Gedanken zwischen Alpha und Omega


Interview mit Moonspell
Dark Metal aus Portugal - Lissabon
Mit "Alpha Noir" haben MOONSPELL über ein neues Label unser Album des Monats April in die Läden gewuchtet und auch in den deutschen Charts läuft es für die Portugiesen aktuell ziemlich gut. Da es sich zudem um eine Konzeptscheibe handelt, gab es mehr als genug gute Gründe, den Genrevorreitern aus dem Mittelmeerraum einmal etwas genauer auf den Zahn zu fühlen - Vorhang auf für Fernando Ribeiro!

Hallo Fernando, legen wir ohne Umschweife los: In einigen Vorabinterviews hast du Andeutungen gemacht, dass "Alpha Noir" eine Art Devolution darstellen würde, eher oldschool und ziemlich straight. Gab es derartige Intentionen während der Entstehung, wolltet ihr euren Sound von allem Pomp befreien und sozusagen den Kern von MOONSPELL freilegen, oder hat sich das erst während der Arbeiten herauskristallisiert?


Zunächst soviel: Wir nehmen solche Einschätzungen zwar wahr und gezwungenermaßen auch hin, aber für uns als Band ist es - im Gegensatz zur Presse beispielsweise - nicht ganz so einfach, unser Schaffen analytisch zu zerlegen und so zu einem 'Kern" zu gelangen. Das ist der zwangsläufige Unterschied zwischen dem Beobachter und dem Erschaffer des jeweils Betrachteten.
Als Devolution würde ich das Ganze indes nicht bezeichnen wollen, denn dafür enthält mir der Begriff zu viel von Rückentwicklung, von etwas vergleichsweise Schlechterem. Es gab und gibt vielmehr immer Leute, die sich mit unseren Alben identifizieren können, ebenso wie es jene gibt, denen das nicht gelingt, aber MOONSPELL verstehen sich unabhängig davon als eigener freier Geist, der sich weder einer bestimmten Agenda oder einem Zeitrahmen beugt, noch den Fans immer genau das liefert, was sie wollen. Dafür gibt es Speisekarten in Restaurants.
Musik - das Erschaffen von Musik zudem - ist überdies ein ungleich komplizierteres Unterfangen, dessen wichtigstes Instrument eine gewisse Innerlichkeit darstellt. Während der Kompositionsphase geht es vor allem darum, dem persönlichen Innenleben ständig Nahrung zu geben, sei es in Form von Büchern oder bewegender Musik, sei es in Form von Momenten höchster emotionaler Intensität. Für mich persönlich ist das immer wieder eine wunderbare Zeit, vielleicht sogar die schönste Facette im Bandleben überhaupt.
Ganz in diesem Sinne verfolgen wir mit MOONSPELL musikalische Ambitionen, die im Vergleich zu anderen Bands vielleicht ein wenig naiv erscheinen könnten: Wir wissen beispielsweise im Vorfeld eines neuen Albums nicht einmal ansatzweise, was da auf uns zukommen wird, wir haben wenig Ahnung von aktuell angesagten Hypes und noch weniger von den Hörgewohnheiten unserer potenziellen Fans. Das macht ein konsensfähiges Album relativ unwahrscheinlich, aber davon gibt es ohnehin genug, zumal die Leute bisher stets neugierig auf unseren nächsten Schritt waren. Jede neue MOONSPELL-Scheibe ist also fast schon traditionell ein Schritt ins Ungewisse, eine Entdeckungsreise - auch für uns.

Was uns zu "Alpha Noir" bringt: Was hat sich in Sachen Kompositionen im Vergleich zum direkten Vorgänger "Night Eternal" denn nun genau getan?

"Alpha Noir" folgt meines Erachtens einem direkteren und fast schon simplen Ansatz, der sich vor allem in reduzierter kompositorischer Tiefe und Komplexität ausdrückt. Wir haben zudem die abgestoppten Death Metal-Riffs des Vorgängers einfach mal schwingen lassen und so eine ganz neue Lebendigkeit ins Spiel gebracht, die allerdings zunächst nur von uns so empfunden wird. Man kann derart subjektive Eindrücke nicht nach Bedarf im Hörer erzeugen oder ihm eine bestimmte Einstellung zur eigenen Musik beibiegen - das ist und bleibt dem Urteil des Einzelnen überlassen. Wir ließen uns vor vier Jahren, als es ans Schreiben eines neuen Albums ging, einfach von der Musik selbst leiten und hatten schließlich drei Samen in Händen, die es anschließend unter verschiedenen Bedingungen und auf verschiedenen Nährböden zu voller Reife zu bringen galt: "Lickanthrope", "Love is Blasphemy" und "Whiteomega". Aber dazu später mehr...
Der Punkt ist, dass Devolution insgesamt nicht der richtige Ausdruck ist, zumal ich von der darin anklingenden Vergangenheitsverklärung unter der Oldschool-Flagge herzlich wenig halte. Jedes unserer Alben hat seinen eigenen, unabhängigen Charakter und ist zugleich ein Kapitel in einer größeren, fortlaufenden Erzahlung, und das gilt selbstredend auch für "Alpha Noir". Es ist ein schnelles und straightes Album, ein Schrei nach neuen Eindrücken, ein an Besessenheit grenzender Ausdruck von Enthusiasmus und Inbegriff des Willens, sich darzustellen und gehört zu werden. Ich hoffe jedenfalls, dass wir unseren Fans genau diese Eindrücke vermitteln können...

In meinen Augen atmet "Alpha Noir" nach einem Ersteindruck viel vom Geiste eines "Memorial", was vor allem an den Vocals und der reduzierten musikalischen Ausgestaltung, der Livetauglichkeit, liegen mag. "Omega White" hingegen betont offensichtlich die melodischen Aspekte eurer Musik, von ausschweifender Orchestrierung bis hin zum ausgiebig eingesetzten Klargesang.
Nun waren 'meine' MOONSPELL immer eine Band, deren künstlerischer Reiz gerade in der Synthese dieser beiden Welten begründet lag, weshalb es beispielsweise "Memorial" nie in die erste Reihe geschafft hat. Was also hat euch dazu bewogen, nach der erfolgreichen Synthese auf "Night Eternal" ein weiteres Mal eine gewisse Trennung der beiden Welten zu forcieren?


