Chris Witchhunter Tribute Konzert

Chris Witchhunter Tribute Konzert

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Oberhausen, Turbinenhalle
11.04.2009
Zu Ehren des im letzten Herbst viel zu früh verstorbenen SODOM Urgesteins Christian „Chris Witchhunter“ Dudek und zur Unterstützung seine Mutter findet sich am Karsamstag der Großteil der deutschen Thrash Elite samt Compadres in der Turbinenhalle in Oberhausen ein. Einen passenderen Veranstaltungsort als eine alte Industriehalle kann es wohl kaum geben für die anstehende Reise in die wilden Jugendjahre des deutschen Thrash, für die Musikfreunde aus ganz Europa angereist sind.

Die Anreise im Pfandpiratenwunderland (auch bekannt als Regionalexpress am Bundesligaspieltag) fällt ruhig aus, selbst wenn man von den zum Teil schon mit deutlicher Schlagseite arbeitenden Fußballfans verdutzt angeschaut wird ob eines anstehenden zwölfstündigen Marathonkonzerts. Der Bahnhofsvorplatz in Oberhausen ruft bereits leise „Metal Thrashing Mad!“ in Form einer Horde von Kuttenträgern, die sich mit Ghettoblaster und Gerstensaft auf das Konzert einstimmt. Richtig zur Sache geht’s aber erst vor der Turbinenhalle. Bei strahlendem Sonnenschein verbreiten laut aus den Autos schallende Musik und vereinzelt aufgestellte Grills bereits vor der Öffnung des Einlass Festivalstimmung.

Alle Gemütlichkeit hat beim Öffnen der Türen aber schnell ein Ende. Nach einem letzten Versuch die viel zu engen Hose irgendwie zurecht zu ziehen strömen hunderte Thrasher in die Halle, auch wenn es bis zum Startschuss von BLACKFIRE nicht alle nach drinnen schaffen, so dass die Band vor immer größer werdendem Publikum spielen darf. Das nach dem mitwirkenden, an einigen Klassikern beteiligten Ex-SODOM Gitarristen Frank Blackfire benannte Trio feuert eine gute halbe Stunde oldschool-räudigen Thrash Metal in das bereits recht stattliche Publikum und kann mit seiner energiegeladenen Musik überzeugen, auch wenn das SODOM Cover „My Atonement“ naturgemäß die größten Reaktionen aus dem Publikum kitzelt.

Es folgen WORTMORD, die mit Grave Violator ebenfalls Ex-SODOM Prominenz in der Band haben. So richtig zündet WORTMORD heute live aber nicht. Zum Teil liegt das daran, dass Sänger Uli trotz seiner Bemühungen keine richtige Bindung zum Publikum aufbauen kann, zumal sein deutschsprachiger Gesang alles andere als leicht zu verstehen ist. Zu mindestens genauso großen Teilen spielt aber auch das etwas kompliziertere Material eine Rolle, das für den mit der Band nicht vertrauten Hörer nicht so leicht verdaulich daher kommt. Spätestens beim „Bloody Corpse“ Cover mit SODOM Sänger Tom Angelripper als Unterstützung am Mikrofon geht es aber wieder rund.

Im den ganzen Tag über erstaunlich gut eingehaltenen Zeitplan stehen als nächstes, kurz nach 15:30, THE PROTECTORS an, die sich aus dem nach Schweden gezogenen Ur-PROTECTOR-Sänger Martin Missy und SUICIDAL WINDS Mitgliedern zusammensetzen und hauptsächlich PROTECTOR Lieder aus der Zeit mit Martin Ende der 80er spielen. Die mit leicht ironischem Unterton vorgetragene Ansage „Wir sind PROTECTOR aus Schweden. Bisschen oldschool und so.“ wird von dem folgenden Thrashwirbel weggeblasen und im wilden Getümmel vor der Bühne heizen erste Crowdsurfer die Stimmung weiter an.

