Wacken Open Air 2012

Wacken Open Air 2012

Amon AmarthAura NoirDelainEndstilleGamma RayGhost BrigadeHammerfallIn FlamesInsomniumKylesaLeaves' EyesMachine HeadOpethParadise LostSaxonScorpionsSepulturaSick Of It AllTestamentU.D.O.UnearthVolbeat
Wacken
02.08.2012
Reisegruppe Fangopackung aufgepasst! Es folgen einige Reminiszenzen an ein ziemlich vermatschtes Festival. Wacken 2012 wird bei einem Großteil der Anwesenden wohl auf ewig mit dem Wort „Schlamm“ in Verbindung gebracht werden. Bereits im Vorfeld des wahrscheinlich größten Metalfestivals dieser Milchstraße machten panische Meldungen die Runde:

+++keine Anreise vor Dienstag möglich+++neben dem Zelt parken wird wohl nix+++Herr lass Wind wehen+++Wacken 2012 rain or…rain+++

Aufatmen dann am Wochenende vor dem Festival. Ein ortsansässiger Bauersmann verspricht Sonnenschein und Trockenheit für die kommenden Tage. Die Szenerie entspannt sich, das Festival ist gerettet. Und wieder einmal zieht eine Rekordkulisse in eine kleines Kaff im Norden unserer Nation, um Helden wie den SCORPIONS, MACHINE HEAD oder VOLBEAT zu lauschen. Dabei hatten die Veranstalter wieder einmal alles Menschenmögliche gemacht, um für die besonderen Highlights zu sorgen. So wurde die W.E.T. Stage kurzerhand in das größte Festivalzelt der Welt verschoben und ein logistischer Volltreffer gelandet. Auch ansonsten darf man an dieser Stelle wieder verraten, dass die Organisation eine herausragend gute Arbeit geleistet hat. Wettergott spielen können die Jungs eben noch nicht.

Mittwoch

Anreisetag. Nachdem im letzten Jahr bereits eine Mischung aus aggressiv-obskuren Metal Battle Gewinnern und Blaskapellen für gute Stimmung auf dem Gelände gesorgt hat, ist dieses Mal natürlich wieder die hiesige Beer Garden Stage Anlaufstelle Nr.1. MAMBO KURT, FIREFIGHTERS, BLECHBLOSN…so heißen die Stars am Eröffnungstag des W:O:A. Durch die Auslagerung der W.E.T. Stage / Headbanger Stage in das angesprochene Megazelt, gibt es nun auch kein Duett mehr zwischen Trompeten und Breakdowns. Stattdessen ist der Platz vor der Bühne aber derart überfüllt, dass gute Sitzgelegenheiten zur Rarität werden. Es bleibt bei einigen Begrüßungsbierchen und ein wenig Hintergrundbeschallung. Der Zeltplatz und die Luftmatratze erscheinen am heutigen Tag irgendwie als angenehmere Alternativen. Morgen ist ja auch noch ein Tag…

Donnerstag

Man wird alt. Das merkt man schon daran, dass die Wanderungszeiten Richtung Festivalgelände weniger häufig und vor allem später in Angriff genommen werden. Andererseits hat die Geschmacksverirrung der Veranstalter Arschbomben wie JIM BREUER zur besten Sendezeit auf die Hauptbühne zu lassen auch nichts mit Alterserscheinungen zu tun. Das Angebot ist auch wahrlich kein Augenöffner. SKYLINE gibt´s in jedem Jahr, SEPULTURA werden mit Trommelband begleitet und um sich Wrestling im Zelt anzugucken ist meine Armseligkeit noch nicht hoch genug.bg

SEPULTURA als Auftakt ins W:O:A 2012. Das hätte ich mir eigentlich nicht träumen lassen, denn ich gehöre zu den Leuten, die die Brasilianer nach dem Weggang von Onkel Max aus den Augen verloren haben und das nachfolgende Material nicht sonderlich ansprechend fanden. Dennoch musste ich mir die Truppe dieses Mal antun, denn die Aussicht etwas Besonderes geboten zu bekommen war ja in höherem Maße wahrscheinlich, da ich besonders im Bezug auf das ältere Material gespannt war, wie sich die Zusammenarbeit mit den französischen Trommlern von LES TAMBOURS DU BRONX machen würde. Und ich muss sagen, dass ich extrem positiv überrascht war. Nicht nur das alte, sondern auch das neuere Material wurde erheblich aufgewertet und machte enorm viel Spass. Zudem ließ sich die Band von der Begeisterung der Franzosen anstecken, sodass unterm Strich eine hervorragende Leistung zu bescheinigen ist. So etwas tut man sich gerne wieder mal an.ts

