Eine Gothic Horrorstory
Interview mit Cradle Of Filth
Black Gothic Metal aus Großbritannien - Ipswich
Black Gothic Metal aus Großbritannien - Ipswich
Interview mit Dani Filth (v.) von CRADLE OF FILTH am 15.09.2010 im Andel's Hotel in Berlin für die Radiosendung Mosh-Club auf Radio T in Chemnitz: www.mosh-club.de.vu und www.radiot.de
Auf der Seite der Sendung könnt ihr euch das Interview als mp3 runterladen.
Treffpunkt für das Interview mit Herrn Filth ist das Andel's Hotel in Berlin, direkt mit S- und U-Bahn Haltestelle vor der Tür, wo ich natürlich mal wieder viel zu früh da bin. Man hat ja nicht jeden Tag die Möglichkeit Dani Filth zu interviewen und nach den ganzen Gerüchten um ihn bin ich auch ziemlich aufgeregt. Also rein in die Lobby: Eine Delegation japanischer Geschäftsleute, weiße Ledersessel und ansonsten unendliche Weiten. Irgendwie komme ich mir fehl am Platze vor und als dann der Promoter auch nicht ans Telefon geht, werde ich langsam nervös. Doch alle Sorgen sind unbegründet, Jan Jaedike vom Rock Hard hatte mal wieder überzogen mit seiner Zeit, eine Tattoo Zeitschrift hat dann noch den Extrawunsch Danis Tätowierungen zu fotografieren und verschwindet mit ihm auf sein Zimmer. Die beiden Promoter, eine Kollegin von Power Metal und ich machen es uns währenddessen in der sky.bar des Hotels in der 14. Etage bequem, wo dann auch etwas später Dani Filth und Paul Allender (g.) auftauchen. Ersterer ist auf jeden Fall sehr höflich, gut gelaunt und umgänglich, so ganz entgegen der Vorurteile. Dann kann das Interview ja mit Ausblick auf die untergehende Sonne über den Berliner Plattenbauten losgehen.
Björn: Dani, wie geht es dir nachdem du bereits vier Stunden Interviews gegeben hast?
Dani: Überraschenderweise gut, ich geh an diese Promotrips immer sehr skeptisch ran, denn die Leute können doch nicht wirklich daran interessiert sein wenn man die ganze Zeit nur über sich selbst redet. Aber nach einer Zeit merkt man, dass sie es tatsächlich sind. Alle zwei oder drei Jahre startet man ängstlich in so eine Tour, aber dann genießt man es, besonders hier und heute mit diesem großartigen Ausblick wo die Sonne gerade untergeht. Leider ist das Interview für ein Radio, so dass das hier niemand sehen kann. Ich hab allerdings auch das perfekte Radiogesicht. (lacht)
Da wir ja hier beim Radio sind, möchte ich etwas mehr über die Texte als über die Musik des neuen Albums reden. Aber fangen wir trotzdem mit der Musik an, für mich klingt „Darkly, Darkly, Venus Aversa“ wie eine typische CRADLE OF FILTH CD, vielleicht wie die Version aus dem Jahr 2010. Stimmst du mir da zu?
Typisch würde ich nun nicht sagen, gewiss ist es CRADLE OF FILTH, aber nostalgisch angelehnt an „Dusk... And Her Embrace“ und „Cruelty And The Beast“. CRADLE OF FILTH 2010 trifft es wohl, aber man kann es sich ja anhören und sich selbst ein Urteil bilden.
Im Labelinfo ist der Klang des Schlagzeuges extra angesprochen und ihr habt auch den Schlagzeuger gewechselt...
Nein, es ist immer noch derselbe.
Echt? Ich hab bei Metal Archives nachgeschaut und da wird Adrian Erlandsson noch als Schlagzeuger beim letzten Album geführt.
Nein, nein.
Okay, dann ist es mein Fehler.
Nein, das ist nicht dein Fehler, it's only the shitty website you went to.
Okay, dann kommen wir mal lieber zum Konzept hinter der CD. Könntest du es bitte kurz erläutern.