Dazu muss ich einen oben bereits angeschnittenen Gedanken aufgreifen: Wie gesagt, war es die Musik selbst, die uns während der Entstehungsphase den Weg zeigte. Als wir die drei genannten Stücke in Form eines ersten Demos in Händen hielten, war uns erstaunlicherweise recht schnell klar, dass wir für jeden einzelnen dieser Samen einen ganz eigenen Nährboden aussuchen sollten. Wir wollten die zwischen den Songs entstehenden Spannungen nicht auf einem einzigen Album ausloten - das haben wir schließlich schon oft getan - sondern wir wollten dieses Mal vor allem den Zusammenhalt der Songs untereinander stärken.
Diese Homogenität hat uns persönlich auf "Night Eternal", und in gewisser Weise sogar bei "Memorial", gefehlt, da diese Alben stets versuchten, zwei sehr verschiedene Welten in einem räumlich und zeitlich arg begrenzten Rahmen zu vereinen. Es ging folglich darum, den Rahmen für die einzelnen Songs und damit auch die Pole zu erweitern, und aus dieser zunächst rein kreativen Perspektive erwuchs letzten Endes das Konzept für unser neues Album. Es fühlte sich einfach lebendiger an und erlaubte uns letzten Endes sogar größere Freiheiten im Songwriting, denn in gewisser Weise hatte uns das bisherige Wandern zwischen den den Welten so weit vergiftet, dass gerade der neu gefundene Reiz der Trennung wahre Wunder für uns wirkte. Und obwohl es einmal mehr ein zugrundeliegendes Konzept gibt - eine Linie, die alle Stücke verbindet - so sind "Alpha" und "Omega" doch in erster Linie Zusammenstellungen von Songs, von einzelnen Juwelen und Bollwerken, die jenseits aller Verbindungen vor allem für sich selbst stehen können.

...für euch ein Kernelement des Bandsounds?

Genau, dieser Fokus auf die Stärke eines jeden Songs macht MOONSPELL für uns aus, selbst wenn es zu diesem Thema bei jeder Band andere Ansichten und Ideale geben mag. "Alpha" und "Omega" sind natürlich zwei sehr verschiedene Alben, aber gerade deswegen ganz wir. Vielleicht wie ein Familienfoto, das ja auch alle Elemente und Befindlichkeiten in einem ganz bestimmten Moment abbildet. Ich denke in dieser Beziehung, ehrlich gesagt, auch wenig über Begriffe wie Synthese nach, ebenso wenig wie ich mir Gedanken machen kann, wie ich zum Beispiel dich speziell beeindrucken könnte. Natürlich geht es immer darum, einen gewissen Eindruck zu hinterlassen, aber meines Erachtens gibt es gerade in diesen Tagen zu viele Leute, die von außen beurteilen, und zu wenige, die den (künstlerischen) Sprung selbst wagen und sich somit einem nicht immer ausgewogenen Urteil über ihren vermeintlichen Aufstieg oder ihren Fall aussetzen.
Nicht zu vergessen: Wenn ich komponiere oder schreibe, dann ist ohnehin niemand bei mir; wenn ich die Türen schließlich öffne, dann freut es mich, wenn Menschen eintreten und sich an unserer Gastfreundschaft und unserer Musik erfreuen. Ich habe also schlicht keine Zeit, gegen unsichtbare Windmühlen anzukämpfen, was vielleicht auch ein Kernelement von MOONSPELL ist: Niemals die eigenen musikalischen Einflüsse und Ansprüche verleugnen, die Dunkelheit, den Enthusiasmus, das Epische, den Rockvibe. Das ist die Essenz, die uns nährt und zugleich trägt, und obwohl wir uns des Zeitgeistes bewusst sind, versuchen wir stets, uns nicht von ihm manipulieren zulassen.

Ist dieser Kern von MOONSPELL etwas, worin alle Bandmitglieder übereinstimmen? Und haben sich gewisse persönliche Prämissen, Perspektiven oder Randbedingungen im Verlauf eures Bandlebens vielleicht doch verändert?

Dazu muss ich sagen, dass sich das schlecht erklären lässt, da es zu großen Teilen schlicht auf Erfahrung basiert und somit erlebt werden sollte. Ein wichtiger Punkt ist auf jeden Fall unser Ursprung: Wir sind eine Band der 1990er und in dieser Zeit waren Bands und Fans sehr stark im Einklang miteinander. Als beispielsweise TIAMAT ankündigten, dass sie auf ihrem nächsten Album Death Metal und PINK FLOYD kreuzen wollen, gab es unter den Fans sofort eine Art gespannter Erwartung, die ihrerseits wiederum dazu beigetragen hat, dass schon im Vorfeld eine für beide Seiten fruchtbare Atmosphäre entstand. Das gibt es heute nur noch sehr selten, denn die Leute sind insgesamt vorsichtiger geworden, ziehen sich verstärkt auf vorgefasste Meinungen zurück und haben zwar generell viel mehr Vorabinformationen zu kommenden Alben zur Verfügung, müssen diesen Wissenszuwachs jedoch mit einem Verzicht auf die früher überwiegende Magie bezahlen.
Dazu kommt, dass viele Fans zwar akribisch den Werdegang 'ihrer' Band verfolgen und das aus nachvollziehbaren Gründen auch an Unterschieden im musikalischen Output festmachen, darüber aber manchmal vergessen, dass notwendigerweise alles im Fluss ist: Wir als Individuen, als Musiker und als Band verändern uns, unser Publikum verändert sich, die Zeiten und damit die Randbedingungen ändern sich. Aleister Crowley hat Ewigkeit einmal als Gesamtheit jener Dinge definiert, die schlussendlich Bestand haben werden, und zwar ausschließlich aufgrund ihrer universalen Bedeutung und der ihnen innewohnenden Vitalität - nicht aufgrund ihrer bloßen Langlebigkeit und Akzeptanz, der ihnen zuteil werdenden Huldigungen oder Anerkennung. Viele solcher ewigen Elemente finden sich im Schaffen von MOONSPELL wieder und dürften von jenen, die danach suchen, relativ leicht entdeckt werden. Wir wären allerdings dumm, würden wir die Erfahrungen und Erkenntnisse der vergangenen 20 Jahre einfach aussperren, anstatt sie in unser musikalisches Schaffen einfließen zu lassen.
Die Kunst besteht darin, immer wieder die richtige Balance aus ewigen und neu erworbenen Elementen zu finden, und das wird schwieriger, wenn sich der Zeitgeist zunehmend darin gefällt, Bands wie MOONSPELL pauschal und fast ausschließlich über ihre Vergangenheit zu definieren. Hätten wir unser neues Album im Umfeld der 1990er veröffentlicht, dann wäre es heute wahrscheinlich ein Klassiker wie "Wolfheart" oder "Irreligious" - aktuell bleibt uns mit Blick auf das Publikum und die Rezeption allerdings nicht viel mehr als eine gewisse Hoffnung und der Anspruch, zunächst unseren Hunger als Künstler zu stillen. Diese individuelle geistige und künstlerische Erfüllung, gemischt mit der notwendigen Selbstkritik, ist unser einziger genuiner Anspruch und unser Bollwerk gegen überschwänglichen Beifall und vernichtende Kritik zugleich.

