Videospiele auf der Gitarre


Interview mit Dragonforce
Power Metal aus Großbritannien - London
Vier Uhr nachmittags Ortszeit, Hamburg. Der Tourmanager lotst mich (Alexandra Tausch) durch einen schmalen Gang (das Büffet) in einen kleinen Raum, gefühlte vier Quadratmeter groß: der Backstageraum der Briten DRAGONFORCE. In der Ecke sitzt Gitarrero Sam Totman, ein Laptop auf dem Schoß, auf dem Sofa macht es sich Herman Li bequem. Er räumt sein Notebook beiseite. Es kann losgehen.

Ihr seid zurzeit mit TURISAS unterwegs. Wie ist die Tour bisher gelaufen?


Es ist super gelaufen! Es lief sogar besser als wir erwartet hatten, vor allem dieser „deutsche“ Teil der Tour. Verglichen mit anderen Ländern spielen wir nicht so viele Gigs in Deutschland, weil die Nachfrage nicht so groß ist. In anderen Ländern sind wir bekannter, deshalb spielen wir dort mehr Shows. Es ist auch erst unsere zweite Headliner-Tour.

Ihr spielt nicht alle Gigs zusammen mit TURISAS. Die Finnen haben in Saarbrücken eine Show ohne euch gespielt.

TURISAS ist unsere Support-Band, und wenn wir einen Day-Off einlegen, spielen sie ihre eigenen Shows. Sie spielen als Support Act für unsere Headliner-Show, und wir brauchen ohnehin einen Day-Off.

Einige fragen sich, wie DRAGONFORCE und TURISAS musikalisch zusammenpassen auf einer Tour…

Hooray! (klatscht in die Hände) Eine Tour mit zwei Bands, die nicht dieselbe Musik machen! Ich denke, dass wir dasselbe Publikum teilen, denn wer TURISAS hört, der mag sicherlich auch unsere Musik und andersrum. Es wäre doch langweilig, wenn du zwei oder drei Bands hast, die alle dieselbe Musik spielen! Ich meine, warum sollte einer ein Konzert besuchen wollen, auf dem sich alle drei Bands gleich anhören?

Obwohl es wohl heutzutage üblich zu sein scheint, dass zwei Bands, die dieselbe Art Musik machen, auf Tour gehen.

Na ja, vielleicht sehen manche das so, aber ich sehe das anders. Wenn du drei Bands hast, die alle „rarara“ (imitiert Grunts) machen, finde ich das extrem langweilig. Eine Tour mit zwei Bands, die sich gleich anhören und die ganze Zeit dieselbe Musik machen, das geht bei mir gar nicht.

Für Menschen, die anderen Musikstilen gegenüber offen sind, ist es eine gute Möglichkeit, neue Bands kennen zu lernen.

Das denke ich auch. Ich finde, die ganze Welt ist offener geworden, als sie es zuvor war, und die Menschen sind auch offener. Natürlich gibt es noch einige Leute, die nicht offen sind und manche Dinge recht eng sehen, aber das ist uns ehrlich gesagt ziemlich egal.

Ihr habt mit TURISAS zum Beispiel gemeinsam, dass ihr beide sehr melodisch seid.

Und wir spielen eine lustige Show! Wir wollen keine Party-Atmosphäre in dem Sinn, bei der jeder sich als cool darstellt. Es geht einfach um Spaß.

Kommen wir mal zu eurem neuen Album, „Ultra Beatdown“. Manche sagen, es sei etwas ruhiger als der Vorgänger.

Ich denke, es ist dynamischer. Der typische DRAGONFORCE-Speed ist immer noch auf dem Album, aber es ist nicht die ganze Zeit nur schnell. Wir haben an der Klangfarbe der Stimme gearbeitet und es gibt mehr Tempowechsel. „Last Journey Home“ zum Beispiel ist eher ein langer Midtempo-Song mit schellen Passagen. Wir hatten vorher schnelle Songs mit langsameren Passagen in der Mitte, und jetzt haben wir einen ruhigeren Song mit schnelleren Passagen. Wir haben jetzt quasi überall schnelle Passagen.