Was gerade noch schnell wirkte, verblasst allerdings bei dem Rifffeuerwerk, das Charly Steinhauer mit PARADOX veranstaltet. Leider ist der Sound vor allem in direkter Bühnennähe (nicht nur jetzt) etwas verwaschen, so dass die vordersten Reihen sich bei Klassikern wie „Heresy“ oder dem Halbklassiker „Collision Course“ mehr mit Moshen als mit Mitsingen beschäftigen. Die friedliche Stimmung, die über dem ganzen Konzert liegt, zeigt sich dabei auch durch die Spaßatmosphäre im Pit. Beim Losrennen wird noch besonders grimmig geguckt, aber kurz vor dem Aufeinandertreffen der tobenden Körper sieht man meist nur breites Grinsen. Wie aufgedreht springt auch der sichtlich vergnügte Charly über die Bühne und kündigt gleich mal das neue Album für den Herbst an. Ich vermisse zwar ein paar Lieder vom aktuellen Werk „Electrify“ (namentlich „Second Over Third By Force“ & „Hyperspeed Hallucinations“), aber die Konzentration auf altes Material passt zur heutigen Veranstaltung.

Nach etwas mehr als drei Stunden gönne ich mir bei den Essenern DARKNESS eine Pause, um ausgiebig Frischluft zu tanken. Der Betrieb auf dem Parkplatz und die vereinzelt ein Regenerationsnickerchen einlegenden Frühtanker sorgen dabei für eher ruhige Unterhaltung.

Wie nötig die Ruhe war, merke ich bei den kurz nach 18 Uhr loslegenden ASSASSIN. Die Freude bei den Düsseldorfern über das heutige „Klassentreffen“ ist groß und man frickelt sich mit Elan durch das Set, welches trotz fraglos vorhandener Klasse vor allem die Bereits-Vorher-Fans begeistert. Mit jedem Lied wird die Stimmung aber besser, woran auch kleinere Oben Ohne Einlagen auf der Bühne nichts ändern können, und so wird der Refrain der Bandhymne „Assassin“ aus vielen Kehlen mitgeschrieen, bevor nach gefühlt recht kurzer Zeit Schluss ist. Ob das an dem Tempo der Lieder oder an meinem fehlgeleiteten Zeitgefühl liegt, kann ich aber nicht aufklären.

Da sich der Hunger bei meinen Mitfahrern und mir langsam deutlich deutlich bemerkbar macht, nutzen wir den Auftritt des nächsten Thrash Urgesteins HOLY MOSES zur Nahrungsaufnahme und um noch einmal Luft zu holen.

Die letzte Bastion vor dem deutschen Dreigestirn wird von der einzigen nicht einheimischen Band ARTILLERY in Schutt und Asche gelegt. Neben der ungewöhnlichsten Optik des Abends mit Physiklehrer am Bass und Kegelbruder an einer Gitarre wissen die Dänen vor allem mit unglaublicher Power zu überzeugen. Für mich vorher musikalisch eine Unbekannte zieht der dynamische Thrash das Publikum unweigerlich sofort in seinen Bann und setzt sich auch durch den kraftvollen klassischen Gesang von Søren von den übrigen Bands des Tages ab. Neben Liedern der älteren Alben gibt es mit „10.000 Devils“ noch ein neues Lied, das mit leicht arythmischem Refrain etwas aus dem Rahmen fällt. Nach diesem granatenstarken Auftritt bin ich aber sicher nicht der einzige, der sich schon auf mehr neues Material aus dem Hause ARTILLERY freut.