Mit Blick auf "damals und heute" bietet sich ein weiterer und vielleicht etwas empfindlicher Punkt an: Ihr habt "Alpha" und "Omega" erneut bei Tue Madsen produzieren lassen, den ich zwar für die Arbeit an den Neuaufnahmen eurer Demos respektiere, generell jedoch für für einen ziemlichen Fließbandarbeiter halte: Eigenheiten von Bands oder gar einzelnen Alben weichen in seinen Produktionen einer gewissen Sterilität, die wenig Raum für Untertöne, subtile Andeutungen oder auch nur eine beseelte Grundstimmung lässt.
Genau für diese Dinge liebe ich allerdings MOONSPELL - für die anmutige Ungewissheit, für das Spiel von Nebel und Schatten, für die Wildnis hinter dem Gartenzaun, deren lauernde Präsenz sich dann auch bisweilen Bahn bricht. Warum war Madsen in euren Augen einmal mehr der richtige Mann für die neuen Scheiben, obwohl gerade "Alpha Noir" vergleichsweise wenige Details bietet, die den Soundwall auflockern könnten?


Ein empfindlicher Punkt ist das keinesfalls, es ist eher eine persönliche Meinung - und eine sehr poetische dazu. Ich persönlich empfinde diese Dinge überhaupt nicht so und glaube, dass sich Tues Arbeiten für MOONSPELL ziemlich stark von seinen sonstigen Produktionen unterscheiden. Entscheidend für das Ergebnis ist immer zuerst der Input der jeweiligen Band, auf den wir auch dieses Mal wieder sehr großen Einfluss hatten. So haben wir die meisten Aufnahmen in unserem eigenen Studio in Portugal auf Band gebracht und waren auch in Dänemark bei jedem Schritt der Produktion vor Ort.
Von diesem konkreten Projekt abgesehen, denke ich, dass die Urteile über Tues Arbeit in vielen Fällen reich an Vorurteilen sind, da er einfach eine Menge Metalcore produziert hat und so in erster Linie als "moderner" Produzent gilt. Es gibt jedenfalls keine handwerklichen Mängel in seiner Arbeitsweise, über die man diskutieren könnte, zumal wir beide keine Produzenten sind. Alles andere gehört ins Reich der persönlichen Vorlieben.
Für MOONSPELL war die Arbeit mit ihm erfreulich, denn er hat im finalen Mix wirklich alle Elemente herausgekehrt, die uns für die beiden Alben wichtig waren. Alles andere stellt - wie du ja selbst schon gesagt hast - eine Frage des Geschmacks dar: Ich mag Tues Produktionen, wie auch viele andere Hörer, weshalb er uns auch dieses Mal der richtige Mann zu sein schien. Wir sind dem entsprechend sehr zufrieden, was im Endeffekt stets das Entscheidende sein sollte.

Wenden wir uns anschließend ein paar konzeptionellen Aspekten zu. "Alpha Noir" wird zusammen mit "Omega White" als limitierte Doppel-CD erscheinen, was verschiedene Fragen aufwirft: Was hat euch dazu veranlasst, das Material zu splitten, wie essentiell ist "Omega White" für das Verständnis des Gesamtkonzeptes, und welche Faktoren beeinflussen den Prozess der Formatfindung bei einer Band wie MOONSPELL?

Musiker gelangen aktuell zunehmend an einen Punkt, an dem sie gezwungen sind, sich gewissen Zwängen zu beugen: Dem neu entfachten ökonomischen Krieg zwischen Plattenfirmen beispielsweise, die nach Jahren legendärer Profite - vielleicht den höchsten im gesamten Kunstsektor - auf der Stelle treten. Oder auch den Hörern, die sich quasi als Entschädigung nach Rache sehnen und das Internet als eine Art Rammbock sehen, als ihre Jakobsleiter in ein Paradies voller kostenloser Freuden. Musiker stehen dabei oftmals im Kreuzfeuer, obwohl ich denke, dass wir in diesem Krieg zumindest fair und mit offenen Karten spielen.
Wirklich unverständlich wird für mich die Kritik an gewissen Entscheidungen, wenn man im gleichen Atemzug die ganze Download-Gesellschaft auf verdrehte Weise zu einer gerechten Sache stilisiert: Als ob Leute, die Kunst stehlen und dann über alle möglichen Portale verteilen, dabei aber keinen einzigen Cent zurückgeben, eine Art moderner Robin Hood wären. Als ob die vermeintlich kleinen Tritte gegen vermeintlich große Bands nicht immer auch die wirklich Kleinen und den Untergrund in Mitleidenschaft ziehen würden, weil es sich eben nie nur auf die Großen beschränkt.
Eine Band wie MOONSPELL steht genau zwischen diesen Fronten und ist somit potenzieller Kollateralschaden, weshalb wir uns entscheiden mussten, wie wir mit den neuen Mechanismen umgehen. Unsere Wahl fiel auf Qualität und angemessene Ausstattung, und ich glaube fest daran, dass unsere Alben bisher immer darauf ausgerichtet und dazu geeignet waren, den Hörern einen Impuls in die richtige Richtung zu geben - zum Erwerb der Scheibe nämlich.
Für die aktuelle Scheibe haben wir uns mit Napalm Records eine andere Lösung ausgedacht, um die musikalische Integrität des Gesamtwerkes zu erhalten, das von Beginn an dual ausgelegt war. Man könnte die Special Edition mit ihren beiden Scheiben als eine Art erweitertes Reservoir bezeichnen, das dem Hörer bei Bedarf all die verschiedenen Zustände zwischen Alpha und Omega eröffnet, ohne ihm notwendig eine gewisse Ordnung oder Reihenfolge aufzuzwingen. Neben den musikalischen Ursachen für das Doppelalbum schwingt hier auch eine gewisse Nostalgie mit, denn ihrer Anlage nach ist die Special Edition ganz klar ein Tribut an die Art von Die Hard Fans, die sich ein Album 'ihrer' Band unbesehen kaufen und dann erarbeiten, ohne vorher auch nur einen Ton gehört oder zahllose externe Analysen gelesen zu haben.
Ein separater Release der Alben hätte ökonomisch vielleicht mehr Sinn gemacht, wäre in Sachen Tourzyklus und so weiter sogar vorteilhaft, aber der Wille zu musikalischer Integrität, der duale Werkscharakter und unsere Abneigung gegen jedwede Veröffentlichungsflut mussten schließlich in ein Doppelalbum münden. Und wo wir dabei sind: Ein Album wie "Omega White" ist im Endeffekt auch eine ungewöhnliche Zugabe in Zeiten, in denen dem Verlangen nach Bonusinhalten meist mit einem beliebigen Konzertmitschnitt entsprochen wird, wobei sich die DVDs im Grunde nur durch die vermeintlich witzigen Outtakes zwischen den Songs unterscheiden. Stattdessen gibt es bei uns ein echtes Album mit komplett neuen Songs, die das Hauptwerk und die vier Jahre Entstehungszeit perfekt abrunden.
Um noch einmal auf das weiter oben angerissene Unverständnis bei manchen Musikfans zu kommen: Wir verlangen wirklich nicht, dass jemand Millionen für unsere Alben investiert, aber manchmal habe ich heute fast das Gefühl, als ob der tatsächliche Erwerb einer Scheibe, die man mag, die absolut letzte Option wäre, und das ist für mich nicht nachvollziehbar. Dazu waren beide Alben am Tag vor Release als illegale Downloads verfügbar, weshalb ich mich frage, warum es immer wieder die Musiker sind, die sich für Veröffentlichungspolitik rechtfertigen müssen? Was wollt ihr denn noch - unseren Kopf auf einem Tablett? Vielleicht bin ich da ein wenig blind für neue Realitäten, aber wie sagt man andererseits so schön: "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß."
Zu guter Letzt: Musikhören ist in meinen Augen vor allem ein Akt des Vertrauens und unsere Fans vertrauen uns bisher genug, dass wir uns mit dem, was wir musikalisch und lyrisch verwirklichen möchten, über Wasser halten können. Das ist ein unglaublich wertvolles und dabei unbezahlbares Gut, das man maximal mit dem Gefühl vergleichen kann, das einem das Album einer bestimmten Band bescheren kann, wenn man sich nur darauf einlässt und seinerseits den Musikern vertraut.

