Rock Hard Festival 2011

Rock Hard Festival 2011

AnacrusisAtlantean KodexBulletEnforcerEnslavedIced EarthIn SolitudeMorgothOverkillPrimordialVicious Rumors
Gelsenkirchen, Amphitheater
10.06.2011
Einige Jahre hat es gedauert, bis ich mir endlich selbst ein Bild von dem allseits hochgelobten Rock Hard Festival machen kann, jetzt ist es endlich so weit. Nach einer spannungsarmen Anreise, bei der immerhin ab dem Umsteigen in BoGeStra-Bahnen die Blicke der normalen Bahnfahrer und das Lob für die eigene Schleppkapazität durch alteingesessene Frühmorgenbiertrinker auch anderen Festivalgängern zuteilwird, bewahrheiten sich die ersten Positiva gleich bei der Ankunft und im Lauf des ersten, noch auftrittslosen Donnerstags: Die Ordner sind ausgewählt freundlich und die überwältigende Mehrheit des Publikums reist wegen der Musik, nicht wegen irgendwelchem Schabernack oder primär zum Rauslassen der inneren Sau an. Der mächtige „Angel Witch“ und „Don’t Break The Circle“ (das Original von DEMON, nicht das BLIND GUARDIAN Cover) Chor bei der ersten nächtlichen Party spricht Bände.
Nur das angeblich traditionell gute Wetter macht in diesem Jahr einen Bogen um das erfreulich übersichtliche und enorm komfortabel (WCs mit Wasserspülung, heiße Duschen zu jeder Tageszeit) eingerichtete Zeltgelände und das Amphitheater selbst. Aber was nicht ist, kann ja noch werden…

Freitag, 10.06.2011 – When the rain begins to fall

Nach einer kurzen Nacht ist der Kopf erstaunlich wenig schwer, dafür hängen die Wolken um so schwerer am Himmel und von meinem Bloodchamber-Kollaborateur Nils ist auch weit und breit nichts zu sehen – wie sich später rausstellt, hat sein Auto auf der Anfahrt die Grätsche gemacht, was ihn am ganzen Wochenende vom Festival fern hält und für diesen Bericht bedeutet, dass nicht alle Bands zu angemessenen Ehren kommen können.
Nachdem die gröbsten Wetterunbillen vorerst vorüber sind, leider aber auch CONTRADICTION, PROCESSION und POSTMORTEM, ist es wirklich an der Zeit, sich um die Chronistenpflicht zu kümmern. Das eigentliche Veranstaltungsgelände präsentiert sich in der frühabendlichen Sonne von seiner besten Seite: Überall im Amphitheater hat man, durch die terrassenartige Anlage unabhängig von der Körpergröße, sehr gute Sicht auf die Bühne, und selbst in der Bier- oder Autogrammstandschlange hat man problemlos das Geschehen im Blick.
Dass das Wetter an diesem Wochenende immer für einen Jux gut ist, beweist es bei PRIMORDIAL, die am späten Nachmittag von den gefühlt ersten Sonnenstrahlen des Tages mehr beleuchtet werden, als es für die Finsterheimer um Alan Nemtheanga notwendig oder gar wünschenswert wäre. Vielleicht liegt es tatsächlich an der die Laune aufhellenden Sonne oder aber am diversifizierten Publikum, aber die Eigenwilligkeit der Musik der Iren und ihre oft schon fast als magisch angepriesenen Livequalitäten erschließen sich mir heute nur bedingt. Natürlich strahlt „The Coffin Ships“ etwas Besonderes aus, doch genau das ist nicht eben förderlich für die direkte Zugänglichkeit. Dazu hat der gute Herr Nemtheanga es auch einfach zu gut gemeint und sieht dank der Kombination aus Zombieschminke und dem Kübel Kunstblut, den er sich über den Kopf geschüttet hat, eher wie ein Splatterfilmdarsteller als wie ein Musiker aus. Man kann es eben auch übertreiben.
Sehr stimmig angesetzt sind die folgenden ENSLAVED, die das atmosphärische Moment von PRIMORDIAL aufgreifen, ihm aber eine ganze Ecke mehr Schwung mitgeben. Die Mannen um die nach Wickie zweit- und drittliebsten Wikinger der Welt, Grutle und Ivar, haben anfänglich etwas unter fehlender Leadgitarrenpower zu leiden, so zumindest der Eindruck auf den Rängen. Nachdem dieses bei ENSLAVED vergleichsweise nicht ganz so dramatische Problem beseitigt ist, unterhalten die fünf Norweger das Publikum sehr ordentlich, selbst wenn der Auftritt mich trotz der stolz präsentierten, blanken Brust von Gitarrist Arve „Ice Dale“ Isdal nicht wirklich überwältigt.
Statt den Weltentsagern TRIPTYKON um Tom G. Warrior beim Herbeirufen der Apokalypse beizuwohnen, führt der Weg zum späten Abendessen, bevor der Tag mit lautstark und in Gruppenstärke mitgesungenen IRON MAIDEN Hits fröhlich beendet wird.

