Der Krieg ist verloren, aber die Schlacht geht weiter...


Interview mit Primordial
Epic Pagan Metal aus Irland - Skerries/Dublin


Das Jahr 2005 war für die Iren von Primordial irgendwie verdammt: Man hatte mit “The Gathering Wilderness” ein Spitzenalbum am Start und mit Metalblade einen starken Partner im Rücken – und trotzdem ging tourtechnisch so einiges in die Hose. Trauriger Höhepunkt war schliesslich die Absage der X-Mass-Festivals, welche zwar musikalisch eher anders aufgestellt sind, die Band aber zweifelsfrei einem neuen Publikum vorgestellt hätte.
2006 gingen Alan und seine Jungens samt Moonsorrow und Mourning Beloveth dann endlich in Eigenregie auf Europatour, im Rahmen welcher auch dieses Interview entstand – sozusagen der zweite Teil des “The Gathering Wilderness”-Gesprächs...

Hallo Alan und danke, dass du dir etwas Zeit für ein weiteres Gespräch nimmst.

Kein Problem.

Lass uns gleich mit den unangenehmen Sachen starten: Ihr scheint ja trotz des Releases von “TGW” letztes Jahr vom Unglück verfolgt gewesen zu sein, gerade was die Touren angeht. Was genau ist da denn nun eigentlich passiert?

Im Grunde leider nichts Ungewöhnliches, wenn ich ehrlich sein soll. Wenn ich all die gecancelten Konzerte und Touren der vergangenen Jahre zusammen nähme, dann ergäbe das mit Sicherheit eine interessante Lektüre und am Ende würdest du wahrscheinlich denken, dass wir die unglücklichste Band der Welt sind...
Auf besagtem X-Mass 2005 waren wir eigentlich fest gebucht und hatten einen Platz in der Mitte des Billings vereinbart, als es dann plötzlich hiess, dass wir an zweiter Stelle auf die Bühne sollten. Daraufhin haben wir gesagt “OK, dann werden wir nicht spielen”, denn manchmal muss man auch ein wenig Respekt sich selbst gegenüber zeigen und deutlich machen, dass man diese Art Umgang nicht verdient hat – so fuck it...
Als Ersatz sprangen wir auf die Morbid Angel-Tour auf, die allerdings prompt abgesagt wurde und so langsam wurden wir durch die ewige Warterei fast krank. Also haben wir uns auf ein paar Wochenendshows konzentriert und schliesslich noch eine zweiwöchige Headlinertour mit Moonsorrow durchgezogen.
Es scheint zudem, als ob man als nicht-skandinavische Band zweimal so hart arbeiten muss, um auf Festivals oder Touren zu kommen, selbst wenn man am Ende eigentlich erfolgreicher ist – aber das ist nicht neu und auch kein grosses Ding.
Abgesehen davon wäre es natürlich schön, wenn uns jemand fragen würde “Hey, wie sieht's aus, könnt ihr gerade mal einen Monat mit Opeth touren?” - aber so läuft es eben nicht...

Hatten deine Gefühle danach Anteil an der Entscheidung, eure Toursituation mit dem “Heathen Crusade” in eigene Hände zu nehmen?

Da gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder du wirfst das Handtuch und verlässt den Zirkus oder du ziehst dein eigenes Ding durch.
Der “Heathen Crusade” war ein Erfolg, auch weil Pagan Metal momentan mehr und mehr Resonanz findet. Das kann man auch daran sehen, dass uns viele vermeintlich grössere Bands begleitet haben, obwohl sie sonst vielleicht vor doppelt so vielen Leuten spielen. Insgesamt ist das Touren heutzutage nicht unbedingt einfacher geworden, weshalb wir uns vielleicht etwas rar machen, aber wenn wir auf die Bühne gehen, dann gibt es dafür eine gewisse Erwartungshaltung seitens des Publikums – es ist auch für sie immer ewas Besonderes...

