Metropole Ruhr Festival 2011

Metropole Ruhr Festival 2011

Accu§erDeathfistDesasterDipsomaniaEradicatorForbiddenThe Very End
Bochum, Matrix
23.04.2011
Quasi als Bruder im Geiste des Chris Witchhunter Tribute Konzerts wurde letztes Jahr das Metropole Ruhr aus dem Taufbecken gehoben und mit den gleichen Eckmarken versehen: Ostersamstag, Thrash Metal, Turbinenhalle Oberhausen. Aus unterschiedlichen Gründen ist man in diesem Jahr in die Bochumer Matrix gezogen, kein dummer Zug, wenn man bedenkt, dass die im Vergleich zur Turbinenhalle deutlich kleinere Matrix an diesem Abend allem Anschein nach maximal gut zur Hälfte gefüllt ist. Dabei kann sich das Aufgebot durchaus sehen lassen und jeder nicht anwesende qualitätsbewusste Thrasher in Ruhrgebiet und Rheinland sollte eine bessere Ausrede parat haben als ich für mein Verpassen der Facebook-Voting Gewinnerband ERADICATOR. Die Kombination aus längerer Anfahrt und dem Beginn um 17:30 wars…

Die Dorstener DIPSOMANIA, die auch schon einige Jahre im Geschäft sind, eröffnen also meinen Abend. Neben dem Mikroständer für die Handtasche glänzt Fronter Dirk mit einem „Sex. Murder. Art.“ Shirt, das ich eher Jörg Buttgereit als SLAYER zuordnen würde, gegen Bassist Thomas zieht er dank dessen heller Sackmütze und der Sonnenbrille optisch aber doch den Kürzeren. Der eher rhythmus- als riffbetonte tödliche Thrash plärrt räudiger aus den Boxen als ein unkastrierter Straßenköter. Das ist nicht nur für mich eine Spur zu rohe Kost so früh am Abend, so dass gen Ende des Auftritts nur noch gut 50 Nasen vor der Bühne verblieben sind, denen es zugegeben aber jede Menge Spaß macht.

Als für mich absolut positive Überraschung geht der Auftritt von ACCU§ER durch. Nachdem die Laustärke der Gitarren erst mal dem Rest der Band angepasst ist, servieren die Siegener Urgesteine melodischen Gewitterthrash der Oberklasse, der eigentlich das Publikum richtig anstacheln müsste. Leider gibt es aber eine deutliche Trennung zwischen Fans und interessierten Zuhörern, die durch einen bereits zu dieser Zeit in völlig anderen Sphären befindlichen jungen Mann verstärkt wird, weil dieser in einer Mischung aus Übermut und der falschen Vorstellung, wie er seine Energie loswerden kann, regelmäßig jemandem vor die Brust oder in den Rücken springt. Obwohl er von weit größeren Gesellen regelmäßig zu Boden geschickt wird, lässt er sich nicht beirren und das schreckt doch einige ab, die vorerst nur warmlaufen wollen, woran auch die aller Ehren werten, ständigen Animationen von Fronter Frank und besonders seinem Namensvetter am Bass wenig ändern. Highlight des musikalisch überzeugenden und kurzweiligen Auftritts ist der zumindest von einigen lautstark mitgesungene Titeltrack des zweiten Albums, “Who Dominates Who“.

Dass das aktuelle Album „Too Hot To Burn“ ein Kracher ist, war Eingeweihten bereits bekannt, und wie weit es seine Kreise gezogen hat, beweist der heutige Auftritt. Als DEATHFIST die Bühne betreten, ist vom Mischpult bis zur Bühne der Raum kaum weniger besiedelt als später irgendwann und die Menge hat ihrem feurigen Einsatz zufolge das bisherige Schaffen der Band mit Freuden aufgesogen. Obwohl sie als DEATHFIST laut Ansage gerade mal ihren 10. Auftritt absolvieren, sieht und hört man dem Quartett die lange Erfahrung an, die sich in einer einwandfreien und mitreißenden Performance niederschlägt, mit einem wie die Faust aufs Auge zum Album passenden Sound. Während der wie ein jüngerer und gesünderer Kirk Windstein aussehende Gitarrist Markus eher konzentriert als ausgelassen daher kommt und Bassist Martin sich durch das komplette Set bangt, liefert Sängerin Corinna trotz leichter gesundheitlicher Angeschlagenheit die komplette Bandbreite des Old-School-Auf-die-Mappe-Thrash-Frontens ab, inklusive einer immer wieder energisch gezeigten Dämonenkralle, die heute nur von Sataniac in Wucht und Ausdruck übertroffen wird. Toller Auftritt einer sehr sympathischen Band!

Ein bisschen unglücklich läuft es für die kurzfristig als Ersatz für FINAL DEPRAVITY eingesprungenen THE VERY END, denn zwischen DEATHFIST und DESASTER lockt ihr wesentlich modernerer und grooviger Heavy Rock trifft Thrash Bastard deutlich weniger Menschen vor die Bühne. Ein weiteres Problem für die unisono schwarzbehemdeten Essener ist die schlagartig deutlich gestiegene Lautstärke, die das Ganze - vor allem in den Passagen, in denen jeder beteiligt ist – ein Stück in Richtung Klangchaos rücken. Mit zunehmender Entfernung von der Bühne kann man sich dann aber ganz gut in die Musik fallen lassen, wobei für meinen Geschmack die Lieder vom aktuellen Album “Mercy & Misery“ gegenüber den älteren Titeln klar die Nase vorn haben. Selbst wenn der Zuspruch auch aufgrund der kleineren Zuschauermasse geringer ausfällt als bei DEATHFIST, sind am Ende die meisten Anwesenden genau wie ich durchaus angetan von dem Auftritt. Mit besserem Klang und in einem etwas anderen Billing funktioniert das aber sicher noch besser.