Wir haben uns mit Lilith beschäftigt - Adams erster Frau, Konzil der Hölle, Königin von Saba – und sich taucht sowohl in der Bibel als auch in der jüdischen Mythologie auf. Sie ist ein Charakter, der zu den Themen der Band sehr gut passt: Vampire, Femme-Fatale, narzisstische Vetternwirtschaft wie in „Cruelty... And The Beast“. Dieses Mal haben wir uns aber nicht mit einem historischen Thema beschäftigt, sondern das als Ausgangspunkt für eine Gothic Horrorstory verwendet: Tempelritter, Nonnen von Schloss Camelot, wir verweben das England aus dem Mittelalter mit dem viktorianischen England und verarbeiten auch etwas aus der griechischen Mythologie. Eine englische Gothic Horrorstory um den Charakter Lilith.
Also habt ihr mal einfach alles zusammengeworfen was euch interessiert hat anstatt wieder eine Geschichte mit Realitätsbezug zu erzählen?
Das hatten wir ja auf der letzten CD, aber eine Fabel bleibt eine Fabel. Dieses Mal ist es ein okkulter Roman aus den Zutaten, die man von CRADLE OF FILTH erwartet, geworden, mit viel dunkler Erotik. Venus Aversa, z.B., der andere Name für Lilith, also die dunkle Venus, war im 19. Jahrhundert eine Umschreibung für Analsex. „Darkly, Darkly, Venus Aversa“ wiederum klingt wie eine Beschwörungsformel.
Queen Viktoria wird auch regelmäßig in den Texten erwähnt.
Nein, nein, das ist nur ein Charakter zu dem Lilith wird. Sie benutzt sie als eine Art Gefäß um in diese Welt einzutreten. Da bist du aber nicht der erste, der Queen Viktoria in den Interviews anspricht. Vorhin hat übrigens auch jemand nach Steve McQueen gefragt, in den Texten taucht irgendwo „Demon queen of my dreams“ auf und diese Person hat gefragt, was Steve McQueen in den Texten macht. „Ich denke, er fährt Motorrad.“ (lacht)
Lilith ist im Feminismus eine wichtige Figur.
Sie ist die erste Person in der jüdischen und christlichen Mythologie, die sich Gottes Schöpfung in den Weg stellt, außerdem wird sie manchmal als dunkle Version von Gottes Frau bezeichnet. Sie taucht als Kindesmörderin auf, wird dämonisiert und als Königin der Dämonen betitelt. Aber auch im Hinduismus taucht so eine Person auf. Sie ist die Frau Luzifers und Sündenbock für viele Sachen.
Sie taucht in der Bibel nur an einer Stelle auf, in den Ursprungstexten und in der jüdischen Mythologie wimmelt es dagegen von Passagen über sie. Ist es nur weil die Kirche von Männern geführt wird?
Ach, die Bibel wurde doch nur von Opiumjunkies geschrieben und ist eine Märchengeschichte genau wie dieses Album ein dunkles Märchen ist. Die Bibel hat sich diese Geschichten zusammengeklaut und Lilith wird zwar nicht direkt erwähnt, aber bei ein paar Passagen muss man sie denken.
Wie ist denn deine Einstellung gegenüber starken Frauen? In der Metalszene wimmelt es ja von Machos und es gibt z.B. nur wenige Frauen auf der Bühne.
Stehen Machos denn auf Frauen oder auch auf Macho-Typen? Ich weiß es nicht.
Jedenfalls nicht auf starke Frauen.
Doch, Doro Pesch mögen sie, und sie ist eine starke Frau. Ich hab sie vor einem Jahr mal in den USA auf einem unserer Konzerte treffen können und sie ist mit ihren fast 50 Jahren immer noch sehr heiß.
Lilith taucht auf in Vampirgeschichten auf, einem Thema, dem sich CRADLE OF FILTH von Beginn an gewidmet haben. Was hältst du denn von dieser ganzen Vampir-Hysterie, die die „Twilight Bücher ausgelöst haben?“
Das kommt in Wellen immer wieder auf. Die Leute lieben die Flucht aus der Realität und das ist, worum es im Heavy Metal wirklich geht. „Twilight“ würde ich jetzt nicht mit Heavy Metal in Verbindung bringen wollen, sondern mit diesem Pseudo-Goth-Pop-Kram in den USA: viele kleine Tattoos und keine Gehirne. Aber Trends wiederholen sich, Ende der 70er, Anfang der 80er war der Auslöser „Interview mit einem Vampir“ von Anne Rice. Jetzt ist es halt gerade „Twilight“, nur ein bisschen sehr kitschig. Wir sind nicht unbedingt eine Band, die stark dafür einsteht mit Umhängen und angeklebten Eckzähnen. Das beruhigt mich doch etwas.
