Eine große Familie


Interview mit Holy Moses
Thrash Metal aus Deutschland - Aachen
Interview mit Sabina Classen (v.) und Oliver Jaath (g.) von HOLY MOSES am 30.09.2008 in Chemnitz im AJZ für die Radiosendung Mosh-Club auf Radio T in Chemnitz. www.mosh-club.de.vu und www.radiot.de
Auf der Seite der Sendung könnt ihr euch das Interview als mp3 runterladen.

Fangen wir gleich mal mit „Agony Of Death“ an, wie ist das Album entstanden? Ihr habt ja viel auf Tour geschrieben.

Sabina:
Trotzdem hat jeder für sich seine Sachen gemacht, Oli und Michael schreiben jeder für sich Riffs und ich schreib für mich in meinem kleinen Tagebuch jeden Tag mal einen Satz auf, was mich beschäftigt hat. Vor mehr als einem Jahr, im Juni 2007, haben wir dann angefangen unsere Ideen zusammenzuschmeißen. Das kann man eigentlich nicht so genau erklären, es gibt keine spezielle Vorgehensweise, das kommt alles sehr aus dem Bauch heraus, zu gucken und zu sortieren, wer was hat und was zusammen passt. Das Touren dann dazwischen war sehr gut, da wir es alle nicht mögen, so sehr im Studio zu arbeiten. Wir sind mehr die Liveband, und die Tour mit OBITUARY hat uns Kraft und Energie gegeben.

Mir schnürt es in so einem kleinen Studioraum eher mehr die Kehle zu, als dass es mir Spaß macht. Ich bin ein kompletter Livesänger, sobald ich auf der Bühne bin, bin ich wie in Trance, vergesse alles um mich herum und brüll einfach los. Im Studio muss man sich da mehr und auf eine andere Weise konzentrieren und das ist sehr schwer. Deswegen entstehen HOLY MOSES Alben mehr aus dem Bauch raus und nicht sehr organisiert, wir gehen nicht ins Studio und nehmen einfach für zwei Wochen auf, sondern das hat sich dieses Mal über ein paar Monate hingezogen.

Wo habt ihr aufgenommen?

Sabina:
Das Schlagzeug und einen Teil der anderen Instrumente haben wir im Hunting Ground Studio in Hannover aufgenommen, den größten Teil aber im Blue Castle Studio in Hamburg. Das ist das Studio von unserem Gitarristen Michael, der da hauptsächlich so Mastering Sachen macht, und wir sind die einzige Band, die das Studio nutzt um aufzunehmen.

Siehst du „Agony Of Death“ als Konzeptalbum?

Sabina:
Es kommt drauf an, wie man Konzeptalbum definiert. Um es einfacher zu beschreiben, du hast ein Buch mit dem Titel „Todeskampf“ mit zwölf abgeschlossenen Kapiteln zum Thema Todeskampf. So würde ich unsere Platte beschreiben, jeder Song hat mit dem Todeskampf zu tun, ist aber für sich abgeschlossen. Es geht um ganz verschieden Themen, wie z.B. das Musikbusiness in „Bloodbound Of The Damned“. Unser Fanclub hat uns immer geholfen, diesen Todeskampf zu überleben, er ist über die ganze Welt verstreut und hat uns über all die Jahre supportet hat und in „Through Shattered Minds“, das wir auch heute Abend spielen werden, geht es um den mentalen Todeskampf.

So beleuchten wir halt verschiedene Aspekte, wie auch in „Pseudohalluzination“. Den Song finde ich unheimlich geil und er liefert einen Rückblick auf „The New Machine Of Liechtenstein“, hat es diese Maschine wirklich gegeben oder war sie nur eine Pseudohalluzination? Pseudohalluzination heißt, das jeder weiß, dass es eine Halluzination ist, man auch dieses Gefühl hat, es aber nicht erkennt.

Damals hat man gedacht, dass mit „The New Machine Of Liechtenstein“ eine Gefahr entsteht und der Dritte Weltkrieg ausbricht. Heute sehe ich die Maschine eher als Computer mit Spams und Trojanern, das auf der Ebene ein Krieg ausgebrochen ist.

Diese Pseudohalluzination sagt, dass man weiß, dass es diese Maschine nicht gibt, aber vielleicht gibt es sie ja doch. Das ist dann auch wieder ein Todeskampf. Die Lyrics sind sehr tiefgründig und auch kompliziert ausgefallen.

Das Album gibt es in drei Version: LP, Jewelcase und Digipack. Das Digipack und das Jewelcase unterscheiden sich in den Verbindungsstücken zwischen den Songs und den beiden Bonussongs für das Digipack. Wie seid ihr darauf gekommen, die Songs mit Keyboard zu verbinden?