...also habt ihr schon Lust auf eine Fortsetzung?

Sicher, die Leute waren grossartig, wir hatten fast überall enthusiastische Reaktionen und positives Feedback. Vielleicht werden wir Ende diesen Jahres noch eine Woche oder ein paar Wochenenden dran hängen und Orte besuchen, die wir im Frühjahr ausgelassen haben.

Bei den letzten Gigs in Deutschland hattet ihr an der Gitarre Unterstützung von Mael Mórdha's Gery – was habt ihr zu dieser Band für eine Beziehung und kann man für die Zukunft vielleicht auf gemeinsame Konzerte hoffen?

Gery ist ein guter Freund und hilft uns aus, wenn wir mal personelle Engpässe haben. Er passt zudem von der persönlichen Einstellung her und ideologisch recht gut zu uns, weswegen er manchmal fast schon das sechste Bandmitglied ist.
Das ist fraglos keine ideale Situation, aber wir sind keine 19 mehr und die Zwänge des täglichen Lebens bedingen, dass man nicht einfach alles stehen und liegen lassen kann, um einen Monat auf Tour zu gehen – zumindest können das nicht alle in der Band. Ich persönlich würde es lieben, obwohl es hart ist, da bei den Touren finanziell wenig bis gar nix herumkommt.
Was Mael Mórdha betrifft: Vielleicht werden wir mal mit ihnen spielen, wenn sie ihre Scheibe bei Grau rausgebracht haben...

Im Verlauf des letzten Jahres hast du dein Corpsepaint ja schrittweise reduziert und mittlerweile erinnerst du mich an einen piktischen Kieger – Lust auf was Neues bekommen?

Das ist wahr, ich glaube ich ändere Dinge ziemlich häufig ab und irgendwie wollte ich weg von meiner alten Bemalung und dem Ganzen eine neue Dimension geben. Der blaue Streifen symbolisiert etwas sehr Elementares, Ursprüngliches und erinnert in der Tat an piktische Kriegsbemalung – die Bühne zu betreten ist ja in gewisser Weise auch der Aufbruch in meinen eigenen Krieg.

Wo wir gerade von Mael Mórdha sprachen (und weil es auch zu Primordial und eurem Toursupport Mourning Beloveth passt): Die Lyrik irischer Bands scheint tief von Trauer und Verlust geprägt, selbst eher kämpferische Ausbrüche sind desöfteren nur Vorboten kommender Stürme – wie erklärst du dir das?

Ich denke, diese Melancholie ist tief in der irischen Psyche verwurzelt und wenn du einen Blick auf die Geschichte unseres Volkes wirfst, wirst du verstehen warum. Wir haben für all das kämpfen müssen, was wir besitzen, durch all die Widrigkeiten und die Tragödien, die das Schicksal uns auferlegt hat.
Aber wir sind ein stolzes Volk und auch das kann man in unserer Musik hören – es ist wahrhaftige Musik von wahrhaftigen Menschen und sie bedeutet uns etwas.

Ein weiteres Konzept ist das der spirituellen Revolution und des Märtyrertums, welches ja in jüngster Zeit verstärkt von islamistischen Fanatikern aufgegriffen wird. Es geht auch diesen Leuten angeblich darum, die siechen Auswüchse der modernen Gesellschaft durch eine traditionelle, “natürlichere” Ordnung zu ersetzen. Das ist auf den ersten Blick vielleicht etwas anderes als die von dir thematisierte Revolution des Geistes, aber es gibt doch ein paar augenscheinliche Parallelen...