Wir haben uns aus dieser Richtung etwas aus diesem Mythos ausgeborgt und da ich auch ein Fan von Gothic Horrorgeschichten aus dem 19. Jahrhundert bin, ist dieses Album auch so geworden und bietet dem Hörer die Flucht aus der Realität. Die Vampirthematik steht nun nicht so im Mittelpunkt und wir lassen zur Veröffentlichung des Albums auch keine kleinen Plastikfledermäuse rumfliegen.
In älteren Interviews beschreibst du deine Texte gern mit dem Begriff „Märchen für Erwachsene“. Was bedeutet das für dich, denn Märchen haben immer eine tiefere Funktion, z.B. um Kinder vor Gefahren zu warnen.
Ja, speziell in Fabeln. Jeder mag doch gute Märchen mit ihrer Symbolhaftigkeit und der Chance aus der Realität zu entfliehen. Guck dir doch mal das „Sonne“ Video von RAMMSTEIN an, was dort alles auftaucht: Drogen, Fetisch usw. Das ist ein modernes Märchen.
Leider geht heutzutage ja niemand mehr ins Kino, aber dort würde man auch nicht sehen wollen wie Spiderman stirbt. Man möchte von der Realität entfliehen und Filme bieten all dieses: Gewalt, Liebe, Macht und Vergebung. Die ganze menschliche Existenz in zwei Stunden auf Zelluloid zusammengefasst.
Das ist es was Heavy Metal ausmacht, wir wollten mehr, wir wollten etwas düsteres. Wir sind keine schlechten Leuten, wir sind nur an dem düsteren interessiert. Ich kenne viele Frauen … hier sollte ich aufhören, das hört sich gut an. Ich kenne viele Frauen. Sie haben normale Berufe, arbeiten im Büro oder in einer Bibliothek und fahren total auf Horrorfilme ab, wo sie sich zu Tode gruseln. Sie mögen zwar auch fusselige Hasenplüschtiere, aber vor allem Horrorfilme. Wir hingegen mögen Heavy Metal.
Als ihr CRADLE OF FILTH gegründet habt, wie kam denn da die Idee zustande über solche Sachen zu schreiben? Ihr hättet ja z.B. auch über Politik schreiben können.
Im Thrash Metal gab es ja diese Phase wo jeder sang, dass die Welt untergehen wird. Ich bin damit aufgewachsen und war und bin immer noch ein großer Thrash Metal Fan. Die amerikanischen Bands haben mir schon immer gut gefallen, aber noch mehr SODOM, KREATOR, die frühen DESTRUCTION, VIOLENT FORCE, DARKNESS, die waren bodenständiger. Das erste DESTRUCTION Album ist das beste Black Metal Album aller Zeiten. Das würde wahrscheinlich niemand so sagen, aber es ist wirklich so, es ist ein sehr satanisches Album.
Es geht auch um unsere Einflüsse. Wir sind in einer Gegend aufgewachsen, die als Hexen-Grafschaft bezeichnet worden ist und ich lebte in einem Haus wo Witchfinder General Matthew Hopkins ein und aus ging. Es klingt zwar lächerlich und die Leser werden lachen, aber auch MICHAEL JACKSON hat mich zu den Texten inspiriert mit seinem „Thriller“-Video. Es gab ein Making Of zu dem Video vom Director Michael Landis und dort zeigte er Ausschnitte von seinem Film „American Werewolf in London.“ Ich fragte meinen Vater um Erlaubnis ihn mir anschauen zu dürfen und it scarred the shit out of me. Danach kam dann „Der Exorzist“ und es war genau meins.
Wäre ich bei meiner vorherigen Leidenschaft geblieben, würde ich jetzt wahrscheinlich über Dinosaurier singen.
Es geht nur darum wie Leute ticken und wie sie die Welt sehen. Ich komme auch mit Leuten mit normalen Jobs klar, aber meine Faszination für die Flucht aus der Realität durch Heavy Metal und Horrorfilme kann ich deswegen nicht verleugnen. Auch der Glaube an Gott ist doch auch nichts anderes als eine Realitätsflucht.
Okay, ich bin gerade vielleicht etwas von der Frage abgekommen … der nächste Song ist „Fuck like a beast“ von W.A.S.P..
