Die Welt zu einem besseren Ort machen


Interview mit Havok
Thrash Metal aus USA - Denver
Während Interviews via Mail einerseits den geringsten zeitlichen Arbeitsaufwand mit sich bringen, haben sie andererseits einige nicht zu leugnende Nachteile. Zu diesen gehören die notwendige Formulierungskunst, die Fragen einigermaßen eindeutig zu gestalten, die fehlende Möglichkeit, unmittelbar auf Antworten zu reagieren, und die nicht vorhandene direkte Interaktion, die auch den Antwortenden in seinen Möglichkeiten einschränkt – wie viele Missverständnisse hat man selbst schon erlebt, weil ein bloßer Text keine Gestik, Mimik und Betonung übermittelt? Und dann kann es natürlich auch passieren, dass man wie ein Fisch auf dem Trockenen auf die Antworten wartet, aus welchen Gründen auch immer. So verhält es sich mit dem folgenden Interview mit HAVOK Sänger & Gitarrist David Sanchez, nachdem der telefonische Versuch aufgrund von anhaltenden Verbindungsproblemen abgebrochen werden musste. Die mehrmonatige Verzögerung, die wir David natürlich verzeihen, ändert glücklicherweise nichts am Gehalt seiner Antworten, nur die Aktualität mancher über die Musik hinausgehender Frage ist eben nicht mehr in dem Maß gegeben wie noch im Hochsommer. Damit genug der Vorrede und auf ins Gefecht:

Vor kurzem habe ich gelesen, dass Jason Newsted seine neue Band nach sich selbst benannt hat, um möglichem rechtlichen Ärger aus dem Weg zu gehen, nachdem er mit ECHOBRAIN schlechte Erfahrungen gemacht hat. Ihr seid nicht die einzige Metalband, die HAVOK heißt, deshalb stellt sich mir die Frage, ob ihr mal Ärger mit dem Namen hattet?

Wir hatten noch keinen Ärger damit und sind auch im Besitz der Rechte an dem Logo, so dass niemand dagegen vorgehen kann.

In wenigen Worten möchte ich jetzt meinen Eindruck zu jedem eurer drei bisherigen Alben zusammenfassen. Dich bitte ich darum, im Anschluss auch etwas zu den Alben zu sagen, gerne ebenso zu meinem Kommentar oder gar zu beidem.

„Burn“: Unterschiedliche musikalische Themen in jedem Lied, ansonsten recht gradlinig mit einer Prise DESTRUCTION, besonders in „Ivory Tower“.


„Burn“ war das erste Album und stilistisch sehr vielseitig. Die Intention war, dem Hörer einen Eindruck davon zu geben, wie wir geklungen haben, als wir anfingen, und in welche Richtung wir in Zukunft gehen wollten. Einige der ersten Lieder, die ich jemals geschrieben habe, sind auf dem Album!

“Time Is Up“: Das „Mehr“-Album: mehr Groove, mehr Wahnsinn, mehr Aggression, mehr Hooklines, die man schnell erfasst.

Hell yeah, da kann ich dir nur zustimmen. Während wir „Time Is Up“ geschrieben haben, hatten wir keinen Drummer und keinen Leadgitarristen, also wurde die komplette Musik von Jesse De Los Santos (Bassist & Backgroundsänger der Band von 2004 bis 2013) und mir geschrieben. Der Großteil des Albums inklusive der Drums stammt aus meiner Feder, Jesse hat eine stattliche Zahl an Riffs beigesteuert. Das Endergebnis ist ein Killeralbum voller Energie und Haltung. Ich hatte viel Spaß beim Schreiben der Lieder für die Platte, weil ich alleine sein und meiner Kreativität freien Lauf lassen konnte. Ich habe jede Komposition mit meinen eigenen Händen erschaffen und ich mag diesen Teil des Banddaseins wirklich sehr gerne: das Zusammenstellen und Formen von Riffs zu einem kompletten Song.

“Unnatural Selection“: Die ersten beiden Lieder klingen wie direkte Nachfolger von „Time Is Up“, aber danach ist es das musikalisch offenste HAVOK-Album. Auf das „Mehr“ von „Time Is Up“ folgt eine gewisse Politik der Abstinenz, die dazu führt, dass ihr regelmäßig etwas weglasst, was von der Geschwindigkeit über die Energie bis zu deinem Gesang in „Living Nightmare“ reicht. Außerdem sind die Texte bedeutender denn je.

