Rezension der Dokumentation: Working Class Rock Star

Rezension der Dokumentation: Working Class Rock Star

Special
28.05.2009
Ich weiß gar nicht, wie ich über die amerikanische Dokumentation WORKING CLASS ROCK STAR gestolpert bin. Vermutlich habe ich in einem Anflug von „ich Youtube mal dieses und jenes“ den Trailer gesehen und als aktiver Musiker gedacht, dass es sehr interessant sei, zu sehen, was bestimmte bekannte Musiker (MAHOGANY RUSH, LAMB OF GOD, UNEARTH, DEVIN TOWNSEND, THE HAUNTED etc.) über das „Business“ sagen. Zusätzlich war es natürlich auch mein Interesse als aktiver Musiker.

Nachdem ich die DVD, die nur in Amerika erhältlich ist, über Ebay erstanden hatte und mit Erstaunen festellen musste, dass sie doch Region Code Free ist, konnte ich sie im Laufe der Woche schauen und wollte hier in Form einer Klolumne die Rezension nachfolgen lassen.


Nach dem ersten halben Durchgang am Montagabend, zusammen mit Kollegen Greb, habe ich noch gesagt „Was ne blöde DVD.“ In der ersten Hälfte werden drei relativ unbekannte Bands gezeigt, BLOODSHOTEYE, 3 MILES SCREAM und TUB RING, die ihren normalen Überlebenskampf als ambitionierte Underground – semiprofessionelle Bands darstellen. Dass ein Musiker, dessen größtes und einziges Hobby die Band ist, lieber 30.000 - 40.000 Dollar in eine CD Aufnahme als in ein neues Auto investiert erschien mir mehr als natürlich. Und? Ich investiere auch einen großen Teil meines Geldes, wenn nicht fast alles, in meine Band, wobei ich sicher bei dieser Größenordnung noch nicht angekommen bin. Jedem Musiker ist doch klar, dass man alles gibt – wer würde sonst den Stress auf sich nehmen zu proben? Und dann bei Auftritten morgens um 10 Uhr PA und Equipment verladen, den ganzen Tag die Bühne verkabeln, dann abends 40 Minuten spielen, den ganzen Scheiß abzubauen und um 2 Uhr nachts fertig wie Bolle ins Bett zu fallen? Sobald man eine Band etwas ernster nimmt, investiert man alles da rein. Andere entwickeln so eine Leidenschaft beim sortieren von Briefmarken, beim lokalen Fußballclub, oder sonstwo.

Die genannten drei Bands, bis auf TUB RING, erschienen mir jedoch beim ersten (halben) Durchlauf sehr beschränkt in ihrer Wahrnehmung. Natürlich shoutet bei BLOODSHOTEYE eine Frau, was heutzutage ja nichts Besonderes ist, und obwohl ihr Randy Blythe von LAMB OF GOD bei den Gesangsaufnahmen im Studio (von KATAKLYSM-Musiker Jean-François Dagenais) hilft, singt sie doch auf eher ambitioniertem Anfängerniveau. Das, gepaart mit den fast schon stereotypen Aussagen „wir bekommen einen Vertrag, wir haben unser Karriere-Jahr, jetzt klappt es“ erscheint mir doch eher so, als wäre die Band etwas fernab der Realität. Wer ganz normalen 08/15 Metalcore/Modern Metal im Jahr 2005 zockt, nimmt doch nicht wirklich an, von der Musik leben zu können? 3 MILES SCREAM sind ähnlich, wenngleich die Musiker doch distanzierter (und etwas professioneller) erscheinen. Dass Sänger Matt McGachy mittlerweile bei CRYPTOPSY shoutet unterstreicht wohl meinen ersten Eindruck – ich habe dies aber erst durch das Outro der DVD erfahren, vorher war er mir kein Begriff. Dennoch ist das, was man von 3 MILES SCREAM auf der DVD hört und sieht, nichts, was einen sagen lässt "Boah, die werden aber mal groß werden." TUB RING hingegen erscheinen durch die experimentellen Parts und das etwas kommerziell ausbaubare Auftreten eher geeignet, um mal einen Vertrag zu bekommen und weltweite Touren zu fahren. Vorwegnehmend kann ich aber sagen, dass alle 3 Bands mittlerweile einen Vertrag haben.

