Per E-Mail zum ultimativen Glück

Per E-Mail zum ultimativen Glück

Special
02.08.2005
Irgendwas stimmt nicht mit mir. Aus einem unerklärlichen Grund ist mein Leben nicht so, wie es eigentlich sein sollte. Im Grunde geht es mir zwar gut, aber es bleibt dennoch stets das unterschwellige Gefühl, dass das gewisse Etwas zum kompletten Glücklichsein noch nicht gefunden wurde. Was könnte das nur sein? Ich habe eine einigermaßen anständige Wohnung. Der Job macht Spaß und bringt genügend Einkünfte, um meinen wenig anspruchsvollen Lebensstil zu finanzieren. Das musikalische Hobby sorgt für genügend Abwechslung im Freizeitbereich und wenn mir einmal danach sein sollte, fremde Länder und fremde Menschen kennen zu lernen, werfe ich einfach eine DVD ein und dann ist die Welt in Ordnung. Gut, das Liebesleben ist nicht wirklich zufriedenstellend, aber daran hat man sich im Laufe der Zeit auch schon gewöhnt. Es geht mir also angesichts terroristischer Anschläge, hoher Arbeitslosenzahlen und dem Hunger in Afrika eigentlich prima. Wenn da nur nicht dieses komische Gefühl wäre...

Aber glücklicherweise leben wir ja im Zeitalter der elektronischen Post, die uns viele unerwartete evolutionstechnische Vorteile mit sich bringt. Nicht nur, dass man damit seiner Oma die Urlaubsgrüße direkt und ohne merkliche Zeitverzögerung aus den Tropen zukommen lassen kann, ein weiterer Vorzug der neuen Technik ist deren Problemlösefähigkeit. Die Entwicklung ist mittlerweile sogar schon so weit, dass ich mein tiefsitzendes Problem noch nicht einmal formulieren muss. Nein, freundliche Menschen aus aller Welt geben mir hilfreiche Tipps, was denn dieses geheimnisvolle Etwas sein könnte, um mich endlich vollkommen zu fühlen.

Die augenscheinlichste Idee ist zunächst das Vorhandensein einer solch unglaublichen Menge Geld, dass man das Wort „Luxus“ in jedes Auto seiner fußballplatzgroßen Garage hereingravieren und in die Hintern eines jeden seiner hundert Bediensteten eintätowieren kann. Möglichkeiten, an dieses Geld heran zu kommen, gibt es viele. Zum einen wären da die häufigen Lottogewinne, die ich mir nur noch abzuholen brauche. Das Eingeben einer gültigen Kontoverbindung reicht dabei aus, die freundliche Lottogesellschaft überweist mir ohne Bearbeitungskosten dann prompt den gewonnen Betrag im 6-stelligen Bereich.
Falls mir dies aber zu leicht verdientes Geld sein sollte, dann kann ich es ruhig mit etwas ehrlicher Arbeit versuchen. Multi Level Marketing sowie Börsenspekulationen sind da das Zauberwort. Und mit den erfolgversprechenden Systemen bei ersterem sowie den Insider-Geheimtipps bei letzterem brauche ich mich nach einer kurzen Einarbeitungsphase und einem sehr geringen Startkapital nur noch regelmäßig in meinen Online-Account einloggen und eierschaukelnd die wachsenden Einkünfte beobachten.
Als Alternative gäbe es dann auch noch eine gewisse Susan Shabangu, Ehefrau eines verstorbenen Multimilliardärs, der vor seinem Tod ein nicht ganz unerhebliches Sümmchen auf einem belgischen Nummernkonto hinterlassen hat. Da die gute Frau als Südafrikanerin ein gewisses rechtliches Problem mit der Übernahme dieses Geldes hat, bittet sie mich in regelmäßigen Abständen (wahlweise auch unter anderer Identität, um ihre Familie zu schützen) um meine Mithilfe bei der ordnungsgemäßen Verteilung dieses Geldes, welche sie mir großzügigerweise mit 20% des Geldbetrages vergüten möchte.
Aber ich glaube, ich bin wohl eher der Typ Mensch, der das Geldverdienen gern mit dem Amüsement verbindet. Da scheinen mir die Gewinnmöglichkeiten der unzähligen humanitär ausgerichteten Online-Casinos erfolgversprechend zu sein. Abwechslungsreich, spielerisch und mit pervers hohen Quoten – da macht Geldverdienen Spaß.

