Underoath - Ø (Disambiguation)

Underoath - Ø (Disambiguation)
Progressive Metal / Hardcore
erschienen am 19.11.2010 bei Roadrunner Records
dauert 38:28 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. In Division
2. Catch Myself Catching Myself
3. Paper Lung
4. Illuminator
5. Driftwood
6. A Divine Eradication
7. Who Will Guard The Guardians
8. Reversal
9. Vacant Mouth
10. My Deteriorating Incline
11. In Completion

Die Bloodchamber meint:

Man kann vom noisig-emohaltigen, christlich inspirierten Post-Progcore von UNDEROATH ja halten was man will. Die Tatsache, dass sich das musikalische Konstrukt der Jungs aus Florida nicht mit einem Wort beschreiben lässt und obendrein auch noch von jeglicher anderen Band des Genres unterscheidet, ist aller Ehren wert. Wer über seine Karriere hinweg derart viele Stilwechsel vollzieht und dabei am Ende doch immer wieder wie UNDEROATH klingt, hat sich einen Wiedererkennungswert und eine individuelle Note erarbeitet, nach der viele Musiker ihr Leben lang suchen. Mit dem Abgang von Clean Sänger und Drummer Aaron Gillespie brach für viele Fans bereits im Vorfeld dieser Stellenwert ein Stück weit zusammen. Doch die Beruhigung folgt auf den Fuß: „Ø (Disambiguation)“ liefert wieder einmal zu 100% UNDEROATH!

Der größte Unterschied liegt sicher darin, dass Spencer Chamberlain nun allein das Mikrofon schwingt und dabei keine schlechte Figur macht. Die cleane Gesangsstimme hat er auch früher schon ausprobiert und im Vergleich zu Aaron klingt er sogar weniger aufdringlich. Und dass er mit seinem kräftigen Organ einer der besten Shouter des Genres ist, muss man einem Szenekenner auch nicht mehr sagen. Mit Daniel Davison (NORMA JEAN) wird die vakante Stelle am Schlagwerk ebenfalls vorzüglich besetzt. Kann da überhaupt noch etwas schief laufen?

„Ø (Disambiguation)“ liefert den Beweis dafür, dass man sich auch ohne Aaron noch weiterentwickeln kann ohne dabei seine ureigenen Trademarks zu vernachlässigen. Wieder gibt es diese typischen flirrenden Gitarrenwände, Laut-Leise Spielereien, wuchtige Gitarrenriffs, die sanfte Klangteppiche wie ein Donnerschlag zerschmettern. Es wird konstant zwischen cleanen und geshouteten Vocals gewechselt. Dissonante, fast hektische Strukturen werden mit sanften Momenten gepaart als sei es das Normalste auf der Welt. Dazu gesellen sich stimmige elektronische Spielereien, denen mehr Raum geschenkt wird als je zuvor. Der große Unterschied zu den Vorgängern liegt aber in der Progressivität. Gab es bei den bereits nicht immer leicht verdaulichen Vorgängern zumindest noch eingängige Melodiemomente, die sich eher zutraulich an die Ohren des Hörers schmiegen, sucht man solche auf „Ø (Disambiguation)“ vergeblich. Das Album fordert ungemein und schreit nach zahlreichen Durchläufen. Schon der Opener „In Division“ kämpft trotz eines wiederkehrenden Refrains unterschwellig gegen jegliche Zugänglichkeit an. Das Album ist als Ganzes roher und kantiger. Dadurch entstehen auf der einen Seite in Sachen Songwriting herausragenden Songs wie „Paper Lung“, das in seiner mitreißenden Wirkung dem Hörer kaum Zeit gibt darüber nachzudenken, welcher Teil des Songs einen eigentlich jetzt so sehr geplättet hat. Ein Vergleich zu den DEFTONES in „White Pony“-Zeiten sei hier durchaus gestattet – im corigen UNDEROATH-Gewand versteht sich! Der gestiegene musikalische Anspruch drängt auf der anderen Seite die verträumte Atmosphäre, die die Vorgängeralben noch so stark prägten, ein Stück weit zurück. Zum Träumen und Abschweifen wird man hier eher selten eingeladen, auch wenn „Who Will Guard the Guardians“ sich durchaus Mühe gibt. Die leicht psychedelischen Stücke „Reversal“ und „Driftwood“ können trotz ihrer ruhigeren Art daran auch nichts ändern.

Was bleibt? „Ø (Disambiguation)“ ist ein in Sachen Songwriting und Instrumentalarbeit unheimlich reifes und dichtes Album. „Paper Lung“ gehört sicherlich zu den stärksten Songs, die die Band je geschrieben hat. Auf der anderen Seite vermisst man die großartige, leicht melancholisch-verzweifelte Atmosphäre, die vor allem „Define The Great Line“ so geprägt hat. Auch der – meiner Meinung nach weniger schwer wiegende – Verlust an Zugänglichkeit und der starke Schwung der progressiven Soundkeule dürfte für viele Fans eine schwierige Hürde sein. „Ø (Disambiguation)“ braucht Zeit und wird die Genreanhänger im Endeffekt nicht enttäuschen. Wahrscheinlich wird die Freude überwiegen, dass das Album ein mehr als ordentlicher Beweis dafür ist, dass es auch ohne Aaron weiter gehen wird. Als Ganzes betrachtet bleibt „Ø (Disambiguation)“ dennoch ein Stück hinter den Vorgängern zurück.
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