Randy Blythe und das böse Business


Interview mit Lamb Of God
Modern Thrash Metal aus USA - Richmond, Virginia
So kann es gehen - obwohl ich erst im Februar Randy, den Sänger von LAMB OF GOD, interviewen konnte, bot sich nach meiner Rezension von "Working Class Rock Star" an, im Rahmen der deutschen Clubtour ein Interview mit Randy zu diesem Thema anzuberaumen. Im weltoffenen und biertechnisch unübertroffenem Köln war es dann soweit - in dem kleinen Backstage Raum des Bürgerhaus Stollwerck stand Randy, den ich mit "Hallo Herr Hasselhoff" begrüßte, Rede und Antwort.

So, da bin ich wieder Randy, wir fangen direkt an. Grund des heutigen Interviews ist mal etwas weniger LAMB OF GOD, sondern deine Teilnahme an „Working Class Rock Star“. Stehst du auch 2009 noch genauso zu den Dingen, wie du sie 2004/2005 gesagt hast?

Auf jeden Fall, also wenn es irgendwas zu melden gibt, dann, dass die Lage sich eigentlich verschlimmert hat, die Musikindustrie geht nach wie vor den Bach runter. Aber wenn du sagst „zu allem“, das ist ja ne recht allgemeine Aussage. Meinst du etwas speziell?

Hm, eigentlich meine ich alle Dinge, die du auf der DVD so von dir gibst. Insbesondere interessiert mich, dass du 2005 noch sagtest „Geht jemand zu einem Label, muss er sich klar machen, dass er ein Gebrauchsgegenstand wird.“ Kritische Frage: Rede ich denn jetzt mit dem Gebrauchsgegenstand Randy Blythe oder dem Menschen/Künstler Randy Blythe?

Äääh…. Im Moment sprichst du zum Menschen „Schrägstrich“ Künstler Randy Blythe, obwohl ich es nicht mag, mich selbst als Künstler zu bezeichnen. Aber schau doch mal, sobald du in dieser Sache involviert bist, Musik aufnimmst und Musik durch die Industrie mit kommerziellen Zielen veröffentlichst, WIRST DU zwangsläufig ein Gebrauchsgegenstand durch die Tatsache, dass deine Musik zum Verkauf steht. Dies ist ein wirklicher Teil eines Geschäftes, wo es um Geld geht. Allerdings muss man sagen, dass momentan nicht wirklich viel Geld den Besitzer wechselt - sogesehen bin ich wahrscheinlich als Gebrauchsgegenstand nicht viel Geld wert (lacht)

Ui, harte Worte! Aber es ist ja so, dass Menschen, sobald sie hören, ihr habt „Millionen Alben“ verkauft und seid mit „Sacrament“ damals auf Platz 3 der Charts eingestiegen, denken, dass es euch doch gut gehen sollte und dass ihr von der Musik leben könntet?

Ganz ehrlich: Ich habe bis heute keinen Gehaltsscheck für „Sacrament“ gesehen, weil wir bis jetzt die Kosten für die Aufnahmen eingespielt haben. Das ist etwas, das die Leute nicht verstehen. A) Man hört „Millionen Platten verkauft“ – ich habe vermutlich insgesamt, von allen Platten, eine Million verkauft. Von insgesamt… fuck… wie viele Platten habe ich schon rausgebracht… 5… 6 mit BURN THE PRIEST damals. (Lacht) Also eine Million insgesamt, aber nicht „Millionen“ oder so was. Und B)… äh… ich hab gerade irgendwie den Faden verloren… sorry

Kein Problem!

Also, wir sind auf Platz 2 der Billboard Charts mit „Wrath“ eingestiegen. Das bedeutet, wir hatten 83 oder 87.000 verkaufte Kopien in der ersten Woche. Jetzt glaubt man, sobald wir soviel verkaufen, dass die Plattenfirma uns automatisch Geld geben würde – das stimmt aber nicht. Das ist eine falsche Auffassung. Das ist erstmal eine extrem geringe Anzahl an Platten für ein Nummer 2 Album, verglichen mit zum Beispiel vor zehn Jahren. Gold Awards oder Platin Awards heutzutage zu bekommen, das ist ziemlich vorbei. Das Geschäftsmodell unserer Industrie hat einfach versagt. Downloaden ist ein komplexes Thema, meiner Meinung nach, da es hilft, aber zugleich auch schadet. Aber es gibt so viele Kids da draußen, die nur einen iPod haben und noch nie im Leben ne CD gekauft haben, ein Großteil bezahlt ja auch für nichts. Das Ganze ist einfach unglaublich komplex, aber wenn du denkst, dass eine Band wie LAMB OF GOD von den Plattenverkäufen lebt, ist das einfach falsch. Ich lebe zwar von meiner Band, das liegt aber daran, dass ich jetzt hier bin, dass ich sonst in den USA toure, mir das ganze Jahr den Arsch aufreiße und weltweit Konzerte gebe und dabei noch T-Shirts verkaufe. Da machen wir Geld – Tourgelder, aber keine Plattenverkäufe.

