Estatic Fear - Somnium Obmutum

Estatic Fear - Somnium Obmutum
Black Doom Gothic Metal
erschienen am 01.10.1996
dauert 56:53 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. Des Nachtens suss' Gedone
2. Somnium Obmutum
3. As autumn calls
4. Ode to solitude

Die Bloodchamber meint:

Somnium Obmutum", das 1996 veröffentlichte Debüt der bis dahin vollkommen unbekannten Formation ESTATIC FEAR, hinterließ trotz eines zunehmend experimentierfreudigen metallischen Umfelds nur geringe Spuren, was nicht nur dem seinerzeit leicht überforderten Label CCP zuzuschreiben sein dürfte. Vielmehr sprengten die Österreicher im Verlauf ihrer gut einstündigen Traumreise vielleicht einfach ein paar Konventionen zu viel, setzten sich zu selbstsicher zwischen alle Stühle, als dass man sie - in welcher Nische auch immer - mit offenen Armen willkommen geheißen hätte.
Das sollte Freunde anspruchsvoller und grundlegend progressiver Musik allerdings nicht davon abhalten, diese epische Wundertüte sozusagen im Nachgang (und bestenfalls mit Textblatt!) zu entdecken - eine vielfältigere und dabei doch zusammenhängende Veröffentlichung haben die mittleren bis späten 1990er in Sachen Extremmetal meines Erachtens nicht aufzubieten.

Die Scheibe startet mit der instrumentalen Miniatur "Des Nachtens suss' Gedone" sehr besinnlich. Schon diese zwei Minuten deuten allerdings an, das man in Sachen Instrumentierung gerne mal von (damals) üblichen Pfaden abweicht: Durch den Einsatz einer Laute erhält das Stück einen quasi-barocken Anstrich und etabliert nebenbei den verträumten und verlorenen Ton, der sich unterschwellig durch den Rest des Albums ziehen wird.

Im Anschluss bricht das Titelstück fast doomig über den Hörer herein: Schleppendes Schlagzeug, hallbetonte Gitarren samt sorgenschwerer Leads, ein zarter Keyboardschleier, und dazu wird im Hintergrund auf Latein der Übergang in den Traum illustriert. Dann ein Moment der Ruhe, es wird dramatisch und erneut ein wenig ungewohnt: Die Kombination aus Orgel, Schlagzeug und Growls, später ergänzt um Spinett, Flöte und Klavier, war für die damalige Zeit nicht nur absolutes Neuland, sondern verströmt bis heute einen zwar spröden, aber durchaus erfrischenden Charme.
Nach dem knapp fünfminütigen Einstieg loten ESTATIC FEAR dann genüsslich verschiedenste Genres aus, nippen hier am schwarz treibenden Stahl, dort am naturverbundenen Folk, frönen der drückenden Schwere frühen Death Dooms ebenso wie der ätherischen Leichtigkeit barocker Poesie, die dann auch mit weiblicher Stimme umgesetzt wird. Man fühlt sich im Zuge dieser immer wieder umschlagenden 33 Minuten bisweilen an frühe EMPYRIUM erinnert, an (die erst ein Jahr später auftauchenden) HAGGARD und an Stimmungen, die Bands wie ULVER oder DISMAL EUPHONY am Anfang ihrer Karriere so trefflich einzufangen wussten. Und dennoch klingen die Österreicher auf diesem Album wie keine andere Band, wirken kompromissloser und gleichzeitig zielstrebiger in ihrem Ansatz, die emotionale Seite des Gesamtwerks über damals gängige instrumentale Konventionen zu stellen. Dass man in diesem Zuge auch die Lyrics dreisprachig hält (deutsch, englisch, lateinisch), verwundert wenig - warum ein deutsches Gedicht zwanghaft und allein des einheitlichen Gesamteindrucks wegen übersetzen, wenn es in seiner bestehenden Form doch genau die Regungen transportiert, die dem Autor am Herzen liegen?
Erwähnenswert ist darüber hinaus die Struktur des Monstersongs, denn trotz seiner zusammenhängenden Erzählung neigt man als Hörer vor allem bei den ersten Durchgängen dazu, die thematisch verknüpften Episoden isoliert wahrzunehmen. Die totale Abwesenheit von Strophe-Refrain-Schemata oder in irgendeiner Weise dominanten Themen tut ein Übriges, um den Zugang zu diesem in bestem Sinne progressiven Epos zu erschweren - "Somnium Obmutum" (der Song) bietet eine durch Momente von Ruhe und Verzweiflung, von Bitten und Aggression, geprägte - doch dabei niemals abreißende - Achterbahnfahrt durch die Geschichte eines Verlustes, der den Hauptcharakter letzten Endes zu einem Außenseiter nach eigener Wahl werden lässt. Die unglaubliche Erleichterung, die sich nach dieser Reise - nach einem letzten Aufbäumen und schlussendlichen Akzeptieren des eigenen Schicksals - im Outro einstellt, ist bis heute einer der schönsten Momente, die mir auf CD je untergekommen sind.