Nach einer kurzen, bewegenden Ansprache von der Mutter von Chris, die in hundertfache laute „Witchhunter! Witchhunter!“ Rufe mündet, betritt dann die Band die Bühne, um die es im Vorfeld einige leidige Diskussionen gegeben hat, die sich zum Glück aber nicht auf die Stimmung niederschlagen.
Als DESTRUCTION loslegen, verwandelt sich die eben noch ruhige Menge gleich wieder in einen tobenden Mob. Ausgestattet mit Custom-Schädel Mikroständern und dem längsten Gitarrenhals der Welt wütet Frontmann Schmier auf der Bühne und altbekannte Kracher der Marke „The Butcher Strikes Back“ und „Nailed To The Cross“ werden lauthals mitgesungen. Einzig die vor allem in dieser Häufung leicht übertrieben wirkenden pathetischen Ansagen vermögen es das kochende Blut der Zuschauer für kurze Zeit wallungsfrei zu halten. Ein wenig habe ich den Eindruck, dass er damit auch den ganzen Diskussionen im Vorfeld Tribut zollt und versucht Boden gutzumachen, zumindest musikalisch haben DESTRUCTION das aber keineswegs nötig. Und dass die wenigen gespielten Lieder vom aktuellen Album „D.E.V.O.L.U.T.I.O.N.“ etwas weniger gut ankommen als die Klassiker, gehört für erfahrene Bands bekanntermaßen zum Tagesgeschäft.

Die vorletzte Band des Tages ist die Bierbrigade TANKARD mit der Welt größtem Karlsson alias der Welt bietrinkendstem DVD-Moderator alias Gerre an der Spitze, der heute mächtig Hummeln im Hintern zu haben scheint. Von Beginn an liefern er und Bassist Frank Thorwarth sich einen Wettstreit im gute Laune verbreiten, bei dem Frank trotz ständigem breiten Grinsen und über die Bühne springen leicht den Kürzeren zieht. Denn für Gerre gibt es heute überhaupt kein Halten. Es wird mit dem Hintern gewackelt, wie eine Elfe getanzt und einige Male die Plauze, die angeblich dank Weight Watchers 10kg mächtiger geworden ist, präsentiert. Das einzige, was auf Dauer an Unterhaltungswert verliert, sind die immer vorgebrachten Entschuldigungen, wenn ein Lied der aktuellen Platte gespielt wird, aber „leider hat die Band einen lebenslangen Plattenvertrag, so dass alle zwei bis drei Jahre was neues kommen muss.“ Nach einer Stunde beschließt „Empty Tankard“ einen im Unterhaltungswert kaum zu überbietenden Auftritt, und das enthusiastische Publikum tanzt noch einmal.

Setlist TANKARD:
The Morning After
Zombie Attack
Slipping from Reality
Stay Thirsty!
Beermuda
Need Money For Beer
Chemical Invasion
Octane Warriors
666 Packs
Freibier
Empty Tankard

Zum krönenden Abschluss gibt es heute natürlich die volle SODOM Kelle. Allerdings geht die Uhr schon zu Beginn des Auftritts mit großen Schritten auf Mitternacht zu und vielen Gesichtern sieht man die bisherigen zehn Stunden an. Zum Glück wirkt in solchen Fällen eine ordentliche Ladung Stahl ins Gesicht besser als ein ganzer Eimer Kaffee und schon nach wenigen Takten ist die Menge wieder bereit für eine neue Wahnsinnsfahrt. Die zum Einstieg gewählten ganz alten Lieder sorgen dazu für leicht nostalgische Gefühle, bei allen die alt genug sind, damals live dabei gewesen zu sein. Um das weiter zu vertiefen gibt es hier und da Verstärkung durch einen der zahlreich anwesenden, ehemaligen Mitstreiter und einen mehr oder weniger lückenlosen Überblick über die gesamte Geschichte der Band. Auch wenn ich aufgrund des Nacht-Zugfahrplans nicht bis zum absoluten Ende bleiben kann, kann ich mich „The Saw Is The Law!“ nur anschließen. Ein würdiger Headlinerauftritt.

So endet ein von vorne bis hinten gelungenes, historisches Konzert, das trotz des traurigen Anlasses für viele glückliche Gesichter gesorgt hat und von dem noch lange erzählt werden wird. Und selbst wenn man es damit der Einmaligkeit berauben würde, wäre es fast zu schön um wahr zu sein, sollte man daraus ein alljährliches Thrash Pilgerfest zimmern können, zumal die Organisation bereits in diesem Jahr sehr gut war. Beim nächsten Mal wären KREATOR sicher auch nicht anderweitig gebunden…

Fotos von Xian Zhong (vielen Dank!) und Michael Bach.

Bildergalerie

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