Ich erschrecke mich schon fast vor mir selbst, als ich mich zur fast nachtschlafenden Stunde um 19:00 Uhr endlich vor U.D.O & Special Guests vor der True Metal Stage wiederfinde. Dass der melodische Altherren Rock/Metal nicht unbedingt my cup of tea ist, versuche ich beim Wacken traditionell auszublenden. Und so muss ich durchaus anerkennen, dass Herr Dirkschneider noch immer ein großartig röhrendes Rockorgan besitzt, das bisweilen durchaus Laune macht. Dass unter anderem DORO zu seinen Gaststars gehört, muss wahrscheinlich gar nicht mehr erwähnt werden. Ein angenehmer Auftakt in das diesjährige Festival, der aber auch genau dem entspricht, was man sich so erwartet.bg

SAXON waren zwar schon ca. 273 mal in Wacken, gesehen habe ich die aber bislang noch nie. Da für mich nichts Besseres auf der Speisekarte zu finden war, gab es für mich eben mal die Premiere. Tja, war schon ganz nett. Die Performance war echt gut, der Sound auch und die Spielfreude der Briten tat das ihrige um die Stimmung ausreichend anzuheizen. Für den Freund dieser Band sicherlich toll, aber da es nicht so ganz meine Musik ist fing ich dann doch an mich irgendwann zu langweilen.ts

Dass im Melodic Metal Sektor durchaus etwas möglich ist, beweisen mir die Altstars von SAXON. Binnen weniger Minuten schwimmt eine Horde von Crowdsurfern über die die Massen und schon frühzeitig kommen die Securities ordentlich ins Rudern. Kein Wunder, denn Kracher wie „Wheels of Steel“ rocken einfach wie Bolle. Dennoch schenke ich den Briten nicht meine komplette Aufmerksamkeit, denn…

…auf der W.E.T. Stage wird es nun Zeit für brachialere Töne. Nachdem ich mir erstmal verwundert über die Größe des Zeltes die Augen gerieben habe, komme ich bei den ersten Gitarrenriffs der Band um Fronter Trevor Phipps wieder zu Sinnen. UNEARTH stürmen die Bühne und können dafür schon ein stattliches Publikum für sich gewinnen. Vor allem die fast schon als Klassiker zu bezeichnenden Kracher „Endless“ und „The Great Dividers“ machen amtlich Freude. Es herrscht durchaus Action vor der Bühne. Und während mir beinahe meine Kappe vom Metalscheddel getreten wird, erinnere ich mich daran, dass ja gleich auf der True Metal Stage wieder volles Programm herrscht. Wacken 2012 wird auf jeden Fall ein laufintensives Festival.

Den Anfang von VOLBEAT habe ich daher bereits verpasst. Die Verspätung stellt sich im Nachhinein aber gar nicht als unfassbar unglücklich heraus. Die Dänen wirken anno 2012 abgezockter, reifer und professioneller. Das mag zwar für musikalische Qualität sprechen, wirkt sich aber nicht unbedingt förderlich aus, wenn eine Band auch sehr viel von seiner Show lebt. Während ich mich durch die Massen kämpfe, hallen Titel wie „Caroline Leaving“ irgendwie bedeutungslos an mir vorbei. Wer die Jungs – wie ich – schon vor einem halben Jahrzehnt vor einem Minipublikum gesehen hat, wird irgendwie enttäuscht. Es findet kaum Interaktion mit den Zuschauern statt. Ausrufezeichen werden eher durch die Gastakteure gesetzt, von denen Mille (KREATOR) seine Sache deutlich besser macht als auf Tour (schlechter als damals in Düsseldorf geht’s aber auch kaum) und Barney (NAPALM DEATH) sowieso immer auf Ausrast-Modus eingestellt ist, sobald er die Bühne betritt.
Ein Highlight bleibt allerdings „Poole of Booze, Booze, Booza“, das livehaftig einfach Ärsche tritt. Spannend wird es auch bei der Premiere eines neuen Titels, der kurz angespielt wird. Die paar Sekunden geben aber kaum Aufschluss über mögliche Änderungen im Soundstil. Und so sind schließlich beim abschließenden „Still Counting“ die letzten Sekunden gezählt, die dann mal wieder mit dem Anspielen von SLAYERs „Raining Blood“ endgültig abgeschlossen sind. Immerhin sorgt dieses Gitarrenriff bei mir für abschließende Zufriedenheit, so dass der Gang durch die Dunkelheit in Richtung Zelt größtenteils headbangend verbracht wird.bg