Hmm, schwierige Frage, allerdings gibt es in meinen Texten tatsächlich Stellen, die sich auf die Situation im Nahen Osten und eben das angesprochene Märtyrertum beziehen. Ehrlich gesagt bewundere und respektiere ich diese Art der Hingabe und des Fanatismus', besonders vor dem Hintergrund der amerikanisch – oder allgemein westlich – betriebenen Einmischung in die dortigen Verhältnisse und die unverblümte Ausbeutung der Ressourcen dieser Länder.
Aber all das hat bereits viel früher angefangen, als wir nämlich unsere eigene Spiritualität durch Materialismus und Kapitalismus ersetzt haben, um diesen Übeln fortan auf breiter Ebene Vorschub zu leisten. Und nun – im Angesicht der “fanatisch” sich widersetzenden östlichen Spiritualität – ist scheinbar die Zeit gekommen, den Sturm zu ernten...
Wie auch immer, die Themen auf “TGW” drehen sich desöfteren um den ganz normalen Menschen, egal ob nun Ost oder West. Es geht um diejenigen, die keine Stimme haben und das absolute Märtyrertum als letzte und einzige Zuflucht begreifen, um ihre Zeichen und Spuren in einer Welt zu hinterlassen, deren so genannte “Freiheiten”, deren Freiheit selbst und alle Kultur von Politikern und globalen Unternehmen längst enteignet und verkauft wurden.
“The Gathering Wilderness” handelt davon, dass der Krieg verloren ist, aber noch kann ein jeder seine persönliche Schlacht gewinnen:

Maybe, maybe – just maybe – I'll take you down with me...

Eins steht fest: Europa wird in den nächsten 20 Jahren brennen...

Was liegt dir als heidnischer Ire eigentlich näher: Die irische Nation oder der allgemeine heidnische Hintergrund, der sich bekanntlich auch aus verschiedenen anderen Quellen speist?

Natürlich liegt mir Irland sehr am Herzen, aber im Gegensatz zu Bands aus anderen Ländern singen wir nicht nur über unser eigenes Land und hiesige Mythen. Unsere Konzepte sind vielmehr universal und ermöglichen es so Menschen aus jeder Nation, sich darin wieder zu finden – im Kampf, in der Entfremdung und auch im Stolz. Zudem sind wir keine Romantiker wie so viele andere Bands, wir singen nicht von vergangenen Zeiten und fiktionalen Gestalten – das hier ist die absolute, grausame Realität, ungeschminkt im Hier und Jetzt.
Vielleicht liegt genau darin auch ein Grund dafür, warum wir als Band nicht so gross sind wie jene, die über Wikinger und keltische Mythen singen: Die Menschen neigen zu Eskapismus und Fantasy, nicht zur sie umgebenden Dunkelheit!

Die gälische – oder übergreifend: keltische – Kultur erlebt seit geraumer Zeit einen enormen Auftrieb, speziell in ihrer kommerziell-esoterischen Ausprägung als Ursprünglichkeitskonzept für zivilisationsgeschädigte Menschmaschinen. Was hältst du von dieser Form der Wiederkehr?

Nun, mit der Zivilisation ist es im Grunde wie mit allen Sachen: Wenn du dich zu weit in eine bestimmte Richtung bewegst, dann wird es diametral entgegen gerichtete Reaktionen geben – und genau das kann man am derzeitigen Interesse für Paganismus und erdverbundene Spiritualität sehen.
Prinzipiell denke ich jedenfalls, dass es durchaus positiv ist, wenn man seiner Kultur und Geschichte mit (neuem) Interesse und Respekt begegnet.

Und denkst du, dass diesen “Trends” (siehe auch Buddhismus, Asatru, Wicca) ein tiefer liegendes Interesse entspringt? Ist es nicht vielmehr so, dass hier eine Philosophie bzw. Lebensauffassung zum schnell verdaulichen Wellnessprogramm verstümmelt wird, das mit dem eigentlichen Grundgedanken nicht mehr viel gemein hat?

Das ist fraglos ein guter Punkt und ich kann das jetzt auch nicht wirklich beantworten, da solche “Trends” eben desöfteren wie der berühmte Tropfen im Ozean sind. Aber wenn dadurch nur ein kleiner Prozentsatz vom Menschen angeregt wird, sich mit seiner Vergangenheit, seiner Herkunft, mit Kultur und Tradition zu beschäftigen – Ja, dann ist es durchaus positiv.
Selbst die grösste Eiche wird schliesslich aus einem kleinen Samen gezogen...

