Der ewige Blasphemer - Die Geschichte eines Interviews

Der ewige Blasphemer - Die Geschichte eines Interviews

Mayhem
Special
14.03.2009
Es ist schon so ein Ding mit den Klammern - oder mit dem Klammern, je nach dem auf welchem Feld man sich gerade bewegt. Am heimischen Schreibtisch beispielsweise sind Klammern mitunter unentbehrlich, was in gleichem Maße für die Intensivstation der örtlichen Krankenanstalt und natürlich auch die etwas düster anmutende Wäscherei zwei Eingänge weiter gilt.
Für Beuteltiere und Baumbewohner ist Klammern als lebensverlängernde Maßnahme zumindest angebracht, wohingegen dieses sonst verbindende Element in Beziehungen den Zusammenhalt eher schwächt. Man mag es kaum glauben, aber Ironie kann bisweilen recht einfach sein.

Nicht ganz klar ist darüber hinaus die Aufgabe der Klammern im Schriftverkehr, wo sie zumeist zusätzliche Informationen aufnehmen. Das reicht von knappen Ausführungen zu Nebenschauplätzen, über Quellenangaben im laufenden Text, bis hin zur chronologischen Abhandlung eines Krankheitsfalles in der Familie... ...kann sich aber auch in einer schnöde hingeschleuderten Jahreszahl erschöpfen. Möglich sind im Wesentlichen all diese Vorgehensweisen, auch wenn man die Autoren bisweilen an die vergessene Gabe der Fußnote erinnern möchte - ob sie praktikabel sind, steht indes auf einem anderen - hier nicht unbedingt zu erörterndem - Blatt. Womit wir dann auch fast beim Thema wären.
Im konkreten Fall sah die Klammerei folgendermaßen aus:

"[...] by guitarist and songwriter Rune Eriksen (aka Blasphemer, MAYHEM)"

Auf den ersten Blick sicherlich kein allzu bewegendes Bild, welches die Bandbio der Labelseite von AVA INFERI hier in all ihrer grünen Pracht abgibt. Bewegender wird die Kombination dann schon, wenn man eben jenen "Rune Eriksen (aka Blasphemer, MAYHEM)" etwa 24 Stunden vorher für ein Black/Death Metalzine interviewt hat und der Name MAYHEM im Verlauf der guten halben Stunde nicht ein einziges Mal gefallen ist. Mit einem Schlag rotiert die Welt etwas schneller, Fragen nach der eigenen Interviewtauglichkeit ziehen neonfarbene Kreise, das ohnehin labile Konstrukt metallischer Sozialisation schwankt bedrohlich und man fragt sich, nur so nebenbei, wie man das im Nachhinein jemals schlüssig erklären könnte. Man hört die Meute förmlich johlen: "Blasphemer, Alter! DER Blasphemer, MAYHEM, weißte - Frrrreeeezing Mooooon!!! Und du hast ihn nur zu...wie heißt die Klitsche, AVE SATANI befragt?!?"

Kein Zweifel: Die Reputation wäre im Eimer, zwielichtige Black Metal-Soloprojekte würden mir den Briefkasten mit verrauschten Demoaufnahmen - den sogenannten Audiobomben - zerrongsen, dazu kämen sicherlich ein Corpsepaint-Verbot auf Lebenszeit nebst "Glatze is nich Metal!"-Graffitis an der ohnehin geschundenen Hauswand. Nicht dass mir Hauswände und weiße Farbe besonders am Herzen lägen, aber wie lange hält ein Mensch sowas rein psychisch aus? Rrraaaah?

Minuten später, der Schock ist zumindest ansatzweise verdaut, kann man dem Geist dann die ersten halbherzigen Lösungsansätze abringen: Natürlich wird der Originalmitschnitt des Gesprächs umgehend vernichtet, um potenziellen Grabungsteams einer fernen, MAYHEM-hörigen Zukunft möglichst wenig Beweismaterial in die Hand zu geben. Wäre schließlich gut möglich, dass der eigene Grabstein in einem solchen Fall schneller weg ist als die Fantoft-Stabkirche, und selbst schwarzweiße Lynchmobs vor dem Anwesen eventueller Nachfahren werden in diesen Minuten zu einer ernsthaft denkbaren Auswirkung des eigenen Fehlverhaltens. Burz umgedreht - und schon sind die Balgesbälger obdachlos.

Zweiter Denkansatz: Nichtveröffentlichung des kompromittierenden Gesprächs, das man nun am liebsten niemals geführt hätte. Der damit einhergehende Vorteil des gewahrten Gesichts müsste allerdings (abseits redaktionsinterner Züchtigungsmaßnahmen) teuer erkauft werden, denn Labels tendieren in solchen Fällen zu bohrenden Fragen und zeitweiliger Verstimmtheit, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Wünsche der Blutkammer ganz allgemein.
Zudem hatte ich das Gefühl, dass der ruhige, zurückhaltende Mister Eriksen sehr erfreut über das Interesse an seiner Band war und das mochte man ihm im Nachhinein dann schlecht vermiesen. Letztendlich hatte eine banale Netzsuche nach Bildern für den Fließtext den Schlamassel angestoßen - und das konnte ich Rune trotz zahlreicher Gedankenspiele leider nicht anhängen.

Anhängen dagegen könnte man ihm rückblickend eine arglistige Verschleierungstaktik, sozusagen vorsätzliche Falschaussage und gleichzeitiges Ausnutzen meiner Unwissenheit. Schließlich findet sich im Gespräch ja die Frage nach früheren Projekten, "vielleicht in Norwegen", die er ziemlich ausweichend mit einem Verweis auf "extremere Bands" beantwortet. Mir als MAYHEM-reizlos-Finder und Kind der zweiten Welle fällt bei solch erschöpfender Auskunft natürlich nicht unbedingt ein, dass Blasphemer

a) seinen Bühnenname bei SODOM gefunden hat,
b) mit bürgerlichem Namen Rune Eriksen heißt, und
c) über zehn Jahre Mitglied der absolvten Trveness war.

Sicherlich kein unmöglicher Fehler, aber man wird sich der Unverzeihlichkeit seines Tuns im Nachhinein eben ungleich deutlicher bewusst - die Kreuzigung geht, die Stigmata bleiben.

Abschließend bleibt mir nur mein Schicksal zu akzeptieren und der Welt die redaktionelle Achillesferse des deutschen Onlinejournalismus in all ihrer schwelenden Rötung zu präsentieren. Da helfen weder die Freude des Labels über das erste MAYHEM-freie Interview, noch die Tatsache, dass sich AVA INFERI als wirklich interessante Zeitgenossen herausstellten - in den unbewegten Stunden meiner schlaflosen Nächte höre ich sie wohl auf ewig raunen: "Blasphemer, Alter, und nicht ein einziges Mal MAYHEM. You skull-fucking necrobitch..."
Und wer weiß: Vielleicht lacht sich der ruhige, zurückhaltende Rune genau in diesem Moment ins Fäustchen, streichelt unauffällig den vodkagefüllten Anhänger mit Dead's Steißbeinsplitter, und legt im Geiste bereits Feuer in den heiligen Kammern des Blutes...

Rrraaah!
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