Ähnlich wie Kollege Greb habe ich die Dänen VOLBEAT schon seit Jahren verfolgt. Ich hatte schon deren Musik zu Hause, als die noch gar keiner kannte (dem Internet sei es gedankt). Was nun das Liveerlebnis angeht, so muss ich Basti zustimmen. Geile Show, aber auch mittlerweile einfach zu professionell. Da steht was auf der Bühne, was zwar musikalisch eindeutig mitreißen kann, aber irgendwie ihr Ding durchzieht, komme was da wolle. Auch wenn ich meinen Spass hatte, bleibt da ein durchaus zwiespältiges Gefühl über.ts

Freitag

Chaos. Untergang. Zerstörung.
Was an diesem Freitag auf das Gelände herniederprasseln sollte, ist selbst für eingefleischte Festivalbesucher ein grenzwertiges Erlebnis. Dabei erstrahlt in den Morgenstunden und bis zum frühen Nachmittag zunächst die Sonne. Das animiert zum Boule spielen und die Zeltnachbarn zum Nacktpokern. Wacken eben. Leider hält der Sonnenschein nicht an. Dunkle Wolken ziehen herauf. Möglicherweise wegen finsteren Bands wie ENDSTILLE, die sich bereits vormittags auf den großen Bühnen tummeln.bg

Guten Morgen sonniges Wacken. Der Freitag beginnt angenhem warm und trocken und vor allem laut und heftig. Warum man allerdings eine Truppe wie ENDSTILLE gleich morgens zum Frühstück präsentiert bleibt wohl das Geheimnis der Veranstalter. Und der Meinung war ich offensichtlich nicht alleine, denn ich habe auf dem Feld um diese Zeit noch nie so viele Menschen vor der Bühne gesehen. Aber wer da war, der bekam eine mehr als ordentliche Show geboten, in der es sowohl altbewährte als auch neue Songs auf die Ohren gab. Von der extrem guten Stimmung in der Menge angestachelt, ließ sich sogar Frontmann Zingultus zu dem einen oder anderen lockeren Spruch hinreißen. Die Jungs aus Kiel waren für mich persönlich ein Highlight, auch wenn hier prinzipiell nichts wirklich Weltbewegendes oder Neues geboten wurde.ts

Gegen 16:00 Uhr besucht uns ein heftiger Regenguss. Im Grunde kein unfassbar dämliches Ereignis, wäre da nicht der inzwischen vollkommen aufgeweichte Boden, der durch tausende von Füßen immer weiter destabilisiert wird. Die Schlammschlacht beginnt…

Kurioserweise findet zu diesem eher ernüchternden Zeitpunkt eine der größten Partys des Wochenendes statt. Verantwortlich hierfür zeichnen sich THE BOSS HOSS, die dem geneigten Bloodchamber-Leser wohl eher aus dem breiten Feld der chartstauglichen Massenmedien bekannt sein dürften. Dass die Jungs auch ordentlich rocken können, beweisen sie am heutigen Tag mit einer Songauswahl von zart bis hart – ohne dabei natürlich in wirklich brachiale Gefilde überzutreten. Der biergeschwängerten Stimmung vor der Bühne tut der Sound natürlich gut. Man kann Songs wie „Word Up“ eben in jedem Zustand mitgrölen. Und so bleibt der Auftritt durchaus eine Bereicherung. Oder um es im angemessenen Juroren-Jargon zu formulieren: „Ich würde euch gerne in meinem Team sehen!“