„Last Journey Home“ ist fast schon eine Ballade…

Für DRAGONFORCE-Standard kann man es wohl fast schon als Ballade bezeichnen, das stimmt, aber für die meisten Bands ist dieses Tempo wohl eher normal.

Manche Leute fanden, das letzte Album sei zu schnell und das neue ruhiger.

Ich sehe das anders. Schau dir mal den Solo-Part von „Heroes Of Our Time“ an. Der Beat ist langsamer, aber wir spielen die Gitarren schneller. Wenn der Beat langsamer ist heißt das nicht, dass auch die Gitarren langsamer spielen müssen.

„Heroes Of Our Time“ erinnert mich an den ersten Song des Vorgänger-Albums, „Through The Fire And The Flames“, zum Beispiel in Bezug auf den Gesang.

Ich finde, die beiden Songs sind total verschieden. „Heroes Of Our Time“ wurde die erste Single des neuen Albums, weil wir glauben, dass es total verschieden von „Through The Fire And The Flames“ ist – innerhalb des DRAGONFORCE-Stils. Klar, es mündet nicht in einen Techno-Song oder einen Rap-Song. Aber „Heroes Of Our Time“ hat ein Blastbeat-Intro, es hat keine zwei Verse, sondern der Vers nach dem ersten Chorus ist völlig verschieden von dem davor, und der Chorus ist heiterer. „Heroes“ ist eigentlich ein fröhlicher Song, aber „Through The Fire And The Flames“ dagegen ist eher ein trauriger Track. Aber wir wussten, dass die Leute das sagen würden…(lacht)… sorry!

Stichwort „Nintendo-Metal“…

Darum gehts gerade! Als „Inhuman Rampage“ rauskam, sagte jeder: Oh Gott, der Pacman-Sound! Das hat man vorher nie gehört. Die Leute müssen an irgendetwas denken, um uns einen Namen geben zu können, und wir machen dann gerne Witze drüber. Man kann es als Nintendo Metal bezeichnen, oder Power Metal oder Extreme Power Metal, wie wir unseren Sound gern nennen, oder Metal, oder was auch immer. Es geht einfach nur um den Namen. Wenn man etwas anderes macht, dann geben die Leute einem eben einen anderen Namen.

Naja, wenigstens fällt ihnen auf, dass etwas anders ist – im positiven Sinn: DRAGONFORCE ist nicht irgendeine Power Metal Band unter vielen…

Aber zu sagen, DRAGONFORCE ist Nintendo Metal macht genauso wenig Sinn wie zu sagen, es sei Death Metal. Wir haben Extreme Metal Einflüsse, aber auch Death Metal Einflüsse, aber das ist nur ein Wort, um unsere Musik zu beschreiben, nur eine Dimension von den vielen, die unsere Musik beeinflussen. Dann kannst du auch gleich sagen, DRAGONFORCE ist Thrash Metal, das bedeutet dasselbe.

Vielleicht wissen sie es einfach nicht besser.

Ehrlich gesagt ist es mir auch relativ egal.

Wie seid ihr eigentlich auf die Idee gekommen, schnell zu spielen und diesen speziellen Sound zu verwenden?

Schon auf unserem ersten Album hatten wir Videospiel-Einflüsse, und es war ein sehr schnelles Album. Aber darum schert sich keiner oder nicht so viel in manchen Teilen der Welt. „Inhuman Rampage“ war dann ein Tritt ins Gesicht, wir haben uns weiterentwickelt und uns verbessert, der Videospiel-Einfluss war offensichtlicher. Wir haben mehr Intensität, mehr Energie und mehr Gefühl in dieses Album gesteckt. Es geht nicht darum, schneller zu spielen, es geht darum, bessere Songs zu spielen. Aber warum nur einen Song haben, der schnell ist und besser klingt, wenn man mehrere solche Songs haben kann?

Was beeinflusst eure Musik?

