Slayer Mister Zahl und die Heilige Kuh - Eine Konzertreise nach Dresden Pt. 2

Slayer, Mister Zahl und die Heilige Kuh - Eine Konzertreise nach Dresden Pt. 2

Special
16.06.2005
LEAVING LEIPZIG

Nachdem ich meine Sachen in aller Hast zusammengesucht und im Armeerucksack verstaut hatte, warf ich einen letzten Blick zurück und entschied mich nach kurzem Zögern, das Fenster nicht zu öffnen. Das hatte einen grossen Vorteil: Falls ich jemals lebend in diesen Raum zurückkommen würde und durch einen dummen Zufall keine Zigaretten mehr bei mir haben sollte, war durch diesen cleveren Schachzug zumindest für ein berauschendes Passivraucherlebnis gesorgt.
''Können wir, Mister Zahl?'', drängelte derweil der Pelzflummi zu meinen Füssen, während er mit nervtötender Konstanz auf seinen Füssen herumwippte. Scheinbar war er ziemlich aufgeregt und nur allzu willig, dem mir vertrauten Verlangen nach Bier und Metal nachzugeben; daher wollte ich ihn nicht länger auf die Folter spannen, zumal er etwas hatte, das mir gehörte. Oder er wusste zumindest, wo es war. Oder kannte jemanden, der wusste...aber lassen wir das.
''Auf geht's, Smartie! Soll ich dich bis zur Karre tragen oder willst du die Treppe allein runterpurzeln?'', versuchte ich, ein entspanntes Klima zum Shirtnapper herzustellen. - ''Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihren Humor mag'', zischte es von unten zurück, ''aber wenn Sie schon fragen: Tun Sie sich keinen Zwang an.''
Ich hob ihn hoch und packte ihn vorsichtig in meine Hose – schliesslich war dieser Jahrhundert-April ziemlich kalt und somit nicht unbedingt geschaffen für solch ein...

''Was genau bist du eigentlich?'', fragte ich vorsichtig. Man konnte ja nie wissen, was für Komplexe die Welt mit sich herumschleppt. Das daraufhin vernehmliche ''Humomhompfampfühen...'' schien mir entweder ein deutlicher Hinweis auf geistige Umnachtung zu sein – oder eben Atemnot im Endstadium. Ich lächelte kurz bei diesem Gedanken, nahm einen Schluck aus der Flasche und liess ein paar weitere Sekunden verstreichen, bevor ich dann doch beherzt in meine Hosentasche griff. Es schien, dass Blau die Farbe des Frühlings war, aber nach diversen Hecheleien versuchte es mein sinistrer Begleiter erneut: ''Ich bin ein Oberhofer Kampfküken. Mein Name ist in Eurer Zunge leider unaussprechlich - für den Anfang sollte es daher genügen, wenn Ihr mich Herrscher der Wälder, Alter vom Berge oder Geisel der Menschheit nennt. Ich bin da im allgemeinen recht flexibel.''
Ich verkniff mir einen Kommentar und trat hinaus auf die Strasse: Es nieselte leicht und im seltsam farblosen Licht der Welt trieben ein paar einsame Nebelfetzen mit dem Wind, als ob sie sonst nichts mit sich anzufangen wüssten – Bonjour tristésse, le beaujolais primeur est arrivée! Kein Wunder, dass die ganze Welt den Bach runterging...
Unterdessen hatte sich auf der gegenüberliegenden Strassenseite die Tür zu unserem Gefährt geöffnet. Mit ein paar schnellen Schritten überquerte ich daher die Fahrbahn, warf Rucksack und Kampfküken auf die Rückbank und liess mich auf den Beifahrersitz fallen.
Der Wagen gewann schnell an Fahrt: Durch den tristen Osten der Stadt ging es zunächst auf die Schnellstrasse und nur wenige Minuten später bahnten wir uns zu den hoffnungslos altmodischen Klängen von Punkmusik unseren Weg in Richtung sächsisches Hinterland. Es hatte also begonnen...