Die Texte sind definitiv der Schlüssel zu „Unnatural Selection“. Es gibt eine Menge Sachen, die ich in unserer Musik sagen will, und das Album ist nur die Spitze des Eisbergs! „Unnatural Selection“ ist absichtlich mehr im mittleren Geschwindigkeitsbereich angesiedelt als „Time Is Up“ und „Burn“, weil wir einige Lieder schreiben wollten, die eine neue Energie in unser Liveset bringen. Wenn alles schnell ist, sorgt das insgesamt für ein Verschwimmen. Wir wollten ein paar langsamere Songs schreiben, um die Monotonie aufzubrechen, so dass wir unser Set so aufbauen können, dass es Gipfel und Täler hat, wie eine Achterbahnfahrt! „Unnatural Selection“ ist unser rockigstes und am meisten nach Old School klingendes Album bisher. Vieles im Metal hat heutzutage den Bezug zu den Rock’n’Roll Wurzeln verloren, deshalb wollten wir alle daran erinnern, warum sie sich einst in den Heavy Metal verliebt haben: Heavy, rockin‘ riffs!

Anschließend an meinen letzten Satz zu „Unnatural Selection“: Wie schwierig oder auch einfach war das Texten für dich?

Wenn die Inspiration dich trifft, geht das Texte schreiben einfach von der Hand. Die meisten der Texte auf diesem Album haben eine Inspiration und versuchen eine Botschaft zu vermitteln, die hoffentlich am Ende die Welt zu einem besseren Ort macht. Eines meiner Hauptziele ist es, die Leute zum Denken anzuregen, weil das heute eine Seltenheit zu sein scheint. Viele Dinge können sich (zum Besseren) ändern, wenn genug Menschen anfangen, selbst zu denken.

Ich habe den Eindruck, dass es ein Thema gibt, das in jedem Text von „Unnatural Selection“ vorkommt: Wahrnehmung, und zwar in dem Sinn, dass man nicht alles glauben soll, was irgendwer dir erzählt – nicht beschränkt auf die Medien und irgendwelche offiziellen Vertreter, aber mit einem leichten Fokus auf sie. Hattest du das im Sinn?

Du solltest auf keinen Fall alles glauben, was man dir erzählt. Skeptisch zu sein führt zu positiven Ergebnissen! Je weniger empfänglich jeder für Bockmist ist, desto mehr Gutes kann für die Menschheit geschehen. „It Is True“ ist ein Lied, das die Leute dazu aufruft, selbst zu denken. Der Song dreht sich um Religion, aber die Botschaft kann man leicht auch auf Politik, Medien oder Obrigkeit in jeder Form übertragen. Die Texte auf dem ganzen Album sind so geschrieben, dass sie für jeden Hörer anwendbar sind. Es war meine Intention, zum Denken aufzurufen, der Leichtgläubigkeit entgegenzuwirken, einen positiven Wandel zu inspirieren und den Hörern etwas mehr zur Beschäftigung zu geben als die üblichen Metalstereotypen von Tod, Zerstörung, Krieg, Satan und, wie zuletzt en vogue, Party machen.

Meiner Wahrnehmung nach wird die Redefreiheit in den USA noch wichtiger genommen und ist präsenter als hier in Deutschland. Siehst du irgendwelche Grenzen für diese Freiheit, sei es bei den Themen oder wegen der Person, die spricht?
Beispiele, die mir einfallen, sind der Rolling Stone, der den Boston Bomber auf dem Cover gezeigt hat, Dave Mustaine, der sich auf der Bühne über Verschwörungstheorien auslässt (aber fast immer nur im Ausland und nie in den USA) und Schulen, in denen den Kindern Kreationismus als eine – warum auch immer – gleichwertige Theorie zur Evolution beigebracht wird.


Nein, ich sehe keinen Grund, die Redefreiheit einzuschränken. Sie ist notwendig für eine gebildete Gesellschaft! Ich muss hier Frederick Douglass zitieren, weil seine Worte die Bedeutung dieses Themas perfekt ausdrücken:
ZitatDie Freiheit der Rede zu unterdrücken ist doppelt falsch: Es verletzt die Rechte der Hörer und die der Sprecher.

Die Redefreiheit ist ein anderer Grund, warum die Menschen weniger Willens sein sollten, alles zu glauben, was sie lesen, hören oder sehen. Wenn das, was du hörst, der Logik widerspricht, stehen die Chancen gut, dass es eine unsinnige Behauptung ist. Kreationismus in der Schule zu lehren finde ich abstoßend. Das ist, als würdest du Astrologie statt Astronomie oder Alchemie statt Chemie lehren. Es gibt dafür keinen guten Platz in unseren Schulsystemen, zumindest nicht, wenn es als Fakten gelehrt wird, weil es keine faktische Basis dafür gibt.