Alles mögliche. Von Thrash Metal, Death Metal, Prog Metal und Power Metal zu Rock, es gibt da keine Grenze. Sogar auf der „Inhuman Rampage“ haben wir brutale Backing-Vocals, die ein Freund von uns aufgenommen hat, mit dem wir mal zusammen gespielt haben.

Ist das nicht Behemoth, der DEMONIAC-Fronter?

Ihr kennt ihn? (lacht) ja, das ist Behemoth alias Lindsay Dawson. Er war total betrunken im Studio und dann hat er die Vocals aufgenommen.

Sam Totman zeigt uns ein Bild auf dem Computer.

Sam: Willst du Behemoth sehen? So sieht er heute aus!

Was das Songwriting betrifft… hat da jeder gleiches Stimmrecht? Man könnte ja meinen, den Gitarren wird Priorität eingeräumt und die Gesangslinien werden erst danach bearbeitet.

Eigentlich ist es genau andersrum. Sagen wir mal, Sam schreibt den Song. Er konzentriert sich dann in erster Linie auf den Gesang. Wir arbeiten ohnehin länger am Gesang als an den Gitarren. Wenn wir ein Album aufnehmen, nimmt der Gesang die meiste Zeit ein, und für die Gitarren bleibt kaum noch Zeit übrig. Die Soli sind das Letzte, an dem wir arbeiten.

Man könnte ja meinen, dass die Vocals um die Gitarren herumarrangiert sind.

Nein, das sehen wir anders. Wenn du keine guten Vocals hast, dann hast du keinen Song. Die Soli nützen dir nichts, wenn der Gesang nicht gut ist. Ich weiß, die Leute glauben uns das nicht, aber es ist so.

Wo wir gerade bei Gitarren sind… euer Song „Through The Fire And The Flames“ ist Teil des Spiels Guitar Hero. Mögt ihr Videospiele?

(lacht) Natürlich mag ich Videospiele! Ansonsten würden wir nicht diese Musik machen.

Hast du euer Lied mal auf Guitar Hero durchgezockt?

Ja, ich hab das Spiel durchgezockt. Auch unser Lied.

Auch auf Level „Experte“?

Come on, man! Doch nicht auf „Experte“! Ich habe auch noch ein Leben! (lacht) Für mich ist das Spiel Guitar Hero sowieso witzlos, denn es geht um den Traum, als Rockstar auf Tour zu gehen. Wir gehen ja auf Tour, wir haben das, worum es in dem Spiel geht.

Wir haben vorhin über Lindsay Dawson alias Behemoth gesprochen, und du und Sam haben mit ihm in der Band DEMONIAC gespielt. Würdest du sagen, dass das letze DEMONIAC-Album eine Art Übergang zu DRAGONFORCE sind?

Ich denke, das letzte DEMONIAC-Album, „Through The Fire And The Wind“ ist ein Melodic-Album. Alles was du tust, auch wenn du nur in einer Schulband Coversongs spielst hat einen Einfluss auf dein zukünftiges Spielen und auf das, was du später in deinem Leben machst.

Stichwort NS-Metal… (Die Texte der DEMONIAC-Alben sind alles andere politisch korrekt! Anm. d. Red.)

Wir haben das mit den Texten nicht so ernst genommen, es sollte einfach Spaß machen. Wir wussten nicht, dass es soviel ausmachen kann, wenn man ein paar spezielle Dinge sagt. Ich meine, jemand aus Neuseeland, der die Geschichte Europas nicht kennt, der macht sich da nichts draus. Ich wusste ja selbst nicht, welche Bedeutung das hat, bestimmte Dinge zu erwähnen.

Wenn wir uns die Geschichte des Metal in England anschauen, hat sich da in den letzten Jahren einiges getan. Wie siehst du diese Entwicklung?

Na ja, was ist Metal? Die Musik entwickelt sich ja. Manche sagen, nur MAIDEN ist Metal. Andere sagen BLACK SABBATH ist Metal, MAIDEN aber nicht. Um ehrlich zu sein, kann man gar nicht wirklich sagen, was Metal ist und was nicht. Musik entwickelt sich ja weiter, schau dir zum Beispiel die Bereiche Industrial Metal, Black Metal oder Nu Metal an.