Was könnte es passenderes geben als einen Übergang von THE BOSS HOSS zu OPETH? Über die Bandauswahl und die Running Order des Wacken Festivals kann man seit Jahr und Tag herzhaft streiten. Geht man mit der Einstellung an die Geschichte, dass hier nunmal Mulit-Kulti herrscht und sich alle möglichen spielfreudigen Bands unter dem Deckmäntelchen Rock/Metal die Klinke in die Hand geben, kann man natürlich wenig falsch machen. Dennoch darf man sich durchaus auch fragen, ob es stimmungstechnisch wertvoll ist, eine solche Konstellation wie die jetzige zu wählen.
Fröhliche Hüpfstimmung verwandelt sich dank Akerfeldt und Co. binnen Sekunden in verträumtes Schwelgen. Grinsen verkommt zur Faszination. Wildes Headbangen mündet in gepflegtes Kopfnicken und anerkennendes Kinnbartkratzen. OPETH haben es drauf. Dennoch kommt man sich nach diesem abrupten Übergang vor wie in einer Vorlesung über Kernphysik. Dass Akerfeldt inzwischen gänzlich aufs Growlen verzichtet und mit seinen Ansagen hier und da etwas arrogant daher kommt, sorgt nur weiter dafür, dass man die Show irgendwie eher als Hintergrundrauschen wahrnimmt. Für die große Festivalbühne scheinen OPETH nicht gemacht zu sein.bg

Mein Reden. OPETH und Festival, das geht gar nicht. Musikalisch macht den Schweden natürlich keiner mehr was vor. Aber wie schon angesprochen könnten die vielleicht ein wenig Nachhilfe in Sachen Show vertragen. Zu viel spielt sich einfach nur noch über Mikael ab, der schon seit Jahren die gleichen Witze präsentiert, die eine Art Humor haben, den man einfach mögen muss. Die Songauswahl geht zwar in Ordnung, aber wenn man OPETH schon häufiger gesehen hat, dann verschwindet die Faszination recht schnell, besonders eben auf einem Festival.ts

Den Schalter für die Partylaune zu finden ist nun gar nicht so einfach. Dennoch versuchen Mikeal Stanne und Oscar Dronjak alles, um aufkommender Lethargie entgegenzuwirken. HAMMERFALL machen – und das sage ich ohne jede Polemik – live wirklich Bock! Und das sogar gute drei, vier Songs lang. Danach hat man alles gehört. Der Rest tut aber niemandem weh. Also gilt weiterhin das Rezept: Bier + HAMMERFALL = kann man gucken.

Weiterhin erschrecke ich mich vor meiner eigenen musikalischen Selbstverstümmelung. Es geht rüber zu LEAVES EYES, was meinem Geschmack in etwa so nahe kommt, wie Rosenkohl mit Kapern. Passend zu der Seen- und Matschlandschaft vor der Bühne fahren die Symphonic Rocker ein Schiff und zahlreiche Wikinger als Hintergrunddeko auf. Blanke Ironie! Das schützt auch nicht mehr vorm musikalischen Untergang, möchte man meinen. Doch so übel ist das Ganze nun auch nicht. Liv Kristine hat die Grenzen der Selbstinszenierung zwar längst überschritten, singen kann sie dennoch. Die eine oder andere Hookline geht – ob bierinspiriert oder nicht – durchaus fluffig ins Ohr und im Nachhinein kann man überall erzählen: „ich war dabei!“ Inwiefern einem das etwas bringt, mag jeder selbst für sich entscheiden.

Danach muss man erst einmal wieder zu Kräften kommen. Eine Wanderung entlang der Essens- und Getränkestände steht auf dem Programm, während IN FLAMES im Hintergrund loszocken. Ich schenke mir die Schweden ausnahmsweise. Man hat sie schließlich oft genug gehört und biege danach ins Zelt ab, wo die Norweger AURA NOIR ihren rumpeligen Black/Thrash/Punk zum Besten geben. Die kompromisslose Wucht, die mich mit dem Betreten des Bühnenvorplatzes erwischt, schlägt die Erinnerungen an die ganze klischeehafte Metalware der letzten Stunden wie ein Donner aus meinem Gedächtnis. Auf der anderen Seite kann ich mich kaum an eine griffige Struktur im Sound der gerüchteweise „hässlichsten Band der Welt“ erinnern. Zu sehr liegt die Betonung auf ruppiger Druckattitüde und derbstem Thrashgewemse. Ich danke für diesen Befreiungsschlag und lasse mich erschöpft zu Boden sinken.

