Rock am Ring 2010

Rock am Ring 2010

Alice In ChainsAs I Lay DyingBroilersHammerfallHeaven Shall BurnKamelotKatatoniaKISSLamb Of GodSlashSlayerStone SourVolbeat
Nürburgring
03.06.2010
Es war einmal vor langer Zeit – vor zwei Wochen um genau zu sein – da trafen sich zwei BC-Redakteure zum angehenden „Summer of Metallove“ (Zitat: RogerM) im Ruhrpott zum Familientreffen mit harter Musik. Es wurde traditionell gerockt und mit einer Handvoll langhaariger Kuttenträger ein schnuckeliges Amphitheater mittels KREATOR in Schutt und Asche gelegt. Nun betritt einer dieser Redakteure ein komplett anderes Szenario: Rock am Ring! Konträrer könnten zwei gitarrenorientierte Festivals gar nicht sein. Auf der einen Seite Exoten, fremde Kulturen, wilde Riten – und auf der anderen Seite Kamerun, wie Dieter Nuhr es einst so schön beschrieben hat. Die zehnfache Anzahl an Besuchern, die unterschiedlichsten Beklopptheitsgrade und die breitgefächerte musikalische Orientierung der Bands wirken in erster Linie wie ein Kulturschock. Da ist es doch sehr beruhigend, dass mit KISS gleich eine Band den Headliner am ersten Abend gibt, die auch gut aufs Rock Hard gepasst hätte – wenn das Magazin ungefähr die hundertfache Auflage hätte, wäre das ja durchaus möglich…

Über KISS ist in den letzten Wochen bei der Bloodchamber bereits viel geschrieben worden. Mir obliegt nun die Ehre, sie auch einmal auf einer Festivalbühne bewundern zu dürfen. Und eins steht fest: es sollte ein beeindruckendes Ereignis werden. Pünktlich um 22:00 Uhr erscheinen die alten Herren in einer gewaltigen Lichtershow auf Podesten thronend vor den Zuschauern. Danach wird über zwei Stunden lang ein Gassenhauer nach dem anderen ins Publikum gefeuert. Sicherlich ist der Stadion-Glam-Rock nicht das progressivste Element des diesjährigen Rings, aber der fröhliche, meist ähnlich gelagerte Grundrhythmus sorgt für viel Stimmung. Wie das unglaublich böse Blutspucken zu Songs wie „Calling Dr.Love“ passen soll, bleibt für mich allerdings ein Rätsel. Es ändert aber nichts daran, dass der Gesamtauftritt unheimlich charmant, gemeinschaftlich und fannah daher kommt. Da an diesem Tag KISS die musikalische Alleinherrschaft über die RaR-Bühnen haben, ist auch entsprechend viel los im weiten Rund. Und auch wenn sich nicht alle hundertprozentig mit dem identifizieren können, was da auf der Bühne passiert, so hat man das Gefühl, dass alle sehr wohl wissen, hier Teil von etwas ganz Besonderem geworden zu sein. Ganz klar die extravaganteste, aber auch professionellste Show des gesamten Wochenendes.

Am Samstag entert dann GUNS N‘ ROSES Guitarhero SLASH die Centerstage und präsentiert den Besuchern ein bunt gewürfeltes Potpourri aus eigenen Stücken vom aktuellen Album, alten Rosen-Klassikern und sonstigen Coversongs. Dass Rockbomben wie „Paradise City“ vom Publikum abgefeiert werden wie Bolle, sollte keinen verwundern. Großen Anteil am gelungenen Auftritt hat aber vor allem Sänger Myles Kennedy (ALTER BRIDGE), der mit seiner Stimme wirklich jeden Titel, egal was da auch immer grade gecovert wird, perfekt in Szene setzt.

Endlich Metal heißt das Motto dann mit KAMELOT auf der Clubstage. Dass die Amerikaner nicht erst seit gestern Musik machen, merkt man der Band jederzeit an. Trotz der für Ringverhältnisse musikalischen Ausgefallenheit werden die (nicht wenigen) Besucher schnell in ihren Bann gezogen. Auffällig ist dabei der äußerst druckvolle Sound, der richtig schön energiegeladen und mit mächtig Power daher kommt. Sänger Roy Khan ist obendrein auch noch ein nicht grade schlechter seiner Zunft. Und so geht ein wirklich gelungener Auftritt zu Ende, bei dem sich sogar die eine oder andere Pyrosalve in der Luft verirrt hat. Böse…

Ein kurzer Exkurs sei an dieser Stelle zu JAY-Z gegönnt. Auch wenn sich der Ring als musikalisch offenes Festival betrachtet, sahen viele Besucher in dem Hip Hopper DEN Exoten schlechthin. Und so flogen nicht wenige unmutsbekundende Becher in Richtung Bühne. Bei aller Missachtung der Musik (auch ich habe es nicht länger als drei Songs ausgehalten) gehören solche „Fans“ nicht auf ein Festival. Und um nochmal die Einleitung aufzugreifen: beim Familientreffen im Ruhrpott wäre das nicht passiert…