Welche Rollen spielen deiner Meinung nach die großen Medienkonzerne dabei, wie unsere Welt beschaffen ist und funktioniert? Wie betrachten Amerikaner zum Beispiel ein, meiner Meinung nach, offensichtlich parteiisches bzw. voreingenommenes Network wie Fox?
Das letzte Beispiel, dass es über den Atlantik geschafft hat, ist das Interview mit Reza Aslan, dessen Verlauf und Wirkung in diesem Artikel zusammengefasst wird.


Die Medien bestimmen komplett, wie viele Leute denken. Das ist traurig, aber wahr. In unserer modernen Gesellschaft gibt es nicht genug unvoreingenommenes Nachforschen und Skeptizismus. Stattdessen werden die Massen mit Informationen zwangsernährt und kaum jemanden kümmert es genug, dass er selbst nachforscht oder etwas in Frage stellt, was ihm erzählt wurde. Fox ist nicht der einzige parteiische Medienkonzern. Ich habe sogar das Gefühl, dass alle Medienkanäle ein Interesse daran haben, die Menschen ignorant und uninformiert zu lassen, über die Realitäten vieler Situationen. Es gibt mehr als 1.000 verschiedenen Fernsehsender, Magazine, Zeitungen und Radiosender, die weniger als einem Dutzend großen Gesellschaften gehören. Das sollte ein Alarmsignal für jeden sein, der Wert auf die Wahrheit legt. Denk nur mal darüber nach, wie viel wertvolle Information von diesen „Medienkanälen“ zurückgehalten wird.

Ich will nicht zu tief in das Thema eintauchen, aber gibt es eine Verbindung zwischen „Living Nightmare“ und Depressionen? Die folgenden zwei Zeilen klangen für mich sehr danach:
„Nobody sees, nobody hears, nobody cares, nobody’s there
Couldn’t be any more aware that I’m living in a nightmare.”


Tatsächlich geht es bei dem Song um das Entstehen des Albums! Während dem Aufnahmeprozess sind Unmengen an unglücklichen Geschichten passiert, die sich zu einem riesigen Sorgenberg aufgestapelt haben. Wir hatten Fehlfunktionen der Aufnahmehardware, diverse Mikrofone sind kaputt gegangen, es gab einen Festplattendefekt, die Tastatur des Laptops hat den Dienst quittiert, Instrumente sind verspätet eingetroffen und all das mit einer festen Deadline, die immer näher rückte. Es war eine unglaublich stressige Zeit, deshalb war es einfach, den Text zu diesem Lied zu schreiben.

Du bist „nur“ ein Thrash Metal Musiker und ich schreibe nur über Musik, aber siehst du einen Ausweg oder Fluchtweg für die Menschheit, raus aus allem, was zur Zeit falsch läuft?

Unser einziger Weg runter von diesem rutschigen Abhang ist Bildung. In diesen kritischen Zeiten ist Unwissen unser größter Feind. Es kann eine Menge positiven Wandel geben, wenn mehr Leute informiert sind und sich um die Welt, in der wir leben, sorgen. Wir wählen unsere Zukunft und letztendlich liegt es an uns zu entscheiden, ob wir wachsen und gedeihen oder in Ungleichheit und Angst verfallen. Alles beginnt damit, Unwissenheit und Ignoranz zu verringern, in allen Facetten.

Zum Ende kommen wir zu etwas unbeschwerteren Fragen: Was hältst du von der BLACK SABBATH Reunion, speziell auch dem neuen Album und dass sie alles ohne Bill Ward machen?

Ich hab keine sehr ausgeprägte Meinung dazu, aber ich hätte es fantastisch gefunden, wenn die Band das echte Original-Line-up zusammengebracht hätte! Bill Ward ist ein interessanter Drummer und die Band klingt ohne ihn nicht so wie mit ihm. Wie auch immer, ich bin froh, dass SABBATH immer noch etwas machen. Die Welt braucht mehr Rock’n’Roll wie ihren!

Welche anderen drei Bands würdest du als beste Gesellschaft für HAVOK sehen, auf einer Traumtour? Und falls du Bands mit einer längeren Geschichte nennst, aus welcher Ära?

Eine Traumtour mit ähnlichen Bands? Es wäre der absolute Wahnsinn mit (den 80er) METALLICA, (den Spät-90er) DEATH und („Cowboys From Hell“-)PANTERA zu touren.

Und schließlich: Was sind deine drei Lieblingsbeschäftigungen im Sommer?

Bergwanderungen, den Grill anzünden und darauf Essen zubereiten & Touren.

(Bandfoto vlnr: Michael Leon, David Sanchez, Reece Scruggs, Pete Webber)
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