Kommen wir zu etwas allgemeineren Geschichten: Kürzlich hat mit Lordi eine Hardrock-Kapelle den ESC gewonnen, der ja eigentlich eher für poppige Eurodance-Perlen mit Folkloreinschlag berüchtigt ist. Ist das der finale Beweis dafür, dass härtere Musik wieder gesellschaftsfähig ist? Bekommt ihr das auch zu spüren?

Nun, ich denke, dass Rock und Metal allgemein eigentlich seit Mitte der 90er wieder wachsen und auch an Popularität gewinnen. Zwar nicht in den Dimensionen der 80er Jahre, wo teilweise Millionen Platten verkauft wurden, aber speziell das ist ja bei anderen Musikstilen auch nicht anders.
Ich habe schon viele Trends kommen und wieder gehen sehen, aber was unsere eigenen Verkäufe angeht, so ist der durchaus vorhandene Schub der letzten Jahre wohl eher auf ein besser organisiertes Label und die entsprechende Vermarktung zurück zu führen, als auf einen wie auch immer gearteten Metalboom. Und das Wichtigste: Man sollte konsequent Qualität bieten und auf die Menschen zugehen, sich nicht von ihnen abwenden.

Und wo siehst du diese Musik in den nächsten 5 Jahren?

Metal wird auch weiterhin ehrlich bleiben, so wie es schon immer war. Es wird sich teilen und verästeln – manche Bands werden zu den Wurzeln zurück kehren, andere werden die Karten komplett neu mischen.
Ich bin sowieso nicht auf die alten Scheiben fixiert, schliesslich gibt es da draussen eine Menge neuer Bands, die aufregende Musik machen und dem Genre neue Perspektiven aufzeigen: Von Isis oder Deathspell Omega, über Axis Of Advance, Reverend Bizarre, Slough Feg, bis hin zu Mars Volta und High On Fire. Es sind genau solche eigenwilligen Bands, die mich interessieren; alles Andere, Grössere, zieht mehr oder weniger an mir vorbei...

Was genau hat es eigentlich mit deinem Artworkprojekt “Nemtheanga's Art” auf sich?

Das ist eher was Geschäftliches, ich mache Backdrops für Bands und gelegentlich auch ein paar Sachen für Privatpersonen – nichts Grosses also, aber es hilft mir dabei, die Miete zu zahlen.
Bei Interesse seht euch einfach mal unter “Nemtheanga's Art” auf www.primordialweb.com um.

Eine letzte Frage: Hast du eigentlich jemals einen fröhlichen/freudigen Song geschrieben?

Hmm, es gibt schon hin und wieder ein paar Zeilen, die sich um das Gefühl der Freude drehen, vorzugsweise im Sinne von persönlich Erreichtem oder der Überwindung von Hindernissen. Man muss aber schon etwas genauer hinsehen, um sie alle zu finden...
Falls du dagegen etwas Fröhliches oder auch fröhlich Klingendes meinst, muss ich dich wohl leider enttäuschen und ich denke auch nicht, dass dies in absehbarer Zukunft passieren wird.
Nichtsdestotrotz denke ich aber, dass Menschen aus der Musik von Primordial Stärke ziehen können, um sie in der Folge positiv in ihrem eigenen Leben einzusetzen.

Alan, ich danke dir herzlich für die Antworten, wünsche euch viel Spass in Bitterfeld und dir Glück auf all deinen Wegen – auf dass die Flamme nicht verlischt...

So sei es!
Dank auch an dich für die Zeit, die Unterstützung und Geduld.

Culture is resistance. Art is rebellion.

Nemtheanga


www.primordialweb.com

Fotos: Henri Kramer
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