Auch von RAGE AGAINST THE MACHINE sind mir nur die ersten zwei Songs in Erinnerung – länger wollte ich nicht bleiben. RATM fallen wieder einmal dadurch auf, dass der Soundmixer die hinteren Reihen nicht beachtet. Dort ist der Sound jedenfalls viel zu leise (angeblich hätte man sonst den Unplugged-Auftitt der SPORTFREUNDE STILLER auf der Alternastage beschallt...). Da der Gesang von Zack de la Rocha für mich so begeisterungswürdig ist wie Fliegenschiss auf der Frontscheibe, heißt die nächste Abfahrt ganz schnell Clubstage.

Dort haben HEAVEN SHALL BURN ihren ersten Ringauftritt zu verbuchen. Und von Nervosität ist nichts zu spüren. Etwas außergewöhnlich starten die Thüringer mit „Architects of the Apocalypse“ in den Abend. Sänger Marcus Bischoff ist sichtlich darum bemüht für Stimmung in den Publikumsreihen zu sorgen. Jedoch hat die Clubstage nicht unbedingt die Kapazitäten für großartige Wall of Death Spielereien oder Circlepits. Dennoch kommt es bei „Voice of the Voiceless“ zur Teilung der Menge und bei dem ein oder anderen Song zu kräftigen Rotationen im Publikum. Auch die neuen Songs „Omen“ und „Combat“ kommen gut an. Leider fehlt dieses Mal „Behind a Wall of Silence“ im Set. Vielleicht hatte man ja Angst, die Mischpulttürme könnten wirklich fallen, dann wäre man sicher nicht mehr eingeladen worden.

Da der Festplatz noch steht, können die BROILERS unbeschwert auf die Bühne gehen. Die Oi! / Punk Mischung der Düsseldorfer sorgt für gute Laune bei den Besuchern und auch für etwas Abwechslung. Zumindest hatte ich persönlich die Band weitaus schwächer in Erinnerung, als sie vor einigen Jahren als Vorband der MISFITS den Putz von der Decke gelangweilt hatten. Hier und heute auf der Festivalbühne entfaltet sich das Material schon etwas besser. Der Hunger ist dennoch stärker als die BROILERS und der Weg zu Pizza Mario unumgänglich.

Der Rausschmeißer des Abends ist somit – wer hätte es gedacht? - HAMMERFALL!!! Obwohl ich vor einer gefühlten Dekade aufgehört habe, mich intensiv mit den Schweden zu beschäftigen, trat ich dem Auftritt mit einer dezenten Vorfreude entgegen. Gitarrist Oscar Dronjak und Co. wackeln bereits während des Soundchecks aufgeregt hinter der Bühne hin und her und als es dann zu nachtschlafender Stunde endlich losgeht, scheint es so, als hätte man fünf Duracelhäschen vor sich erblickt. Die gesamte Band rast ständig von links nach rechts, erklettert die Boxen, hüpft breitbeinig wieder runter und strahlt eine unfassbare Spielfreude aus. Das geht soweit, dass sich Oscar mit den Haaren in der Klampfe von Pontus Norgren verfängt und Sänger Joacim Cans das Mikro gegen die eigene Nase feuert. Egal. Das ist Heavy Metal und irgendwie tut das am Ring auch mal ganz gut. „Heading the Call“, „Hearts on Fire“ oder „Let the Hammer Fall“ sorgen jedenfalls für reichlich Entzückung bei den Gästen. Jetzt habe ich zwar für die nächste Dekade wieder genügend HAMMERFALL gehört, aber lustig war’s schon irgendwie…

Am Samstag öffnet die Alternastage den gesamten Tag über die Tore für Freunde härterer Gitarrenklänge. Den Anfang machen für mich daher AS I LAY DYING, die mit neuem Album im Gepäck dem Zuschauer auf ein Neues beweisen wollen, wie gut cleane Vocals zu Breakdowns und Doublebass-Gebolze passen. Und zu Beginn ist man durchaus überrascht, wie gut Josh Gilbert diesmal mit den melodischen Refrains zurechtkommt („Nothing Left“). Tim Lambesis zeigt sich gut aufgelegt, shoutet vehement das Publikum zusammen und stellt sein Talent unter Beweis. Mit zunehmender Spieldauer fallen dann Joshs cleane Vocals immer mehr in sich zusammen und man ist froh, wenn es tendenziell eher brachial zu Werke geht. Da hilft die ausgewogene Setlist durchaus und Titel wie „Through Struggle“, „Forever“ oder „Confined“ können auch irgendwie gar nicht verhunzt werden.