Eine Stunde später – das muss man erstmal so hinkriegen – schlage ich passend zu den ersten Tönen von INSOMNIUM wieder die Augen auf. Es ist tiefste Nacht, der Tag hat an Kräften und Nerven gezerrt. Draußen regiert der Matsch. Man kuschelt sich zusammen und lauscht gespannt den Tönen des Intros „Inertia“. Melancholische Klänge, die sofort vereinnahmend und beruhigend wirken. Der Schwerpunkt des Auftritts liegt auf dem aktuellen Output „One for Sorrow“, das fast in Gänze bedient wird. Zwar vermisse ich den einen oder anderen älteren Song zutiefst, dennoch wird mir langsam bewusst, dass ich in diesem Moment dem bis dato angenehmsten und zufriedenstellendsten Auftritt des bisherigen Wochenendes lausche. Bekannte Töne umschmiegen meine Ohren und ich habe zum ersten Mal überhaupt das Gefühl, dass es sich bandtechnisch mal wieder gelohnt hat, hierher zu kommen. Gleichgesinnte Mitstreiter lassen ausdauernd ihre Matte kreisen. Crowdsurfer bequemen sich auf die Köpfe ihrer Gesellen und ein anerkennender Applaus brandet nach jedem Titel auf. So muss das sein!

Dass sich das Warten auf diese Freitagnacht gelohnt hat, beweisen im Anschluss daran GHOST BRIGADE. Inzwischen ist es schon nach zwei Uhr und die Reihen haben sich ziemlich gelichtet. Das ermöglicht den Gang zu den vordersten Plätzen und einen freien Blick auf Manne Ikonen, der in den folgenden 45 Minuten, typisch finnisch eben, eher zurückhaltend-traurig sein Mikro umklammert und eine Zeit der Tristesse, Melancholie und Depression einläutet. Schon mit dem ersten Gitarrenriff hat mich die Band im Griff und beweist, dass sie neben KATATONIA die Speerspitze dieses Genres bildet. Und während Titel wie „Into the Black Light“ oder „Breakwater“ über die Zuschauerschaft hinweg wehen, fühlt man sich selbst wie getragen und an einem anderen Ort.
Viele Besucher um mich herum schließen die Augen, verarbeiten Schmerzen, machen sich Hoffnung, träumen sich an schöne und traurige Augenblicke zurück. Man fühlt sich nicht einfach von guter Musik angesprochen, sondern auch emotional. Als beim abschließenden „Soulcarvers“ die letzten Töne verhallen, wäre ich am liebsten in die Knie gesunken. Ein großartiges Finish und ein Auftritt, der mich auf dem Heimweg in Gedanken noch weiter begleitet und vielleicht auch darüber hinweg sehen lässt, dass ich mich in einer verdammten Schlammwüste befinde, die sich inzwischen bis zum Zeltplatz erstreckt. Draufgeschissen…es gibt essentiellere Dinge im Leben als Schlamm, über die man sich Gedanken machen kann…Gute Nacht!

Samstag

Mit Buhrufen verabschiedet, mache ich mich an diesem Morgen schon zum dritten Mal infolge zu den Duschräumen des W:O:A auf. Das gänzlich unmetallische Verhalten wird noch dadurch getoppt, dass man quasi ohne Bierkonsum im Anschluss in Richtung Bühnenplatz pilgert. Der Boden hat sich – trotz Wetterbesserung – nicht erholen können. Die arschgeile Idee, auf umher wabernde Pfützen ein wenig Rindenmulch zu kippen, entpuppt sich als Trugschluss und Trittfalle. Manches Mal gleitet man knietief in Sumpflöcher hinab. Einige Besucher haben inzwischen jegliches Schamgefühl verloren und rutschen bauchwärts Richtung Gelände (einfach mal durchs Internet wuseln, da gibt’s ein paar richtig coole Fotos!).

Während ich die Füße aufs oder eher ins Gelände vor der Black Stage setze, zocken die Niederländer DELAIN eine bewährte Schöne-und-das-Biest-Kombination aus Klargesang der holden Maid und tiefen Growls der bösen Männergestalt über das weite Areal. So weit, so unbedeutend. Immerhin scheint heute der Sound ziemlich fett zu sein. Zumindest brummt es deutlich druckvoller als am Vortag in der Magengegend, während „Sever“ und „Control the Storm“ gezockt werden. Es wird doch wohl kein Bierschiss sein?

