Von Zwergen am Saxophon, Tom Waits und dem Justizsystem


Interview mit Vulture Industries
Avantgarde Metal aus Norwegen - Bergen
Nachdem ich die Ehre hatte, das aktuelle Album „The Malefactor's Bloody Register" der Norweger von VULTURE INDUSTRIES rezensieren zu dürfen, flatterte auf einmal eine Mail in meinen virtuellen Briefkasten, in der ich das Angebot vorfand, einen kleinen Plausch mit den Urhebern zu halten. Und da mich dieses ausgezeichnete, aber doch ein wenig wunderliche Werk mit einer ganzen Batterie an Fragen zurückließ, wurde nicht lange gefackelt, der Bleistift gespitzt und eine ganze Salve neugieriger Fragen gen Nordeuropa geschickt, auf die mir der Sänger Bjørnar Erevik Nilsen bereitwillig antwortete.

Hi, zunächst einmal vielen Dank für die Möglichkeit ein Interview zu führen! Ihr habt ein neues Album veröffentlicht, das eine Menge guter Kritiken bekommen hat, obwohl es sich weit abseits vom Metal-Mainstream oder klassischen Kategorien bewegt. Wie würdest du die Musik, die ihr macht, jemandem beschreiben, der sie noch nie gehört hat?


Die kurze Version wäre Progressive Extreme Metal. Die lange Version kann schnell sehr lang werden, also hätte es mehr Aussagekraft, die Musik einfach anzuhören. Obwohl man hinzufügen könnte, das die progressiven Elemente sich eher den progressiven Stimmungen der 70er annähern, als es bei dem, was heute normalerweise Progressive Metal genannt wird, der Fall ist. Wenn du nun die Suppe ein wenig mit 'Cabaret Craziness', einem durchgeknallten Henker und einem zurückgebliebenen Zwerg am Saxophon würzt, kommst du langsam zum Punkt.

Wie waren die Reaktionen auf das Album?

Sehr gut! Wir waren uns sicher, dass wir ein gutes Album gemacht haben. Das beste, das wir mit unseren Fähigkeiten und Grenzen machen konnten. Trotzdem haben wir polarisierendere Reviews und Rückmeldungen erwartet, da es schwerer ist, sich in das Album reinzufinden als beim ersten. Das Feedback war im Allgemeinen besser als bei „The Dystopia Journals" und in Anbetracht der Tatsache, dass unser Debut schon sehr gute Kritiken bekommen hat, sind wir recht zufrieden.

Während ich euer Album angehört habe, musste ich oft an nicht-metallische Musiker wie Tom Waits oder Nick Cave denken. Welche Einflüsse würdest du als wichtig für eure Musik bezeichnen?

Im Allgemeinen würde ich sagen, dass das Leben Inspiration ist. Nahezu alles kann in irgendeiner Weise musikalische Impulse beeinflussen. Ich fühle mich oft inspiriert und habe eine Menge Ideen wenn ich herumlaufe, also versuche ich Schnipsel und Melodien mit meinem Mobiltelefon aufzunehmen und später im Studio an ihnen zu arbeiten.
Wenn es um musikalische Inspirationen geht, bist du auf der richtigen Spur. Ich höre eine Menge unterschiedlicher Musik, aber Tom Waits ist tatsächlich einer meiner liebsten Künstler aller Zeiten, neben meinem anderen wichtigsten Einfluss, der Band DEVIL DOLL. Ich höre auch eine Menge Metal-Musik, aber meistens durch meine Arbeit als Produzent in einem Aufnahmestudio, nicht so viel zu Hause, wie ich es früher getan habe.
Ich bin auch ein Fan von Nick Cave, aber ich kenne seine Musik nicht so gut, nur ein paar Alben. Ich liebe ihn aber als Autor, sowohl seine Songtexte wie auch seine Romane. „Und die Eselin sah den Engel" ist eines meiner liebsten Bücher. Sein letztes war aber nicht so ganz nach meinem Geschmack.

Für eine Reihe unserer Leser und auch für mich war euer neues Album die erste Begegnung mit eurer Musik. Kannst du mir ein wenig über die Geschichte der Band erzählen?

VULTURE INDUSTRIES wurde aus den Überbleibseln der Band DEAD ROSE GARDEN im Jahr 2002 gegründet. Ursprünglich suchte die Band bloß nach einem neuen Sänger, aber als ich dazu kam, wechselten ein paar andere Mitglieder, sodass klar wurde, dass wir in einer vollständig anderen musikalischen Richtung weitermachen würden, also wurde der Name geändert und das alte Material über Bord geworfen.
Wir haben drei Demos/EPs aufgenommen, bevor wir 2007 bei Dark Essence Records untergekommen sind. Seitdem haben wir zwei Alben „The Dystopia Journals" und „The Malefactor's Bloody Register" aufgenommen und sind in weiten Teilen Europas auf Tour gewesen.

Was ist die Idee hinter dem Bandnamen?