Im Vorfeld des Albums habe ich einen Forumsbeitrag gelesen, in dem vermutet wurde, dass "Omega White" vielleicht sogar das für Fans interessantere Album sein könnte und ich frage mich nun, warum "Alpha Noir" das Standardalbum und "Omega White" der Bonus wurde? Gibt es eine Art Lieblingskind?

Nun, ich habe ja schon bei den vorherigen Antworten versucht, ein paar dieser Entscheidungen und ihre Ursachen zu erhellen. Dass die Veröffentlichungspolitik aktuell einige Fragen aufwirft, ist kein Geheimnis, und wir alle haben kräftig an dieser Entwicklung der Szene mitgearbeitet oder zumindest tatenlos zugeschaut. Als Musiker hat man mit diesen geschäftlichen Auswüchsen eigentlich täglich und vor allem in Form von Stress zu tun, von dem uns vielleicht nur noch die Musik selbst eine Auszeit bieten kann - sie bietet Trost, ungeachtet aller sonstigen Reaktionen.
Mit einer Aussage, inwieweit MOONSPELL-Fans nun das eine oder das andere Album bevorzugen werden, wäre ich hingegen vorsichtig: Niemand kennt "den" hypothetischen MOONSPELL-Fan, zudem bilden beide Scheiben eine neue Einheit und verweisen zugleich auf Sachen, die wir in der Vergangenheit veröffentlicht haben. So folgt "Alpha Noir" meines Erachtens einer Tradition intensiverer Scheiben, die zwar vordergründig von ihrer fast aggressiven Direktheit leben, sich dabei aber stets eine Spur der uns eigenen Dunkelheit bewahren. Vielleicht gibt es hier Parallelen zu "Memorial", für mich persönlich zeigt sich hierin aber auch die urwüchsige Seite von "Wolfheart". "Omega White" hingegen sehe ich eher auf den Spuren von "Irreligious", vielleicht mit einer gelegentlichen Prise "Darkness And Hope".
Es ist letzten Endes wohl genau das Zwielicht zwischen diesen Polen, in dem sich MOONSPELL-Fans bewegen, denn für mich zeichnen sich unsere wahren Fans nicht durch puristische Ansprüche, sondern durch eine gewisse intellektuelle Beweglichkeit aus, die es ihnen erlaubt, auf die Irrungen und Wirrungen unserer verschiedenen Alben einzugehen, sie nachzuvollziehen. Das soll nicht etwa heißen, dass unsere Diskographie chaotisch ist - sie ist schlicht repräsentativ für die verschiedenen Emotionen, die uns zur Zeit der Erschaffung eines jeden Albums mitteilungswürdig erschienen. Inwieweit man mit diesen Emotionen und den dazugehörigen Nuancen schließlich andere Menschen erreicht, ist schwer abzusehen, weshalb die wenigsten Musiker reiche Menschen sind. Für mich jedenfalls sind die Erwartungen unserer Fans ein ebenso großes Mysterium wie jegliche Vermutungen zur Richtung unseres jeweils nächsten Albums.

Wird "Omega White" eigentlich auch separat erhältlich sein, wenn es die Special Edition nicht mehr gibt?

Das ist eine Frage, die eher das Label als uns betrifft, denn mit Marketingstrategien und ähnlichem haben wir als Band glücklicherweise wenig zu tun. Aktuell dreht sich ohnehin alles um die Special Edition, die glücklicherweise sehr gut ankommt - alles andere muss daher zunächst Spekulation bleiben.

Ben (Napalm Records): Von "Omega White" wird es keine Einzelauflage geben, das Album ist nur in der limitierten Special Edition von "Alpha Noir" enthalten. Es soll halt etwas Besonderes bleiben.
Das Doppelalbum war immer als alternative bzw. Special Edition zur Regular Edition von "Alpha Noir" geplant. Im Prinzip haben wir also ganz normal eine Regular Version im Jewelcase und ein Digipack mit Bonustracks, nur dass es dieses Mal statt zwei Bonustracks gleich ein ganzes Album dazu gibt. Wer nur Bock auf "Alpha Noir" hat, kann sich aber auch die Regular Edition kaufen und ist nicht gezwungen, das Doppelalbum kaufen zu müssen, weil es nur diese Version gibt.

Wo wir gerade dabei sind, widmen wir uns doch noch ganz kurz kurz dem Labelwechsel zu Napalm Records. Was hat euch für die Österreicher eingenommen?

