Leviathan - Scar Sighted

Leviathan - Scar Sighted
Progressive Black Metal
erschienen am 06.03.2015 bei Profound Lore Records
dauert 64:18 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. -
2. The Smoke Of Their Torment
3. Dawn Vibration
4. Gardens Of Coprolite
5. Wicked Fields Of Calm
6. Within Thrall
7. A Veil Is Lifted
8. Scar Sighted
9. All Tongues Toward
10. Aphōnos

Die Bloodchamber meint:

Beim Hören des neuen Albums von LEVIATHAN beschäftigt mich immer wieder eine Frage: Hört sich so glücklich sein an? Wrest alias Jef Whitehead hat in der letzten Zeit einiges an Interviews gegeben und seine private Situation liegt dem interessierten Leser von Onlinemagazinen offen. War das letzte Album „True Traitor, True Whore‟, wie der Titel unschwer erkennen lässt, noch von Beziehungsproblemen geprägt, so hat sich in den vergangenen vier Jahren eine Menge für ihn verändert. Nicht nur, dass er in einer neuen Beziehung glücklich ist, er ist auch Vater geworden und scheint sich in dieser Rolle sehr wohl zu fühlen. Und genau zu dieser Zeit erscheint das sechste Album von LEVIATHAN, das sich entsprechend klar vom älteren Material abgrenzt. Als depressiven Black Metal kann man „Scar Sighted‟ nicht mehr bezeichnen, doch glücklich klingt anders. Und so rätselhaft der Vergleich zwischen Wrests Privatleben und seiner Musik ausfällt, so rätselhaft ist auch das neue Album als solches.

„Scar Sighted‟ ist ein Monstrum. Es ist ein Bastard, der zwischen den Stilen hängt und dabei so genial fordernd und verwirrend ist, dass man wohl nur fasziniert von vorne anfangen oder irritiert abschalten kann. Ein spannender Vergleich kann mit dem fast zeitgleich erschienenen Album „In Times‟ von ENSLAVED gezogen werden. Beide Alben können als Progressive Black Metal kategorisiert werden, doch liegen Welten zwischen den jeweiligen Herangehensweisen. Dort wo ENSLAVED gesetzt und gemütlich ein Höchstmaß an Melodie und Zugänglichkeit mit dem Charme wohlfeilen 70er Rocks in ihre Musik integriert haben, so fallen bei LEVIATHAN die Einflüsse ganz anders aus. Statt auf Beschaulichkeit zu setzen, wird hier die Integration anderer Stile zu einem psychotischen Flirren zwischen Hysterie und trancehaften Traumzuständen. Alles ist weniger geleckt und glatt, die Produktion bisweilen gewöhnungsbedürftig. Doch hat man sich erst einmal von „Scar Sighted‟ einfangen lassen, entfaltet das Album eine Sogwirkung, die ihresgleichen sucht.

Vom neuen Album behauptet Wrest, dass es eigentlich kein Black Metal mehr sei. In Ansätzen kann man ihm zustimmen, doch findet sich in diesem eigenartigen Sound immer noch eine ganze Menge davon. Allerdings kommt noch ein ganzer Batzen Death Metal dazu, von Ambient und ein wenig Post-Irgendwas ganz zu schweigen. „Scar Sighted‟ ist ein Höllentour an Ideen, die zu abgründigen und faszinierenden Songs verbunden werden. Dabei fällt alles ein wenig melodischer aus, als man es aus der Bandgeschichte kennt. Jeder Song hat höchst eingänge Momente, die sich bisweilen wieder in einem infernalischen Chaos verlieren. Dieses Auf und Ab wird immer wieder mit Sprachsamples angereichert (absolut genial der Monolog von Agent Nelson Van Alden aus „Boardwalk Empire‟ im Song „The Smoke of their Torment‟). Dann gibt es aber auch wieder verhältnismäßig gradlinige Momente wie im Song „Within Thrall‟, der trotz ungewöhnlicher Choreinlage am Anfang herrlich rotzig daherkommt und sogar eine beträchtliche Portion Crust intus hat.

Auch in den ruhigen Momenten merkt man, dass Wrest ein Ausnahmekünstler ist. Wo andere Black Metal Bands unter Ambient ein paar simple modulierte Synthesizerflächen verstehen, hört man bei LEVIATHAN, dass dieser Musiker auch mit elaborierter elektronischer Musik vertraut ist. Die Stimmung, die hier erzeugt wird, bewegt sich klanglich weit abseits der üblichen genrespezifischen Klischees und gerade das ist das große Verdienst dieses Albums. Nur wenige Alben der letzten Jahre wirkten in ihrer Herangehensweise so frisch, so unverbraucht und so eigen auf mich wie „Scar Sighted‟. Man kann auch Kritik anbringen, doch rücken die Punkte, die als nicht perfekt gelungen betrachtet werden könnten, klar in den Hintergrund. Man könnte über den etwas dumpfen Mix reden, darüber, dass die Vocals manchmal ein wenig undifferenziert klingen. Man kann es aber auch einfach lassen und diese ungewöhnlichen Klanglandschaften als solche hinnehmen. Besonders bei den Vocals zeigt sich nämlich auch die eigene Herangehensweise. Sie wirken nämlich bisweilen so in den Rest des Sounds integriert, dass man sie überhaupt nicht als das Wirken eines Frontmanns wahrnimmt, sonder eher als eine weitere Ebene im Gesamtklang, als ein weiteres Instrument. Und die Bandbreite des Einsatzes ist sehr groß: Von amorphem Gekeife, über verzweifeltes Geschrei, hin zu finstersten Growls und kleinen Einlagen dissonaten Klargesangs ist hier alles vertreten.

An dieser Stelle fällt es schwer, ein abschließendes Urteil zu treffen, das sich in Form einer Punktwertung zusammenfassen lässt. Auch wenn „Scar Sighted‟ bisweilen wunderlich, überladen und sperrig wirkt, so ist es doch eines der faszinierendsten Alben, die ich in den letzten Jahren hören durfte. LEVIATHAN haben hier etwas vollbracht, das dem Begriff „Künstler‟ Ehre macht, denn es ist nicht nur ein weiteres Black Metal Album, sondern der Versuch, etwas Neues und vollkommen Eigenes zu schaffen. Und das gelingt Wrest auch wieder voll und ganz. Er ist alleine am besten, wie der Vergleich mit den letzten Alben, die er als Bestandteil einer Band aufgenommen hat, klar beweist. Keines davon erreicht auch nur ansatzweise diese Klasse. Für mich ist „Scar Sighted‟ ganz klar jetzt schon eines der besten Alben dieses Jahres und wenn zur Vervollständigung einer Top 3 noch zwei weitere Veröffentlichungen dieser Qualität dazu kommen, dann ist 2015 ein verdammt gutes Jahr gewesen.
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