Aber läuft das dann jetzt so, dass du das ganze Jahr über schuftest in der Hoffnung, am Ende des Jahres die Vorschüsse bei der Plattenfirma abbezahlen zu können, oder hoffst du durch die jährlichen Einnahmen irgendwann mal sagen zu können „So, jetzt bin ich gegenüber den Labels schuldenfrei.“?

Also die Verträge sind so aufgebaut, dass du von jeder Platte, die du verkaufst, nur einen winzigen prozentualen Anteil zur Rückzahlung der Vorschüsse abgibst. Okay, ein praktisches Beispiel: Du gibst mir 5.000 Dollar um eine Platte aufzunehmen. Jetzt haben wir genug Platten verkauft, um diese 5.000 Dollar am Stück zurück zu zahlen. Dann wären wir frei – Nope, so läuft’s nicht. Nur 5% der Verkäufe dieser Platte gehen in den Ausgleich dieser Vorschüsse. Und so geht das dann die ganze Zeit weiter – ich gehe mal davon aus, dass wir noch ein paar Jahre Vorschüsse zurückzahlen müssen. Aber in der Zwischenzeit bekomme ich mein Geld, weil ich toure. Würde ich daheim auf dem Hintern sitzen, würde ich gar keine Kohle bekommen.

Jetzt mal ehrlich – warum sollte dann ein Band ein Label haben wollen, wenn sie absehbar auf Jahre nur damit beschäftigt sind, Schulden zurück zu zahlen? Nur weil sie die ganze Welt bereisen und touren wollen?

Äh ja, die nächste komplexe Frage. Wie ich schon sagte, das Geschäftsmodell funktioniert einfach nicht mehr, es verändert sich... Aber zum Ersten bietet einem ein Label Promotion, was ja der Grund ist, weshalb du heute hier bist. Roadrunner, unser Label – und ich sage gerne das Roadrunner ein gutes Label ist, denn sie sind kleiner, unabhängiger, auf Metal zentriert – sie vermarkten uns hier in Europa und helfen uns, unsere Musik in die Läden zu bringen (Im letzten Interview Anfang 2009 ließ Randy durchblicken, dass ihr amerikanisches Label Sony in Sachen Europa-Marketing ziemlich versagte. - Anm.d.Red.) Sie geben deiner Band ein Gesicht, welches die Öffentlichkeit zu sehen bekommt. Es wäre toll, wenn man kein Label bräuchte und einfach so touren könnte und das ganze Andere machen könnte. Ich glaube sogar, dass viele das heutzutage über Myspace versuchen: sich selbst zu promoten. Aber es gibt Millionen Bands, die alle dasselbe versuchen…

Das ist das, was ihr (die Künstler) auf der DVD mit dem „überschwemmten Musikmarkt“ meint, oder? Man macht Myspace auf, sieht irgendwie Tausende von neuen Bands, und von denen machen dann momentan 90% Deathcore, weils ja trendy ist.

Absolut! Mit dem Anbruch des digitalen Recordings sitzt jetzt jedes Kid daheim und kann ein Riff einhämmern, das dann geloopt zu einem Song zusammen gesetzt wird. Das Ganze klingt dann auch noch einigermaßen gut. Aber um eine richtige Band zu sein, muss man sich zusammensetzen können, man muss zusammen Musik schreiben, aufnehmen, touren, leben und das alles. Labels helfen ganz einfach, indem sie deinen Namen rausbringen und die Promotion übernehmen. Sie sind wie Maschinen. Und du brauchst diese Maschine, um irgendwann vom Fleck zu kommen. ALLERDINGS: Momentan versagt diese Maschinerie schlicht und ergreifend zusehends. Die Musikindustrie ist so fett geworden. Ich weiß nicht was damals die Produktion gekostet hat. Heutzutage sind es vielleicht, bei den Auflagen, 3 Cent pro CD, allerdings werden die Alben für 20 Dollar in den USA verkauft. Deswegen reagieren die Leute, indem sie sagen „Hey, euch kostet der Scheiß so wenig und ihr zockt uns so ab!“ Sie sagen, es sind unfaire Kostenverhältnisse und reagieren entsprechend dagegen. Jetzt gibt es mittlerweile iTunes, und es kostet die Labels sogar noch viel weniger, die Musik auf iTunes zu packen, weil sie ja schon fertig da ist.