Der Fahrer war mir durchaus bekannt: Es war mein Obermieter, ein junger Mann namens D., den ich bisher eigentlich gut leiden konnte – nettes Wesen, angenehme Freundin und immer einen Kaffee übrig. Umso unbegreiflicher war es mir in diesem Moment, dass auch er in diesen unsäglichen textilen Entführungs- und Erpressungsfall verwickelt sein sollte und so beschloss ich im Stillen, dass ich fortan niemandem mehr trauen würde. Jede Faser meines Körpers schrie es förmlich heraus: Komplott! Verschwörung!! Weltregierung!!! - Die Schiefergrauen Illuminaten von Psionistan hatten einmal mehr ihre widerlichen Tentakel ausgefahren und drohten nun, mich in einem post-gnostischen Trauma der antikosmischen Beliebigkeit preiszugeben...sofern ich nicht vorher an einem Fremdwort erstickte.
Das konnte, ja das DURFTE nicht sein und so langte ich in einem mühsam überspielten Anfall von Panik nach hinten, um mir eine bessere Ausgangsposition im Krieg der Gequälten zu verschaffen. Küken musste ab jetzt vorne sitzen, wo ich es sehen und im Zweifelsfall unter Druck setzen konnte. Um zu zeigen, wie ernst es mir ist, begann ich, mit dem Feuerzeug zu spielen, woraufhin mir der wollige Schrecken der Berge einen unsicheren Blick zuwarf. Ich beliess es jedoch zunächst bei einer Zigarette...
D. beschleunigte ein wenig. Mit dem Moloch Leipzig liessen wir auch die schweren Wolken hinter uns, der Himmel nahm die verwaschene Farbe von Röhrenjeans an und ich versank trotz der Unsicherheit für einen Moment in Erinnerungen an die frühen 90er: Die ersten Konzerte, zu viel Bier, zu weisse Turnschuhe – und eben Röhrenjeans. Verdammt, die Zeit war eine Hure!

''Vielleicht sollten wir erst mal was trinken'', schlug ich noch halb in Gedanken vor und kramte im Rucksack. Zwei Bier waren schnell gefunden, ich öffnete sie und reichte eine davon an Küken, während wir die Autobahn überraschend verliessen, um unseren Weg auf Landstrassen fortzusetzen. Die vorbeifliegenden Wälder atmeten bereits eine Ahnung von Sommer, vom leicht geöffneten Fenster strömte der Wind durch mein Haar und auf der Frontscheibe zerplatzten Insekten jedweder Couleur mit fast schon freudigem Jauchzen.
Die überschwängliche Bemerkung, dass dies ja wohl ein Tag zum Heldenzeugen sei, brachte mir indes lediglich einen weiteren zweifelnden Blick von Küken ein – ich hatte jedoch keine Lust, ihm seine Ängste so einfach zu nehmen und zog stattdessen mit vielsagendem Grinsen an meiner Goldfield. Sollte er ruhig denken, was er wollte...