Nun, nachdem SPV pleite gegangen war, verfolgten wir unseren Weg zunächst eine Weile ohne Deal und produzierten so ziemlich alles auf eigene Kosten. Irgendwann kam schließlich doch der Punkt, an dem uns die Beteiligung eines Labels sinnvoll erschien und von allen Optionen, die sich daraufhin eröffneten, zeigten Napalm Records einfach den größten Enthusiasmus. Enthusiasmus, den man dringend braucht um eine Band wie uns und ein Album wie "Alpha Noir" in diesen Tagen zu veröffentlichen, denn das ist alles andere als einfach.
Dazu kommt der Umstand, dass MOONSPELL zwar Kinder der goldenen Century Media-Jahre sind, unsere Geschichte jedoch seltsamerweise eher der von Napalm ähnelt: Napalm Records begannen als Underground Black Metal-Label, strebten jedoch bald etwas anderes an und wuchsen daraufhin neuen Ufern zu - von MOONSPELL kann man in musikalischer und bandhistorischer Hinsicht Ähnliches behaupten. Dieses Wissen um den jeweils Anderen, das Verständnis der Werdegänge, schweißt uns irgendwie zusammen und sorgt für eine gewisse Identifikation.
Dazu kam kurz vor dem ganzen geschäftlichen Mailverkehr noch eine Nachricht von A&R Thomas, der uns zu den beiden Alben beglückwünschte und meinte, dass Napalm verdammt stolz wären, diese Meisterwerke veröffentlichen zu dürfen. Das ist in unserem Geschäft mittlerweile eine eher seltene Geste, denn normalerweise erschöpft sich die Betreuung in ein paar weinerlichen Anrufen, in denen irgendjemand über schlechte Verkäufe klagt, weshalb es für ihn in dem Jahr dann kein neues Auto gibt und der Angeltrip leider auch ausfallen muss.

Zurück zum Album: Lass uns ein wenig abseits der musikalischen Aspekte verweilen und auf die lyrische Seite der beiden Alben zu sprechen kommen. Gibt es Situationen, in denen du Themen - analog zu den musikalischen Unterschieden - aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtest? Gibt es darüber hinaus übergreifende Ideen, die noch weiter zurück reichen, zumal man hinter den Elementen Alpha und Omega einen umfassenden Überblick über die Dinge vermuten könnte, die MOONSPELL seit jeher antreiben?

Von Jim Morrison stammt die Idee, dass Liedtexte eine spezielle Form der Lyrik sein sollten, vielleicht sogar ein eigenes literarisches Genre. Kennzeichnend für diese spezielle Lyrik ist zunächst, dass sie ihren vollen Ausdruck im Zusammenwirken von Gesang und verschiedenen Geräuschen erlangt - auf der anderen Seite soll sie jedoch auch ungesungen, also auf dem Papier, zum Herzen sprechen können. Für mich als Texter sind diese Richtlinien das non plus ultra und ich versuche, mich so eng wie möglich daran zu halten, nicht zuletzt, weil Morrison wirklich wusste, wovon er redet und das Ganze dann auch umsetzte.
Mit dieser Prämisse im Hinterkopf entschloss ich mich, die Texte in ebenso unterschiedlichen Böden gedeihen zu lassen, wie wir es vorher mit den Songs getan hatten. Die Texte auf "Alpha Noir" sind folglich der ungebremste Schrei aus tiefster Kehle, während "Omega White" in lyrischer Hinsicht eher einer inneren Stimme entspricht, die jenseits der Lippen nurmehr als Flüstern zu vernehmen ist.
Auf etwas differenzierterer Ebene ist "Alpha" Ausdruck all der Wut, die unsere aktuellen Lebensumstände mit sich bringen: Es ist eine ungefilterte Reaktion auf diese zerbrechliche Welt, in der irgendein Yuppie in den Staaten oder in einer deutschen Bank dein Heimatland als SCHROTT einstufen kann und dich somit zum Begleichen von Schulden verpflichtet, die nicht deine eigenen sind - nur um sich danach kaputt zu lachen und die Hände zu reiben, weil das Geld nicht aufgebracht werden kann. "Alpha" ist zugleich ein Weg, der Welt Portugals große Taten und seine wahre Seele vor Augen zu führen, seine neun Jahrhunderte umfassende Geschichte, seine unsterbliche Kultur, seine Geographie und Literatur. Es ist eine aufbauende und motivierende Platte, die dazu ermutigen soll, sich selbst zu lieben und man selbst zu sein, statt als Peripherie an der - hier: europäischen - Leine zu verrecken.
"Omega" trägt uns ein Stück aus dieser Arena der Gedanken und symbolisiert den Raum, in dem wir unsere Wunden lecken können, in dem wir geheilt werden. Es ist ein Ort voll lunarer Melancholie, wo wir toten Freunden Tribut zollen, der Lücke, der sie hinterließen und zugleich ihrer unerfüllten Vermächtnisse gedenken. Und damit sind wir beim Bindeglied zwischen den Scheiben: Sie behandeln die solare und die lunare Seite des menschlichen Wesens, die mir immer schon die höchste Inspiration gewesen sind. Die unermessliche Vielfalt menschlicher Regungen, diese tiefe und großartige Ambiguität unserer Spezies, die niemals schwindet, niemals langweilig wird - das ist sozusagen mein tägliches Brot als Dichter.

War es schwierig, die entsprechenden Texte zu verfassen, hast du jemals das Gefühl gehabt, dass dir die Themen oder Formulierungen ausgehen?

Niemals! Ich liebe das Schreiben und für mich ist Schreiben eine absolute, unvergleichliche Sache: Wenn es darum geht eine Idee zu isolieren oder greifbar zu machen, dann muss ich sie aufschreiben; wenn ich irgendetwas für meine Frau oder mein Kind kaufen möchte, dann hat es höchstwahrscheinlich in irgendeiner Weise mit Schriftlichkeit zu tun. Ich liebe einfach Wörter und speziell ihre Fähigkeit, im Geist eines Anderen vollkommen neue neue Formen anzunehmen, sich zu verändern wie eine Art Gestaltwandler.
Ich hatte auch niemals eine Schreibblockade, vielleicht weil es mich vollkommen erfreut und erfüllt, nach der richtigen Geschichte zu suchen und sie anschließend in passende Worte zu kleiden - das ist für mich das Größte! Vergleichen könnte man das vielleicht mit einem Gitarristen auf der Suche nach dem perfekten Riff, oder mit einem Schlagzeuger, der auf den jeweils perfekten Rhythmus hinarbeitet. Zumindest sehe ich es so und erwarte nicht, dass sich daran demnächst etwas gravierend ändert.

Lassen sich deine persönlichen Interessen und Inspirationen als Dichter eigentlich immer mit den eventuell existierenden Ansprüchen von MOONSPELLs Image und Fans vereinbaren?

Schreiben und auch Lesen sind für mich - ganz unabhängig von MOONSPELL und den Fans - vor allem integrale Bestandteile meines Menschseins. Das werden mir weder das Desinteresse und die Geringschätzung anderer, noch etwa das Älterwerden jemals abspenstig machen können. Ich habe in Portugal bisher drei Gedichtbände veröffentlicht, die alle hervorragend aufgenommen wurden, ich fertige Übersetzungen wie jüngst die von Richard Mathesons "I Am Legend" an - Schreiben und kreatives Arbeiten mit Sprache sind für mich also weniger ein Problem, sondern vielmehr der Schlüssel zur Lösung von Problemen. Und deswegen mache ich mir vielleicht auch selten Gedanken über Fragen wie die gerade gestellte - für mich gibt es die funktionale Trennung "MOONSPELL - nicht MOONSPELL" glücklicherweise einfach nicht.