Da kommen wir später dazu. Erst noch die Frage warum ihr von Roadrunner Records zu eurem eigenen Label AbraCadaver und zu Peaceville gewechselt seid.
AbraCadaver ist eher so ein Werbeaufdruck seitdem wir bei Snapper Music waren. Roadrunner haben wir verlassen ohne schmutzige Wäsche zu waschen und auch nicht weil wir sie hassen, sondern weil unser Vertrag ausgelaufen war. In der Zwischenzeit waren aber alle Leute bei Roadrunner, die für uns wichtig waren, gefeuert worden. Sie hatten die Bands unter Vertrag genommen, die wir mochten und wegen denen wir auch bei Roadrunner sein wollten. Nun gab es in der Zwischenzeit dort Bands wie SLIPKNOT, NICKELBACK und NIGHTWISH, die jeweils eine Million Exemplare ihrer Alben verkaufen und das können wir nicht leisten, wir verkaufen nur eine halbe Million. Beim letzten Besuch bei Roadrunner Records sprach kaum jemand des Labels mit uns und wenn uns jetzt Leute vorwerfen, wir würden eine Schritt zurück machen, sag ich, dass wir jetzt der große Fisch in einem kleinen Aquarium sind und das ist ganz cool. Peaceville hat einige gute Ideen sagen offen heraus was in Zeiten wie diesen möglich ist, so dass wir unseren Fans doch einige coole Sachen bieten können. Sie kümmern sich noch um ihre Bands und sind nicht eines dieser Label, das einfach nur Alben herauswirft. Am Ende des Vertrages wurden wir von Roadrunner nicht mehr als Band sondern als Ware behandelt, die sich nicht mehr gut genug verkaufen lässt.
Dann lass uns mal über die Zukunft reden, im Dezember geht es auf Tour nach Südamerika. Was erwartet ihr von diesem Trip, denn man hört immer wieder, dass es das reinste Chaos ist dort zu touren, das Publikum aber auch voller Hingabe ist.
Genau das und noch viel mehr und das macht es auch so schön. Es ist immer wieder ein Erlebnis, denn dort interessiert man sich noch richtig für die Bands auch wenn man wahrscheinlich kein einziges Album dort verkauft hat. Oder doch, man hat ein Album verkauft und das ist dann 80.000 mal kopiert worden. Aber diese Hingabe der Fans liebe ich einfach.
Danach werden wir dann mit NACHTMYSTIUM, TURISAS und DANIEL LIONEYE in den USA touren und anschließende nach Europa kommen. Eigentlich wollten wir BEHEMOTH dabei haben, aber das wird wohl offensichtlich nichts, da es Nergal im Moment ja nicht allzu gut geht. Ich drück ihm jedenfalls die Daumen, dass jemand für eine Knochenmarktransplantation gefunden wird. Aber so ist das Geschäft und wir sehen uns gerade nach einer anderen Band um. Wir werden auf jeden Fall Festivals spielen, was wir lange nicht gemacht haben.
Dann wird es noch ein Orchesteralbum geben mit dem Titel „Midnight in the Labyrinth“ geben, wo es 13 Songs der ersten vier CDs als Orchester- und Chorversionen zu hören gibt, wie z.B. „Summer Dying Fast“, „A Gothic Romance“, Heaven Torn Asunder“, „Thirteen Autumns and a Widow“. Wir hatten das schon länger geplant, es aber zwischendurch auf Eis gelegt und uns auf das aktuelle Album konzentriert. Wir werden es jetzt aber beenden.
CRADLE OF FILTH sind eine dieser Bands, die man liebt oder hasst, und viele Leute reden Mist über dich und die Band.
Lass sie doch reden, es muss doch unendlich viel langweiliger sein wenn niemand über deine Band redet und niemand deine Songs kennt.
Worauf ich hinauswollte: Deine Tochter ist jetzt 11 Jahre alt und in dem Alter wo sie darüber nachdenkt was ihr Vater für einen Beruf hat und sie bekommt so langsam mit wenn Leute Mist über dich erzählen.
Sie bekommt es eben nicht mit, denn in meinem Freundeskreis redet niemand so über uns. Ich bin lange genug in diesem Business, so dass mein Freundeskreis ganz anders aussieht, da gibt es Anwälte, Designer usw. das sind alles ehr interessante Leute und man kann viel mehr Spaß mit ihnen haben als man sich das vorstellen kann. Sie wissen alle, dass ich in einer Band singe, verstehen es aber nicht so richtig, es interessiert sie aber auch nicht so sehr und genau das mag ich daran.
