A. A. Nemtheanga über den Ruf der Wildnis und alte Zöpfe...


Interview mit Primordial
Epic Pagan Metal aus Irland - Skerries/Dublin

Nicht zuletzt aufgrund des letzten Machtwerkes ''The Gathering Wilderness'' war es höchste Zeit, den Kopf hinter Primordial mit ein paar Fragen zu löchern. Das Ergebnis dieses Unterfangens könnt ihr im Anschluss lesen - Viel Spass!

Hallo Alan, und Glückwunsch erst mal zu den überwältigenden Reaktionen auf ''The Gathering Wilderness'' – es scheint, als ob Europa euren Ruf endlich erhört hat ;) Wie geht's euch, jetzt wo die Arbeit erledigt ist und auf derart offene Ohren trifft?
Hails! Nun, wir hatten glücklicherweise immer sehr positives Feedback, nur sind wir jetzt eben auf einem besseren Label und können somit natürlich auch viel mehr Leute erreichen. Aber ansonsten machen wir eigentlich immer noch unser eigenes Ding. Wenn die Leute es mögen – Fantastisch! Abgesehen davon steht das Album jedoch für sich selbst, egal ob wir nun 50000 oder 5000 Platten verkaufen.

Gerade die Produktion ist ja dieses Mal sehr rauh und vielschichtig ausgefallen, was mich desöfteren an ein heraufziehendes Unwetter denken lässt. Wie seid ihr an Billy Anderson gekommen – der ja eher für 'Core'-Sachen bekannt ist – und wie hat sich sein Einfluss in eurem Sound niederschlagen?
Billy haben wir über gemeinsame Freunde kennengelernt. Was den Sound betrifft: Wir wollten diesen lebendigen, rauhen und dreckigen Sound, als ob wir im Proberaum wären – und genau das ist auf dem Album zu hören! Klar, man könnte wahrscheinlich noch ein paar Dinge ändern, aber es ging uns vorrangig um den Moment, um eine gewisse Atmosphäre – das finde ich persönlich um einiges wichtiger, als die ganze Technik.
Im Studio zu sein, ist abgesehen davon immer wieder schwierig und du musst manchmal eben auch probieren – aber letztendlich haben wir uns einfach wieder durchgebissen.

Auf den ersten Blick scheinen die Vocals ein wenig im Hintergrund zu sein, was sie überaus eindringlich und klagend erscheinen lässt. Ich persönlich finde, dass gerade dadurch eine ganze Menge Verzweiflung und Atmosphäre transportiert wird (''and I feel like a wounded animal'') – andere sehen es eher kritisch. Wolltest du so klingen?
Ich finde nicht, dass die Stimme zu weit hinten ist und mir ist es ehrlich gesagt auch scheissegal, ob sich irgendwer daran stösst. Wenn jemand moderne Sachen wie Arch Enemy oder ähnliches will, dann soll er sich eben Arch Enemy anhören!
Meine Stimme ist rauh, wenig Effekte, kein Autotuning oder ähnliches Getue. Deswegen werden Leute, die sonst derart computer-optimierte Musik gewohnt sind, wohl auch ein Problem mit ''The Gathering Wilderness'' bekommen. Aber ich höre mir ja schliesslich auch nicht ''Welcome to hell'', ''Seven Churches'' oder ''Under the Sign of the Black Mark'' an und überlege mir, ob das mit modernem Sound oder anderem Drumming besser klingen würde – so, fuck that!