In der verhaltenen Dramatik des Instrumentals "As Autumn Calls" kündigt sich anschließend der zweite Song "Ode To Solitude" an, der durch Geräuschsamples von Schritten im Schnee und stürmischen Winden Bilder einsamer Gebirgslandschaften heraufbeschwört. Einmal mehr sind es vor allem EMPYRIUM und ULVER, die als atmosphärische Referenz durch das Panorama huschen - der deutlich kältere Eindruck, den das 19-minütige Schlussstück trotz zahlreicher mittelalterlicher Intermezzi hinterlässt, mag daran ebenso einen Anteil haben wie die hier meist gekrächzten Vocals.
Dennoch: Auch "Ode To Solitude" bietet von Flöte, gezupften Gitarren und diversen Keyboardsounds, bis hin zur hier etwas prominenter eingesetzten Violine alle Register auf, was im Verbund mit verstärkt auftauchenden Natursamples für eine ähnlich verträumte Stimmung wie im Titeltrack sorgt. Etwas kompakter vielleicht, leichter zu verfolgen, aber niemals in klassischem Sinne zugänglich. Wenn die Scheibe nach einer letzten Doublebass-Attacke schließlich mit sphärischen Tönen und einer einsamen Flöte ausklingt, möchte zumindest ich auch nach 16 Jahren gleich wieder von vorn beginnen - nicht weniger hat die Fundgrube ESTATIC FEAR nämlich verdient.

Eine Empfehlung für "Somnium Obmutum" lässt sich vor allem jenen aussprechen, die im nicht zu klassischen Black Metal zuhause sind und keine Berührungsängste in Richtung Klassik, Prog oder Doom haben. Die Scheibe schillert in allen musikalischen Farben, füllt den von (damaligen) Standards befreiten Spielplatz mit so vielen unerwarteten und dabei wirkungsvollen Einfällen, dass man über kleine Schwächen hinweg sehen kann.
Eine davon ist aus heutiger Sicht sicher der CCP-typische Sound, der in den extremen Abschnitten ein wenig (!) übersteuert wirkt, in den zahlreichen ruhigen Passagen jedoch hervorragend abgemischt ist. Eine andere, eher ästhetische Schwäche sind die bisweilen forschen Übergänge zwischen den einzelnen Parts - das ist man im Zeitalter von hochglanzpoliertem Postrock und sonstig ineinanderfließender Annehmlichkeiten schlicht nicht mehr gewohnt.
Auf der anderen Seite ist es vielleicht gerade die dadurch entstehende Authentizität, das durch die Spalten drängende Harsche und Garstige, das dem Ganzen bis heute seinen eigentümlichen Reiz verleiht. Das herauszufinden hoffe ich euch mit dieser Rezension ans Herz gelegt zu haben.
-