Meine Tochter ist noch ein kleines Mädchen und mag JUSTIN BIEBER, gleichzeitig hat sie sich „Leprosy“ von DEATH häufiger angehört als du es wahrscheinlich in deinem Leben getan hast. Sie ist sehr cool, aber man kann Kindern nichts aufzwingen. Als ich jung war, sammelte mein Vater Reggae Platten und der komplette Dachboden war voll damit. Deswegen hasse ich Reggae wie nichts anderes auf der Welt. Als ich Dreadlocks hatte, kamen immer Leute bei mir an: „Oi! You are in Bob Marley.“ oder „Oi! Bob!“ und ich war kurz davor sie alle umzubringen. Und das wahrscheinlich alles nur weil mein Vater so ein großer Reggae Fan war. Ich will das meiner Tochter nicht antun, ich will ihr nicht die Chance verbauen selbst „Pleasure to kill“ zu entdecken weil ich es mir zu oft angehört habe. Sie soll die Chance haben es selbst zu entdecken und ich will nicht als Diktator auftreten, denn dann wäre ich nicht besser als die Leute die ihren Kindern verbieten Heavy Metal zu hören.
Zum Abschluss des Interviews kannst du dir für die Radiosendung einen Song einer anderen Band wünschen, den du gerne hören würdest.
Vorhin hatte ich schon „Fuck like a beast“ von W.A.S.P. Erwähnt, aber ich würde gerne „Death Trap“ von DESTRUCTION haben. Der Song ist auf „Infernal Overkill“ und ich hätte gerne das Original und nicht die remasterte Version. Ich liebe den Song.
Auf der Seite der Sendung könnt ihr euch das Interview als mp3 runterladen.
Treffpunkt für das Interview mit Herrn Filth ist das Andel's Hotel in Berlin, direkt mit S- und U-Bahn Haltestelle vor der Tür, wo ich natürlich mal wieder viel zu früh da bin. Man hat ja nicht jeden Tag die Möglichkeit Dani Filth zu interviewen und nach den ganzen Gerüchten um ihn bin ich auch ziemlich aufgeregt. Also rein in die Lobby: Eine Delegation japanischer Geschäftsleute, weiße Ledersessel und ansonsten unendliche Weiten. Irgendwie komme ich mir fehl am Platze vor und als dann der Promoter auch nicht ans Telefon geht, werde ich langsam nervös. Doch alle Sorgen sind unbegründet, Jan Jaedike vom Rock Hard hatte mal wieder überzogen mit seiner Zeit, eine Tattoo Zeitschrift hat dann noch den Extrawunsch Danis Tätowierungen zu fotografieren und verschwindet mit ihm auf sein Zimmer. Die beiden Promoter, eine Kollegin von Power Metal und ich machen es uns währenddessen in der sky.bar des Hotels in der 14. Etage bequem, wo dann auch etwas später Dani Filth und Paul Allender (g.) auftauchen. Ersterer ist auf jeden Fall sehr höflich, gut gelaunt und umgänglich, so ganz entgegen der Vorurteile. Dann kann das Interview ja mit Ausblick auf die untergehende Sonne über den Berliner Plattenbauten losgehen.
Björn: Dani, wie geht es dir nachdem du bereits vier Stunden Interviews gegeben hast?
Da wir ja hier beim Radio sind, möchte ich etwas mehr über die Texte als über die Musik des neuen Albums reden. Aber fangen wir trotzdem mit der Musik an, für mich klingt „Darkly, Darkly, Venus Aversa“ wie eine typische CRADLE OF FILTH CD, vielleicht wie die Version aus dem Jahr 2010. Stimmst du mir da zu?
Typisch würde ich nun nicht sagen, gewiss ist es CRADLE OF FILTH, aber nostalgisch angelehnt an „Dusk... And Her Embrace“ und „Cruelty And The Beast“. CRADLE OF FILTH 2010 trifft es wohl, aber man kann es sich ja anhören und sich selbst ein Urteil bilden.
Im Labelinfo ist der Klang des Schlagzeuges extra angesprochen und ihr habt auch den Schlagzeuger gewechselt...
Nein, es ist immer noch derselbe.
Echt? Ich hab bei Metal Archives nachgeschaut und da wird Adrian Erlandsson noch als Schlagzeuger beim letzten Album geführt.