Die folgenden DESASTER setzen in punkto Show ganz andere Maßstäbe als alle anderen Bands des Abends. In der Hauptrolle bei den Rheinland-Pfälzer Finsterheimern sind Patronengurte, ohne die ein echter DESASTERaner nicht auf die Bühne kommt, daneben kommen Nebel, Nieten, Nägel und Gesichtsbemalung zum Einsatz – die letzten beiden exklusiv bei Bassist Odin, der sich ohne sein Instrument übrigens wie Vega in Street Fighter 2 bewegt… Aber selbst die Andeutung, die Band aufs Optische zu reduzieren, müsste eigentlich mit zwei Wochen Justin Bieber in Dauerrotation bestraft werden, denn das routinierte Rollkommando bringt ihren Black Thrash auch unter den suboptimalen Klangbedingungen mit großer Leidenschaft und Klasse an den Mann, so dass der vordere Teil des Publikums von Anfang an kaum noch an sich halten kann. Wenn man die Titel nicht aus dem Effeff kennt, versteht man zwar kaum ein Wort von Sataniacs wütenden Tiraden, aber dafür wirkt der Eifeler Fronter der Band, der beim Singen so düster guckt und mit enormer Verve die Dämonenkralle und den Zeigefinger ausfährt, bei den regelmäßigen Ansagen zwischen den Songs umso freundlicher und wie die ganze Band fast so glücklich mit dem Publikum wie umgedreht. Mitreißend und absolut überzeugend - einzig die Stagediver werden wie den ganzen Abend über wenig für ihren Wagemut belohnt und kaum mehr als bloß aufgefangen.

Das krönende Highlight des Abends – laut diverser Ansagen auch für eine ganze Reihe der Musiker der anderen Bands – sollen FORBIDDEN sein, die sich mit dem neuen Album „Omega Wave“ bisher noch gar nicht in Deutschland haben blicken lassen. Der Sound ist anfangs ein wenig undifferenziert, aber ab dem vierten Lied, „Twisted Into Form“, passt er dann zu dem ganz großen Sport, den besonders die beiden Gitarristen Steve Smyth und Craig Locicero vorführen. Bis zu diesem Abend hab ich nicht gedacht, dass Gitarristen live fast schon zu schnell sein können, aber die beiden spielen auf, als wäre der leibhaftige Yngwie hinter ihnen her. Ebenfalls ein sehr gutes Bild liefert Gene Hoglan ab, der Mark Hernandez am Schlagzeug vertritt und wesentlich fitter und agiler wirkt als noch im letzten Jahr bei FEAR FACTORY. Nicht so ganz in Galaform scheint dagegen Sänger Russ Anderson, der immer mal wieder kleinere Timingprobleme hat und sich ein paar Verschnaufpausen gönnt. Gut bei Stimme ist er jedoch, was die zwei gut aufgenommenen Knaller von „Omega Wave“, „Forsaken At The Gates“ und „Dragging My Casket“, ebenso belegen wie das kurz vor Schluss natürlich ganz überraschend aus dem Hut gezauberte „Forbidden Evil“, bei dem die Menge vor der Bühne allerdings schon deutlich ausgedünnt ist - der lange Tag fordert seinen Tribut. Trotz der im großen und ganzen überzeugenden Leistung bleibt aber ein nicht ganz irritationsfreier Eindruck, auch weil nach Russ‘ Lobeshymnen auf den „wohl weltbesten Drummer“ Gene Hoglan Craig Locicero flugs an sein Mikro eilt, um den eigentlichen FORBIDDEN Schlagzeuger Mark Hernandez zu loben. Wenn sie sich auf einer regulären Tour mit weniger Jetlag-verursachendem Reisestress als in den letzten Wochen - Ende März gab es einen kurzen Südamerikatrip, dann das Inferno Festival in Oslo und eben das Metropole Ruhr – voll eingespielt haben, wird garantiert noch mehr mit FORBIDDEN an der Livefront zu rechnen sein.

Viel auszusetzen gibt es an diesem facettenreichen Thrash Metal Tag im Prinzip nicht. Dass der Sound bei so einem zügig wechselnden Billing nicht immer auf Anhieb einwandfrei ist, ist zu verschmerzen, auch weil es meist nicht lange dauerte, bis es im Zuschauerraum passte. Die ohrenbetäubende Lautstärke ab THE VERY END hätte dagegen nicht sein müssen, aber die größte Enttäuschung ist und bleibt der vergleichsweise maue Zuschauerzuspruch. Mit der PRIMORDIAL Releaseshow in Essen gab es zwar eine interessante „Konkurrenzveranstaltung“, aber bei dem Preis-Leistungs-Verhältnis (19 Euro Eintritt & zweistündige Bier-Happy Hour zu Beginn) verwundert es doch, dass nicht mehr Ruhrpottler und Rheinländer den Weg in die Matrix gefunden haben.
Es bleibt zu hoffen, dass das Team des Metropole Ruhr trotz des erneuten Verpassens des „grünen Zweigs“ sich zu einer Neuauflage im nächsten Jahr durchringen kann und diese dann von den Metalfreunden der Umgebung besser angenommen wird.
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