Bei LAMB OF GOD sucht man dann die klar gesungenen Passagen vergeblich. Außer bei „In your Words“, bei dem Sänger Randy Blythe den cleanen Anfang einfach dadurch kaschiert, dass er das Mikro immer ins (nie mitsingende) Publikum hält. Ist aber auch egal, denn Randy darf sich durchaus als stärkster Shouter des Rings bezeichnen. Mit seinem Reibeisen veredelt er Wuchtbrummen wie „Redneck“ oder den brillanten Rausschmeißer „Black Label“ zu einer wahren Freude. Dennoch bleibt ein fader Beigeschmack. Außer einem gewohnt energiegeladenen Randy passiert nichts auf der Bühne. Die Show wirkt daher im strahlenden Sonnenschein eher inspirationslos und altbacken.

Ein viel innigeres Verhältnis zwischen Band und Publikum wird dann bei STONE SOUR aufgebaut. Vom ersten Ton an hat man das Gefühl, hier etwas Besonderem beizuwohnen. Kein Wunder, denn so oft sieht man die Band nicht unbedingt auf Tour und dann erst Recht nicht auf so einem Festival. Sänger Corey Taylor zeigt sich stimmlich in Bestform und zaubert mit gefühlvoll vorgetragenen Refrains den Zuschauern ein Lächeln auf die Lippen. Insgesamt lebt der Gig von seiner Emotionalität. Auch wenn die Band professionell mit dem plötzlichen Tod von SLIPKNOT Member Paul Gray umgeht und diesen nicht zur Sprache bringt, merkt man vor allem Corey an, dass dieser Auftritt nicht wie jeder andere ist. Das Publikum honoriert das Ganze mit jeder Menge Applaus und Bewunderung. Spätestens bei „Through Glass“ dürfte wirklich jedem Besucher eine Gänsehaut über den Rücken gelaufen sein. Mit „Digital“ präsentiert man schließlich auch noch einen neuen Song des im Herbst erscheinenden Nachfolgers von „Come What(ever) May“. STONE SOUR konnten begeistern – musikalisch und emotional.

Die Neugier treibt mich dann doch einmal am heutigen Tage zur Centerstage. Mal schauen, wie Jared Leto eigentlich live so klingt. Und tatsächlich: der Typ ist nicht nur ein ordentlicher Schauspieler und sieht gut aus (zumindest behauptet das die eine oder andere Person weiblichen Geschlechts), sondern kann auch noch richtig gut singen. Mit seiner Band 30 SECONDS TO MARS hat er sich immerhin den Co-Headliner-Status beim diesjährigen Ring verdient, das will was heißen. Leider gelingt es ihm nicht, eine ordentliche Show auf die Beine zu bringen. Entweder ist er von der Kulisse wirklich derart beeindruckt oder ihm fehlen die Entertainerqualitäten. So animiert er zu völlig unpassenden Circle Pits und geht inflationär häufig mit dem tollen Wörtchen „F…“ um, meist in Verbindung mit „amazing“. Ist ja schön, dass man sich so über einen Gig freut, statt endlosem Geschwätz hätte ich mir aber lieber mehr Musik gewünscht. Beim unsäglichen LADY GAGA Cover „Bad Romance“ ist für mich Schluss mit Lustig und ich flüchte wieder zur Alternastage…

…um dort Zeuge eines unfassbar langweiligen Auftritts von ALICE IN CHAINS zu werden. So nah vor der Bühne habe ich selten Leute in großen Mengen sitzen gesehen. Hier wird kaum gefeiert, sondern in erster Linie die Musik als Hintergrundbeschallung aufgenommen. Dabei liefert Neu-Sänger William Duvall am Mikro eine wirklich beachtliche Leistung ab. Etwas verwundert verfolge ich die letzten Titel der Band und stelle fest, wie hier einfach der Funke nicht überspringen will.