Wenig später erreichten wir Oschatz, ein beschauliches Städtchen, an dem unsere Reise ihre erste Unterbrechung fand. Wie sich nämlich herausstellte, war dies der Heimatort von D., was dazu führte, dass wir uns unsereres Transportmittels ledig fanden. 'Prima, wirklich ganz grosse Klasse!' dachte ich bei mir und wollte mich gerade der Verzweiflung hingeben, als Küken samt Flaschenbrot um die Ecke bog.
''Nehmen Sie, Zahl, Sie werden alle Geistesreserven brauchen können, die Sie aufbieten können – auch und gerade die verborgenen! Und wie ich hörte, hilft dieser Trunk hier den Menschen seit Jahrtausenden, jene machtvolle Tiefenintelligenz anzuzapfen...''
Ich schaute das amüsiert dreinblickende kleine Ding ungläubig an: ''Tolle Sache, Smartie, und dazu witzig wie Urinstein im Kühlschrank! Aber wo wir gerade bei Intelligenz sind: Haste zufällig noch mehr so pralle Freunde, die dir bei der Umsetzung deines Abenteuers beistehen, oder willste mir vielleicht allen Ernstes erzählen, dass 'Lost in Oschatz' ein Teil des MASTERPLANS ist?! Wie kommen wir denn jetzt hier weg, verflucht – in Oschatz sind meines Wissens schon Menschen an Langeweile VERRECKT!''
Schweigen hing plötzlich zwischen uns wie ein nasses Blatt Gelatine. Der ratlose, trotzige Kükenblick berührte mich zu meinem Leidwesen irgendwo tief im Innersten (zumindest kommt es mir im Nachhinein so vor), sodass ich mich ein wenig für meinen Unmut schämte – Flummi war schliesslich genauso verloren wie ich. Hier unter dem weiten Firmament, wo ausser grellbunten Sträuchern und uns kein Leben war, wo man tief im stählernen Herzen wusste, dass der Weg nach Dresden genausoweit war wie der nach Timbuktu und wo der Zug bestenfalls alle 3 Wochen fuhr...

Moment. Das war es doch!
''Küken?'' - ''Sie wünschen bitte?'' kam es schnippisch zurück. Die alte Distanz war in's Schnabeltier zurückgekehrt, aber das war mir im Moment gleich. - ''Küken, ich habe einen Plan.''
Es sah mich höhnisch an: ''Ui. Und hat der zufällig etwas damit zu tun, dass wir rechtzeitig nach Dresden kommen, um unsere Köpfe nach dem Genuss einiger Kaltgetränke rhythmisch zur Beatmusik zu bewegen...?'' - ''Ich glaub schon, aber dafür wir sollten wir unsere Beine – soweit vorhanden – in die Hand nehmen und uns schleunigst zum Bahnhof begeben.''
Es war ein weiter Weg, aber nach einigen Stunden und Fehlinformationen vom Kaliber 'Da sind Sie ganz richtig, einfach geradeaus und dann links...' hatten wir es schliesslich geschafft. Ich besorgte die Tickets in einer Schalterhalle, die den leisen Charme vergangener Zeiten versprühte und als die Geisel der Menschheit ihre furchteinflössende Notdurft verrichtet hatte, kam auch schon die Bahn.

Wir erreichten Elbflorenz schliesslich am späten Nachmittag. Laut Wegbeschreibung trennten uns nur noch etwa 30 Minuten von einem 'Club' mit dem einladenden Namen 'Skull Crusher', der sich diversen Protokollen zufolge wohl irgendwo im Südosten der vor sich hin dämmernden Metropole befand.
''Jetzt gilt es, Zahl!'', sagte mein Begleiter, der während der Zugfahrt kein Wort mit mir gewechselt und stattdessen ausgiebig dem Biergenuss gefrönt hatte. Dafür machte er allerdings – im Gegensatz zu mir – noch einen sehr kontrollierten Eindruck. ''Bis hierhin haben Sie sich recht wacker geschlagen, was im Hinblick auf die Überlebenschancen Ihrer Devotionalie durchaus von Vorteil ist.
Aber: Enttäuschen Sie mich jetzt nicht so kurz vor dem Ziel, sonst
wird Slayer den morgigen Tag nicht erleben!''
Ich schaute ihn an, dachte kurz an mein T-Shirt und entschied mich, den Weg bis zum Ende zu gehen. ''Na dann mal los, Kleiner! Such dir ein warmes Plätzchen im Rucksack, reich mir noch ein Bier und nimm 'ne Mütze voll Schlaf – wirst sie brauchen!''
Er war kaum in einer der Seitentaschen verschwunden, als die Strassenbahn mit kreischenden Rädern vor mir zum Stehen kam – die letzte Etappe war angebrochen...

Eigentlich solltet ihr ja heute erfahren, ob die beiden die Heilige Kuh finden, wie gross die Tschechei wirklich ist und was eigentlich Helga den ganzen Tag gemacht hat - das muss nun leider warten bis zum dritten und letzten Teil...
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