Barney über Utilitarian, Copyright und SOPA


Interview mit Napalm Death
Grindcore aus Großbritannien - Birmingham
Endlich ist es soweit. Nicht nur über den bevorstehenden Auftritt von NAPALM DEATH freue ich mich schon seit Tagen, nein, auch ein vorangehendes Interview mit Barney Greenway ist anberaumt. Pünktlich treffe ich zur ausgemachten Zeit am ausgemachten Treffpunkt ein, und nach nicht mal einer Minute kommt auch schon der Kult-Frontmann persönlich aus dem VIP Bereich herausgeschlendert. Nach einer kurzen Begrüßung und einer etwas längeren Suche nach dem passenden Raum zum gemeinsamen Pläuschchen geht es dann auch schon los:

Hi Barney, wie gehts dir?

Sehr gut, sehr gut, wie sieht es bei dir aus?

Auch ganz gut. Hehe. Also gestern habt ihr in Siegen gespielt, euer Start in die Tournee. Wie war es?

Es war großartig. Ein kleiner Club, aber es war wirklich gut.

So klein wie dieser hier?

Nein, noch kleiner, vielleicht die Hälfte davon. Aber es war sehr schön, alles sehr privat.

Und bist du etwas enttäuscht, dass hier alles so ländlich ist und eher klein?

Das ist völlig unwichtig für mich. Wieso sollte ich davon enttäuscht sein?

Nun, NAPALM DEATH ist ja mittlerweile eine ziemlich bekannte Band, vielleicht seid ihr da ja Besseres gewöhnt.

Egal, wir spielen wirklich überall und haben da auch keine Vorurteile. Egal ob es ein Gig auf dem Lande ist oder in einer Stadt.

Ich finde es immerhin großartig, dass ihr den weiten Umweg gefahren seid...

Solche Sachen sind für uns einfach nichts Negatives. Jeder Auftritt ist gleich und bekommt die gleiche Bedeutung, egal wo er ist.

Ihr spielt dieses Jahr auf dem Maryland Deathfest, seid ihr dort schon jemals gewesen?

Ja, wir hatten dort einmal... oder waren es sogar zwei Auftritte? Ich denke, es war nur ein Mal. Das war vor ein paar Jahren und richtig gut. Ziemlich interessant, wie das ganze Fest von Zeit zu Zeit größer wurde, anfangs war es noch ein richtiges Underground-Ding.

Ist es vergleichbar mit Wacken?

Nein nein, es ist sehr viel kleiner. Wacken ist mehr Mainstream und auch nicht so unabhängig mit all seinen Sponsoren.

Gibt es noch einen Ort, an dem du mal auftreten willst?

Naja, wir waren fast schon auf der ganzen Welt, und doch gibt es immer noch Orte, wo man hingehen kann. Da gibt es noch den ein oder anderen Fleck in Afrika oder Asien, wo wir noch nicht waren. Vielleicht kamen wir mal in die Nähe, aber so richtig drin waren wir in diesen Kontinenten noch nie.

Genug über Ortschaften geplaudert, sprechen wir doch über euer neues Album. Ich hab schon reingehört und finde es spitze. Aber mach doch mal etwas Werbung für die Leser: Warum sollten sie euer mittlerweile 15. Album kaufen?

Ich denke, es ist eine logische Fortsetzung unseres letzten Albums. Es ist nicht sehr verschieden, aber es hat doch einen etwas anderen Geschmack. Sachen, die wir zwar schon gemacht haben, aber noch nicht in dieser Art. Es ist eben die Konsequenz aus den letzten Alben. Ich finde es immer schwierig, Unterschiede zwischen mehreren Alben in einer Mikroanalyse zu finden. Ich habe immer viel zu sagen, aber in diesem Bereich fällt es mir schwer, solche Kleinigkeiten zu sehen - warum die Unterschiede zwischen zwei Alben so sind wie sie sind. Ich denke, das Album ist ziemlich spontan entstanden, wir konzentrieren uns dabei nicht immer auf die Kleinigkeiten.

Meiner Meinung nach fällt es sehr viel grooviger und rockiger aus als die bisherigen Alben. Würdest du dem beipflichten?

Wirklich? Ich persönlich sehe das nicht so, aber ich spreche mit 100 verschiedenen Leuten über das Album und sie geben mir 50-60 verschiedene Interpretationen des Albums. Andere Leute meinten bereits, es ist mehr Grindcore als bisher, schneller. Du sagst so, und andere sagen das genaue Gegenteil... Für mich ist es einfach nur ein gutes Album. Grooviger? Ich weiß nicht... Ich kann mit dem Begriff nicht mal viel anfangen...

