Hier ist der Metal


Interview mit 3 Inches Of Blood
Heavy Metal aus Kanada - Vancouver
Bei allem Fluchen auf die Verspätungen der Deutschen Bahn und des städtischen Personennahverkehrs wird oft vergessen, dass Autobahnfahrten beileibe kein leichtes Brot in einem so automobilgeprägten Land wie dem unseren sind und nur Spötter verweisen auf das „-bahn-“ in der Wortmitte. Natürlich bleibt – ausgerechnet! – heute irgendein Honk mit seinem rottigem Wohnwagen mit Kurzzeitkennzeichen so ungünstig in einer Baustelle liegen, dass die Ankunft am Konzert- und Interviewort Andernach nicht nur deutlich verspätet stattfindet, sondern aus diesem Grund auch der Interviewpartner ein anderer ist.
Im lauschigen Loungeraum des Nightliners habe ich deshalb wieder die Ehre mit Shane Clark, dem Gitarristen der kanadischen Angriffsmetaller 3 INCHES OF BLOOD, statt mit Sänger Cam Pipes über sein Fantasy-Nerdtum und die Texte zu plaudern. Neben dem aktuellen Album kommt die Rede unter anderem auf das prominente „Neumitglied“ Byron Stroud (u.a. Ex-FEAR FACTORY), das Geschäft mit dem Tod und ein wenig Lebensphilosophie, von der sich jeder gerne ein Stück abschneiden darf.


Der Titel des aktuellen Albums ist „Long Live Heavy Metal“. Darf ich das als eine Art Statement im Sinne von „Der Metal wird niemals sterben“ auffassen?

Ja. Zum Teil ist es natürlich auch ein Tribut an RAINBOWs „Long Live Rock’n’Roll, aber wir haben es so genannt, weil es genau das ist, woran wir glauben und worum sich die Band dreht. Wir spielen pure Heavy Metal. Einige Leute beschreiben uns als traditionellen Heavy Metal oder was auch immer, aber für uns ist es reiner Heavy Metal, und ja, das ist ein Statement: Der Metal wird niemals sterben.

War das auch der Grund für das im Vergleich zu den vorigen Artworks recht einfache Cover?

Wir wollten etwas, dass einfach zu erkennen ist. Der Ziegenkopf ist schon seit langer Zeit eins unserer Symbole. Auch für die Fans wollten wir etwas Schlichtes, dass die Band repräsentiert.

Eine Art Bannermotiv, das die Goatrider’s Horde (der 3IOB-Fanclub) vor sich her tragen kann.

Ganz genau. Wir werden das in Zukunft öfter verwenden. Wir hatten fantastische Bilder, bei „Here Waits Thy Doom“ war es ein Foto und jetzt wollten wir etwas Geradliniges, passend zum Titel: Hier ist der Metal.

Ich habe es auch als ein Zeichen verstanden, dass ihr eurer eigenen Geschichte Tribut zollt. Weniger Rock und wieder mehr Metal, zudem gibt es den vierten Teil von „Upon The Boiling Seas“ („Die For Gold“), die ersten drei waren alle auf „Advance And Vanquish“. Hat dieser vierte Teil auch mit einer Rückbesinnung auf die eigene Geschichte zu tun?

Cam (Pipes, der Sänger) schreibt die Texte dazu. Es ist eine Fortsetzung, weil man nicht wusste, was mit dem Kerl (dem Protagonisten der Liedreihe) weiter passiert. Er hat die Geschichte für die Fans zurückgebracht, die der Story folgen.

Es ist gut möglich, dass es nicht die Hauptintention war, aber neben „Die For Gold“ lässt sich auch „Men Of Fortune“ ziemlich gut als Geschichte einer ständig tourenden Band lesen. Die Band ist gewissermaßen gezwungen, unterwegs zu sein, und kann nicht zu Hause bleiben, weil man da keine „Schätze“ entdecken kann…

Das finde ich gut. Du hast eine Interpretation für den Text von „Men Of Fortune“, die absolut Sinn ergibt, so wie jeder seine eigene Interpretation haben kann. Das ist nichts, dem ich nicht zustimmen würde, genausowenig wie ich sagen würde, das ist genau das, worum es geht. Es ist indirekt und daher offen für Interpretationen.