Danach kommt Bewegung in die müde wirkende Ringrocker-Gemeinde. Mit VOLBEAT entert so etwas wie der Geheimtipp des diesjährigen Festivals die Bühne und wird seinem Ruf als spaßbringende Liveband absolut gerecht. Binnen kurzer Zeit ist plötzlich die Hölle los vor der Bühne, überall wird gefeiert, gehüpft, gemosht und mitgegröhlt. Sänger Michael Poulsen beweist nicht nur stimmlich sondern auch charakterlich, dass er auf die große Bühne gehört. Mit souveränen Ansagen und dem einen oder anderen Scherz (er schenkt u.a. einer Zuschauerin Geld für ein VOLBEAT-Shirt) bringt er zusätzlich Stimmung in die Bude. Dazu kommt der gefühlvoll vorgetragene weibliche Gesangsgastauftritt bei „Mary Ann’s Place“ und die irgendwie überflüssige, aber dennoch lustige Mitgröhleinlage von Randy Blythe, der während „Poole of Booze“ plötzlich wie ein Irrwisch über die Bühne springt. Die Songauswahl ist ebenfalls nicht von schlechten Eltern. Kein Wunder wenn man in der bisherigen Karriere ein Granatenalbum nach dem anderen veröffentlicht hat. Ob „Hallelujah Goat“, „I Only Wanna Be With You“, „Sad Man’s Tongue” oder dem Rausschmeißer “Still Counting” – hier ist für alle was dabei. Nach etwas über einer Stunde sind sich alle einig: in zwei Jahren spielt diese Band sicher auf der Centerstage, vielleicht sogar als Headliner?

SLAYER sind das genaue Gegenteil von VOLBEAT. Kein Backdrop, kein Podest, keine Ansagen, keine Gastauftritte – nur Musik und zwar auffe Schnauze! Dabei sind die Thrashveteranen an diesem Tag selbst für ihre Verhältnisse unfassbar stumpf. Tom Araya verkneift sich so ziemlich jeden Kommentar und insgesamt vermittelt die Band einem das Gefühl, dass sie heute nicht so viel Lust auf ein Festival hat. Das wird ihnen von vielen Besuchern angekreidet. Nur diejenigen, die wissen, dass SLAYER nunmal keine Show machen, sondern einfach nur mit derbem Thrash Metal begeistern, sind zufrieden. Und so verharre ich wieder einmal staunend vor der Gitarrenvirtuosität von King/Hahnemann und dem unfassbaren Drumspiel von Dave Lombardo. Solange Titel wie „Mandatory Suicide“, „Dead Skin Mask“, „Angel of Death“, „Raining Blood“ oder „South of Heaven“ da von der Bühne auf einen hereinprasseln, ist es mir echt scheißegal, wie wenig auf der Bühne passiert. SLAYER stellen die Musik in den Vordergrund – wenn auch auf sehr eigenwillige, um nicht zu sagen stumpfe Art und Weise. Was soll’s? Ein Kritikpunkt bleibt allerdings der sehr basslastige Sound, das können die Tonmischer besser!

Viele Menschen gibt es sicher nicht, die gleichzeitig SLAYER und KATATONIA zu ihren Lieblingsbands zählen. Ich gehöre allerdings zu dieser Kategorie und so bin ich auch heute noch enorm frustriert darüber, dass die Bands zeitgleich spielen müssen. So verpasse ich die auf der Clubstage vor (Augenzeugenberichten zufolge) höchstens 200, meist sitzenden Zuschauern spielenden Schweden. Der unglücklichen Spielzeit trotzend sollen die Jungs einen wirklich engagierten und ordentlichen Auftritt hingelegt haben, der die wenigen anwesenden Mattenschwinger zufrieden zurückgelassen hat. Ich tröste mich damit, dass ich die Band erst vor wenigen Wochen beim Rock Hard Festival gesehen habe.

Und damit schließt sich der Kreis wieder zum traditionellen, schnuckeligen Rock Hard Festival. KATATONIA ist die einzige Band, die tatsächlich auf beiden Festivals präsent gewesen ist. Die Verbindung zwischen Tradition und Moderne, zwischen Kommerz und Underground, zwischen Massenveranstaltung und Familientreffen? Wie dem auch sei. Auch wenn am Ring die „übliche Verhärtung“ mehr und mehr einzukehren scheint, ist das Ganze noch lange nicht mit einem Metalfestival vergleichbar. Und dennoch hat der Ring einen gewissen Charme. Die Bandauswahl strotzt nur so vor Abwechslungsreichtum, die Organisation (Wasser an den Zeltplätzen, Duschen etc.) ist wirklich in Ordnung und diesmal hat das Wetter auch mal mitgespielt. Zu Meckern gibt es dennoch immer etwas. Die Anzahl an Bekloppten scheint hier explodierend hoch zu sein (es muss nicht bei jeder Band ein Moshpit aufgemacht werden!!!), die Preise für Getränke auf dem Festivalgelände sind unverschämt und außerdem wurden die Becher von Tag zu Tag weniger voll und der Einlass zu den Blöcken A und B vor der Centerstage scheint immer noch nicht ordentlich geregelt worden zu sein. Sei es drum. Blendet man für vier Tage seine Synapsen ein wenig aus – was man auf einem Festival sowieso tun muss – und konzentriert sich auf Party, Musik, Bier, Freunde und gute Laune, dann bietet der Nürburgring einen guten Rahmen. Abgesehen davon haben KISS und VOLBEAT einfach gerockt!!!

Fotos: nf, jw, bg

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