Wenn man eure aktuellen Promofotos betrachtet, die Burton-Ästhetik eines älteren Videoclips, oder auch ein paar Bemerkungen zu den FIELDS OF THE NEPHILIM, dann scheint ihr eine gewisse Vorliebe für das Flair alter Horrorfilme zu haben, für (ret)romantische Kunst ganz allgemein. Trotz dieser zahlreichen "ideologischen" Verbindungen zum Gothic-Genre war euer bisheriger Output an Alben und auch Liveshows immer metallischer Natur, was für "Alpha Noir" vielleicht noch mehr gilt. Wie wägt ihr den Einfluss persönlicher Interessen und Vorlieben, die sich über die Jahre sicher ändern, und die aus zwei Dekaden Bandgeschichte resultierenden Image-Standards gegeneinander ab?

Wir sind zuerst eine persönliche Band. MOONSPELL war und ist ein Spiegel dessen, was wir mögen und wer wir sind, anders würde das in unseren Augen auch gar keinen Sinn machen. Ich vermute, dass das bei allen Bands so ist. Dem entsprechend kann die einzige Schlussfolgerung nur die sein, dass unsere ganz persönlichen Interessen und Vorlieben die Wurzel all dessen sind, was MOONSPELL überhaupt sein kann. Gerade auf "Alpha Noir" hat dieser menschliche Faktor einen ziemlich großen Einfluss gehabt, er fungiert sozusagen als Achse, von welcher all unsere guten und schlechten Erfahrungen ihren Ausgang nehmen. Er ist der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen.
In einem weiteren Schritt versuchen wir, unsere individuellen Einflüsse und Eigenschaften so weit wie möglich zu berücksichtigen - meine Vorliebe für Horrorfilm-Shirts beispielsweise, Ricardos Kombination aus eher schüchternem Wesen und einer großen Begeisterung für Thrash Metal, Pedros Indie-Wurzeln, oder eben Mikes Sozialisierung durch amerikanischen Rock. All das soll letzten Endes in MOONSPELL einfließen, ohne dass eine dieser Schattierungen zu sehr dominiert oder einer von uns das Gefühl hat, dass sein Input nicht gehört werden oder innerhalb unserer Musik nicht funktionieren würde.

Also bot eine Doppelscheibe vor allem mehr Platz für diese verschiedenen Pole, ohne sie ständig miteinander verweben zu müssen?

Richtig. Die Idee für ein zweiteiliges Album kam uns aufgrund der eben angerissenen Vorstellung, dem Wunsch, jedem dieser Einflüsse einen angemessenen Platz zuzuweisen. Und als der Testlauf geglückt war, widmeten wir uns vollkommen dieser neuen Herausforderung.
Das von dir erwähnte Verweben ist für uns eigentlich ein ganz natürlicher Prozess, darüber müssen wir nicht groß reflektieren. Zum Beispiel ist es manchmal ein seltsames Gefühl, die alten "Wolfheart"-Folkstücke im gleichen Set zu spielen, in dem wir auch unsere neuen und meist sehr viel komplexeren, "erwachseneren" Songs zu Gehör bringen. Fakt ist nun aber einmal, dass unsere Fans beides von uns erwarten, und so kommt es schon im Rahmen eines Konzertes ganz natürlich zu einer gewissen Vielseitigkeit des Materials.
Vielseitigkeit ist also in jeder Hinsicht die Natur von MOONSPELL: Wenn du dir "Wolf" und "Under The Moonspell" anhörst, findest du stets Panoramen neben intimeren Momenten. Wir haben "Alma Mater" geschrieben, aber eben auch "Vampiria", und diese Gegensätze ziehen sich als Blaupausen bis heute durch unser Schaffen. Dass dazu auch die stets präsente Spannung zwischen Gothic Horror und dem Enthusiasmus des Metals gehört, ist klar.

Dem entsprechend gab es also nie die Notwendigkeit, Nebenprojekte für eure traditionelleren Gothic-Ambitionen zu gründen?

Nein, denn ich sehe kein Problem darin, sich innerhalb einer Band in beiden Welten wohlzufühlen. Musik dreht sich sowohl für uns als auch für unsere Fans um Emotionen, sie darf nicht unbeteiligt bleiben, wenn in uns die blanke Wut oder tiefe Melancholie herrschen. MOONSPELL, und speziell diese beiden neuen Alben, vermittelt zwischen all den verschiedenen Facetten des menschlichen Wesens - von solar und energiegeladen, bis hin zur Stille der lunaren Seite - weshalb wir mit Bezug auf unser Schaffen stets optimistisch waren und bis heute sind. Es gibt schlicht keinen Grund für Veränderung, da sich diese Konstellation für uns perfekt anfühlt.
Das heißt natürlich nicht, dass wir in Zukunft nur noch Doppelalben veröffentlichen werden, es wird auch wieder eine Zeit für Synthese kommen. Bis dahin jedoch wollen wir das Gefühl der zwei parallel existierenden Welten in vollen Zügen genießen, wollen in einem Moment mit "Axis Mundi" den Frontalangriff starten, um einen Wimpernschlag später die Mädchen mit "White Skies" auf die Tanzfläche zu bitten.

Kommen wir zu einer etwas anderen Frage: Auf dem WGT 2011 haben FIELDS OF THE NEPHILIM das Publikum mit einem Set überrascht, das zu meiner Freude erstaunlich viel "Mourning Sun"- und THE NEFILIM-Material enthielt - nicht alle Anwesenden fanden das ebenso gut. Wie stehst du zur Entwicklung der Band bis zur letzten Scheibe, inklusive des Nebenprojekts? Was genau macht die Band für ich persönlich offenbar bis heute interessant?

FOTN sind - wie viele andere gute Bands - mit einer ruhmreichen Vergangenheit geschlagen. Für derart gesegnete Musiker ist es in der Regel zehnmal härter als für vergleichsweise junge Bands, mit einer neuen Scheibe zu begeistern - das ist die traurige Wahrheit über den heutigen Musikzirkus.
In meinen Augen ist Carl McCoy wahrscheinlich nicht weniger als die Verkörperung von Goth, sowohl was seine Stimme angeht, als auch sein ganzes Image. Dazu hat er 1996 mit "Zoon" ein Projektalbum veröffentlicht, das die fundamentalen Eckpfeiler zweier Welten in sich vereint - sozusagen der wahrhaftige Goth Metal. Es ist ein dunkles und verstörendes Werk mit einer Ahnung von Gewalt, aber es ist eben auch durchzogen von Schönheit und Melancholie. Ich höre die Scheibe noch heute sehr oft, da sie in meinen Augen zugleich Leitbild und Blaupause dieses ganz speziellen Stils ist.
"Mourning Sun" gegenüber hege ich gemischtere Gefühle: Songs und die Stimmung sind weiterhin großartig, nur die Produktion macht auf mich einen etwas unfertigen Eindruck. Das mag allerdings dem Vergleich mit einer, wie gesagt, übermächtigen Vergangenheit und aktuellen Hörgewohnheiten geschuldet sein, denn im Prinzip ist auch auf diesem Album alles da. Die Zeiten ändern sich vielleicht, doch FOTN sind für mich noch immer eine treibende Kraft in ihrem Genre und vor allem eine anhaltende Inspirationsquelle.