Samstag, 11.06.2011 – Mehr Regen, Mehr Konzerte, Mehr Alles

Wohl als Fehler stellt sich das Versäumen von DREAMSHADE heraus, über die man später einige lobende Worte von der Moderne etwas aufgeschlosseneren Zeitgenossen hören kann.
Der Einstieg sind also IN SOLITUDE, die sich trotz aller Kauzigkeit heute zumindest bei den Outfits in punkto Extravaganz zurückhalten. Denim, Leather & Bullet Belts reichen ja eigentlich auch für eine gute Show und lenken die Aufmerksamkeit weniger von der Musik ab. So wie ich meine lieben Probleme mit dem Freitagsprogramm hatte, kann heute offenbar nicht jeder im weiten Rund sich gleich dem mit ordentlich Schmackes vorgetragenen, von Dämonen angehauchten Heavy Metal der Schweden hingeben. In den vorderen Reihen dagegen ist die Stimmung auch zu dieser Uhrzeit schon bestens, obwohl „Serpents Are Rising“, DER Hit des aktuellen Albums, nicht den Weg in die heutige Setlist gefunden hat.
DISBELIEF und EPICA werden mit einem Besuch in der Fress- und Metalmarktmeile überbrückt, weiter geht’s erst mit den AC/DC & ACCEPT Freunden BULLET, die in diesem Jahr schon für so manche zünftige Liveparty gesorgt haben. Frontkugel Hell Hofer und Bassist Adam Hector sehen dazu noch so verzottelt aus, als wäre der Rasierer ungefähr zu Ostern kaputt gegangen, aber welche Opfer nimmt man für den Rock’n’Roll nicht in Kauf. Wieder einmal bewahrheitet sich die alte Weisheit, dass auf einem Festival eher einfache Musik oft für die beste Laune sorgt. Und „Stay Wild“ oder „Bite The Bullet“ kann man selbst mitsingen, wenn man erst fünf Minuten vorher aus dem Zelt gekrochen ist und die Lieder noch nie vorher gehört hat. Ein großer Spaß!
Der ist bei MORGOTH natürlich vorbei. Quatsch, natürlich nicht. Die Selbstsicherheit der wiedervereinigten Death Metal Institution hat unter den zwei Warm Up Konzerten zurecht nicht gelitten, gut aufeinander abgestimmt ist man auch. Es ist also alles angerichtet und das hungrige Festivalvolk nimmt die einstündige Einladung zum Bangen, Moshen und WeißderDeibelwas gerne an. Ganz so intensiv wie im überschaubaren AJZ in Wermelskirchen kann es natürlich heute nicht sein, dennoch haben MORGOTH die Klasse und Ausstrahlung, um die größere Bühne auszufüllen.
Der AMORPHIS Auftritt fällt für mich wegen des schon bei MORGOTH einsetzenden strömenden Regen aus. Um dem Mainact des Tages beiwohnen zu können, muss zwingend die patschnasse Kleidung ausgetauscht werden.
Als der Band gegenüber eher kritisch eingestellter Zeitgenosse muss ich dann einen besonders großen Hut vor ICED EARTH ziehen, denn was die Truppe um Boss Jon Schaffer und Wieder-und-bald-nicht-mehr Sänger Matt Barlow an diesem Abend veranstaltet, ist großartig. Matt Barlow singt kraftvoll und mit Seele wie ein junger Gott und hat sichtlich Spaß daran und am Publikum. Praktisch jedes Lied, ob man es kennt oder nicht, kommt so zwingend aus den Boxen, dass man sich ihm nicht entziehen kann. Bei allem Respekt für die anderen Bands, aber diese Magie und Ausstrahlung, die in den Bann zieht, ja ziehen muss, putzt alles vorher Gesehene um Längen von der Platte. Großartig!