Der Name ist offen für Interpretation und ich würde es gerne so halten. Es gibt keine festen Richtlinien, wie man ihn verstehen sollte.

Ihr seid aus Bergen und diese Stadt scheint ja sowas wie ein musikalischer Schmelztiegel zu sein. Wie ist die Musikszene dort? Und wie würdest du erklären, dass ein so verhältnismäßig kleines Land wie Norwegen so eine riesige Zahl an großartigen Bands hervorbringt?

Ich denke, dass die Musikszene in Bergen sehr gesund ist. Es ist eine kleine Stadt verglichen mit dem europäischen Standard, aber es gibt dort eine Menge talentierter und inspirierter Menschen mit guten Bands und Projekten. Es gibt auch eine gute Infrastruktur, um seine musikalische Karriere so professionell wie möglich umzusetzen, die Musiker haben gute Möglichkeiten sich weiterzubilden, was die Frage betrifft, wie sie ihr Geschäft weiterentwickeln können.
Ich glaube es gibt einen starken Geist des Individualismus in der norwegischen Metal-Szene. Die meisten Bands haben eine starke Identität, die sie von der Masse trennt. Die technische Qualität bewegt sich auch seit langem auf einem hohen Niveau, sodass du eine Menge guter Bands hast, die einzigartig klingen.

Seht ihr euch als einen Teil der traditionellen norwegischen Black Metal-Szene?

Nicht in einem größeren Maße, als dass eine Menge unserer Freunde Teil der Szene sind und dass ich von Zeit zu Zeit Black Metal Bands produziere. Wir haben einige Black Metal Elemente in unserer Musik, aber ich sehe uns nicht als Teil irgendeiner abgesteckten Szene. Wir sind Grenzgänger. Wir haben nicht den Drang uns zu uniformieren, uns ein Label anzuheften oder Teil irgendeiner Szene zu sein.

Der Begriff „True Norwegian Black Metal" ist ja inzwischen weltweit zu einer Art Trademark geworden. Was denkst du darüber?

Wenn es um das TNBM-Label geht, denke ich, dass die norwegische Szene die Tendenz zeigt, alt und selbstgefällig zu werden. Eine Menge der Innovation ist inzwischen verloren und viele frühere Pioniere wiederholen sich in einem Kreislauf der Langweile. Es gibt immer noch Bands, die es schaffen geradeaus zu steuern und den Geist beizubehalten, wie z.B. TAAKE, aber für die Szene als Ganzes sind die glorreichen Tage des norwegischen Black Metal vorbei, denke ich.

Ich würde gerne mehr über das textliche Konzept eures aktuellen Albums wissen. Worum geht es? Und würdet ihr es als Konzeptalbum bezeichnen?

Das Thema des Albums ist die Menschheit durch das Justizwesen betrachet und zwar aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Coverbild repräsentiert die Kälte des Gesetzes durch die Figur, die eine Waage darstellt: Die Schlinge, die Gewalt und Macht repräsentiert, wiegt schwerer als die Gesetze und edlen Absichten, die durch das Buch dargestellt werden. Ich denke daran nicht als ein Konzeptalbum, aber die allgemeinen Themen der Stücke halten das Album zusammen.

Ihr habt ein sehr künstlerisches Artwork und außergewöhnliche Bandfotos. Gibt es noch weitere Einflüsse, die neben der Musik für euch von Bedeutung sind, wie z.B. Literatur oder Kunst?

Wie ich bereits zuvor sagte, die meisten Bestandteile des Lebens können Musik in irgendeiner Weise beeinflussen. Ich mag es, gute Bücher zu lesen und gute Filme anzusehen, aber nicht alle Impulse, die ich hierdurch empfange, kann ich auch in Musik umsetzen. Eine Menge ist auch einfach nur gute Unterhaltung.
Ich glaube Geschichtsbücher zu lesen, exzentrische Filme anzuschauen, gute und finstere Musik zu hören und düstere Geschichten sind die Annehmlichkeiten, die mich persönlich am meisten inspirieren.

Was sind eure Pläne für die Zukunft? Die Buchungs-Saison für die Sommerfestivals hat begonnen. Können wir erwarten euch in Deutschland auf der Bühne zu sehen?

Wir arbeiten daran Festivals zu buchen und im nächsten Jahr zu touren. Es ist noch nichts in Stein gemeißelt, aber wir werden im nächsten Jahr definitiv auf den Bühnen Europas zu finden sein. Ich bin kühn genug euch ein paar Shows in Deutschland zu versprechen.

Und nun ist es Zeit für deine abschließenden Worte an die Leser von Bloodchamber.de.

Big and small, short and tall, all men equal at the hangman's call!

Ich danke dir für die Möglichkeit, ein paar Fragen loszuwerden! Alles Gute für eure Zukunft und hoffentlich bekommt ihr die Aufmerksamkeit und das Feedback, das ihr für eure Musik verdient habt. Vielleicht sehen wir uns ja bald auf einem Konzert von euch in Deutschland.
-