Und deine magst du vermutlich nicht erzählen?

Ich hab nicht wirklich eine.

Du hast die Verbindung zwischen dem Albumtitel und RAINBOW angesprochen, außerdem gibt es „Look Out“ als Tribut an Ronnie James Dio. Was hältst du von dem ganzen Geschäft, das quasi aus dem Nichts auftaucht, wenn eine berühmte Persönlichkeit stirbt, mit Best-Ofs, „vergessenen“ Tracks etc.?

Naja, in der Welt, in der wir leben, ist alles Kapitalismus. Es geschehen sehr bedauerliche Dinge, zum Beispiel haben nach dem Tod von Dimebag Darrell Gitarren- und Verstärkerfirmen ihr Geschäft auf der traurigen Tatsache aufgebaut, dass der Künstler gestorben ist. Der einzige Grund, warum sie ein Haus und ihre Kinder neue Kleidung haben, ist, dass jemand gestorben ist. Sie haben einen Nutzen daraus gezogen und das halte ich für sehr falsch. Es ist beleidigend und kränkend für sein Vermächtnis und die Familie.
Im Fall von jemandem wie Dio dagegen... Er hat ein gewaltiges Vermächtnis hinterlassen und ich finde, so lange solche Sachen von den richtigen Leuten gehandhabt werden wie seiner Frau, die jahrelang auch sein Manager war… Ich bin mir sicher, wenn sie involviert ist, dass sie den Fans einfach etwas Neues gibt, um sich an Dio zu erinnern: Musik. Das ist toll. Und du findest keine neue Reihe von Mikrofonen – „Hol dir das neue Dio-Mikrofon. Das wollte er benutzen, bevor er gestorben ist!“ Sowas ist ein großer Haufen Mist. Wenn die Intention hinter so etwas dagegen ist, das Vermächtnis von jemandem hochzuhalten…

Da gibt es auch eine direktere Verbindung zwischen dem Künstler und der Kunst, wenn ich dich richtig verstanden habe. Das Mikrofon ist nur ein Medium, hat aber keine unmittelbare Verbindung mit der Kunst.

Ganz genau! Das ist nur Marketing. Man sieht so viele Kids, die Marketingopfer sind. „Ich besorg mir die Dimebag Gitarre, den Dimebag Amp und alle Dimebag Pedale“, mit dem Gedanken dahinter, dass sie dann wie Dimebag klingen, wenn sie das ganze Zeug kaufen. Aber nur weil du dir Eddie van Halens Frankenstein-Gitarre kaufst, wirst du nicht klingen wie Eddie van Halen. Es wird dir aber so verkauft, als ob es so wäre.
Wir haben „Look Out“ zu Ehren eines unser Lieblingsmusiker geschrieben und wollen ihn damit ehren. Andere Bands und Künstler haben aus diesem Grund Coversongs aufgenommen, was auch toll ist, aber wir wollten etwas besonderes machen, einen eigenen Song für ihn. Wir sind auch nicht populär genug, um auf einer Dio-Tribute-CD aufzutauchen und das ist ok. Deshalb wollten wir unser eigenes Lied für Dio auf unserem eigenen Album machen.

Und es ist ein bemerkenswertes Lied!
Seit dem letzten Mal, als wir miteinander gesprochen haben, gab es schon wieder einen Besetzungswechsel, Byron Stroud spielt jetzt den Bass. Natürlich kennt man Byron, aber wie habt ihr ihn gefunden?


Das kam durch mich, weil ich schon 14 Jahre oder so mit Byron befreundet bin, eine lange Zeit, und wir haben über die Jahre einige Male zusammengearbeitet. Unser musikalisches Hauptquartier ist in seinem Gebäude, deshalb sehe ich ihn ständig. Auf geschäftlicher Ebene arbeiteten wir mit Byron zusammen, er hat uns bei diesen Sachen geholfen. Als dann sein Terminkalender leerer wurde, nachdem er nicht mehr bei FEAR FACTORY gespielt hat, traf es sich zufällig, dass unser Tourbassist andere Verpflichtungen hatte. Perfektes Timing.
Und es war total locker, keine große Sache: Wir sind so lange befreundet, er hatte Zeit, also haben wir gesagt: Los, spiel mit uns. Er fand das cool, ist an Bord gekommen und hier sind wir: „Heavy Metal wrecking machine.“

Und weil ihr euch kanntet, wusstet ihr auch, dass es von der Bandchemie passt.