Vielleicht ist das ja das Geheimnis von NAPALM DEATH.

Vielleicht, ja ja, gut möglich. Das große Ziel von uns ist einfach nur, ein gutes Album zu machen. Natürlich gibt es ein paar Elemente von NAPALM DEATH, die einfach nicht fehlen dürfen, bzw. wir wollen nicht, dass sie fehlen, aber dann kommen ständig neue Varianten hinzu...

Gibt es auf dem Album ein paar Songs, die hervorzuheben sind? Oder sind einige besser als andere?

Ich hab eben meine bestimmten Favoriten, genau wie jeder andere sie hat. Bei mir sind das „Everyday Pox“, ähm..., ja, das ist mein Favorit, auf jeden Fall. Wenn ich nun mehrere Namen nennen müsste würde ich irgendwo bei neun oder zehn Stück landen. Also bleiben wir einfach bei „Everyday Pox“, es ist ein sehr guter Mix der verschiedenen Aspekte von NAPALM.

Das ist definitiv auch ein Favorit von mir. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber man hört dort ein paar ungewöhnliche Klänge, ich würde auf ein Saxophon tippen.

Oh ja, das ist ein Saxophon.

Computer oder Liveaufnahme?

Natürlich live, John Zorn hat die Tracks eingespielt. Er macht viele ungewöhnliche Sachen und ist ziemlich aktiv in der Free Jazz Szene.

Hmm... Ich spiele selbst Saxophon, aber hab noch nie etwas von ihm gehört.

John Zorn?? Naja, wenn man nicht in der englischen Szene ist, wird man ihn wohl nicht so kennen. Er spielt sehr viele verschiedene Varianten mit seinem Saxophon, im Avantgarde Bereich und in vielen Noise Bands.

Hast du viele Beziehungen in andere Musikbereiche?

Nein, wir haben keine direkte Verbindung. Er ist vielmehr ein langjähriger Unterstützer von NAPALM DEATH. Das hat schon sehr früh begonnen. Shane meinte, wir sollten mal mit etwas Neuem kommen, und da haben wir eben das gemacht.

Ein Song fiel mir noch ins Auge, „Nom De Guerre“. Klingt interessant, um was geht es?

Es ist eigentlich das Übliche. Der Name stammt aus dem Französischen, aber wird auch genauso im Englischen benutzt. Dort wird er wie ein Alias verwendet (zu dt: Kampfname). Im Französischen heißt es aber wörtlich der "Name des Krieges". Natürlich ist das eine ganz interessante Phrase, aber der Song bezieht sich kritisch auf den Alias-Teil. Etwas sein, was man eigentlich nicht ist. Und ich meine keine Leute, die einfach nur verschiedene Charaktere sein wollen, das kann lustig sein, damit habe ich kein Problem. Ich spreche von Leuten, die glauben, dass Statussymbole, Macht und Geld eine Person ausmachen. Aber das ist völlig unwichtig für mich. Für mich macht die Person selbst die Person aus, alles andere ist irrelevant. Darum geht es, und die Musik ist wahrscheinlich eine der verrücktesten auf dem Album.

Der Sound ist auch ziemlich brutal..

Ja, das ist eben NAPALM.

Aber verglichen mit den anderen Songs scheint er noch eine Spur härter zu sein. Sogar mit einem leicht anderen Sound.

Wirklich? Hmm, wenn du über Sound sprichst, meinst du da z.B. den Gitarrensound?

Ja, zum Beispiel die Gitarren. Oder bereits der Beginn des Songs scheint rauschiger zu sein... Hmm, aber wahrscheinlich ist das nur meine eigene Interpretation.

Ja, und das ist super. Der Gitarrensound ändert sich zwar nicht während des Albums. Aber wir produzieren manche Parts anders als die vorherigen, weil das einfach gut ist. Das ist ein Teil der Kreativität. Nicht nur das Songschreiben, sondern auch die Art wie man produziert. Wenn du es immer nur laufen lässt und nichts änderst, wird es langweilig, also ist es gut, verschiedene Sounds bei verschiedenen Songs zu haben. Aber der reine Gitarrensound ist durchgehend der gleiche.

Die Art und Weise, wir ihr aufnehmt, ist das immer noch die gleiche wie vor, sagen wir mal, zehn Jahren?

Hmm, welchen Teil des Produzierens meinst du denn genau?

In erster Linie die Technik und das ganze Equipment.

Das Equipment kann sich schonmal verändern, aber in Sachen Technik versuchen wir immer eine möglichst naturgetreue Aufnahme zu machen. Meine eigene Meinung ist, dass einige Sachen der digitalen Tonverarbeitung ganz brauchbar sind. Aber wenn man sich nur darauf verlässt, bekommt man nicht diesen Sound, den wir wollen.