Setlist ICED EARTH:
1776
Burning Times
Declaration Day
Vengeance Is Mine
Violate
Watching Over Me
Last December
The Hunter
I Died For You
Travel In Stygian
Jack
Melancholy (Holy Martyr)
Prophecy
Birth Of The Wicked
The Coming Curse
Colors
Iced Earth

Sonntag, 12.06.2011 – Sonne? Sonne!

Der „Fluch“ des Eröffnungsacts trifft heute VANDERBUYST, und wieder muss man sich laut einiger Kommentatoren ärgern, etwas verpasst zu haben.
Das würde auch für die folgenden ENFORCER gelten, die seit der Veröffentlichung ihres letzten Albums „Diamonds“ praktisch nur noch auf der davon ausgelösten Welle surfen müssen. Wer die Schweden kennt, weiß aber, dass sie sich mit so einer lahmen Taktik nie zufrieden geben würden. So steht auch in der Mittagssonne voller Einsatz auf dem Programm, bei dem besonders Bassist Tobias Lindqvist sich um den Titel als Zappelphilipp des Wochenendes bewirbt. Der Sound könnte zwar auf jeden Fall fülliger sein, das Energielevel stimmt aber und Frontmann Olof Wikstrand hat sich mittlerweile deutlich besser in seine Doppelrolle als Sänger und Gitarrist eingefunden, die er erst seit dem Abgang von Adam Zaars in diesem Frühjahr innehat. Etwas weniger Toben und etwas mehr Saft im Klang hätten aber nicht geschadet.
Im Vorfeld haben ATLANTEAN KODEX wohl einigen Respekt vor dem Auftritt auf dem Rock Hard Festival gehabt und waren sich nicht sicher, ob sie das Angebot wahrnehmen wollen. Viel zu spüren ist davon heute allerdings nicht, was sicher auch an dem Zuspruch liegt, der ihnen von Beginn an von der wahrscheinlich nur auf dem Rock Hard Festival in dieser Größenordnung vorhandenen Menge an positiv Bekloppten direkt vor der Bühne entgegengebracht wird. Wie stark der Eindruck auf bisher nicht mit der Band Vertraute ausgefallen ist, lässt sich nur schwer einschätzen, spätestens mit der Bandhymne „The Atlantean Kodex“ sollte man aber die meisten geschmacksicheren Anwesenden zum Unterzeichnen des Kodex bewegen können, die Faustrecker vor der Bühne haben das selbstverständlich schon längst getan.
Nachdem METAL INQUISITOR der Nahrungsaufnahme zum Opfer gefallen sind, ist die – zumindest von mir – am meisten herbeigesehnte Band des Festivals an der Reihe. Das spielerische und kompositorische Niveau der Alben können ANACRUSIS auch live umsetzen, eine Reihe fanatischer Anhänger der Band feiert alles, der Schlagzeuger (mit schwarz-weißem Schalke Shirt, warum auch immer…) grinst und feixt als hätte er den Spaß seines Lebens und Frontmann Kenn Nardi genießt sichtlich die Aufmerksamkeit und den Jubel, aber so richtig will der Funke nicht nur bei mir nicht überspringen. Ob das an dem recht komplexen Material, der Setlist – ich habe auf jeden Fall „World To Gain“ und „Fighting Evil“ vermisst – oder der Ausstrahlung der Band liegt, die beim besten Willen nicht auf dem gleichen Level wie die Musik liegt, ist nicht genau zu bestimmen. Stimmungstechnisch ist auf jeden Fall noch mehr Luft nach oben als spieltechnisch.
VICIOUS RUMORS entpuppen sich binnen Minuten als die zweite sehr positive Überraschung des Wochenendes, neben ICED EARTH. Der Sound ist erstklassig, die hervorragende Stimmung vor der Bühne verbreitet sich auch auf die Terrassen des Amphitheaters und die fünf mehr oder weniger alten Herren um Geoff Thorpe ziehen alle Register. Einzig Sangesmeister Brian Allen hat ein wenig zu ausgiebig vom Kuchen des Wahnsinns genascht. Die Ähnlichkeit seiner Kleidung mit einer Zwangsjacke ist wohl nicht zufällig ausgewählt, denn sein Gepose und Getue ist nah daran, die Grenzen der Exaltiertheit zu sprengen, und wirkt ein wenig befremdlich. Davon abgesehen aber einer der herausragenden Auftritte des Festivals.
Beschlossen wird das Festival für mich von OVERKILL, denen live einfach kaum jemand das Wasser reichen kann. Blitz zeigt, dass er seinen Namen nicht von ungefähr trägt, der Moshpit kommt nochmal richtig auf Touren und auch auf den Rängen wird mehr Bühnenenergie aufgenommen und in Bangen und Posen umgesetzt als bei (fast) jeder anderen Band zuvor. So speziell wie im Vorfeld angekündigt ist die Setlist zwar nur in Teilen, böse sein kann dem New Yorker Thrash Metal Inferno aber niemand, zumal man neben jedermanns Liebling Blitz mit dem anderen Urgestein D.D. Verni am Bass mindestens noch einen absoluten Sympathieträger in der Band hat, der zudem – unabhängig vom Alter des Gags – mit den „Verni“ & „Bass“ Patches an seiner Weste punktet. In der Metalaristokratie ist und bleibt Thrash Metal der König.
Dem ausgeprägten Schlafmangel und der damit einhergehenden Erschöpfung fallen das Karaoke-Jam und DOWN zum Opfer, weil nach OVERKILL kein Fitzelchen Energie mehr übrig geblieben ist.