Sabina:
Oli, Michael und ich saßen im Studio zusammen und uns ist aufgefallen, dass wir selbst nach den Songs eine Pause brauchten um zu verkraften, was wir da gerade gespielt hatten. Das war sehr intensiv mit Solos, den technischen Varianten und unheimlich tiefen Lyrics. Wir hatten das Gefühl, dass wir einen Übergang zum nächsten Song brauchen wie in einem Film, wo man eine spannende Szene hat und die Leute sieht, aber nicht mehr reden hört und Musik stattdessen hat. Das wollten wir mit der Musik auf der Platte erreichen und da wir alle auch Fans von Filmen sind, kamen wir auf die Idee, das mit Filmmusik zu machen. Dann haben wir Ferdy (Doernberg, Keyboarder bei AXEL RUDI PELL) angerufen, da er ein exzellenter Keyboarder und HOLY MOSES Fan ist und genauso schräg denkt wie wir.

Oliver: Wir dachten, dass er das düstere Feeling umsetzen kann, das wir zwischen den Songs haben wollten. Und das hat eigentlich auch ziemlich gut hinbekommen.

Stand es zur Debatte, dass ihr ihn mit auf Tour nehmen wolltet?

Sabina:
Es stand zur Debatte, aber im Nightliner war nicht mehr genug Platz, ein einfaches logistisches Problem. Es ist ein Für und Wider, Ferdy ist persönlich ein unheimlich toller Mensch und wir hätten ihn alle gerne dabei gehabt. Auf der anderen Seite ist HOLY MOSES aber mit fünf Mitgliedern eine unheimlich enge Familie und wir müssen auch an unsere Fans denken, denn Thrash Metal bedeutet ja eigentlich nicht Keyboards. Auf dem Wacken hatten wir Keyboards dabei, um den Fans etwas besonderes zu liefern, das sie nicht im Club sehen können. Wenn wir also wieder was besonderes machen, werden wir versuchen, Ferdy mitzunehmen. Er würde gerne immer dabei sein, da wir uns auch sehr gut verstanden haben.

Oliver: Das ist auch der Grund, warum es diese zwei Versionen gibt, für den normalen Metaller mit Kutte und Headbanging die Jewelcase Version und für alle, die sich mehr mit beschäftigen wollen, das Digipack. Erstaunlicherweise wollen sich sogar die Meisten damit beschäftigen und das Digipack wird mehr angenommen. Da haben wir wohl hoffentlich alles richtig gemacht.

Wenn man die diversen Reviews zum Album liest, fällt einem auf, dass es ziemlich polarisiert, von vier bis zehn von zehn Punkten ist alles dabei. Habt ihr das so erwartet?

Sabina:
Das ist typisch HOLY MOSES. Und das ist auch das gute an HOLY MOSES, dass HOLY MOSES immer polarisiert haben und das macht Spaß, weil wir damit klarstellen, dass wir keine leichte Kost sind. HOLY MOSES hat schon polarisiert bevor ich eingestiegen bin, das wurde über die Zeit weitergegeben und das macht auch die Band aus, das ist der Reiz der Band.

Ihr habt auf dem Album auch dutzende Gastbeiträge. Ich würde es mal mit dutzende Gastbeiträge gleich viele Freunde zusammenfassen.

Sabina:
Ja.

Viele Freunde gleich wenig Neider.

Sabina:
Ja.

Aber wenig Neid bedeutet auch nicht viel Erfolg. Ihr hattet ja nie diesen riesigen Erfolg, gibt es deshalb nicht viele Neider oder seid ihr einfach die netten Leute, die jeder mag.

Sabina und Oliver:
Wir sind die netten Leute.

Sabina: Du hast aber schon recht, wir haben viele Freunde. Es taucht aber auch Neid in verschieden Formen auf, der schwer zu beschreiben ist. HOLY MOSES hätten nur Erfolg, weil sie eine Sängerin hätten, die haben sie ja aber auch schon seit 27 Jahren. Da kommen manchmal so ganz komische Sachen raus, aber wir machen uns da eigentlich nicht viele Gedanken drum. Uns ist das egal und wir sind froh, dass wir viele Freunde haben und dass uns diese Freunde unterstützen. Weiter will ich da auch gar nicht denken.

Damals als wir mit „The New Machine Of Liechtenstein“ unseren ersten Major Deal hatten, gab es lächerliches Gequatsche, obwohl keiner wusste ob es besser oder schlechter ist mit einem Major. Wir haben auch alle - oder eigentlich kann ich nur für mich sprechen, mit einem guten Abwehrmechanismus ausgestattet, dass ich gar nicht weiterdenken will. Wir wollen unser Ding durchziehen, freuen uns, dass wir Freunde haben, und damit schließ ich auch schon in meinem Gehirn damit ab.