Natürlich! Vor ein paar Jahre, vielleicht vier, hat er uns auch schon mal auf einer kurzen Tour ausgeholfen. Wir hatten also sogar schon zusammen gespielt vorher. Es hat perfekt gepasst.

Wenn ihr ein neues Album veröffentlicht und damit zum ersten Mal auf Tour geht: Wie oft unterschätzt ihr, wie einige Songs vom Publikum aufgenommen werden, und wie oft überschätzt ihr andere Lieder?

Es ist immer ein Ausprobieren. Du stellst ein Set zusammen, das du als Musiker hören willst. Was du spielen willst, daraus bastelst du die Setlist. Und man kann nur über Wiederholung herausfinden, welche Songs für dich funktionieren. Du kannst es spüren, welches Lied mehr zum Publikum spricht.

Also ist es wirklich immer Ausprobieren und nie so, dass man weiß, dass einige Lieder funktionieren werden und andere nicht.

Wir sind eine Band, die jede Menge tourt, deshalb haben wir alle Lieder von „Long Live Heavy Metal“ mit dem Gedanken ans Livespielen im Hinterkopf geschrieben. Die längeren epischen Lieder spielen wir auf unseren Headlinertouren, wenn wir mehr Auftrittszeit haben, aber meiner Meinung nach sind die Lieder alle live gut.

Die Frage ist mir in den Sinn gekommen, weil ich euch im Mai in Essen gesehen habe und überrascht war von „4000 Torches“. Auf dem Album fand ich es im Vergleich zu den anderen Liedern etwas zu simpel, aber live war es großartig, als alle den Refrain mitgesungen haben.

Oh, so siehst du das? Aber es ist eine coole Beobachtung.

Gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern, also Lieder, die in Kanada beliebter sind als in Deutschland zum Beispiel?

Nicht wirklich. Metalfans sind normalerweise sehr ähnlich, es gibt keine großen Unterschiede darin, was sie hören wollen. Es gibt bestimmte Songs, die wir spielen müssen, die beliebten alten, „Deadly Sinners“, „The Goatrider’s Horde“ und sowas. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich das in verschiedenen Ländern groß unterscheidet.

Gibt es, wenn das so ist, die Sorge, dass sich die Setlist irgendwann von selbst zusammenstellt mit älteren, beliebten Liedern?

Ich glaube nicht, dass das passieren wird.

Weil ihr immer größer werdet und deshalb auf jeder Tour mehr Zeit haben werdet?

Wir könnten mehr Zeit haben, aber damit du nicht übersättigt wirst, musst du Sachen ändern. Du musst dich selbst zufriedenstellen und darfst dich in dem, was du tust, nicht von anderen Leuten beeinflussen lassen. Sieh dir eine Band wie OVERKILL an: Die haben gefühlt 20 Alben und spielen 90 Minuten, sie können sich also nur für eine begrenzte Auswahl an Liedern entscheiden. Sie spielen großartige Lieder, aber natürlich gibt es einige, die ich gerne hören würde, die sie nicht spielen. Deshalb geht man beim nächsten Mal, der nächsten Tour wieder hin. So denken wir zumindest. Wenn du ein Lied bei dieser Show nicht hörst, komm zur nächsten und irgendwann wirst du es hören.
(Ein unmittelbares Beispiel liefert die Band später selbst, mit dem für mich ersten Mal „Destroy The Orcs“ live bei meinem vierten 3 INCHES OF BLOOD Konzert.)

Was denkst du über die Entwicklung der kanadischen Metalszene?

Ich habe eine hohe Meinung von der Szene und es wird jedes Jahr besser. Junge Musiker kommen mit richtig guten Sachen an. Wenn Leute an kanadischen Metal denken, geht es oft um den „Mainstream“ wie EXCITER, SACRIFICE, RAZOR oder VOIVOD. Das ist vollkommen in Ordnung, aber es gibt eine Menge sehr gute Undergroundmusik. Das finde ich sehr gesund, es sorgt für Leben und es wird immer besser.

Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass das auch in europäischen Köpfen immer mehr ankommt, nicht nur wegen euch, sondern auch zum Beispiel BISON B.C. Mehr Bands sind auf größeren Labels, was dazu führt, dass auch mehr Promotion gemacht und wahrgenommen wird.

Das Unglückliche an Kanada ist, dass du in die USA gehen musst, wenn du irgendwo bemerkt werden willst. Du brauchst einen amerikanischen Plattenvertrag, dann bekommst du eine angemessene Behandlung und die Publicity. Wenn du einen kanadischen Plattenvertrag hast, wird das Geld für die Promotion einzig in Kanada ausgegeben, was die Sache ein wenig anders macht. Das ist die bedauerliche Realität und war schon immer so.

Und die Distanzen sind gewaltig, zumindest aus europäischer Sicht.

Ja, das ist manchmal lustig. Wenn man in Kanada auf Tour ist, sind die Fahrten endlos, und dann kommst du in bestimmte Ecken Europas wie nach England und jemand beschwert sich über zwei Stunden Fahrt. Ich lache dann und verpasse ihm eine, weil er keine Ahnung davon hat, was eine lange Fahrt ist.

Drei Dos und drei Don’ts auf Tour:

Hmmm, ich kann mich nicht erinnern, das jemals gefragt worden zu sein. Drei Dos… Hmmm…
Hab Spaß!
Sei clever!
Sehr grundlegende Sachen.
Versetz dich in die Lage von anderen: Wenn du auf Tour bist, urteile nicht gleich so strikt gegenüber anderen, denn Reisen ist sehr anstrengend. Es ist keine Knochenarbeit, aber sehr hart. Bleib positiv, die Macht des positiven Denkens ist sehr stark. Das sind auch drei Dos für das alltägliche Leben, aber es sind die wichtigsten. Unsere Zeit auf diesem Planeten ist kurz, also genieß sie.
Und meine Don’ts schlagen in die gleiche Kerbe:
Sei kein Arschloch!
Beklag dich nicht!
Und… Hmm…

Kein Kacken im Bus?

Jepp, kein Kacken im Bus.

Nach heute Abend sind es noch zwei Shows. Wie sehr freust du dich schon darauf, am Montag wieder nach Kanada zu fliegen?
(Es wurde dann nur noch eine Show, denn der Tourabschluss am Sonntag in Hamburg wurde kurzfristig aus Krankheitsgründen abgesagt.)

Ich wünschte, die Tour wäre etwas länger, vielleicht eine Woche, denn drei Wochen ist nicht sehr viel für eine Tour. Es war diesmal wirklich komfortabel, kurze Fahrten und wir sind mit diesem Bus unterwegs.
Aber ich freue mich auch auf zu Hause und darauf, ein paar Lieder zu schreiben. Ich bin in dieser Coverband und jamme mit ein paar Freunden.

Was für eine Art von Coverband?

Kennst du SAINT VITUS? Ein Freund, Matt (Wood), der Drummer von BISON B.C., früher war er bei 3 INCHES OF BLOOD, ist auch in einer mächtigen Doom Metal Band namens HAGGATHA, von denen ist auch noch ein weiteres Mitglied, Trevor (Logan), dabei. Der vierte im Bunde ist Kurt (Dernisky), der früher bei GOATSBLOOD gespielt hat, einer weiteren guten Doom Metal Band aus Vancouver. Jetzt spielt er bei einer Art Southern Rock Band namens GRASS CITY.
Es ist also eine Kombination von Musikern aus Vancouver, die zusammenkommen und SAINT VITUS zelebrieren.

Und danach werden neue 3 INCHES OF BLOOD Songs geschrieben?

Ja, ich freue mich schon darauf, neue Sachen zu schreiben. Irgendwann Anfang nächsten Jahres werden wir ein paar Sachen aufnehmen und später dann veröffentlichen.

Wenn ihr also nächstes Jahr zu den Sommerfestivals rüberkommt, wird es schon neue Lieder geben?

Ganz bestimmt!

(2. Bild von oben, v.l.n.r.: Justin Hagberg, Byron Stroud, Cam Pipes, Shane Clark & Ash Pearson)
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