Nein, nein.
Okay, dann ist es mein Fehler.
Nein, das ist nicht dein Fehler, it's only the shitty website you went to.
Okay, dann kommen wir mal lieber zum Konzept hinter der CD. Könntest du es bitte kurz erläutern.
Wir haben uns mit Lilith beschäftigt - Adams erster Frau, Konzil der Hölle, Königin von Saba – und sich taucht sowohl in der Bibel als auch in der jüdischen Mythologie auf. Sie ist ein Charakter, der zu den Themen der Band sehr gut passt: Vampire, Femme-Fatale, narzisstische Vetternwirtschaft wie in „Cruelty... And The Beast“. Dieses Mal haben wir uns aber nicht mit einem historischen Thema beschäftigt, sondern das als Ausgangspunkt für eine Gothic Horrorstory verwendet: Tempelritter, Nonnen von Schloss Camelot, wir verweben das England aus dem Mittelalter mit dem viktorianischen England und verarbeiten auch etwas aus der griechischen Mythologie. Eine englische Gothic Horrorstory um den Charakter Lilith.
Also habt ihr mal einfach alles zusammengeworfen was euch interessiert hat anstatt wieder eine Geschichte mit Realitätsbezug zu erzählen?
Queen Viktoria wird auch regelmäßig in den Texten erwähnt.
Nein, nein, das ist nur ein Charakter zu dem Lilith wird. Sie benutzt sie als eine Art Gefäß um in diese Welt einzutreten. Da bist du aber nicht der erste, der Queen Viktoria in den Interviews anspricht. Vorhin hat übrigens auch jemand nach Steve McQueen gefragt, in den Texten taucht irgendwo „Demon queen of my dreams“ auf und diese Person hat gefragt, was Steve McQueen in den Texten macht. „Ich denke, er fährt Motorrad.“ (lacht)
Lilith ist im Feminismus eine wichtige Figur.
Sie ist die erste Person in der jüdischen und christlichen Mythologie, die sich Gottes Schöpfung in den Weg stellt, außerdem wird sie manchmal als dunkle Version von Gottes Frau bezeichnet. Sie taucht als Kindesmörderin auf, wird dämonisiert und als Königin der Dämonen betitelt. Aber auch im Hinduismus taucht so eine Person auf. Sie ist die Frau Luzifers und Sündenbock für viele Sachen.
Sie taucht in der Bibel nur an einer Stelle auf, in den Ursprungstexten und in der jüdischen Mythologie wimmelt es dagegen von Passagen über sie. Ist es nur weil die Kirche von Männern geführt wird?
Ach, die Bibel wurde doch nur von Opiumjunkies geschrieben und ist eine Märchengeschichte genau wie dieses Album ein dunkles Märchen ist. Die Bibel hat sich diese Geschichten zusammengeklaut und Lilith wird zwar nicht direkt erwähnt, aber bei ein paar Passagen muss man sie denken.
Wie ist denn deine Einstellung gegenüber starken Frauen? In der Metalszene wimmelt es ja von Machos und es gibt z.B. nur wenige Frauen auf der Bühne.
Stehen Machos denn auf Frauen oder auch auf Macho-Typen? Ich weiß es nicht.
Jedenfalls nicht auf starke Frauen.
Doch, Doro Pesch mögen sie, und sie ist eine starke Frau. Ich hab sie vor einem Jahr mal in den USA auf einem unserer Konzerte treffen können und sie ist mit ihren fast 50 Jahren immer noch sehr heiß.
Lilith taucht auf in Vampirgeschichten auf, einem Thema, dem sich CRADLE OF FILTH von Beginn an gewidmet haben. Was hältst du denn von dieser ganzen Vampir-Hysterie, die die „Twilight Bücher ausgelöst haben?“
Das kommt in Wellen immer wieder auf. Die Leute lieben die Flucht aus der Realität und das ist, worum es im Heavy Metal wirklich geht. „Twilight“ würde ich jetzt nicht mit Heavy Metal in Verbindung bringen wollen, sondern mit diesem Pseudo-Goth-Pop-Kram in den USA: viele kleine Tattoos und keine Gehirne. Aber Trends wiederholen sich, Ende der 70er, Anfang der 80er war der Auslöser „Interview mit einem Vampir“ von Anne Rice. Jetzt ist es halt gerade „Twilight“, nur ein bisschen sehr kitschig. Wir sind nicht unbedingt eine Band, die stark dafür einsteht mit Umhängen und angeklebten Eckzähnen. Das beruhigt mich doch etwas.
