Edguy & Hartmann

Edguy & Hartmann

EdguyHartmann
Köln, Live Music Hall
11.02.2009
Den meisten Leuten ist es nicht sonderlich willkommen, wenn sie im Winter von der Grippe erwischt werden. Besonders unglücklich wird das, wenn von den Auswirkungen noch viele andere Menschen betroffen sind wie im Falle der Kurzgrippe von EDGUY Sänger Tobias Sammet Ende Januar. Die Neuterminierung nur zwei Wochen nach dem ursprünglichen Termin gibt mir dann aber doch erfreulich zeitnah die Chance EDGUY zum ersten Mal live zu sehen, selbst wenn man im Kölner Publikum auf die ursprünglichen Support Acts H.E.A.T. und ALL ENDS verzichten muss und stattdessen den Klängen von HARTMANN lauschen darf.
Als ich um 19:30 die Live Music Hall betrete (natürlich ohne die mitgebrachte Wegzehrung in Form einer Banane, die die Security mir vorher aus der Tasche gezogen hat…), ist diese überraschenderweise schon sehr gut gefüllt. Das könnte etwas damit zu tun haben, dass zu dieser Zeit ursprünglich die erste Band anfangen sollte, was in der LMH meist bedeutet, dass sie spätestens um 19:15 angefangen hat…

Wie heiß das Publikum auf Live-Musik ist, wird klar als eine Viertelstunde später die Mannen um Ex-AT VANCE Sänger & Dauer-AVANTASIA-Gast Oliver HARTMANN die Bühne betreten und nach der ersten Klatschaufforderung von der Bühne das vordere Hallendrittel sofort einsteigt, als ob sie hauptsächlich wegen HARTMANN gekommen wären. Erst die X-te Aufforderung zum Klatschen zu späterer Zeit lässt erste Lücken im Heer der Hände erkennen. Mich dagegen lässt die Band erst einmal reichlich ratlos zurück, erinnert das erste Lied doch eher an eine mit Soli aufgepeppte Version von BRYAN ADAMS als nach dem erwarteten AOR / Melodic Rock. Zum Glück trügt der erste Eindruck etwas und so können zumindest der einfach gestrickte Mitsingrocker „What If I“ und die ebenfalls in Ordnung gehenden „So It’s OK“ und „Millionaire“ einigermaßen überzeugen. Anders sieht es da mit den Ansagen aus, die eher anbiedernd (beim Hinweis auf die Ur-PARADOX Mitgliedschaft von Bassist Armin Donderer) und peinlich (bei dem schlechten Witz zur Finanzkrise und der Frage nach Fondbesitzern vor „Millionaire“) rüberkommen.
Ohne Frage sind hier sowohl an den Instrumenten als auch am Mikrofon ausnahmslos Könner am Werk, selbst der Aushilfsschlagzeuger scheint aus der Entfernung sehr sicher, aber die Lieder wirken maximal nett und treiben sonst eher in soligetränkter Belanglosigkeit, wobei ich glücklich bin, dass bei der Kitschballade „I Will Carry On“ in der Mitte des Sets die Leute nicht noch reihenweise Feuerzeuge zücken... Auch bezüglich des Engagements kann ich den Jungs keinen Vorwurf machen, besonders Armin Donderer am Bass scheint bewegungstechnisch noch in einer Thrash Band zu spielen, aber das rettet den Gesamteindruck leider nicht, und so bin ich etwas erleichtert, als das Geplänkel nach 10 Liedern und 45 Minuten vorbei ist. Nett, aber reichlich unspektakulär.