Dann lass uns jetzt mal etwas tiefer in die Wunde schauen, die sich mit ''TGW'' im Fleisch Primordials aufgetan hat, denn niemals seit ''A Journey's End'' hat eure Musik hoffnungsloser, verbitterter gewirkt. Ist dies das letzte, verzweifelte Aufbäumen einer sterbenden Welt und ihrer Geister – oder eher ein Kräftesammeln in der Ruhe nach dem Sturm?
Ich weiss es nicht wirklich. Ich beschreibe die Sachen eben aus meinem Blickwinkel - Dinge die mich momentan beschäftigen und auch Dinge, die mir schon länger am Herzen liegen. Allerdings hast du recht: Dieses Album ist um einiges verzweifelter, dunkler als die letzten zwei Scheiben – vielleicht sogar dunkler als ''A Journey's End'', mit dem es in der Tat einiges gemeinsam hat.
Lyrisch sind auf ''TGW'' vermehrt politische Untertöne vorhanden, die sich weniger auf Geschichte und was wir aus ihr lernen können beziehen, sondern vielmehr von Dingen handeln, die hier und jetzt um uns herum passieren. Denn insgesamt ist die Welt an sich seit ''Storm before Calm'' ein dunklerer Ort geworden, was in meinem Herzen zunehmend eine gewisse Wut und Sorge schürt: Ist der Weg, den wir (die Menschen) eingeschlagen haben, wirklich der richtige?

Und aus genau diesem Dilemma scheint es in deinen Augen ja nur wenige Auswege zu geben: Der langsame Verfall des entfremdeten Individuums inmitten einer substanzlosen Gesellschaft (sofern man dies als 'Ausweg' bezeichnen kann), oder eben die spirituelle Katharsis - ein letztes Aufbäumen der Menschheit, um alles mit sich hinabzureissen und dadurch Läuterung zu erfahren.
Denkst du, dass sich Kultur und Geist der Menschen zunächst reinigen müssen, um zum Wesentlichen zu finden oder siehst du andere Möglichkeiten, diese tieferen Werte mit der modernen Gesellschaft zu vereinen?

Ich weiss es nicht genau. Ich habe auch nicht alle Antworten – und auf diesem Album vielleicht noch weniger als je zuvor. Es geht mir aber auch vielmehr darum, bestimmte Fragen zu formulieren und in den Raum zu stellen. Allerdings sind der Verfall unserer Kulturen und der Verfall von Gesellschaft ganz allgemein natürlich ein bedeutender Bestandteil des lyrischen Konzeptes auf ''The Gathering Wilderness'' – wie es der Titel ja schon ganz treffend sagt. Mit Sicherheit würde sich unsere verbissene Einstellung, unsere Disharmonie zur Natur etwas wandeln, wenn wir uns unserer inneren, natürlichen Spiritualität etwas bewusster würden. Aber vielleicht haben wir uns davon auch schon zu weit entfernt, als dass wir je einen Weg zurück finden könnten...

Wie lange dauert es denn normalerweise, bis du mit deinen Texten zufrieden bist? Gibt es – gerade bei älteren Sachen – etwas, das du im Nachhinein vielleicht anders ausdrücken würdest?
Ich bin immer noch stolz auf die Dinge, die ich 1991/92 geschrieben habe, als ich 16 oder 17 war! Man könnte sagen, dass mir Sprache und Worte immer wohl gesonnen waren und daher konnte ich das, was ich sagen wollte stets so formulieren, dass ein anderer es versteht. Es kommt heute noch vor, dass ich bislang ungenutzte Fragmente von 1995 finde und genau diese Gedanken jetzt – also zehn Jahre später - aufnehmen und weiterführen kann! Um ehrlich zu sein, gibt es einfach nichts, was ich bereuen würde – ich stand und stehe bis heute hinter allem, was ich geschrieben habe!