Ein bissel Tradition muss sein. Da steht es auch überhaupt nicht zur Debatte, dass ich mir anschließend GAMMA RAY auf den Zahn lege. Und die Truppe um Kai Hansen beweist eindrucksvoll, dass melodischer Power Metal durchaus mit Eiern präsentiert werden kann und auch ein modernes Publikum anspricht. Die eigene Songauswahl kann sich hören lassen. Außerdem hat man mit „Ride the Sky“ und vor allem „I want Out“ noch zwei HELLOWEEN Cover im Gepäck, die fast schon für Ekstase sorgen.

Weiter geht’s zum nächsten Kontrastprogramm. PARADISE LOST spielen auf der kleineren Party Stage (welch ein Paradoxon!) und müssen mit NAPALM DEATH konkurrieren. Das sorgt für das alteinhergebrachte Problem beim Wacken, dass man ab und an gröbstes Todesbleigeholze hinüberschwappen hört und sich Nick Holmes gleich mehrfach über den Gesundheitszustand seines Kollegen Barney erkundigt. Musiziert wird auf der Party Stage aber auch. Und zwar amtlich! Denn PARADISE LOST stecken allerhand Highlights in ihr Set und beweisen, dass sie ordentlich rocken können. Ob beim Opener „The Enemy“, den unzerstörbaren „One Second“ und „Erased“ oder dem neuen Material von „Tragic Idol“ – hier kommen alle auf ihre Kosten. Klar, wer PARADISE LOST schon öfter gesehen hat, wird nicht sonderlich überrascht. Aber wer die Bands zu seinen Faves zählt, hat durchaus etwas geboten bekommen.

Anschließend geht es wieder einmal Richtung Zelt, wo grade WETO ihre Version der neuen deutschen Härte präsentieren und mich daher an eine Mischung aus sanften RAMMSTEIN und IN EXTREMO ohne großartigen Folkklamauk erinnern. Das lässt sich durchaus als akzeptabel einstufen, auch weil heute der Keyboarder im Stau steht. Aber „mit dem Keyboard ist es wie mit den Kondomen. Man braucht sie halt, aber ohne ist eigentlich schöner“, wie Sänger Thomas Lindner süffisant bemerkt. Na dann...

Der eigentliche Grund des Zeltbesuches ist allerdings der folgende Auftritt der amerikanischen Sludge-Band KYLESA. Bis auf die imponierenden, aber nicht unbedingt soundmäßig auffallenden zwei Schlagzeug-Aufbauten, ist der gesamte Gig aber eher unter der Kategorie „tut niemandem weh“ einzustufen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich gleich drei Sänger/innen die Kreisch-Growl-Cleangesang Abteilung teilen. Das Ganze versprüht nicht die Soundwand, die ich mir erhofft hatte. Also geht es wieder an die frische Luft und Richtung Party Stage. Immer dieses Gerenne…

Als etwas deplatziert, aber halt auch irgendwo Kult und daher passend, sind SICK OF IT ALL zu bezeichnen. Tatsächlich schaffen es die New Yorker mit ihrem Hardcore der ersten Stunde eine beachtliche Anzahl an Anhängern vor der Bühne zu versammeln und sogar einen Circle Pit auszulösen. Auf Schmierseife ist dieses Unterfangen nämlich gar nicht mal so einfach, so dass einige spektakuläre Abflüge zu verzeichnen sind. Es wird sich aber immer fleißig aufgeholfen und weiter mit gegrölt. Ein gelungener Auftritt und eine schöne Abwechslung! In Zukunft bitte mehr davon, liebe Veranstalter!

Im Anschluss heißt es beten, denn die christliche Rockband TESTAMENT gibt sich die Ehre. Wer nun weihrauchgeschwängerte Darbietungen á la GHOST und Co. erwartet liegt natürlich daneben. Die Bay Area Thrasher gehören schließlich zur Creme de la Creme der Szene. Und das beweisen sie an diesem Tage mit eindrucksvoller spielerischer Qualität. Das neue Langeisen „Dark Roots of Earth“ wemmst ohnehin so ziemlich jeder Magengrube zusammen. Also warum nicht direkt mit „Rise Up“, dem dazugehörigen Opener starten? Chuck Berry sieht zwar mit seinem portablen Mikroständer weiterhin hinterwäldlerisch aus, grölen kann er dafür wie eh und je. Schon während des Gigs spürt man bei den Anwesenden aufsteigende Euphorie. Es zieht immer mehr Besucher vor die Bühne, während Klassiker wie „Over the Wall“ und „Into the Pit“ zum Besten gegeben werden. Zwar fehlen mir persönlich einige Diskographie-Perlen, dennoch war dies einer der gelungensten Auftritte des ganzen Festivals.