Wir haben uns aus dieser Richtung etwas aus diesem Mythos ausgeborgt und da ich auch ein Fan von Gothic Horrorgeschichten aus dem 19. Jahrhundert bin, ist dieses Album auch so geworden und bietet dem Hörer die Flucht aus der Realität. Die Vampirthematik steht nun nicht so im Mittelpunkt und wir lassen zur Veröffentlichung des Albums auch keine kleinen Plastikfledermäuse rumfliegen.
In älteren Interviews beschreibst du deine Texte gern mit dem Begriff „Märchen für Erwachsene“. Was bedeutet das für dich, denn Märchen haben immer eine tiefere Funktion, z.B. um Kinder vor Gefahren zu warnen.
Leider geht heutzutage ja niemand mehr ins Kino, aber dort würde man auch nicht sehen wollen wie Spiderman stirbt. Man möchte von der Realität entfliehen und Filme bieten all dieses: Gewalt, Liebe, Macht und Vergebung. Die ganze menschliche Existenz in zwei Stunden auf Zelluloid zusammengefasst.
Das ist es was Heavy Metal ausmacht, wir wollten mehr, wir wollten etwas düsteres. Wir sind keine schlechten Leuten, wir sind nur an dem düsteren interessiert. Ich kenne viele Frauen … hier sollte ich aufhören, das hört sich gut an. Ich kenne viele Frauen. Sie haben normale Berufe, arbeiten im Büro oder in einer Bibliothek und fahren total auf Horrorfilme ab, wo sie sich zu Tode gruseln. Sie mögen zwar auch fusselige Hasenplüschtiere, aber vor allem Horrorfilme. Wir hingegen mögen Heavy Metal.
Als ihr CRADLE OF FILTH gegründet habt, wie kam denn da die Idee zustande über solche Sachen zu schreiben? Ihr hättet ja z.B. auch über Politik schreiben können.
Im Thrash Metal gab es ja diese Phase wo jeder sang, dass die Welt untergehen wird. Ich bin damit aufgewachsen und war und bin immer noch ein großer Thrash Metal Fan. Die amerikanischen Bands haben mir schon immer gut gefallen, aber noch mehr SODOM, KREATOR, die frühen DESTRUCTION, VIOLENT FORCE, DARKNESS, die waren bodenständiger. Das erste DESTRUCTION Album ist das beste Black Metal Album aller Zeiten. Das würde wahrscheinlich niemand so sagen, aber es ist wirklich so, es ist ein sehr satanisches Album.
Es geht auch um unsere Einflüsse. Wir sind in einer Gegend aufgewachsen, die als Hexen-Grafschaft bezeichnet worden ist und ich lebte in einem Haus wo Witchfinder General Matthew Hopkins ein und aus ging. Es klingt zwar lächerlich und die Leser werden lachen, aber auch MICHAEL JACKSON hat mich zu den Texten inspiriert mit seinem „Thriller“-Video. Es gab ein Making Of zu dem Video vom Director Michael Landis und dort zeigte er Ausschnitte von seinem Film „American Werewolf in London.“ Ich fragte meinen Vater um Erlaubnis ihn mir anschauen zu dürfen und it scarred the shit out of me. Danach kam dann „Der Exorzist“ und es war genau meins.
Wäre ich bei meiner vorherigen Leidenschaft geblieben, würde ich jetzt wahrscheinlich über Dinosaurier singen.
Es geht nur darum wie Leute ticken und wie sie die Welt sehen. Ich komme auch mit Leuten mit normalen Jobs klar, aber meine Faszination für die Flucht aus der Realität durch Heavy Metal und Horrorfilme kann ich deswegen nicht verleugnen. Auch der Glaube an Gott ist doch auch nichts anderes als eine Realitätsflucht.
Okay, ich bin gerade vielleicht etwas von der Frage abgekommen … der nächste Song ist „Fuck like a beast“ von W.A.S.P..
Da kommen wir später dazu. Erst noch die Frage warum ihr von Roadrunner Records zu eurem eigenen Label AbraCadaver und zu Peaceville gewechselt seid.