Stimmt, das sagt ja Frank Marino auf der DVD – statt von 15 Euro auf vielleicht 5, 6 Euro zu gehen, da ja alle Mittelmänner weg sind und Extrakosten für Booklet, Pressung und Hülle entfallen, nimmt man dennoch 10 Euro.

Ganz genau! Es ist einfach eine ganz beschissene Situation und ich habe keine Antwort auf diese Situation. Irgendwie müssen sich die Konsumenten, die Musiker und die Labels zusammensetzen und eine Einigung erzielen. Klar, die Leute denken „Ich bezahle nicht so viel Asche für ne CD, die so wenig gekostet hat.“ Dennoch glaube ich, dass die Leute bezahlen müssen, um unsere Musik zu bekommen, denn es sind ja schon immense Kosten damit verbunden, Musik mit dieser Qualität aufzunehmen. Plus, es ist meine Arbeit. Ich denke, wenn Leute eine Band mögen, sollten sie auch einen Weg finden, ihre Band zu unterstützen.

Ein Künstler hat mal in einem Interview gesagt, dass, wenn es einen Weg geben würde, Merchandise für lau herzustellen, viele „Fans“ auf Konzerten noch nicht einmal das Merchandise kaufen würden.

Das ist ja die Schande – und ich gebe dem Recht. Und wie ich es schon gesagt hatte: mit Merchandise verdienen wir unseren Lebensunterhalt. Da wir hundertprozentig nicht von den Plattenverkäufen leben. (lacht ironisch)

Kurzer Themenwechsel: HALO OF LOCUSTS – ist die Band für dich so etwas wie ein Zufluchtsort vor dem ganzen Businessscheiß? Ihr habt auch kein Label, wenn ich richtig informiert bin.

Ja, wir haben kein Label und da kann ich machen, was ich will. Wer weiß, vielleicht bekommen wir ja eins, wenn ich mehr Zeit habe, das Projekt zu promoten. Im Moment bin ich aber vollkommen ausgelastet mit dem, was ich hier gerade mache und das wohl auf Jahre gesehen. Sieh mal, ich bin auch ein Opportunist. Ich bin in einer sehr bekannten Band, das heißt, wenn ich eine HALO OF LOCUSTS CD rausbringen wollte, ginge das über meinen Namen, wenn du verstehst was ich meine. Ich könnte die CD ja einfach auf Konzerten rausbringen Randy hält inne, grübelt, was keine schlechte Idee wäre… woraufhin wir beide in schallendes Gelächter verfallen. Hat da jemand eine Geschäftsidee entwickelt? Wäre echt ne Idee. Aber wegen der Labels nochmal, sie regeln einfach eine ganze Menge Scheiße, mit der man selbst meistens nichts zu tun haben will. Deswegen habe ich auch einen Manager! Ich könnte hier den ganzen Bullshit nicht managen…

Du meinst Interviews hier organisieren?

Nein nein, LAMB OF GOD ist eigentlich eine Band die extrem viel mit macht. Mark (Morton, Gitarre – Anm.d.Red.) ist unser Merchandise Typ, er bewilligt die ganzen Designs für Shirts, etc pp. Er macht wesentlich mehr als ich mache. Er ist halt bekloppt und macht das gerne. Aber wenn wir uns um alles kümmern müssten, Booking, Presse arrangieren, CDs rausbringen, blablabla, dann hätten wir nie Zeit, Musik zu schreiben.

Wenn man dann aber schaut, wie gut es bei euch in den Staaten läuft und dass ihr hier in Deutschland von einem 300 Leute Club wie dem Luxor in ein 600 Leute Club wie das Stollwerck umzieht,

Ist das hier?

Äh Ja?

Gut zu wissen!

Äääh… also falls du mal verloren gehst, du spielst im Stollwerck!

(Lacht) Ich versuche, es mir zu merken!

Schwingt da nicht etwas Enttäuschung mit, angesichts nur dreier Club Shows in Deutschland?

Nö.

Gar nicht?

Nö! Wir haben hier unsere Arbeit zu machen, wie jeden Abend. Deutschland ist schon immer ein schwieriges Pflaster für uns gewesen, wir bezahlen einfach im Moment Lehrgeld. Hey, worüber soll ich mich beschweren – immerhin sind wir in einen doppelt so großen Club umgezogen!

Schachmatt. Hm, zwei Fragen hab ich dann noch. Gab es einen Punkt in eurer Karriere, oder kannst du einen Punkt ausmachen, wo ihr von der Band Marke „Wir touren im eigenen Van durch die Staaten“ zu einer „Wir füllen Arenen“ Band aufgestiegen seid – und warum haben andere Bands, die mit euch angefangen haben, diesen Punkt nicht erreicht?