Ein paar Textstellen des Titelsongs erinnern mich an deine Arbeit auf ''Human Antithesis'' von Void of Silence, das ja – abseits heidnischer Einflüsse - ebenfalls eine äusserst nihilistische Einstellung zur modernen Gesellschaft aufweist. Sind das Splitter eines postmodernen Primordial-Konzeptes oder ist VOS etwas komplett anderes?
Ja, die Verbindung hast du gut erkannt – ich mag es einfach, Dinge ineinander zu verweben, um den Faden vielleicht anderswo wieder aufzunehmen. ''Human Antithesis'' ist ein massives, unglaublich emotionales Album für mich und da ich im Rahmen von ''TGW'' auf gewisse Dinge zurückschaue, die ich über die Jahre gesagt habe, kam auch diese Referenz wieder ans Licht. Wahrscheinlich wird es eh kaum einer bemerken, aber ich freue mich, dass es dir aufgefallen ist. Wenn du ein wenig unter die Oberfläche schaust, kannst du in meinen Texten bei Primordial übrigens eine ganze Menge solcher Dinge finden...
Ansonsten ist Void of Silence aber auf jeden Fall etwas anderes, sehr viel persönlicheres als Primordial – es steht vorrangig für das, was ich als Person bin und wie ich selbst die Dinge sehe, was in gewisser Hinsicht vielleicht auch meine ganz eigene Form von Katharsis ist...

Nun scheint es ja heute vermehrt Bands zu geben, die heidnische Themen auf nationalem oder volksorientiertem Gebiet behandeln müssen. Wenn wir die Notwendigkeit von kuturellem Erbe und nationaler Identität mal beiseite lassen (sofern das geht) – was hältst du von deutschen, osteuropäischen oder amerikanischen Auswüchsen dieser Art von Vergangenheitsliebe? Und wo würdest du Primordial in diesem Zusammenhang positionieren?
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die Frage richtig verstehe, aber ich denke, dass es im Hinblick auf die Zukunft durchaus wichtig ist, die eigene Vergangenheit und die eigenen Wurzeln zu verstehen. Man sollte überdies versuchen, eben jenes Wissen zum eigenen Wohl, zum Wohl der Angehörigen und des gesamten Umfeldes zu nutzen, etwas positives daraus zu ziehen. Vielleicht spricht ''TGW'' für all jene Menschen, denen die Gesellschaft, in der sie leben immer fremder wird. Ich denke das ist mittlerweile etwas, das jeder einzelne von uns in sich fühlt.
Ansonsten bin ich mir jedoch nicht bewusst, dass ich Primordial irgendwo 'positioniere'. Wir sind fünf ziemlich unterschiedliche Leute, die zusammenkommen, weil sie genau diese Art von Musik machen müssen – das liegt uns einfach im Blut...

Im kontinentalen Europa gehören Primordial mittlerweile zu den bekanntesten heidnischen Black-Metal-Bands – wie verhält sich das denn in Irland?
Ich wusste gar nicht, dass wir eine heidnische Black-Metal-Band sind?! Ich denke, wir sind einfach Primordial – wo ihr uns dann hinpackt, ist eure Sache. In Irland selbst sind wir vermutlich die bekannteste Metalband, was im Endeffekt allerdings nicht mehr bedeutet, als dass wir ein paar hundert Platten verkaufen. Da solche Musik hier vorrangig im Underground stattfindet, ist der Bekanntheitsgrad wohl eher relativ zu sehen...

Kommen wir nun zu etwas völlig anderem. Als ihr beim letztjährigen SummerBreeze auf die Bühne kamt, hat ein total perplexes Mädchen neben mir unter Tränen gesagt: ''Oh mein Gott, das kann doch nicht...der hat sein schönes Haar abgeschnitten...!'' Ich hab damals vermutet, dass du es gemacht hast, weil du einfach mehr Platz wolltest, um darauf Blut zu verschmieren...
Hehe, das war doch kein Ding! Mich haben die langen Haare mit der Zeit einfach nur noch genervt und so habe ich eines Tages dann beschlossen, mir den Kopf zu rasieren. Ausserdem steht's mir einfach besser – kannst du ihr sagen, falls du sie wiedertriffst...

OK Alan, dann danke ich dir erst mal für deine Geduld und würde sagen, man sieht sich dieses Jahr auf Tour - ''The Gathering Wilderness'' hat jedenfalls alles, was es braucht, um die alten Geister erneut ans Licht zu rufen!
Vielen Dank auch von meiner Seite – Man sieht sich auf dem Schlachtfeld!
Nemtheanga

www.primordialweb.tk
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