Was bleibt von dem Wochenende?

Ein in allen Belangen sehr gut organisiertes Festival, bei dem beim nächsten Mal allerdings mehr (bzw. überhaupt) Ablageflächen in den Duschen vorhanden sein dürfen und das Wetter bitte besser wird. Von einigen wenigen Wahnsinnigen abgesehen, wie dem Vollhonk, der in der letzten Nacht sein Zelt abgefackelt hat, und dem frühmorgendlichen ÄRZTE & HOSEN Chor neben meinem Zelt, der viel Schlaf gekostet hat, war das Publikum sehr vernünftig, was sich unter anderem darin bemerkbar gemacht hat, dass zumindest in meinem Blickfeld bei der Abreise am Montag die meisten Lagerstätten nicht den Müllhalden größerer Festivals geglichen haben. Und eine Bandauswahl, die zwar natürlich und Rock Hard-typisch den Old Schoolern etwas mehr entgegen kam, dafür aber dennoch mit Abwechslungsreichtum und einigen selten gesehenen Gruppen überzeugen konnte.
Pfingsten 2012 ist praktisch schon gebucht.

(Die Fotos liefern nur allgemeine Impressionen von den Auftritten, mangels Equipment und dazu passendem Fotograbenpass. Danke an Andi & Nicole für den Großteil davon. Für eine umfangreiche Fototour empfehle ich die Galerien auf live-frenzy.de)

Bildergalerie

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