Soweit also das Gefühl, 13 Euro in eine etwas gehypte Underground-Dokumentation investiert zu haben, die zwar mit bekannten Gesichtern und schlauen Sprüchen aufkommt, mehr jedoch nicht zu bieten hat. Dann kam allerdings der zweite Teil der DVD, der wirklich hochgradig empfehlenswert und sehenswert ist – und vielleicht auch uns Redakteuren bei Musikmagazinen vor Augen halten sollte, mit welchem Respekt man mit Bands umzugehen hat. Dies ist natürlich keine Entschuldigung für beschissene Musik, denn egal wie sehr eine Band sich anstrengt, muss sie sich immer Kritik gefallen lassen. Aber: Wer hätte gedacht, dass Devin Townsend, genau wie alle Bandmitglieder, im Musikbusiness 10-12 Stunden am Tag tätig sein muss, um über die Runden zu kommen? Dass Matt McGachy als Pädagoge mit Jugendlichen arbeitet, weil er damit seine Arbeit als Musiker finanziert? Dass alle LAMB OF GOD Mitglieder bis 2005 wohl noch Tagesjobs annehmen mussten um über die Runden zu kommen, z.T. in der Gastronomie, Industrie und was Sänger Randy Blythe als „Washing the gutters“ bezeichnet [Dies hat sich aber wohl nach dem Erfolg vom Album „Sacrament“ geändert – vielleicht kann man ja die Band dazu mal befragen]? Dasselbe gilt für alle GWAR Mitglieder. Dass Peter Dolving von THE HAUNTED, wenn nicht getourt wird, einem regulären Job nachgeht, er eine eigne Firma besitzt (besaß – dank fehlender Untertitel und etwas schwachem Ton ist nicht immer alles 100%ig zu verstehen) um seine Frau und zwei Kinder zu versorgen? Dass Matthew Wicklund (HIMSA) ne ziemlich arme Socke ist, dass Mitglieder von HIMSA nach einem Jahr touren bis zu 15.000 Dollar Schulden ansammeln? Und und und… genauso Augen öffnend ist der nachfolgende Part, wo die Musiker, die schon länger bei Plattenfirmen unter Vertrag sind (und wohl scheinbar auch oft genug auf die Schnauze gefallen sind) Verträge auseinander nehmen. Wenn das, was dort gesagt wird, stimmt, muss man vor jeder Band, die professionell Musik machen will um ihre Musik zu zeigen und auftreten zu können, den Hut ziehen. Irgendwo habe ich vielleicht immer noch gedacht (gehofft?) dass man als Musiker einer Band wie THE HAUNTED oder CRYPTOPSY von der Musik leben könne – davon sollte man sich wohl verabschieden. Dass es allerdings im Metalbereich so aussieht, dass man nur im Falle einer Band wie LAMB OF GOD richtig Geld macht, alle anderen aber eher schauen, nicht abgezockt und verarscht zu werden, ist schon bitter. So erzählt der Fronter von GWAR, dass Plattenfirmen einen gerne eine finanzielle Unterstützung für Touren anbieten, man davon aber die Finger lassen soll. Denn diese Zahlungen sind kein Geschenk, sondern man hat sie prozentual rückzuerstatten. Dies bedeutet: bekomme ich 10.000 Dollar von meiner Plattenfirma, darf ich unter Umständen 80.000 Dollar zurückzahlen. Wer wollte noch schnell das Rockstar Leben genießen? Einen sehr guten Eindruck macht bei diesem Kapitel „Business“ Frank Marino von MAHOGANY RUSH, der einen ziemlich klaren Überblick hat und sehr ehrlich erzählt, wie Bands ausgenommen werden. Hier bleibt nur zu sagen: Jede Band, die einen Vertrag unterzeichnet, sollte nicht nach der Regel „Ich gucke zweimal auf meinen Vertrag: Einmal, wenn ich unterschreibe – zum zweiten Mal, wenn ich dagegen klage!“ vorgehen, sondern direkt einen Anwalt einschalten, um alle Unregelmäßigkeiten auszubügeln. Soviel zur Illusion, dass die Labels uns, den Fans, Musik zeigen wollen von Musikern, die eine Umgebung bekommen, um die beste Musik zu machen.

Abschließend kann man sagen, dass für Fans der Bands BLOODSHOTEYE, TUB RING und 3 MILES SCREAM die DVD insofern wichtigist, als dass es eine gute Dokumentation über die frühen Jahre der Bands ist. Für Musiker und alle Interessierten, die einen Einblick in die Arbeit mit Labels und dem Bandalltag sehen wollen, ist der zweite Teil der DVD wesentlich interessanter. Natürlich ist eine DVD von 2005 im Jahr 2009 schon nicht mehr so ganz aktuell, wie die Beiträge von Frank Marino zu den digitalen Veröffentlichungen (wobei das, was er 2005 meinte, ja schon eingetreten ist - viele bekannte Bands veröffentlichen mittlerweile übers Internet, iTunes, und nicht mehr über reguläre VÖs) zeigen. Auch LAMB OF GOD wirken als Band, die das Business verteufeln, im Jahr 2009 aber zu den brandheißen Top Acts im Metal gehören und sicherlich genug einnehmen, nicht mehr so ganz glaubhaft. Das konnten sie aber 2005 nicht abschätzen. Mir persönlich hat nach den etwas langweiligen ersten Kapiteln, vielleicht weil sie mir als aktiven Musiker doch so nichts neues waren, die restliche DVD viel Spaß gemacht und die Augen geöffnet.
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