt.
"Medusalem" spielt (wie später auch "The Last Of Us" oder das sogartige "Funeral Bloom") unverkennbar die FOTN/SISTERS OF MERCY-Karte, entpuppt sich dank geschickt integrierter orientalischer Harmonien und einem erneut überragenden Chorus jedoch schnell als MOONSPELL-Vorzeigematerial. Das dramaturgisch sinnvolle Ineinandergreifen der verschiedenen stilistischen Finessen, diese fragile Mischung aus Assimilation und Synthese, gelingt den Portugiesen auf diesem Album besser als noch zuletzt und sorgt in der Zusammenschau für ein lange vermisstes Klangerlebnis.

Jenseits der geschickt platzierten Single-Kandidaten bleibt auf "Extinct" natürlich Platz für ruhigere, brütende Nummern wie "Domina" und "Malignia". Hier sorgen unverzerrte Gitarren, sorgenvolle Leads und – speziell im zweiten Fall –orchestrale Tupfer für Abwechslung, wenngleich gerade "Domina" für den kompositorischen Gehalt ein wenig zu lang geraten scheint: Hier gefällt mir die alternative Version "Doomina" mit ihrem fast kammermusikalischen Flair deutlich besser.
Ganz und gar nicht zu lang ist hingegen das ebenfalls zurückhaltende "The Future Is Dark", das durch synthetische Bässe, ein erneut überragendes Solo und den zuckersüß ins Gehirn sickernden Chorus begeistern kann, bevor der rundum französische Kurztrack "La Baphomette" dem Album ein im besten Sinne stranges Ende spendiert.

Ihr ahnt es unter Umständen bereits: "Extinct" ist wirklich gut geworden und tendiert in vielen Momenten bzw. Songs in Richtung Pflichtkauf. Die zu keiner Zeit extreme Scheibe zeigt MOONSPELL dabei endlich wieder als Songwriter, die ihren Songs trotz der vorhandenen konzeptionellen Klammer ein gewisses Eigenleben zugestehen: Weder wird aus Konzeptgründen die aggressive Seite mutwillig nach außen gekehrt, noch versucht man sich an Reißbrett-Popsongs mit entsprechendem Überbau – stattdessen vereinen die Stücke auf "Extinct" mühelos Goth Rock-Vibe und 80s Metal-Soli, orientalische Spitzen und futuristische Elektronik, orchestralen Bombast und portugiesisches Pathos. Genau die faszinierende Mischung also, für die man die Band dann doch seit nunmehr 20 Jahren liebt.

Anmerkung: Die Special Edition des Albums kommt als CD/DVD-Combo im Doppel-Digi. Auf der CD finden sich im Anschluss an die reguläre Scheibe vier Songs in alternativen Versionen, wobei vor allem das bereits erwähnte "Doomina" hervorsticht und der Albumversion mindestens ebenbürtig ist. Die von Pedro Paixão remixten Tracks wirken grundsätzlich etwas dreckiger und weniger poliert, was nicht besser oder schlechter klingt – es klingt schlicht anders. Einen Kaufgrund stellt das Quartett meines Erachtens nur für Komplettisten dar, da die 45-minütige Standardversion großartig genug ist.

Die DVD enthält ein recht unterhaltsames Making Of namens "Road To Extinction", in dem neben den Aufnahmen auch das Konzept des Albums etwas näher beleuchtet wird. Als Schlagworte des durch verschiedene Gelehrte und Künstler diskutierten Themenbereichs sollen "Moderne, Artensterben, (Selbst-) Ausrottung" vorerst genügen – ansonsten ist Jens Bogren 'ne ziemlich coole Socke und Siri absolut überfordert, wenn es um Poesie geht. Skynet kann offenbar noch warten.
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