Äh.. also.. ich verstehe die Frage nicht. Klar, wir sind auch im Van rumgejuckelt…

Hm, anders: Warum habt ihr den Erfolg und andere nicht, die…

Weil wir besser sind und härter arbeiten.

Besser seid und härter arbeitet?

Definitiv, wir sind besser und wir arbeiten härter. Wir proben uns den Arsch ab – natürlich spielt da auch immer das bekannte Quäntchen Glück mit, aber man sagt ja, man kreiert sich sein eigenes Glück. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, aber deine Chancen, zu einem bestimmten Zeitpunkt an diesem bestimmten Ort zu sein, steigen immens, wenn du überall auftrittst und deine Band raus bringst. Wir haben einfach überall und zu jeder Zeit gespielt – die BLACK FLAG (eine altes Hardcoreflagschiff, das für die DIY Einstellung bekannt war und u.a. 1981-86 von Henry Rollins gefrontet wurde. - Anm. d. Red.) Arbeitseinstellung. Geh raus und spiel dir den Arsch ab. Ja, wir sind da, wo wir sind, weil wir härter arbeiten.

Okay – aber was ist denn dann „Leben“ für euch? Sich das ganze Jahr an jedem Fleck den Arsch wund zu spielen, nur um dann einmal im Jahr für ein paar Wochen oder Monate daheim bei der Familie zu sein, das marode Haus intakt zu setzen und dann wieder für ein dreiviertel Jahr weg zu sein? Das ist „Leben“?

Hmmmmm… (lacht grimmig) Das ist ne gute Frage, denn manchmal frage ich mich das auch. It’s a bitch! Aber wir machen das jetzt schon so lange, dass wir uns irgendwie daran gewöhnt haben. Es ist einfach zu einem Teil dessen geworden, was ich bin – nicht nur ein Teil des Typen von LAMB OF GOD, sondern auch ein Teil meiner Persönlichkeit. Wir werden ja alle älter, bekommen Familien und so weiter. Über die nächsten Jahre werden wir sicherlich noch hart arbeiten, aber irgendwann schalten wir auch mal nen Gang zurück und fangen mit der Familienplanung an. Um zu Hause zu sein. Aber hey, es ist ja auch kein schlechtes Leben!

Viele würden dafür ja töten!

Jupp! Ich meine, viele sollten wissen, dass es nicht alles auf der Welt ist, aber es ist ein gutes Leben. Ich will mich nicht beschweren.

Jedem das seine, nicht? Letzte Frage, dann ist die Zeit um: Gibt es einen bestimmten Punkt, an dem du sagen würdest, dass eine Band nach einem Label Ausschau halten sollte, oder kommt so etwas einfach mit der Zeit?

Wann eine Band nach einem Label Ausschau halten sollte?

Jupp. Es gibt ja so viele Bands da draußen, die vielleicht ihre EP mit 5 Stücken draußen haben, ein paar Konzerte gezockt haben und sagen „Wir wollen ein Label“, scheinbar aber noch nicht mitbekommen haben, dass ein Label sie erst nimmt, wenn es sicher ist, dass die Band genug Gewinn abwirft.

Da triffst du den Nagel wohl auf den Kopf. Ich kann dir, ohne die Situation der entsprechenden Band zu kennen, nicht sagen, wann so etwas Sinn macht. Bei uns, LAMB OF GOD, war es so, dass wir schon extrem viel Arbeit vor der Labelzeit investiert haben, um bekannt zu werden. Ein Freund von mir, der nun leider tot ist, hat extra ein Label gegründet, damit wir unsere erste CD besser veröffentlichen konnten – denn kein Schwein kam zu uns. Andererseits hatten wir uns durch eigene Arbeit an der Ostküste schon eine loyale Anhängerschaft erspielt, die uns auch gefolgt ist. Wir wussten also schon, dass es ein paar Leute gab, die unsere CD kaufen würden. Ich kann dir einfach nicht sagen, wann es für wen Sinn macht, da ich nicht in diese Bands reinschauen kann.

Man braucht dann wohl eine loyale, nicht zu kleine Fangemeinde, oder? Das scheint ja die Quintessenz zu sein.

Da ist was dran. Das Feld der „Developmental Artists“, wo jemand kam und sagte „Hey, ich mach die Band morgen groß“, das ist wohl vorbei. Es gibt keine „Overnight Pop Sensation“. Keine Ahnung, es ist einfach sau schwer geworden – Work hard, Kids!

Perfekte Abschlussworte! Vielen Dank für deine Zeit und viel Spaß beim Konzert heute Abend!
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