Ein weiterer großer, weil beseelter und zugleich professioneller, Auftritt des vergangenen Jahres wurde von einer Band namens MOONSPELL hingelegt, und zwar auf dem Metalcamp in Slowenien. Neben der Setlist hat mich vor allem euer Auftreten begeistert, daher die Frage: Ist es nach all den Jahren eigentlich schwer, die eigene Show wieder und wieder mit Enthusiasmus und Leben zu erfüllen?

Endlich ein wenig Licht am Ende des Tunnels für uns - danke! ;) - Ich persönlich denke, dass sich bei Liveauftritten die Spreu vom Weizen trennt. Als wir damals "Wolfheart" veröffentlicht haben, sind die Leute nicht etwa in die Plattenläden gestürmt, um sich das Album zu holen. Bis man uns überhaupt wahrnahm, brauchte es acht höllische Wochen auf Tour - und zwar zusammen mit IMMORTAL und MORBID ANGEL in einem Kleinbus. Als wir jedoch von diesem Trip zurückkehrten, erwartete uns unser damaliger Labelchef mit offenen Armen und einem Abendessen: Insgesamt hatte sich "Wolfheart" 50.000-mal verkauft, womit es eines der erfolgreichsten CM-Debüts aller Zeiten wurde.
Spulen wir 15 Jahre vor, finden wir uns als Support für OPETH bei einer Show in San Francisco wieder. Die Stimmung im Publikum ist aggressiv, sämtliche Vorbands werden gnadenlos ausgebuht, und irgendwie nimmt uns das an diesem Abend ziemlich mit, so dass wir eine unkonzentrierte und irgendwie ziellose Show spielen. Später in dieser Nacht habe ich ein wenig Zeit für mich und fasse den Entschluss, dass wir nun an unter jedweden Bedingungen immer wir selbst sein und unser ganz eigenes Ding ohne Rücksicht auf wen auch immer durchziehen werden - egal, ob große oder kleine Bühne, in hellem Tageslicht oder bei Nacht, was auch immer. Denn im Endeffekt tun wir gerade auf der Bühne ja genau das, was wir immer tun wollten - mehr kann man einfach nicht verlangen.

Gibt es vielleicht Anreize, die euch in dieser Beziehung behilflich sind, wie beispielsweise das Publikum oder die natürliche Umgebung?

Wir realisieren und schätzen die Nähe zum Publikum, den möglichst direkten Kontakt zu unseren Fans. In Sachen Umgebung ist das etwas anders, auch wenn eine Atmosphäre wie die des Metalcamps natürlich eine enorm positive Wirkung haben kann. Insgesamt denke ich jedoch, dass die entscheidenden Faktoren in dieser Hinsicht die Dinge sind, die sich in unseren Köpfen und unseren Herzen abspielen.

Inwieweit seht ihr euch in der aktuellen Konzertlandschaft eigentlich auch als Kombination aus Künstler und Dienstleister, welchen Einfluss hat dieser Dienstleistungsgedanke auf euren Lebensstil oder ganz profane Dinge wie Setlists?

Wir nehmen keine Bestellungen entgegen, falls du das damit meinst, und mittlerweile wissen wir ziemlich gut, in welcher Hinsicht wir unseren Kopf durchsetzen müssen und wo man auch einmal nachgeben kann. Im Musikgeschäft ist es einfach unmöglich zu überleben, wenn man nicht ab und an Kompromisse eingeht - auf der anderen Seite muss man früh klarstellen, dass es gewisse Bereiche gibt, in die sich niemand einmischen darf. Auf unsere Setlist haben externe Faktoren beispielsweise keine Auswirkungen. Andere Dinge, wie zum Beispiel der Umstand, dass eine mit dem Promoter befreundete Band immer den besseren Slot bekommt, spornen uns eher noch an, denn gerade dann wollen wir einen besonders guten Eindruck hinterlassen.
Um es jedoch noch einmal ganz klar zu sagen: Ich sehe das Ganze niemals als Dienstleistung, sondern immer als glücklicherweise bezahlte Umsetzung unserer innersten Leidenschaften, die wir uns sogar noch öfter wünschen würden. Dieses unglaubliche Privileg versuchen wir zu ehren, indem wir uns immer um die bestmögliche Show bemühen. Und hier, denke ich, hast du eine etwas verschobenes Bild von Musikern: Die meisten von uns sind weniger kühle Rechner, sondern vielmehr Menschen mit einem Traum, den sie mit Hingabe und harter Arbeit verfolgen - inklusive der daraus resultierenden Höhen und Erniedrigungen.
Was den Lebensstil auf Tour betrifft, haben wir wahrscheinlich so ziemlich jede Möglichkeit ausgelotet. Als Vater bin ich mittlerweile jedoch dazu übergegangen, die Rockstar-Perioden eher als eine Art Urlaub zu betrachten - im Normalfall gebe ich das häusliche Biest und kümmere mich um mich selbst.

Weil wir gerade beim Touren sind: Was können Fans von euren Festivalshows und der Herbsttour mit PAIN erwarten? Wie sind PAIN überhaupt als Headliner auf dieses Billing gelangt, das mit MOONSPELL und LAKE OF TEARS gleich zwei meiner 1990er Faves bereithält (nur TIAMAT fehlen noch)?

Die Entscheidung zu den Headlinern liegt nicht bei uns, sondern ist Sache der lokalen Promoter und der Agenturen. Soweit ich weiß, handelt es sich ja auch um eine Art Co-Headliner-Tour, aber der Punkt ist sowieso ein anderer: Die Zeiten haben sich schlicht geändert, und heute musst du eben mehrere große Namen auf dem Plakat stehen haben, damit so eine Tour überhaupt funktioniert.
Ansonsten unterscheidet sich das gar nicht so sehr von den 1990ern, denn wir sind meines Erachtens auch damals immer mit mindestens drei Bands zusammen getourt, manchmal auch noch mehr. Dazu kommt, dass wir eine großartige Position im Billing haben und die Zusammenstellung insgesamt passt - also nicht etwa stundenlang extremer Death Metal und dann plötzlich wir mit "An Erotic Alchemy".
Was das Programm angeht, so werden wir uns auf zwei Pole konzentrieren: Zum einen wird es Material von den früheren Alben bis etwa "Irreligious" zu hören geben, dazu dann relativ viele neue Sachen. Wir wollen unsere Fans vor allem beeindrucken und ich denke, dass der Verzicht auf die mittlere Phase nicht nur für großartige Kontraste sorgen wird, sondern auch zeigen kann, wie nahe sich frühe MOONSPELL und unser aktuelles Schaffen in mancher Hinsicht sind.