Also habt ihr noch viele analoge Sachen in Gebrauch?

Ja, definitiv...

...z.B. ein Tonbandgerät?

Haha, nein, kein Tonbandgerät, aber es gibt da so einige analoge Sachen, die wir benutzen. Verzerrer, Verstärker und solche Sachen.

Wenn ihr nun ein neues Album produziert. Wer ist führend beim Songschreiben? Wer hat die Ideen?

Mitch und Shane kommen normalerweise mit den Riffs daher. Aber ich hab auch einen Einfluss darauf, bringe Vorschläge, wie man Manches besser machen könnte. Dann komme ich mit Titeln, Themen, Konzepten an. Normalerweise habe ich vorher immer schon ein paar auf Lager, aber die müssen natürlich noch arrangiert werden und in die Songs eingebaut werden.

Wer schreibt die Lyrics? Du alleine?

Ja, zu 95% schreibe ich sie alleine.

Sie sind auch ziemlich politisch angehaucht...

Ja, natürlich, aber das ist menschlich. Politische Worte lösen in mir häufig ein Gefühl der Leere aus. In der modernen Gesellschaft bedeutet Politik nicht mehr als zu diskutieren und zu streiten, aber es werden nie wirklich die Probleme gelöst. Wie Stiere, die einfach nur verrückt werden. Das ist offensichtlich, was Politik ist. Diese Alibipolitik ist nicht das, was NAPALM will. Also behandeln wir Themen wie die Menschenrechte im Allgemeinen und alles, was damit zusammenhängt.

Teilen du und deine Bandkollegen die gleichen politischen Ansichten?

Wann immer du eine Ansammlung von mehreren Leuten hast, hast du automatisch verschiedene Ansichten. So ist das Leben. In vielen Sachen denken wir fast das Gleiche, überschneiden uns in unseren Ansichten und woanders denken wir wieder verschieden. Und das ist auch gut so. Bei Themen, die im Mittelpunkt der Band stehen, denken wir alle fast gleich, in anderen Sachen gibt es dann natürlich andere Meinungen.

Also gibt es fast keine Streitereien, wenn es um neue Texte geht?

Nein, nicht wirklich. Die anderen lassen mich meistens mein Ding machen und sind nicht so besorgt darüber, was genau ich nun schreibe.

Wenn wir schon bei den politischen Themen sind, wie denkst du über das Copyright?

Ein sehr spannendes Thema. Meinst du die Sachen, die in den letzten Wochen passiert sind?

Lass uns doch erstmal allgemein darüber reden. Ohne aktuellen Bezug. Was hältst du z.B. davon, dass der Musiker nur einen Bruchteil von dem Geld sieht, was der Käufer für eine CD hinlegt?

Ich denke, das kann man nicht so einfach sagen. Da spielen viele Faktoren mit rein. Meiner Meinung nach ist es ungerecht, dass zum einen die Rechte von den Musikern an ihren eigenen Songs stark reduziert werden oder ganz weggenommen werden. Das finde ich einfach nicht okay. Aber es ist komplizierter, als einfach nur den Musiker zu betrachten. Da gibt es so viele Leute, die dazu beitragen, ein Album auf den Markt zu bringen, die müssen auch vom Copyright profitieren. Es sind eben nicht nur die einzelnen Musiker, drumherum arbeiten noch so viel mehr Leute daran.

Die Manipulation an solchen Sachen oder eine einseitige Darstellung ist immer etwas Schlechtes. Sowas habe ich noch nie befürwortet. Es kommt eben darauf an, auf welcher Seite die Münze landet. Es ist ein sehr komplizierter Bereich und definitiv keine einfache Angelegenheit. Weil ich das nun gesagt habe, sage ich aber auch Folgendes: Immer wenn Leute arbeiten gehen und Sachen erledigen, erwarten sie bezahlt zu werden. Und bei Musikern, besonders in kleineren bis mittleren Bands wie wir, gibt es nur sehr wenige Aspekte, wo man profitieren kann. CD-Verkäufe? Niemals, weil man einfach zu viele Ausgaben während der Produktion hat. Auftritte? Okay, das ist vielleicht noch einer der besseren Bereiche. T-Shirts, die auf der Tour verkauft werden? Okay. T-Shirts, die außerhalb davon verkauft werden: Nicht wirklich. Also das Copyright ist eine der Sachen, die uns vor zu geringem Einkommen schützen. Wir brauchen einfach ein bestimmtes Maß an Copyrightschutz. Aber es ist zu komplex, um nun zu sagen, dass wir als Musiker das Monopol darauf haben sollten. Es muss auch für die Leute im vor- und nachgelagerten Bereichen erreichbar sein.