Alle zwischenzeitliche Begeisterung im Publikum ist aber kein Vergleich zu dem Ruck, der durch die Menge geht, als EDGUY die Bühne betreten, die passend zum neuen Album von Steinattrappen geprägt ist, die wohl an ein Kloster erinnern sollen, und als besonderes Gimmick statt einem klassischen Backdrop ein mehrere Meter großes „Tinnitus Sanctus“ Medaillon mit eingebauter Extra-Lightshow präsentiert. Auch Frontmann Tobias Sammet trägt optisch schwer auf mit Accessoires wie Russenmütze, Mantel und verspiegelter Fliegersonnenbrille, die aber glücklicherweise alle nach kurzer Zeit abgelegt werden.
Wie enthusiastisch EDGUY Fans sind, offenbart sich gleich zu Beginn, denn die Live Music Hall ist ab dem ersten Takt des Openers „Dead Or Rock“ da und es gibt eine Menge Mitsänger im Publikum zu hören. Ab dem dritten Lied „Tears Of A Mandrake“ befindet sich das Publikum endgültig in dem gleichen Rauschzustand wie die Band (ich habe noch selten eine Band gesehen, in der die Musiker bei einem Auftritt so viel gegrinst haben.) und Tobi erntet für die Ankündigung von „Babylon“ mit der Bemerkung, dass die meisten im Publikum bei Erscheinen des Liedes noch flüssig waren, mehr Lacher als nötig gewesen wären bei einem gerade mal zehn Jahre alten Lied. Dafür wird das Lied dann umso stürmischer gefeiert, zumal Meister Sammet sich den ganzen Abend über in großartiger Gesangsform präsentiert, was ich in der Qualität (erst Recht kurz nach der Grippe) nicht unbedingt erwartet hatte.
Ein bisschen unverständlich ist in meinen Augen das Einbremsen der Menge mit dem folgenden, mehr als 10-minütigen „The Pharaoh“, das mich nicht restlos von seinen Live-Qualitäten überzeugen kann. Ebenso viel Lachen wie Kopfschütteln erntet dafür das folgende SCOOTER Intermezzo, welches die Singbereitschaft für „Ministry Of Saints“ im Publikum im Handstreich wieder herstellt. Etwas auf den Boden geholt werde ich von dem folgenden, langen Drumsolo, welches nach interessantem Beginn mit der Begleitung des „Fluch Der Karibik“ Intros in üblichen Drumsolo-Eskapaden mündet, doch das live wie auf Platte überzeugende „Pride Of Creation“ aktiviert die nötige Energie für den fast schon eingeleiteten Endspurt. Denn zwei Lieder später (darunter das einmal mit HAMMERFALLs „Let The Hammer Fall“ Chorus versehene „Headless Game“) wird „Superheroes“ schon als letzter Song angekündigt.

Zwar gibt es noch ein paar erwartbare Zugaben, aber nach „King Of Fools“ ist endgültig Schluss und irgendwie fehlen in der Setlist für meinen Geschmack dann doch ein paar Kracher wie „Mysteria“, „Fucking With Fire“ und irgendwas von „The Savage Poetry“ („Eyes Of The Tyrant“ zum Beispiel ist in meinen Augen ein live deutlich besser geeignetes 10 Minuten Stück als „The Pharaoh“). Auch „Avantasia“ wäre nett gewesen, zumal die Basis-Setlist (ohne Zugaben, Solo und SCOOTER Intermezzo) nicht mehr Titel als das HARTMANN Set hatte.
Auf der anderen Seite bleibt eine sehr gut gelaunte, spielfreudige Band mit fantastischem Live-Gesang in Erinnerung, die in der Form und mit so einem begeisterungsfähigen Publikum das Eintrittsgeld auf jeden Fall wert war. Und für die Fans, die die Band bei den letzten Touren regelmäßig gesehen haben, war die aktuelle Setlist sicher eine willkommene Abwechslung, auch wenn mir so ein bisschen was gefehlt hat.

Setlist EDGUY:
Dead Or Rock
Speedhoven
Tears Of A Mandrake
Babylon
The Pharaoh
Intermezzo: Maria (I Like It Loud)
Ministry Of Saints
Drumsolo
Pride Of Creation
Headless Game
Save Me
Superheroes
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Nine Lives
Lavatory Love Machine
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King Of Fools
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