Es gibt derzeit ja einige Kritik an den Package-Touren, die immer mehr Bands zu immer höheren Preisen in ein einziges Event quetschen. Da kann man sich meist wunderbar ab 16 Uhr die Beine in den Bauch stehen, um nach sechs leidlich passenden Bands dann endlich den Grund seiner Anwesenheit zu begutachten. Mit etwas Glück sogar für mehr als 45 Minuten. Wie nimmst du das im Vergleich zu "früher" wahr, wo liegen die Vor- und Nachteile für die Musiker?

Ich denke, man sollte hier ein wenig mehr Augenmerk auf das Gesamtbild richten, denn deine Frage zeichnet ein etwas einseitiges Bild der Lage. Zunächst gab es diese Touren mit fünf oder sechs Bands vereinzelt bereits in den 1990ern: Schon die allererste "Out Of The Dark"-Tour 1995 bestand beispielsweise aus vier Bands - CREMATORY, THE GATHERING, SECRET DISCOVERY und uns - und wir hatten damals einen 45-Minuten-Set. Die Leute liebten das. Die zweite Auflage ein Jahr später hatte dann schon fünf Bands: uns, ROTTING CHRIST, GOREFEST, THEATRE OF TRAGEDY, SAMAEL. Auch hier hat sich im Endeffekt niemand beschwert, weshalb man die Größe einer Tour nicht pauschal als Indikator für den Niedergang des Abendlandes nehmen sollte.
Natürlich muss man sagen, dass Package-Touren - wie auch Special Editions - einer der wenigen Wege sind, wie wir mit den Untiefen des Geschäfts umgehen können, Stichwort Ticketverkäufe und Tonträgerabsatz. Bevor also jemand den ersten Stein wirft, sollte er nachdenken und sich beide Seiten der Medaille ansehen.
Was uns Musiker betrifft, so kann ich nur für uns und unser näheres Umfeld sprechen: Wir geben immer einhundert Prozent, sei es nun für 25 oder für 90 Minuten. Dass wir natürlich so lange wie möglich spielen möchten, versteht sich von selbst - einmal mehr gilt hier jedoch: Das unterliegt nicht unserer Kontrolle.

Denkst du, dass es irgendwann eine Möglichkeit gibt, MOONSPELL, LAKE OF TEARS und eben TIAMAT mit ihren genredefinierenden Scheiben - "Irreligious", "Headstones" und "Wildhoney" - auf Jubiläumstour zu schicken?

Ich kann da nur für uns reden, aber es kommt auf die Stimmung und das jeweilige Umfeld an. Wir sind bis heute eine sehr aktive, kreative Band, also müssen wir nicht auf unseren Backkatalog zurückgreifen, um an Shows zu kommen. Andererseits sind wir sehr dankbar für unseren aktuellen Status und wissen um die unglaubliche Wirkung, die ein nostalgisches Set auf das Publikum haben kann. Wir haben das sogar schon ein paar mal gemacht und zu unserem Erstaunen festgestellt, dass es den Leuten keineswegs darum ging, in düsteren Erinnerungen an eine fast vergessene bessere Zeit zu schwelgen, sondern dass sie vielmehr gerade in diesen Momenten jede Nuance des Hier und Jetzt auskosteten, dass sie ihr gegenwärtiges Leben - nicht ihre Vergangenheit! - zelebrierten. Das war teilweise unglaublich!
MOONSPELL dreht sich genau um dieses Gefühl, selbst wenn es viele Leute gibt - darunter nicht wenige, die erst durch das Internet überhaupt in unsere Szene gefunden haben - die uns bei jeder Gelegenheit unsere "ruhmreiche" Vergangenheit vor Augen halten und alles Neue zunächst pauschal ablehnen. Das ist in meinen Augen so lächerlich wie unwürdig, aber um unserer wahren Fans willen werden wir die Schätze der Vergangenheit auch weiterhin immer mal wieder hervorkramen. Wichtig ist nur, dass ihr versteht, dass alle drei Aspekte wichtig sind: Du musst nicht nur mit deiner Vergangenheit im Reinen sein, sondern du musst dich in der Gegenwart wohlfühlen und dir immer wieder Ziele setzen, und du solltest optimistisch in die Zukunft blicken!

Dann bleibt eine letzte Frage: 2010 hat die portugiesische Post eine Serie von Sondermarken herausgebracht, auf denen die größten Momente in Portugals musikalischem Schaffen geehrt wurden. Eine Marke zeigt das Cover von "Wolfheart" - wie fühlte sich das für euch an?

Auf eine poetische Art und Weise ist das ausgleichende Gerechtigkeit. Wir waren früher sehr aktive Tapetrader und betrieben diesen Versand mit der gleichen Passion, die wir auch in unsere Musik einfließen ließen. Hätte mir zu dieser Zeit jemand gesagt, dass es eines Tages eine Briefmarke mit unserem Cover auf die Päckchen würde kleben können, dann hätte ich ihm schlicht nicht geglaubt. Es war eine ebenso großartige wie unerwartete Ehre.
Insgesamt hatten wir immer unsere Momente, hatten Auszeichnungen, aber eben auch Rückschläge und den ein oder anderen Punkt, an dem wir uns schlicht verraten fühlten. Das gehört zum Spiel dazu und wenn du dieses Spiel spielen möchtest, dann solltest du früh lernen, wie man mit Ruhm und Erniedrigung gleichermaßen umgeht.

Fernando, ich danke dir noch einmal für deine außerordentliche Mitteilungsfreude und den Aufwand, den du für dieses Interview betrieben hast - es war mir eine Ehre! Ich wünsche euch das Beste für die Zukunft, und falls dir noch irgendetwas auf dem Herzen liegt, dann raus damit:

Ich danke dir für dieses ausführliche und anregende Interview! Zugleich hoffe ich, dass ich ein paar der Wolken beiseite schieben konnte, die uns Musiker so oft umgeben und in deren Schatten Vorurteile am besten gedeihen. Ansonsten bleibt mir nur zu sagen: Keep supporting the scene at all times! We must never fade!



www.moonspell.com
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