Aber nicht nur das Geldverdienen macht glücklich, auch das Geldbehalten sorgt für jede Menge Glückshormone. Sparen heißt die Devise. Warum sollte ich denn all den riesigen Konzernen mein sauer verdientes Geld in den Rachen werfen? Warum sollte ich für Software, Musik, DVDs, Elektronikartikel und Waffen diese überteuerten Preise bezahlen, wenn ich die Möglichkeit habe, für einen kleinen Bruchteil des empfohlenen Verkaufpreises gleichwertige Produkte über das Internet zu bestellen? Handbücher, Booklets, Bedienungsanleitungen oder Sicherheitssiegel – wer braucht das schon? Früher musste man für solche Schnäppchen ungemütliche dunkle Seitenstraßen mit ebenso düsteren Einwohnern aufsuchen, nun geht das ganz einfach per Post aus Übersee. Geiz ist geil – das trifft selbst auf reiche Menschen zu.

Womöglich macht aber auch Geld nicht glücklich, da sollte man es vielleicht einmal mit Drogen versuchen. Angebote gibt es da ja genügend. Aufputschmittel bringen meinen Kreislauf in Wallung. Antidepressiva hellen meine Stimmung auf. Ecstasy-Pillen erweitern meine Ausdauerfähigkeit und Sensibilität. Und Beruhigungspillen in Kombination mit Schlaftabletten bringen mich dann wieder runter, falls es mir zu viel werden sollte. Tja, die Pharma-Industrie kennt unsere Sorgen und Nöte und seit neuestem gibt es dank 48-Stunden-Online-Service nie mehr Versorgungsprobleme.

Was nützt einem aber die beste Laune, wenn man dennoch alleine zu Hauser herum hocken muss? Aber auch dafür hat das World Wide Web eine Vielzahl an Lösungen parat. Vielleicht sollte ich meine alten Schulfreundinnen Natascha, Sarah oder Chantal mal wieder treffen? Ich kann mich zwar nicht mehr an sie erinnern, aber sie würden wohl nicht mit mir einen romantischen Austausch von Körperflüssigkeiten vollziehen wollen, wenn sie mich nicht kennen würden? Falls mir aber plötzlich wieder einfallen sollte, aus welchem Grund ich sie damals aus meinem Gedächtnis verdrängt habe, kann ich ja immer noch Gebrauch von den so genannten „Chick-Locators“ machen. Die zeigen mir jederzeit auf einer Landkarte, wo denn die paarungswilligsten Frauen aus meiner Nachbarschaft zu finden sind. Und selbst, falls mir mal der Sinn nach geifernden Großmüttern, überproportionierten Mollie-Models, einsamen Hausfrauen oder jungfräulichen Schulmädchen sein sollte, Angebote per E-Mail bekomme ich zur Genüge.
Ach was soll’s, wenn ich schon einen drauf mache, dann gleich richtig. Ich nehm’ sie einfach alle. Normalerweise gäbe es bei der gleichzeitigen Befriedigung von zwanzig gutaussehenden Frauen zwar diverse Schwierigkeiten mit der Standfestigkeit (Jeder Mann, der Entgegenlautendes behauptet, ist ein Lügner), aber die Problemlöser aus dem Internet haben einfach an alles gedacht und selbst hierfür mehrere Lebenshilfen parat. Viagra ist out, Cialis ist in. Kann man bedenkenlos mit Alkohol mixen, alle Sinnesorgane behalten ihre ursprüngliche Funktionsfähigkeit, es wirkt in 15 Minuten für unglaubliche 36 Stunden – Meine Damen, nehmt euch in acht! Ich werde euch die Seelen aus den Leibern vögeln, dass ihr beim Zählen eurer multiplen Orgasmen euren eigenen Geburtstag vergesst! Mit Hilfe meiner Sperm-Power-Enhancer und meiner Sperm-Volume-Multiplicator werde ich euch mit ungeahnter Kraft gegen die Wand pumpen, wo ihr dann in meiner Samenflüssigkeit ertrinken werdet! Und spätestens dann werdet ihr dem Herrn danken, dass er dem Menschen das Internet gegeben hat. Ob dies mich persönlich nun glücklich machen wird, muss sich allerdings noch in der Praxis zeigen.

Des weiteren erreichen mich regelmäßig weitere verheißungsvolle Angebote aus Russland, Ägypten, Taiwan und China. Aufgrund meiner eingeschränkten kommunikativen Fähigkeiten bezüglich deren Landessprache blieb mir der konkrete Inhalt allerdings noch vorenthalten. Ich bin mir aber sicher, dass gerade in diesen Ländern sehr viele seriöse Wege zum ultimativen Glück existieren.

Leider konnte ich aus Zeitgründen noch keine dieser verlockenden Angebote in Anspruch nehmen, aber ich bin mir sicher, dass diese Anbieter genau wissen, wie mein Problem zu lösen ist, welches ich selbst nicht einmal genau definieren kann. Denn schließlich sagt man ja, das Internet weiß alles – und wenn mir das Internet da nicht weiterhelfen kann, wer dann?
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