Oliver: Ich hör da jetzt eher immer Überraschung statt Neid heraus. Dass man uns das nicht zugetraut hätte, was wir jetzt auf der neuen Platte gemacht haben. Neider konnte ich bisher noch nicht feststellen.

Ihr habt das Album über Wacken Records veröffentlicht, das ja früher Armageddon Records war, und für das du auch im Management und als A&R arbeitest. Kümmerst du dich da auch um deine eigene Band?

Sabina:
Gezwungenermaßen ja, weil wir nicht viele sind. Armageddon Music mit Soulfood als Vertrieb ist umbenannt worden in ein Joint Venture Wacken Records mit SPV. Vorher hatte ich mit meinen Kollegen vom ICS Festival Service zusammengearbeitet und bei denen lag der Fokus vor allem auf dem Wacken Open Air, so dass viel Arbeit bei mir hängen blieb. Und durch das Joint Venture arbeiten zusätzlich Leute von SPV für das Label, wie z.B. Olli Hahn für das Produktmanagement.

Ich kann zwar sachen für die eigene Band abgegeben, aber da wir nicht viele sind, muss ich auch viel machen, was nicht einfach für mich ist, aber ich habe auch fast immer für die Plattenfirma gearbeitet, wo HOLY MOSES oder TEMPLE OF THE ABSURD unter Vertrag waren. Sehr abgefahren, aber es eignet sich auch gut wenn man als Musiker noch einen anderen Job hat und dieser in der Musikbranche ist. Denn dort versteht man, dass man unterwegs ist und ich kann im Bus weiterarbeiten, wie du eben gesehen hast. Neben Interviews kann ich organisatorische Sachen machen, morgen treffe ich mich mit dem Manager von GIRLSCHOOL und gestern hab ich mich mit einer Band in Berlin getroffen, bei der die Möglichkeit besteht, dass ich sie für das Label unter Vertrag nehme. Mein Arbeitsplatz ist eigentlich überall und Wacken Records gibt mir auch die Möglichkeit dazu, so offen zu arbeiten.

Machst du es für deine eigene Band weil du es am besten kannst, weil du am besten weißt, was HOLY MOSES braucht oder ist es einfach so gekommen?

Sabina:
Das ist einfach so gekommen und natürlich weiß ich, was HOLY MOSES braucht, aber ich mach es auch sehr ungern. Ich kann sehr, sehr gut für andere Bands kämpfen, aber wenn ich mit meinen Kollegen über meine eigene Band reden muss, fällt es schwer. Wir haben uns aber auch noch nicht für ein eigenes Management entschieden, weil es nur wenige gibt, denen man vertrauen kann und wir über die Jahre viele negative Erfahrungen mit Managements gemacht haben. Aber wir sind auf der Suche, weil ich unheimlich schwer für mich selbst sprechen kann.

Kommen wir mal zur Tour, ihr seid gerade mit BENEDICTION und NOMINON mit so einem richtigen Old School Package unterwegs. Habt ihr auch in Hinsicht auf das momentane Thrash Revival daran gedacht mal mit einer richtig jungen Band zu touren oder einer, die ein bisschen szenefremder ist?

Sabina:
Mit OBITUARY und BENEDICTION sind wir ja nun schon zweimal szenefremd in den Death Metal rein gegangen.

Aber bei Bands, die so lange aktiv sind, überschneiden sich die Szenen ja aber doch sehr.

Sabina:
Zum Glück und deshalb kam es ja auch, dass diese beiden Bands uns ausgesucht haben. Für uns ist das egal, wir touren einfach gerne und nehme das was kommt, ohne lange darüber nachzudenken. Wir müssen aber das Gefühl haben, dass es eine angenehme Tour wird. Es müssen Leute sein, mit denen wir klarkommen und mit denen es Spaß macht. Wenn du mit 21 Leuten sechs Wochen im Bus zusammen lebst und weniger als zwei Quadratmeter für dich selbst hast, dann ist das das einzige, was zählt. Wir wollen unterwegs sein, wir wollen Spaß haben, wir wollen viele Fans treffen und dann ist es egal, mit wem wir touren.

Gibt es irgendwas, auf das ihr besteht während einer Tour oder braucht ihr nur die normalen Sachen wie eine Dusche?

Sabina:
Auf Tour geht es ganz back to the roots, das ist wie Camping, obwohl wir mit einem Nightliner unterwegs sind. Du siehst was für ein scheiß Wetter draußen ist und da ist es schon angenehm, wenn du morgens aus dem Bett fällst und du hast ne Dusche, die funktioniert und möglichst warm ist. Dann hast du nen Club, der entsprechend beheizt ist und du hast einen Kaffee. Wenn Klo, Dusche und Kaffee stimmen, bin ich schon mal zufrieden. Dann vielleicht noch ein Brötchen hinterher und etwas Obst, dass man nicht nur Fast Food bekommt und ich nach der Tour 30 Tonnen mehr wiege. Eine Crew, die Hand in Hand arbeitet, ist auch super.