Dann lass uns mal über die Zukunft reden, im Dezember geht es auf Tour nach Südamerika. Was erwartet ihr von diesem Trip, denn man hört immer wieder, dass es das reinste Chaos ist dort zu touren, das Publikum aber auch voller Hingabe ist.
Genau das und noch viel mehr und das macht es auch so schön. Es ist immer wieder ein Erlebnis, denn dort interessiert man sich noch richtig für die Bands auch wenn man wahrscheinlich kein einziges Album dort verkauft hat. Oder doch, man hat ein Album verkauft und das ist dann 80.000 mal kopiert worden. Aber diese Hingabe der Fans liebe ich einfach.
Danach werden wir dann mit NACHTMYSTIUM, TURISAS und DANIEL LIONEYE in den USA touren und anschließende nach Europa kommen. Eigentlich wollten wir BEHEMOTH dabei haben, aber das wird wohl offensichtlich nichts, da es Nergal im Moment ja nicht allzu gut geht. Ich drück ihm jedenfalls die Daumen, dass jemand für eine Knochenmarktransplantation gefunden wird. Aber so ist das Geschäft und wir sehen uns gerade nach einer anderen Band um. Wir werden auf jeden Fall Festivals spielen, was wir lange nicht gemacht haben.
Dann wird es noch ein Orchesteralbum geben mit dem Titel „Midnight in the Labyrinth“ geben, wo es 13 Songs der ersten vier CDs als Orchester- und Chorversionen zu hören gibt, wie z.B. „Summer Dying Fast“, „A Gothic Romance“, Heaven Torn Asunder“, „Thirteen Autumns and a Widow“. Wir hatten das schon länger geplant, es aber zwischendurch auf Eis gelegt und uns auf das aktuelle Album konzentriert. Wir werden es jetzt aber beenden.
CRADLE OF FILTH sind eine dieser Bands, die man liebt oder hasst, und viele Leute reden Mist über dich und die Band.
Lass sie doch reden, es muss doch unendlich viel langweiliger sein wenn niemand über deine Band redet und niemand deine Songs kennt.
Worauf ich hinauswollte: Deine Tochter ist jetzt 11 Jahre alt und in dem Alter wo sie darüber nachdenkt was ihr Vater für einen Beruf hat und sie bekommt so langsam mit wenn Leute Mist über dich erzählen.
Sie bekommt es eben nicht mit, denn in meinem Freundeskreis redet niemand so über uns. Ich bin lange genug in diesem Business, so dass mein Freundeskreis ganz anders aussieht, da gibt es Anwälte, Designer usw. das sind alles ehr interessante Leute und man kann viel mehr Spaß mit ihnen haben als man sich das vorstellen kann. Sie wissen alle, dass ich in einer Band singe, verstehen es aber nicht so richtig, es interessiert sie aber auch nicht so sehr und genau das mag ich daran.
Meine Tochter ist noch ein kleines Mädchen und mag JUSTIN BIEBER, gleichzeitig hat sie sich „Leprosy“ von DEATH häufiger angehört als du es wahrscheinlich in deinem Leben getan hast. Sie ist sehr cool, aber man kann Kindern nichts aufzwingen. Als ich jung war, sammelte mein Vater Reggae Platten und der komplette Dachboden war voll damit. Deswegen hasse ich Reggae wie nichts anderes auf der Welt. Als ich Dreadlocks hatte, kamen immer Leute bei mir an: „Oi! You are in Bob Marley.“ oder „Oi! Bob!“ und ich war kurz davor sie alle umzubringen. Und das wahrscheinlich alles nur weil mein Vater so ein großer Reggae Fan war. Ich will das meiner Tochter nicht antun, ich will ihr nicht die Chance verbauen selbst „Pleasure to kill“ zu entdecken weil ich es mir zu oft angehört habe. Sie soll die Chance haben es selbst zu entdecken und ich will nicht als Diktator auftreten, denn dann wäre ich nicht besser als die Leute die ihren Kindern verbieten Heavy Metal zu hören.
Zum Abschluss des Interviews kannst du dir für die Radiosendung einen Song einer anderen Band wünschen, den du gerne hören würdest.
Vorhin hatte ich schon „Fuck like a beast“ von W.A.S.P. Erwähnt, aber ich würde gerne „Death Trap“ von DESTRUCTION haben. Der Song ist auf „Infernal Overkill“ und ich hätte gerne das Original und nicht die remasterte Version. Ich liebe den Song.