Im Anschluss gönne ich mir eine kurze musikalische Pause. Man wird schließlich nicht jünger und auch Journalisten eines Online Musikmagazins ernähren sich nicht nur von Promos. Und so sind es die Töne von „Death in Fire“, die sich als nächstes in mein gedankliches Zentralmassiv einbrennen. AMON AMARTH haben die Bühne erklommen und erschaffen dabei eine mächtige Soundwand, die jeden ortsansässigen Wikinger eindrucksvoll in Ekstase versetzt. Die Schweden agieren gewohnt zuverlässig. Druck, Druck, Druck – Grölen, Grölen, Grölen. Und das Ganze in Verbindung mit Humppaa-Melodien, die fluffiger kaum ins Ohr gehen könnten. Man kann mit Hymnen wie „Pursuit of Vikings“, „The Fate of Norns“ oder dem abschließenden „Guardians of Asgaard“ aber auch mal gar nichts falsch machen. So ganz werde ich den Hype um diese Truppe allerdings nie verstehen. Und hübscher als bei anderen Bands ist das Merchandise nun auch nicht…

Hübsch ist ein gutes Stichwort. Denn anschließend ist es Zeit für die SCORPIONS, die vielleicht für die ein oder andere Old School Dirne attraktiv sein könnten. Auch wenn die Hannoveraner nicht unbedingt mein erklärter Favorit auf diesem Festival sind, so sieht man die Jungs nicht alle Tage. Auch wenn sie sich nun auf der gefühlt fünfzehnten Abschiedstournee befinden. Über 100 Millionen verkaufte Tonträger hat schließlich nicht jeder vorzuweisen. Also harrt man der Dinge die da kommen. Und zwar erst einmal 15 Minuten lang ohne dass irgendetwas passiert. Die Band um Fronter Klaus Meine lässt etwas länger auf sich warten. Das sorgt bei dem für Headlinerverhältnisse ohnehin nicht wahnsinnig zahlreich anwesenden Publikum für trübe Stimmung. Als dann nach einiger Zeit ein arktischer Platzregen einsetzt, verlassen viele Besucher sogar den Bühnenplatz.
Musik machen die Jungs natürlich trotzdem und ich bin überrascht, wie wenig ich von der Band kenne. Abgesehen davon erscheinen der Sound recht drucklos und die Darbietung des Ganzen recht plump. Ich schaue mich verwundert um und denke mir, dass ich als Laie wahrscheinlich einfach nicht checke, wie gut die Band doch eigentlich ist. Doch im weiten Rund erkennt man einige recht skeptische Blicke. Klaus Meine wirkt schwach auf der Brust. Die Band legt während des Gigs immer mal wieder instrumentale Passagen ein. Die üblichen Drumsolo-Geschichten sorgen desweiteren dafür, dass der gesamte Auftritt ohne Struktur und Halt bleibt. Auch die szenischen Darbietungen mit Statuen und dämlichen Feuereffekten sind eher belanglos als bereichernd. Als Zugaben gibt es mit „Still Loving You“ und natürlich „Rock You Like a Hurricane“ noch bekanntes Futter. Auf den Soundtrack zum Mauerfall verzichtet man allerdings. Bei aller Unwissenheit meinerseits bleibt auch rein objektiv betrachtet ein fader Beigeschmack. Die Band scheint ihren Zenit endgültig überschritten zu haben und es ist zu hoffen, dass diese Abschiedstour nun wirklich die Letzte ist.