Das sind Sachen, die wichtig auf Tour sind, und die automatisch laufen müssen, damit man das durchhält. Die Fans bezahlen jeden Abend Eintritt und die am letzten Tag wollen dich in der gleichen Kondition sehen, wie die am letzten Tag.

Auch im Bus, da muss die Klimaanlage richtig eingestellt sein. Das hört sich doof an, aber auf der letzten Tour sind wir alle krank geworden und ich hatte sogar eine Lungenentzündung, weil vom Tourmanager Viren auf den Bus getragen worden sind. Das ist einfach scheiße. Das hier ist ein Campingbus für 20 Leute und 20 erwachsene Menschen riechen auch nicht jeden Tag alle angenehm gleich gut.

Oliver: Für mich bitte noch Nutten und Kaviar.

Koks und Nutten heißt das.

Oliver:
Nee, ich hätte gerne Kaviar.

Du hast die Fans eben schon angesprochen, ihr wart 1991 eine der ersten Bands, die in der ehemaligen DDR gespielt haben, auf eurer Homepage sieht man dich auf Fotos Arm in Arm mit Fans, ihr lauft auf Festivals rum und man kann euch auch auf den Konzerten ansprechen. Wie wichtig ist euch dieser Kontakt zu den Fans?

Sabina:
Wie du ja schon gesagt hast und an den Bildern sieht man es, dass es uns wichtig ist. Wir sind Fans zu Fans, das war das Image und das Feeling von HOLY MOSES schon immer, dass wir nahbar sind soweit es geht. Auf Festivals ist es halt nicht immer einfach für mich, es gibt halt auch Tage wie in Wacken, wo ich nach zehn Minuten vom Gelände muss, weil es einfach nicht funktioniert. Umso schöner ist es dann auf Clubtour, wo man mit den Fans quatschen kann, denn ohne die Fans würde es uns nicht mehr geben. Das gehört einfach dazu bei HOLY MOSES. Für die Fans geben wir alles und die geben alles für uns, und mit Freunden trifft man sich. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, das sind unsere Freunde. Dieser Familiengedanke hat uns 27 Jahre überleben lassen. Das war bei HOLY MOSES aber schon von Beginn an so, als ich 1981 in die Band kam, gab es schon einen fetten Fanclub. Der Fanclub hat damals der Band den ersten Plattenvertrag besorgt.

Du hast es eben oder auch noch oben kurz angerissen, ist es als Frau im Metal noch was besonderes?

Sabina:
Für mich nicht, da müsstest du die Fans fragen. Manchmal bekomme ich den Eindruck, dass es doch noch was besonderes ist, speziell in der harten Musik. In diesem ganzen Gothic Trällerelsen Kram hat man sich sehr dran gewöhnt, im harten Bereich wunder ich mich, dass es scheinbar für manche noch was besonderes ist. Ich mache das schon seit 27 Jahren und dadurch ist es für mich normal geworden. Aber dadurch, dass es mehr auf einmal gibt, erfolgreiche harte Bands mit Sängerinnen, dass es dadurch wieder zum Gespräch kommt. Oder Oli?

Oliver: Ich als Frau im Metal kann da wenig dazu sagen, aber ich stimm dir mal zu.

Werdet ihr dadurch anders behandelt, muss man euch dadurch anders behandeln?

Sabina:
Nöö, eigentlich nicht. Die anderen Bands gehen halt schon respektvoll damit um und checken ob die Dusche noch okay ist und lassen mich als erste duschen, weil die Männer selber wissen, dass sie chaotischer sind. Sie akzeptieren, dass ich vor meiner Koje noch mal einen kleinen Vorhang gemacht hab. Man geht halt respektvoll miteinander um, ich z.B. auch wenn ein Typ sich gerade umzieht. Ansonsten ist da Gleichbehandlung, dass ich nicht gerufen werde, um das schwerste Case aus dem Bus zu tragen, weil ich es wahrscheinlich auch fallen lassen würde ...

Oliver: Wir rufen ja, aber sie hört ja nicht.

(alle lachen)

Dann dürft ihr euch zum Abschluss ein Lied für die Radiosendung von irgendeiner anderen Band wünschen.

Oliver:
Müssen wir uns auf eins einigen? Das ist ja blöd.

Sabina: Worauf einigen wir uns denn?

Oliver: Ich hätte mir ja was von RECKLESS TIDE gewünscht. (lacht)

Sabina: Ja, dann mach das doch.

Oliver: Wir wünschen uns was von RECKLESS TIDE und zwar „The Preacher“.
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