In England haben wir auch nicht einen Musikstar, der groß ist, und alle anderen sind unwichtig. Viele Leute hören Emo Core, Metal Core und so. Mir gefällt diese Musik nicht unbedingt, aber es gibt verschiedene Richtungen, die sehr bekannt sind. DREAM THEATER haben auf ihrer letzten Tour in der Wembley Arena gespielt. Ich würde sagen, es ist ganz gut so, dass es so viele verschiedene Richtungen gibt neben den „klassischen“ Metalbands wie MAIDEN und PRIEST, zum Beispiel AVENGED SEVENFOLD oder TRIVIUM, New Wave und so weiter. Oder auch DRAGONFORCE und BULLET FOR MY VALENTINE spielen verschiedene Musik. Viele Europäer denken, Metal ist tot in England, aber das stimmt nicht, weil es nicht einen gebackenen Musikstar gibt. Das wäre auch langweilig.

In Japan, Amerika und England zum Beispiel seid ihr erfolgreicher als in Deutschland…

Wir sind doch heute abend hier! (lacht) Wir können nicht unseren Stil verändern und uns den einzelnen Ländern anpassen. Wir können nur spielen, was wir spielen, nämlich die DRAGONFORCE-Show. Wir werden bestimmt nicht stillhalten und nur unsere Instrumente spielen bloß weil manche Leute denken, wir würden zu viel rumrennen und zu viel Spaß haben oder nicht ernst genug sein. Gestern in Köln hatten wir über 1200 Besucher, das war eine große Überraschung. Die Shows sind größer geworden, wir haben mehr Tickets verkauft. Wir kommen auch für ein paar Festivals nach Deutschland zurück: RockHard Festival, Rock am Ring, Wacken… Das Aufregende ist, dass wir quasi keinen Support von großen deutschen Mainstream-Magazinen hatten.

Ja, es gab ein Interview im RockHard…

(klatscht in die Hände) Eins! Hooray! Und das auch nur, weil wir ein neues Album rausgebracht haben. Dieses eine Interview bekommt jeder, wenn er ein Album rausbringt. Aber wir haben so viele Dinge gemacht auf unserer Welttournee…

Naja, für die Magazine ist es ja auch nicht gerade einfach: sie müssen quasi über alle Bands schreiben, um es jedem recht machen zu können.

Na ja, aber bloß weil etwas nicht im eigenen Land passiert heißt das nicht, dass man nicht darüber zu berichten braucht. Wir zum Beispiel haben eine Grammy-Nominierung bekommen – wie viele Power Metal Bands kennst du, die in den vergangenen 20 Jahren eine Grammy-Nominierung bekommen haben? Allein die Erwähnung unserer Nominierung wäre schon klasse. Trotzdem bedeutet es uns nichts, so eine Nominierung zu bekommen, denn uns geht es allein um die Musik. Ich denke, originelle Bands sollten eine Chance bekommen, damit sie gehört werden. Deshalb ist es natürlich toll, wenn erwähnt wird, dass jemand etwas Besonderes macht. Guitar Hero hat uns da in gewisser Weise geholfen. In München hatten wir ebenfalls keine Pressepräsenz, aber in England ist das auch nicht anders: für die „Sonic Firestorm“-Tour hatten wir auch kaum Pressepräsenz.

Das wohl am häufigsten verwendete Adjektiv, um DRAGONFORCE zu beschreiben ist „crazy“: „the crazy Brits of DRAGONFORCE“. Seht ihr das positiv oder eher negativ?

Ich sehe das eher positiv. Heutzutage will ja jeder normal sein…

Ich bin gespannt auf eure Show heute Abend und bedanke mich für das Gespräch!

Gern geschehen, danke dass ihr vorbeigeschaut habt! Viel Spaß nachher!

(Das Gespräch führte Alexandra Tausch)
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