Den Abschluss des diesjährigen Wacken Open Air bilden für mich MACHINE HEAD. Und die Thrasher aus Oakland beweisen mit dem ersten Gitarrenriff, dass sie nicht umsonst Headlinerstatus auf dem Festival besitzen. Natürlich ist die Musik ein deutlicher Kontrast zu den SCORPIONS. Was aber in der folgenden Stunde für eine Wucht und Power über den Bühnenplatz geschleudert wird, kommt einem Erdbeben gleich. Hätte der matschige Boden beben können, er hätte es wahrscheinlich getan. Und so wandelt sich das ohnehin schon mächtige „I Am Hell“ zu einer großartigen Dampfwalze, die zahlreiche begeisterte Besucher zurück lässt. Insgesamt zeigen sich Robert Flynn und Co. unglaublich spielfreudig. Zwar plappert der Frontmann wieder einmal unfassbar viel, dafür zeigt er das, was anderen Headlinern wie VOLBEAT oder der angesprochenen „Vorband“ aus Hannover größtenteils abhanden gekommen ist: Spielfreude, Begeisterung und Respekt. Die Jungs spielen nicht nur authentisch, sie freuen sich auch ungemein darüber, dass das Publikum trotz des Wetters so tapfer ausharrt, um ihren Tönen zu lauschen.
Ob die Truppe deshalb mit „A Thousand Lies“ eine selten gehörte Prachtschmerle vom Stapel lässt, darf natürlich diskutiert werden. Dennoch ist es ein Zeichen für die Besonderheit dieser Show, die natürlich auch gewohnt zuverlässige Nummern wie „Imperium“ und „Old“ bietet. Schwerpunkt ist das aktuelle Material, bei dem „Darkness Within“ trotz der vordergründigen Sanftheit wieder einmal ungewohnt heftig rüber kommt. Ein weiteres Highlight ist das headbang-prädestinierte „Halo“. Und so fühle ich in dem Moment, als die letzten Töne von „Davidian“ über mich hereinbrechen, dass dies der richtige Augenblick ist, um das Gelände mit einem positiven Gefühl zu verlassen und eine schöne Erinnerung an das Festival zu bewahren, bevor er von Nachfolgebands wie MINISTRY oder dem Suprise Act EDGUY möglicherweise vernichtet werden könnte.
Und so schlendere ich von dannen und mir kommen die ersten Worte für ein…

FAZIT

…in den Sinn. Bei einem derart großen Festival gibt es immer Grund zur Kritik, genauso wie es viele Ovationsmöglichkeiten gibt. Ein Großteil der Bands hat absolut überzeugen können. Das Publikum hat den schwierigen Bedingungen getrotzt und die Tage zu einem wieder einmal gelungenen Erlebnis werden lassen. Den Euphoriepegel des letzten Jahres konnte es allerdings nicht erreichen. Zu viele Schlammmassen waren im Weg. Einige Besucher mussten frühzeitig die Zelte abbrechen. Vor den Bühnen war deutlich weniger Bewegung möglich, weil man schlicht und ergreifend am Boden festklebte und matschige Crowdsurferstiefel noch widerlicher sind als trockene. Die Organisatoren müssen sich auch in diesem Jahr – bei allem Bemühen, das sie an den Tag legten – vorwerfen lassen, dass sie langsam an ihre Grenzen stoßen. Wie im letzten Jahr war es phasenweise grenzwertig überfüllt (z.B. bei VOLBEAT). Auch in Sachen Wetter waren die Veranstalter den Kapriolen irgendwann hilflos ausgeliefert. Die Rindenmulchhäufchen konnten nun wirklich nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen sein.
Dennoch an dieser Stelle eine dicke Respektsbekundung dafür, dass zumindest alles Menschenmögliche versucht wurde, den Matschmassen zu trotzen. Bleibt die Frage nach einer persönlichen Fortsetzung. Irgendwann endet eine jede Reise. Ob ich dem Wacken-Festival endgültig den Rücken kehre, steht noch in den Sternen. Eine Pause ist wohl angebracht. Ich danke für tolle Stunden, für gute Freunde und zahlreiches Lachen, für großartige Bands (INSOMNIUM, GHOST BRIGADE, MACHINE HEAD) und dafür, dass einem ein Festival zeigt, dass es im Leben mehr gibt als Sorgen und Stress – und da können auch tonnenweise Matsch nichts dran ändern.bg

Tom´s Fazit

Mein Fazit fällt für mich dieses Mal nahezu aus, wie eigentlich das ganze Festival als solches. Aufgrund der etwas angespannten Wetterlage und dadurch nicht mehr funktionstüchtigen Gegenständen, wie Schuhe oder Zelt, blieb mir dieses Mal nur die Abreise bereits am Freitag. Ich bin sicher, dass ich eine Menge weiteren Spass verpasst habe, aber aus dem Alter, dass ich frei im Regen die Nacht über irgendwo in der Pampa verbringe, bin ich leider raus. Was ich bis dahin erlebt habe unterstreicht aber, dass Wacken einen eigenen Standard erschaffen hat, der zwar immer kommerzieller wird (wenn das überhaupt noch geht), aber enorm weit oben auf der Skala angesieldet ist.

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