Neues Jahr - Neues Glück?

Neues Jahr - Neues Glück?

Special
01.01.2008
„Na, auch gut reingekommen?“ ist wohl die Standardfrage in diesen Tagen, um ein Gespräch zu beginnen. Eigentlich wünscht man sich nichts sehnlicheres, als dem Gegenüber in die Fresse zu schlagen und weiter zu gehen, aber zivilisierte Menschen machen so was ja nicht. Rückblende, wir schreiben den 31 Dezember eines beliebigen Jahres. Der Deutsche nutzt den kalendarischen Zufall wie jedes andere Volk zum feiern. Eine prima Gelegenheit, seine physikalische Hülle mal wieder an den Rand des Abgrunds zu hieven. Schon morgens zieht die verwahrloste Jugend böllernd und johlend durch die Städte, so wie einst der Ahn in Nowosibirsk. Schwuppdiwupp wird ein Briefkasten ins Nirwana gejagt oder die Oma vom Haus gegenüber kneift wegen des Schrecks der hinterlistigen Besprengung für immer den Arsch zu. Genervte Erwachsene hassten durch die Einkaufpassagen, um erstens noch die letzten Besorgungen für das abendliche Gelage zu tätigen, und um zweitens die heimischen Vorratsräume mindestens um den Faktor 200 aufzumunitionieren, denn immerhin haben die Läden ja den gesamten folgenden Tag geschlossen.

Nachmittags wird dann das halbwegs von Algenkulturen befreite Aquarium mit 14 Flaschen Kellergeist geflutet, 8 Dosen Ananas reingekippt und mit Apfelkorn nachgewürzt. Fertig ist die Silvesterbowle, die natürlich auf keiner Feier fehlen darf. Dass Angie Merkel diese Brühe nicht unters Waffengesetz stellt, ist nur eine Unzulänglichkeit unseres Rechtsstaats, denn zwei Gläser reichen, um jeden harmlosen Menschen in ein sabberndes Wrack zu verwandeln. Übrigens verbringt man Silvester im Gegensatz zum Wiegenfeste des Heilands vor einer Woche nicht mit der Verwandtschaft, sondern mit Leuten die man mag. Wem die Bowle alleine nicht zum Ruin reicht, der spült kräftig mit Bier oder Wodka nach. Dazu werden fettige Kringel oder salzige Stangen gereicht, um dem Magen eine Konkurrenz bei der Verdauung zu schaffen.

Auf der Feier selbst wird dem Vergnügen gefrönt, seine längst überstandene Jugend durch Musik in Form von alten Platten oder selbst gebrannten CDs für einige Stunden zu erneuern. So brüllen statt dem sonst üblichen Doofenlala aus dem Radio der gute alte Dr. Alban oder Snap aus den Lautsprechern. Beim Bleigießen entstehen zwar nur Gebilde, die wenn überhaupt nach irgendetwas nur nach Pimmeln aussehen, trotzdem wird’s gemacht. Und daraus soll man dann die Zukunft lesen? Na, danke. Schrumpft das eigene Gemächt im neuen Jahr? Wird es von einem unheimlichen Pilz befallen? Ganz verwegene schmelzen das Konstrukt nochmal neu ein, bis irgendwas entstanden ist, was einen wenigstens halbwegs hoffnungsfroh ins neue Jahr blicken lässt. Hauptsachen kein Penispilz. Mindestens einer der Gäste verteilt unterdessen aus Langeweile oder mangels Koordination die Reste des Chilis auf Couch und Tapete der Gastgeber, welches sich munter durch die Wand zum Nachbarn durchfrisst.

Angeblich erreicht die Stimmung zur Sollbruchstelle um 0:00 Uhr ihren Höhepunkt, doch das Gegenteil ist der Fall. Pünktlich zum Glockenschlag liegt sich die ganze Meute draußen besoffen in den Armen. Wer schlau ist nutzt die Zeit zum kotzen, denn Chili, Salzletten und Obstbrühe verlangen früher oder später sowieso Freigang. Wenn die letzte Gefechtsfeldbeleuchtung abgefackelt ist, geht’s wieder nach Hause. Die Hausherrin ist vorgeeilt und hat die Wohnung in Windeseile in halbwegs vorzeigbaren Zustand zurückverwandelt und wenigstens grob die Spuren von Tischfeuerwerk und früheren Mahlzeiten entfernt. Jetzt passiert eigentlich nichts mehr. Wer nicht mehr fahren kann, darf auf dem Fußboden schlafen, zum Gattenritt ist man zu voll und im TV kommt auch nichts brauchbares mehr. Schnell noch die Vorsätze fürs neue Jahr aufgeschrieben, damit man sie nicht aus Versehen mit in die Kloschüssel bricht. Weniger saufen, wenigstens bis zum Geburtstag von Tante Helga, endlich mal wieder joggen gehen und wenn es sich ergibt, die Scheidung einreichen. Denn wozu den Eherochen weiter durchfüttern, wenn auch er nicht mehr den nächtlichen Fahrdienst absichern kann?

Am kommenden Morgen wird der höllische Kater von vielen Fragen verdrängt. Welcher Promi, dem man es schon lange wünscht, wird wohl endlich sterben? Wird’s n heißer Sommer? Können Politiker dieses Jahr mehr als nur doof grinsen? Die erste Jahreshälfte ist abgesehen vom Karneval noch schön und hoffnungsvoll. Am ersten Juli beginnt die zweite Halbzeit. Da diese aber maximal im Fußball noch spannend werden kann, verbreitet sich schon wieder eine Endzeitstimmung. Die Äpfel sind schon reif, die Blätter färben sich und bald ist wieder Weihnachten. Mensch, wie die Zeit vergeht. Wieder einen Schritt näher am Finale des Lebens. Man ist in Rente, sitzt anderthalb Meter entfernt vom inzwischen geschlechtslosen Gatten vorne im Wohnmobil. Vor einem liegt das Sauerland. Und der Tod.
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