Wenn jemand eure Musik downloadet, ist das okay für dich?

Ja. Weißt du was? Ich denke darüber ziemlich entspannt, aber hab eine bestimmte Ansicht. Wenn jemand das Album während den ersten Wochen nach dem Release runterlädt, hilft uns das gar nichts. Denn diese anfängliche Kaufperiode ist die wichtigste für uns. Das bringt Geld herein, aber nicht damit wir davon profitieren, sondern um das Geld zurückzuzahlen, dass das Label in die CD hineingesteckt hat. Das gilt vielleicht nicht für jede Band, das verstehe ich, aber bei uns ist das der Fall. Wenn es jedoch jemand von einem Ort aus runterlädt, wo das Einkommen gering ist und man das Album nicht beschaffen kann... Da muss man sich einfach selber fragen, will ich das Album haben oder eben nicht? Das ist eine einfache Wahl, natürlich will ich das Album haben. Also ist das bei dieser Situation völlig okay.

Könnt ihr alle nur von den Gagen leben?

Wir leben ganz nahe am Mindesteinkommen, es ist wirklich gar nichts. Glaub mir. Du kannst da jeden Musiker mit unserem Bekannheitsgrad fragen und er wird dir dasselbe sagen. Ich meine, einige Jahre zuvor, in den Anfangsjahren, als ich frisch dazugestoßen bin, da war es wirklich hart. Du lebtest von Pfennigen. Es war auch nicht so, dass wir arbeiten gingen und nebenbei NAPALM machten. Wir waren diese Band, 24/7/365. Und wenn du so lebst und es kommt kein Geld herein, ist das ziemlich hart. Aber wir sind darüber hinweg und haben uns etwas strukturiert, so dass wir ein festes Mindestmaß an Geld bekommen.

Also siehst du die Sache mit dem Einkommen nun etwas gelassener?

Es kommt ganz darauf an, wir haben pro Jahr einige Monate, wo das Geld ganz gut fließt, und in der andern Zeit sieht es halt etwas schlechter aus. Gelassen würde ich es nicht unbedingt nennen.

Reden wir doch mal über die letzte Copyright Diskussion mit...

SOPA

Ja, ganz genau, hast du eine Meinung dazu?

Ich denke, es ist viel mehr, als nur der Versuch den Rechteschutz zu bewachen. Es ist ein Werkzeug, um das Internet zu kontrollieren. Wie Tentakel, die das Internet durchwuchern. Dabei ist das Internet eines der letzten Mittel zur Meinungsfreiheit. Es stört mich, dass die Oberen das machen wollen. Es ist viel komplizierter als nur die Kontrolle des Copyright. Die Leute leiden schon genug, wenn sie ihre freie Meinung kundtun wollen, ich wäre gegen alles, was das noch weiter verschlimmern würde.

Glaubst du daran, dass der normale Bürger irgendwas gegen SOPA oder ACTA machen kann? Die Entscheidung fällen ja ganz andere Leute, die fast unerreichbar sind

Nunja, sie müssen es nur im Kontext des Internet machen. Wenn sie im Parlament schon keine Stimme haben, so haben sie dort eine. Aber vielleicht hängt das auch alles davon ab, wie sich die Occupy Bewegungen entwickeln werden. Sollte die bürgerliche Stimme mal Gewicht haben, so wird sie sehr viele Aspekte in allen möglichen Bereichen abdecken.

Ich nehme an, du unterstützt die Occupy Bewegung?

Ja, natürlich. Generell gesagt haben die Leute nun in einer erstaunlichen Zahl gesagt, dass sie mehr Stimmrecht haben wollen. Also sollte man darauf hören. Wenn die Leute einerseits über Demokratie reden und diese dann andererseits ignorieren, was für ein falsches Spiel ist das denn?

Hast du die Geschichte von Megaupload gehört? Kim Schmitz? FBI?

Ja, ganz am Rande habe ich das mitbekommen, aber nicht genug, um darüber was Vernünftiges sagen zu können.

Okay, ich bin dann durch mit meinen Fragen. Hast du noch irgendwas, was du loswerden willst?

Einfach nur das Typische. Aber es ist eben wichtig. Also danke an alle, die uns unterstützen, dass wir immer noch hier sein können. Es sind immerhin schon 30 Jahre, 25 Jahre seit SCUM veröffentlicht wurde, und wir sind immer noch hier, und wie ich denke, immer noch mit der selben Vitalität.

Dann sage ich vielen Dank für das Interview und wünsche euch einen erfolgreichen Auftritt.

Danke, hat mich gefreut, mit dir zu plaudern.
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